Alfred Herrhausen

Alfred Herrhausen

Alfred Herrhausen (* 30. Januar 1930 in Essen; † 30. November 1989 in Bad Homburg vor der Höhe) war ein deutscher Bankmanager und Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Er wurde durch ein Bombenattentat ermordet.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Alfred Herrhausen und seine Zwillingsschwester Anne wurden in Essen als Kinder des Vermessungsingenieurs Karl Herrhausen und dessen Frau Hella geboren. Herrhausen besuchte in seiner Kindheit das Carl-Humann-Gymnasium in Essen-Steele und die NS-Ausleseschule Reichsschule Feldafing der NSDAP. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er Betriebs- und Volkswirtschaftslehre in Köln, wo er sich dem Corps Hansea anschloss. Er wurde 1955 bei Theodor Wessels mit der Dissertation "Grenznutzen als Bestandteil des Marginalprinzips" promoviert.[1]

Nach Tätigkeiten bei der Ruhrgas AG und den Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen (VEW) wurde er vom damaligen Vorstandssprecher Friedrich Wilhelm Christians 1969 zur Deutschen Bank geholt. Dort berief man ihn 1970 zum stellvertretenden und 1971 zum ordentlichen Vorstandsmitglied. 1974 wurde er von der Bundesregierung in die Bankenstrukturkommission berufen. (Aufgrund der Scheidung von seiner ersten Frau Ulla im Jahr 1977 geriet Herrhausen innerhalb des Vorstandes in eine gewisse gesellschaftliche Isolation, die Christians durch eine private Einladung schließlich demonstrativ durchbrach). 1983 wurde Herrhausen zusammen mit zwei weiteren „Stahlmoderatoren“ von der Bundesregierung beauftragt, ein Konzept zur Neuordnung des deutschen Stahlmarkts zu erstellen. Nach dem Ausscheiden Wilfried Guths wurde er im Mai 1985 neben Christians einer von zwei Sprechern des Vorstands. Am 11. Mai 1988 rückte er zum alleinigen Vorstandssprecher auf. Herrhausen betrieb den Umbau der Konzernstrukturen der Deutschen Bank mit Nachdruck und machte die Bank zum unumstrittenen Branchenprimus in Deutschland. Schwerpunkte lagen auf einem konsequenten Allfinanzkonzept und der Internationalisierung des Konzerns. Hierzu gehörten die Gründung der Deutsche Bank Bauspar AG und der Deutsche Bank Lebensversicherungs AG sowie die Übernahme der britischen Bank Morgan Grenfell 1989.

Herrhausen bemühte sich in zahlreichen Vorträgen und Interviews um ein besseres Image der Banken. Er betonte die Verantwortung der Banken und ihrer Manager. Er beteiligte sich aktiv an der Diskussion um die „Macht der Banken“. Sie hatte sich auch an den zahlreichen Industriebeteiligungen der Deutschen Bank entzündet. Sein bekanntestes, auf die Deutsche Bank bezogenes Zitat war:

„Natürlich haben wir Macht. Es ist nicht die Frage, ob wir Macht haben oder nicht, sondern die Frage ist, wie wir damit umgehen, ob wir sie verantwortungsbewusst einsetzen oder nicht.“[2]

Eine solche Äußerung war vielen seiner Vorstandskollegen unangenehm, die sich lieber dezent im Hintergrund halten wollten.

Herrhausen versuchte eine komplette Umstrukturierung der Deutschen Bank durchzusetzen. Dies führte zu einer heftigen Auseinandersetzung mit anderen Führungsmitgliedern, in deren Verlauf Herrhausen kurz davor stand, seinen Rücktritt anzubieten. Laut Aussage seiner zweiten Frau Traudl (in dem Dokumentarfilm Black Box BRD von Andres Veiel) sollte am Tag seiner Ermordung auf einer Vorstandssitzung über seine Pläne entschieden werden. In seinem auf dem Film aufbauenden gleichnamigen Buch beschreibt Veiel, dass Herrhausens Position in der Bank stark geschwächt war und dass er zwei Tage vor seinem Tod sogar intern seinen Rücktritt erklärt habe.[3]

Schlagzeilen machte sein Eintreten für einen teilweisen Schuldenerlass für Entwicklungsländer auf einer Tagung der Weltbank in Washington im Jahre 1987.[4]

Herrhausen selbst sah sich als potentielles Ziel terroristischer Anschläge. Seit der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer im September 1977 hatte er nach Angaben seiner Ehefrau immer einen Brief im Nachtschrank, in dem stand, dass man bei seiner möglichen Entführung und eventuellen Erpressung der Bundesrepublik Deutschland den Forderungen nicht nachgeben solle.

In einer Talkshow lernte Herrhausen 1982 die 30 Jahre jüngere Literaturstudentin Tanja Langer (geb. Neumann) kennen, die dort als Vertreterin der so genannten No Future-Generation eingeladen war. Sie kam seiner Bitte nach, ihm einmal zu schreiben, woraus sich eine bis zu seinem Tod dauernde Freundschaft ergab. Sie schrieb ihm etwa 300 Briefe, er rief sie an, um in oft langen Gesprächen Meinungen auszutauschen.[5]

Persönlichkeit

Herrhausen galt als Ausnahmeerscheinung unter den deutschen Spitzenmanagern. Von vielen Beobachtern wurde seine intellektuelle, rednerische und unternehmerische Brillanz hervorgehoben. Dies machte ihn sowohl zu einem gefragten Interviewpartner für die Medien als auch zu einem wichtigen Berater für Politiker wie Helmut Kohl. Gleichzeitig konnte er mitunter unwirsch reagieren, wenn Kollegen und Mitarbeiter seinen Analysen nicht folgen konnten oder seiner Meinung nach ein Thema nicht wirklich verstanden. Er galt als exzellenter „Zuhörer“. Er konnte seinem Gegenüber das Gefühl geben, dass er dessen Meinung und Person respektiere und sich völlig auf ihn konzentriere. Dabei kam dem sozialen Status seines Gesprächspartners keine besondere Bedeutung zu.

Die von Alfred Herrhausen eingeleitete strategische Umgestaltung der Deutschen Bank wird im Nachhinein als visionär bewertet, da er Entwicklungen in der Finanzwelt vorhersah und konsequent umsetzte, die sich damals noch kaum abzeichneten und erst Jahre später Realität werden sollten. Dazu gehörte etwa das Allfinanzkonzept oder der Ausbau des Investmentbereichs mit dem Erwerb der britischen Investmentbank Morgan Grenfell.

Als manager-untypisch wird ferner sein Interesse für die Belange der so genannten Dritten Welt angesehen. Als einer der ersten sah er die Schuldenkrise der weniger entwickelten Länder sowohl als moralisches Problem der Industrieländer als auch als essentielles zukünftiges Problem für die Bankenwelt an. Sein Eintreten für einen Schuldenerlass erregte internationales Aufsehen und sorgte für erbitterten Widerstand vor allem in der angloamerikanischen Finanzwelt. Wie auch bei mehreren anderen von ihm früh wahrgenommenen Problemfeldern wurde die Idee des Schuldenerlasses später – lange nach Herrhausens Tod – tatsächlich Realität. Es wird teilweise darüber spekuliert, inwieweit er dieses – ursprünglich auf einer Auslandsreise entstandene – Konzept auch dazu nutzen wollte, die Position der Deutschen Bank gegenüber den großen US-Banken zu stärken. Deren Kredite an die armen Länder waren – bedingt durch das damalige amerikanische Bankenrecht – bedeutend schlechter abgesichert als die seines eigenen Instituts, was sie zu potenziellen Kandidaten für eine feindliche Übernahme durch die Deutsche Bank hätte machen können – wenn seine Idee umgesetzt worden wäre.

Familie

Herrhausen war seit 1953 in erster Ehe mit Ulla Sattler, Tochter des Generaldirektors der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen AG (VEW), Paul Sattler, verheiratet. 1974 lernte er während eines Aufenthaltes in Texas seine zweite Frau, die in Österreich geborene Ärztin Waltraud Baumgartner kennen, die er 1977 heiratete. Traudl Herrhausen war nach seinem Tod für die CDU von 1991 bis 2003 Abgeordnete im hessischen Landtag. Herrhausen hatte zwei Töchter, Bettina Herrhausen (* 1959) aus der ersten und Anna Herrhausen (* 1978) aus der zweiten Ehe.

Ermordung

Denkmal an der Stelle der Ermordung
Gedenkstunde für Alfred Herrhausen im Bundesrat

Am Morgen des 30. November 1989 verließ Herrhausen sein Haus im Ellerhöhweg in Bad Homburg, um in seinem Dienstwagen zur Arbeit zu fahren. Nach einer Fahrzeit von etwa drei Minuten detonierte um 8:37 Uhr[6] auf Höhe des Seedammweges vor der Taunustherme eine Bombe, die sich auf einem präparierten Fahrrad am Straßenrand befand. Herrhausen, der hinten rechts im Fahrzeug saß, kam bei dem Attentat ums Leben, sein Chauffeur wurde nur leicht verletzt.

Die Bombe befand sich in einem Paket von der Größe einer Schultasche auf dem Gepäckträger des Fahrrads. Der verwendete Sprengstoff TNT war als Platte geformt, die mit einer Kupferplatte beschichtet war. Diese in panzerbrechenden Waffen verwendete Anordnung setzt aufgrund des Misznay-Schardin-Effekts die Explosionsenergie zielgerichtet frei. Als Herrhausens Wagen durch eine vorher installierte Lichtschranke fuhr, explodierte die Bombe, deren Druckwelle genau auf die hintere Seitentür des gepanzerten Mercedes-Benz der S-Klasse traf. Ein dadurch abgesprengtes Teil der Türverkleidung trat in den Oberschenkel von Herrhausen ein und verletzte die Schlagader. Seine in dem unbeschädigten Begleitfahrzeug folgenden Personenschützer ergriffen keine Maßnahmen zur Ersten Hilfe. Herrhausen blieb bewusstlos in dem Autowrack liegen und starb innerhalb weniger Minuten an starkem Blutverlust. Es ist möglich, dass sofort eingeleitete Maßnahmen sein Leben hätten retten können.

Sein Fahrer Jakob Nix war durch Splitter an Kopf und Arm verletzt worden. Während die Personenschützer noch in dem Begleitfahrzeug saßen, stieg er aus und ging um das zerstörte Fahrzeug herum zu Herrhausens Tür, die aus den Angeln gerissen war. Wegen seines verletzten Arms konnte er aber nicht zugreifen; es gelang ihm nicht, Herrhausen aus dem Wagen zu ziehen. Er wurde kurz darauf von einem der ersten hinzugekommenen Personenschützer vom Fahrzeug weggeführt. Nix litt noch lange Zeit unter dem Trauma, dass er seinem Chef nicht hatte helfen können, zu dem er in 19 Jahren Dienstzeit ein enges, fast familiäres Verhältnis aufgebaut hatte.[7]

Das Verhalten der Personenschützer blieb nicht ohne Kritik. Als Begründung für die unterbliebenen Hilfsmaßnahmen wurde später auf die Möglichkeit einer Attacke der Attentäter oder einer zweiten Bombe verwiesen. Augenzeugen bestätigten, dass sie sich wohl aus diesem Grunde längere Zeit nicht an das Fahrzeug Herrhausens heranwagten. Diese Begründung war zunächst nicht von der Hand zu weisen, da die Lichtschranke, die die Explosion auslöste, per Hand eingeschaltet wurde, wobei der Lichtstrahl über die Straße vermutlich von dem Speichenreflektor des Fahrrads mit der Bombe zurückgeworfen wurde. Eine solche Aktion erforderte mindestens zwei Personen, nämlich einen Beobachter, der die Annäherung des Herrhausen-Konvois meldete, und eine zweite Person, die zielgenau die Lichtschranke in Betrieb setzte. Selbst wenn die Personenschützer zu diesem Zeitpunkt nicht wussten, wie die Bombe ausgelöst wurde, so hätten sie doch aus guten Gründen – bei der Entführung des BDI-Präsidenten Hanns-Martin Schleyer war dessen Begleitpersonal getötet worden – mit einem Angriff rechnen müssen. Diesem Argument wurde allerdings entgegengehalten, dass es ihre Aufgabe war, für den Schutz Herrhausens zu sorgen, und sie daher hätten eingreifen müssen.

Der oder die Urheber für das Attentat konnten nie ermittelt werden. Allerdings bekannte sich die Rote Armee Fraktion am Nachmittag des Mordes durch einen Anruf in der Wohnung der Herrhausens zur Tat.[8] Am 2. Dezember 1989 fand man zudem ein Bekennerschreiben[9] der RAF. Autoren, die die RAF-Täterschaft bezweifeln, weisen auf aus ihrer Sicht ungewöhnliche Umstände hin: Die als Baustelle getarnten Arbeiten, bei denen man die Kabel für die Lichtschranke verlegte (sie waren allerdings von kurzer Dauer, wobei nach Angaben von Augenzeugen jedoch nach ihrer Beendigung das Baustellenschild vergessen wurde und wochenlang am Rand der Fahrbahn stand), der große materielle und technische Aufwand sowie der Einsatz einer Bombe militärischer Bauart mit dem Sprengstoff TNT entsprachen nicht der bisherigen Vorgehensweise der RAF. Überdies waren die auffälligen Vorbereitungen zu dem präzise geplanten Anschlag weder der Polizei noch dem Bundeskriminalamt verdächtig vorgekommen, obwohl Herrhausen offiziell zum Kreis der am stärksten gefährdeten Personen in der Bundesrepublik gehörte und die Umgebung seines Hauses ständig überwacht wurde. Zu den Ungereimtheiten des Falles zählt auch, dass das normalerweise eingesetzte vorausfahrende zweite Begleitfahrzeug laut dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Richard Meier kurz vor dem Attentat abgezogen worden war.[10] Es gibt allerdings auch andere Darstellungen, nachdem das vordere Fahrzeug nur weit vorausfuhr.

Täterschaft ungeklärt

Hinweise auf die Täter ergaben sich aus dem Bekenneranruf und dem Bekennerschreiben der RAF (Kommando Wolfgang Beer), das zwei Tage nach dem Mord in der Nähe des Tatorts gefunden wurde. Ansonsten tappten die Ermittler im Dunkeln. Hans-Ludwig Zachert, damaliger Präsident des Bundeskriminalamts, sagte im März 1991: „In der Terroristenfahndung treten wir auf der Stelle. Bei dem Attentat auf den Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen gibt es noch immer keine brauchbare Spur.“

Aussage eines Kronzeugen

Erst mehr als zwei Jahre nach der Tat, am 21. Januar 1992, präsentierten die Ermittlungsbehörden einen vermeintlich spektakulären Fahndungserfolg. Siegfried Nonne, ein gelegentlich als V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes eingesetztes Mitglied der linksradikalen Szene, belastete in einer umfangreichen Aussage sich selbst, Christoph Seidler, Andrea Klump sowie zwei weitere ihm nur als Stefan und Peter bekannte Männer. Er gab an, dass die vier RAF-Terroristen gewesen seien und vor dem Anschlag längere Zeit in seiner Bad Homburger Wohnung gelebt hätten. Außerdem sei er selbst an der Planung beteiligt gewesen. Der Generalbundesanwalt erließ daraufhin Haftbefehle gegen Christoph Seidler und Andrea Klump, die Meldung über den Fahndungserfolg lieferte wochenlang Material für eine umfangreiche Berichterstattung in der deutschen Presse. In Nonnes Keller wurden Sprengstoffspuren gefunden, allerdings von anderen Substanzen (2,4-Dinitrotoluol, 2,4-Dinitroethylbenzol und Spuren von Nitroglycerin) als dem beim Anschlag verwendeten Trinitrotoluol (TNT).[11]

Widerruf

In einer Sendung des WDR-Magazins Monitor vom 1. Juli 1992 widerrief Nonne vor laufender Kamera seine gesamte Aussage.[12] Er gab gegenüber den Journalisten an, dass er von Mitarbeitern des hessischen Verfassungsschutzes mit Drohungen zu seiner Aussage genötigt worden sei. In der Folge wurde bekannt, dass Nonne mehrfach in psychiatrischer Behandlung gewesen war und unter Alkohol- und Drogenproblemen litt. Erst vier Tage bevor er sich erstmals mit seinen Aussagen an den Verfassungsschutz gewandt hatte, war er nach halbjährigem Aufenthalt aus der Psychiatrie entlassen worden. Die Diagnose lautete damals: „Länger anhaltende depressive Reaktion mit suizidalen Gedanken, Polytoxikomanie inklusive Morphin, Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Niveau.“[13] Zwei von den Behörden beauftragte Gutachten eines Psychologie-Professors und eines Psychiaters bescheinigten Nonnes Aussagen dennoch Glaubwürdigkeit. Damit entstand allerdings das Problem, ob nun Nonnes erste Aussage oder sein Widerruf als gültig angesehen werden sollte. Die Behörden entschieden sich dafür, seine Aussage als glaubwürdig, das Dementi dagegen als unglaubwürdig einzustufen, wodurch die Haftbefehle gegen die beiden von ihm benannten Täter bestehen blieben. Später kehrte Nonne wieder zu seinen ursprünglichen Aussagen zurück und revidierte somit seinen Widerruf. Als Begründung nannte er erneut, dass er bedroht und genötigt worden sei, diesmal allerdings von den Monitor-Journalisten. Das Ermittlungsverfahren wegen seiner Mittäterschaft wurde 1994 unter der Kronzeugenregelung mit dem Hinweis auf seine Beteiligung an der Aufklärung der Tat eingestellt.

Zweifel

Abgesehen von den von vielen Seiten geäußerten Zweifeln an Nonnes Glaubwürdigkeit wiesen seine Aussagen und die darauf aufgebaute Version der Behörden eine Reihe von Unstimmigkeiten auf.[13] Die Journalisten Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker recherchierten daraufhin auch zu älteren RAF-Terroranschlägen in Deutschland. Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse 1992 in ihrem umstrittenen Buch Das RAF-Phantom. Weil sie offenbar Zugang zu geheimen Behördenunterlagen gehabt hatten, wurden sie in der Folge das Ziel staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen und Hausdurchsuchungen. Am 13. Februar 1995 stellte die Bundestagsfraktion der Grünen eine kleine parlamentarische Anfrage mit dem Titel Der Kronzeuge Siegfried Nonne und die Rolle der Sicherheitsbehörden an die Bundesregierung, die sich in wesentlichen Teilen auf Aussagen des Buches bezog.[12] Die Bundesregierung antwortete, dass die Aussagen Nonnes auch weiterhin als glaubwürdig angesehen würden.[11] Die Beantwortung der Fragen zur vermeintlichen Präparierung bzw. Erzwingung seiner Aussagen durch Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes wurde mit dem juristisch korrekten Hinweis abgelehnt, dass „die Bundesregierung Maßnahmen dieses Amtes nicht zu bewerten bzw. zu kommentieren hat“. Zu den Fragen, die sich auf die von den Buchautoren aufgedeckten sachlichen Ungereimtheiten in der offiziellen Version bezogen, verwies die Regierung darauf, dass sie keine gutachterlichen Kompetenzen habe.

Das RAF-Mitglied Birgit Hogefeld bezeichnete das Buch in einem Interview mit dem Magazin Der Spiegel im Jahr 1997 pauschal als „Unsinn“.[14]

Aufhebung der Haftbefehle

Das Festhalten des Generalbundesanwalts an Nonnes Aussagen wurde vielfach kritisiert. Schließlich löste sich die Frage von selbst, als sich der vermeintliche Täter Seidler 1996 den deutschen Behörden im Rahmen eines Aussteigerprogrammes stellte und für die Tatzeit ein Alibi präsentierte. Der Bundesgerichtshof hob den Haftbefehl gegen Seidler daraufhin gegen den Willen des Generalbundesanwalts auf. Eine Beschwerde dagegen wurde 1997 mit dem Hinweis auf die Unglaubwürdigkeit des Kronzeugen Nonne abgelehnt.[15] Christoph Seidler befindet sich seitdem auf freiem Fuß. Er wurde außerdem von dem Vorwurf der RAF-Mitgliedschaft entlastet, der einzig auf Nonnes Aussagen beruhte. Auch der Haftbefehl gegen Andrea Klump wurde aufgehoben.[16] Sie verbüßt wegen anderer terroristischer Verbrechen eine Haftstrafe, eine Anklage wegen ihrer vermeintlichen RAF-Mitgliedschaft wurde 2001 fallengelassen.[17] Erst im Jahr 2004 entschloss sich der Generalbundesanwalt, auch das Ermittlungsverfahren gegen Klump wegen Mangels an Beweisen einzustellen und fortan gegen unbekannt zu ermitteln.[18]

Aktueller Stand

Im Jahr 1997 lehnte das RAF-Mitglied Birgit Hogefeld in einem Gespräch mit dem Magazin Der Spiegel eine Antwort auf die Frage nach einer persönlichen Beteiligung an den Morden an Herrhausen und Detlev Rohwedder ab.[14] Wer Alfred Herrhausen tatsächlich ermordet hat, ist nach dem Zusammenbruch der Nonne-Version bis heute ungeklärt. Das offizielle Ermittlungsverfahren läuft „gegen Unbekannt“.[19] Dass der 1993 während einer Aktion der GSG9 in Bad Kleinen ums Leben gekommene Wolfgang Grams an dem Attentat beteiligt war, ist nicht bewiesen. Zwar berichtete Der Spiegel bereits im Mai 2001, das BKA würde am Tatort in Bad Homburg gefundene Haare untersuchen,[20] und die FAZ erwähnte in einem Artikel über das von Andreas Veiel herausgegebene Buch Black Box BRD[21]: „Das Bundeskriminalamt konnte dank neuer genetischer Analysen eine am Tatort des Mordes an Herrhausen verbliebene Spur eindeutig Wolfgang Grams zuordnen“.[6] Daraus ergaben sich jedoch anscheinend keine verwertbaren Erkenntnisse. Laut eines Sprechers der Bundesanwaltschaft wurden die Ermittlungen im Fall Herrhausen im September 2007 wieder intensiviert. Auch die Spur zu einer Spezialeinheit der Stasi, welche Terroranschläge in Westdeutschland planen und durchführen sollte, wurde dabei verfolgt.[22][23]

Ehrungen

Die Deutsche Bank gründete die gemeinnützige Alfred Herrhausen Gesellschaft, die als internationales Forum ausgelegt ist und sich als eine Art Denkfabrik mit neuen Formen des Regierens im 21. Jahrhundert beschäftigt.[24]

In Frankfurt am Main, wo Herrhausen Vorstandssprecher der Deutschen Bank war, ist in dem Stadtteil Sossenheim die Alfred-Herrhausen-Halle nach ihm benannt. In Witten ist die Alfred-Herrhausen-Straße an der Universität Witten/Herdecke nach ihm benannt; außerdem trägt die Straße in Eschborn bei Frankfurt, in der ein Teil des IT-Bereichs der Deutschen Bank seinen Sitz hat, den Namen Alfred-Herrhausen-Allee. Eine Dr.-Alfred-Herrhausen-Allee findet man im Businesspark Niederrhein in Duisburg-Rheinhausen. Das Alfred-Herrhausen-Haus in der Brunnenstraße, dem Sitz des „Initiativkreis Ruhrgebiet“ in Essen, dessen Mitbegründer er war, ist nach ihm benannt, ebenso eine Brücke in der Essener Innenstadt in der Nähe der Essener Hauptfiliale der Deutschen Bank, die Alfred-Herrhausen-Brücke.

Werke

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Eintrag bei der Deutsche Nationalbibliothek
  2. Arte-Programmarchiv zu Black Box BRD
  3. Thomas Moser: Buchrezension zu: Andres Veiel: Black Box BRD. Alfred Herrhausen, die Deutsche Bank, die RAF und Wolfgang Grams; Deutschlandfunk, 23. Dezember 2002.
  4. Dieser Mann potenziert das Problem. Der Spiegel (13. März 1989). Abgerufen am 21. August 2010.
  5. Ulli Kulke: „Lieber Alfred ...“ Welt online, 30. November 2004
  6. a b Andreas Platthaus: Terrorismus als Montagekunstwerk. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Januar 2003, Nr. 22, S. 43
  7. Andres Veiel: Black Box BRD. Alfred Herrhausen, die Deutsche Bank, Die RAF und Wolfgang Grams. S. 10-13, Fischer Verlag, 2004, ISBN 3596159857
  8. Carolin Emcke: Stumme Gewalt, in Die Zeit, 6. September 2007.
  9. Bekennerschreiben der RAF
  10. Deutscher Bundestag: Protokoll der 71. Sitzung des Innenausschusses. 7. Dezember 1989, S. 44
  11. a b Bundestagsdrucksache 13/754 vom 9. März 1995: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Grünen.
  12. a b Bundestagsdrucksache 13/533 vom 13. Februar 1995: Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion: Der Kronzeuge Siegfried Nonne und die Rolle der Sicherheitsbehörden.
  13. a b Thomas Kleine-Brockhoff: Christoph Seidler und die Zweifel der Justiz; in: Die Zeit Nr. 4 vom 17. Januar 1997
  14. a b Gerd Rosenkranz: Wir waren sehr deutsch. In: Der Spiegel. Nr. 42, 13. Oktober 1997, S. 169 (Interview mit Birgit Hogefeld)
  15. Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 3/1997 vom 17. Januar 1997: Haftbefehl gegen den des Mordes an Dr. Herrhausen beschuldigten Christoph Seidler bleibt aufgehoben
  16. Keine Spur beim Herrhausen-Mord. Tagesspiegel, Berlin, 30. Dezember 1999
  17. Klump-Prozess: OLG stellt Anklage wegen RAF-Mitgliedschaft ein. Frankfurter Rundschau, 24. April 2001.
  18. Herrhausen-Anschlag / Ermittlungen gegen Andrea Klump eingestellt. Frankfurter Rundschau, 7. Dezember 2004.
  19. dpa-Meldung unter der Überschrift Nehm sucht Unbekannt; in: tageszeitung vom 6. Dezember 2004
  20. Georg Bönisch, Gunther Latsch, Georg Mascolo: Terroristen: Spuren in der Maske; in: Der Spiegel 21/2001 vom 21. Mai 2001.
  21. Siehe Fußnote 3
  22. Lisa Erdmann: RAF-Anschlag: Ermittler prüfen Stasi-Verwicklung in Herrhausen-Mord; Spiegel-Online, 17. September 2007
  23. David Crawford: The Murder of a CEO: Did East Germany's feared secret police help kill German businessmen? Wall Street Journal, 15. September 2007, abgerufen am 23. November 2009.
  24. Alfred Herrhausen Gesellschaft. Das internationale Forum der Deutschen Bank.

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