Grete Henry-Hermann

Grete Henry-Hermann

Grete Hermann oder Grete Henry (* 2. März 1901 in Bremen; † 15. April 1984 in Bremen) war eine deutsche Mathematikerin, Physikerin, Philosophin und Pädagogin, die mit Physikern wie Werner Heisenberg und anderen Wissenschaftlern ihrer Zeit in Diskussion über die Entwicklung vor allem der modernen Quantenphysik stand.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Grete Hermann wurde als drittes von sieben Kindern in eine bürgerlich-protestantische Bremer Kaufmannsfamilie geboren und wuchs mit zwei Schwestern und vier Brüdern auf. Ihre beiden Großväter waren Pfarrer.

Nach dem Abitur mit 19 Jahren am Neuen Gymnasium in Bremen, an dem Mädchen nur in Ausnahmefällen zugelassen wurden, erwarb sie 1921 die Lehrbefähigung für Volks- Mittelschulen und studierte dann Mathematik, Physik und Philosophie in Göttingen und Freiburg im Breisgau. 1925 promovierte sie bei der Göttinger Mathematikerin Emmy Noether und legte die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen ab.

Danach arbeitete sie bis zu dessen Tod im Jahre 1927 als Privatassistentin des Göttinger Philosophen Leonard Nelson, der sich um die Fortentwicklung der kritischen Philosophie Kants in der Tradition von Jakob Friedrich Fries bemühte, die er durch die Ausarbeitung einer Ethik, die für politisches Handeln gelten sollte, vor allem konsequent in die Pädagogik und politische Praxis umzusetzen suchte. Sie engagierte sich auch in dem 1926 von Nelson deswegen gegründeten Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK), zu dessen führenden Mitgliedern Willi Eichler und Minna Specht zählten, und arbeitete in dem von Nelson gegründeten Landerziehungsheim „Walkemühle“ bei Melsungen mit.

Mit Minna Specht gab sie nach Nelsons Tod aus seinem Nachlass den Band „System der philosophischen Ethik und Pädagogik“ heraus, setzte aber auch ihre eigenen Forschungen fort. Zur Bekämpfung des Nationalsozialismus trat sie Anfang der 1930er Jahre in die Redaktion der ab Januar 1932 vom ISK herausgegeben Tageszeitung „Der Funke“ ein, dessen zentrales Anliegen war, die Bildung einer Einheitsfront aller gegen den Nationalsozialismus eingestellten Kräfte zu unterstützen, wozu bis 1933 mehrfach ein von bekannten Künstlern, Politikern und Wissenschaftlern unterzeichneter Dringender Appell publiziert und plakatiert wurde.

Nach der Machtübergabe an Hitler hielt Grete Hermann philosophische Kurse ab, in denen über die verteidigenswerten politischen und ethischen Werte und den Sinn des Widerstandes gegen das NS-Regime diskutiert wurde. Diese Kurse gingen nach ihren eigenen Worten „tiefer und waren lebendiger als wohl alle Unterrichtsarbeit, wie ich sie sonst in meinem Leben geleistet habe."[1] Gleichzeitig setzte sie ihre wissenschaftliche Arbeit fort, korrespondierte mit Carl Friedrich von Weizsäcker, Werner Heisenberg, Niels Bohr sowie anderen bedeutenden Mathematikern und Naturwissenschaftlern und nahm im Sommer 1934 auch an einem Seminar von Werner Heisenberg mit mehreren renommierten Physikern in Leipzig teil. Die aus dieser Diskussion hervorgegangenen Überlegungen veröffentlichte sie 1935 unter dem Titel „Die naturphilosophischen Grundlagen der Quantenmechanik“ und fand damit in der physikalischen Forschung große Beachtung. 1936 erhielt sie für ihre Arbeit „Welche Konsequenzen haben die Quantentheorie und die Feldtheorie der modernen Physik für die Theorie der Erkenntnis?“ den Preis der Avenarius-Stiftung in Leipzig.

Im Zusammenhang mit der Verfolgungswelle der ISK-Gruppen seit 1935/36 sah auch sie sich zur Emigration gezwungen; sie ging zunächst nach Dänemark, wo Minna Specht eine Schule für Kinder aus „der Walkemühle“, die von den Nationalsozialisten 1933 sofort geschlossen worden war, eingerichtet hatte und 1937 nach England, wo sie sich verheiratete (Scheidung 1946). Hier war sie führendes Mitglied der Londoner ISK-Gruppe, arbeitete an dem ISK-Organ „Sozialistische Warte“ mit, beteiligte sich an der programmatischen Diskussion über den demokratischen Neuaufbau Deutschlands und gehörte dem im März 1941 geschaffenen Exekutivkomitee der „Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien“ an, zu der sich Sozialdemokraten und die sozialistischen Gruppen Neu Beginnen, SAP (Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands) und ISK zusammengeschlossen hatten.

Nach dem Krieg kehrte Grete Henry-Hermann nach Deutschland zurück. Sie wirkte am Aufbau der 1973 in die Universität Bremen integrierten Pädagogischen Hochschule mit, die sie ab 1947 auch leitete und an der sie von 1950-1966 als Professorin für Physik und Philosophie lehrte. Daneben engagierte sie sich in der bildungspolitischen Arbeit von SPD und Gewerkschaften, war Leiterin der pädagogischen Hauptstelle der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und gehörte von 1954 bis 1966 dem Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen an. Von 1961 bis 1978 war sie Vorsitzende der von Nelson gegründeten und nach dem Krieg wiedereingerichteten Philosophisch-Politischen Akademie.

Ein Teilnachlass von ihr befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn.

Werner Heisenberg hat Grete Hermann mit dem Kapitel 10 Quantenmechanik und die Kantsche Philosophie (1930-1932) seines Buches „Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik“ ein bleibendes Denkmal gesetzt.

Die Grete-Henry-Straße in Göttingen wurde nach ihr benannt.

Werke

Bücher (Auswahl)
  • 1935 Die naturphilosophischen Grundlagen der Quantenmechanik. Abhandlungen der Fries´schen Schule, N.F. Band 6, Heft 2, S. 69-152 (auch als Sonderdruck bei Hirtzel, Berlin)
  • 1937 Über die Grundlagen physikalischer Aussagen in den älteren und den modernen Theorien. Abhandlungen der Fries´schen Schule, N.F. Band 6, Heft 3 u.4, S. 309-398 (auch als Sonderdruck bei Hirtzel, Berlin)
  • 1937 mit E. May E. und Th. Vogel: Die Bedeutung der modernen Physik für die Theorie der Erkenntnis. Hirtzel, Leipzig
  • 1953 Die Überwindung des Zufalls. - Kritische Betrachtungen zu Leonard Nelsons Begründung der Ethik als Wissenschaft. Verlag öffentliches Leben, Frankfurt 1953; ern. 1985 bei Meiner, Hamburg ISBN 3-7873-0658-7
Herausgeberschaften
Einzelarbeiten
  • 1973 The Significance of Behaviour Study for the Critique of Reason. Ratio XV, Nr. 2 pp. 206-220[2]

Einzelnachweise

  1. Léna Soler und Alexander Schnell: Grete Henry-Hermanns Beiträge zur Philosophie der Physik. In: Susanne Miller und Helmut Müller im Auftrag der Philosophisch-Politischen Akademie (Hrsg.): In der Spannung zwischen Naturwissenschaft, Pädagogik und Politik. Zum 100. Geburtstag von Grete Henry-Hermann, Bonn 2001, S. 20
  2. Reproduktion hier

Weblinks


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