Großpartei

Großpartei
Dieser Artikel erläutert die allgemeine Bedeutung des Begriffs Volkspartei. Für Parteien, die den Begriff „Volkspartei“ als Teil des Parteinamens führen siehe u.a. Demokratische Volkspartei, Deutsche Volkspartei, Österreichische Volkspartei, Schweizerische Volkspartei, Volkspartei der Russischen Föderation, Pakistanische Volkspartei, Volkspartei der Ukraine.

Die Volkspartei als Parteityp kennzeichnet eine Partei, die nicht nur vom eigenen Anspruch, sondern tatsächlich sowohl von Wählern als auch Mitgliedern her im Prinzip für jeden offen ist. Dadurch lassen sich Volksparteien von anderen Parteitypen wie der Klassen- oder Interessenpartei sowie der Honoratiorenpartei abgrenzen. Der Begriff Volkspartei wurde in diesem Sinne zum ersten Mal vom Politologen Dolf Sternberger verwendet.

Die Verwendung des Begriffs Volkspartei als Eigenbezeichnung durch politische Parteien (s.o.) kann, muss aber nicht Hinweis darauf sein, dass es sich um eine Partei handelt, die dem Typus Volkspartei zuzurechnen ist.

Der Begriff Volkspartei als Typenbezeichnung ist nur in der Bundesrepublik Deutschland gebräuchlich. In Österreich wird der Begriff nicht in seiner allgemeinen Bedeutung verwendet, da er mit der Österreichischen Volkspartei assoziiert ist. Statt dessen werden diese und die Sozialdemokratische Partei Österreichs als Großparteien zusammengefasst. In der Schweiz wird Volkspartei mit Schweizerische Volkspartei oder mit Christlichdemokratische Volkspartei assoziiert. Hier gibt es den Begriff Bundesratspartei für Parteien, die in der Landesregierung vertreten sind; diese sind auch die eher größeren Parteien.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

In den meisten westlichen Demokratien sind Volksparteien im Laufe des 20. Jahrhunderts entstanden, indem sich bestehende Parteien einem breiteren Wähler- bzw. Mitgliederspektrum geöffnet haben, daneben auch durch Zusammenschluss kleinerer politischer Gruppierungen. Beispiele hierfür sind in Deutschland die CDU/CSU, die sich von Anfang an als überkonfessionelle Volkspartei verstand (im Unterschied zum katholischen Zentrum), sowie die SPD, die sich durch das Godesberger Programm von der Interessenpartei der Arbeiterschaft zur Volkspartei wandelte, in dem sie sich z. B. erstmals ausdrücklich auch an Christen und Kleinunternehmer wendete. Als Beispiel für die Bildung einer Volkspartei durch den Zusammenschluss mehrerer kleinerer Parteien (bei gleichzeitiger Öffnung für eine breitere Wählerschaft) kann die Sozialistische Partei in Frankreich gelten.

Den Anstoß für die Entwicklung zur Volkspartei gab in der Regel das Ziel, die Aussichten im politischen Konkurrenzkampf der Parteien zu verbessern und insbesondere bei Wahlen ein größeres Stimmenpotenzial zu erschließen.

Funktionale Merkmale

Ein wesentliches Merkmal von Volksparteien ist die regelmäßige Teilnahme an Wahlen mit dem Ziel, politische Ämter mit Parteimitgliedern zu besetzen und Legitimität für die Ausübung politischer Herrschaft zu erhalten. Volksparteien sind somit zugleich Träger und Nutznießer des demokratisch-repräsentativen Systems.

Auch bezüglich der Mitgliederstruktur streben Volksparteien eine möglichst breite Mitgliederbasis an, in der möglichst viele soziale Schichten der Bevölkerung vertreten sind.

Um für einen möglichst großen Teil der Wählerschaft wählbar zu sein, verfolgen Volksparteien weder eine spezifische Interessenpolitik für eine bestimmte Schicht oder Klasse der Bevölkerung noch den Anspruch auf die Umsetzung einer klar formulierten politischen Ideologie. Damit vermeiden sie, für Wähler mit anders gelagerten Interessen oder Normen von vornherein als unwählbar zu erscheinen. Eine gewisse ideologische Grundausrichtung ist jedenfalls nicht mehr die einzige, sondern allenfalls eine mögliche Grundlage politischer Entscheidungen.

Ebenso suchen Volksparteien zwar ggf. fallweise die Nähe zu Interessenverbänden (z. B. Gewerkschaften), allerdings nicht so sehr um sich vorrangig für deren Anliegen einzusetzen als vielmehr um diese zur Mobilisierung von Wählern in den Dienst zu nehmen.

Aufgrund der gegebenen heterogenen Wähler- und Mitgliederschaft sowie der strategischen Ausrichtung auf die breite Mehrheit der Bevölkerung ist die Politik der Volksparteien in der Regel eine Politik des Ausgleichs, die den Kompromiss zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Interessen sucht. Aufgrund des Wettbewerbs sind programmatische oder weltanschauliche Unterschiede zwischen mehreren Volksparteien in einem Land mitunter gering; das Hauptziel ist jeweils, bei den Wahlen die Regierungsmehrheit zu erhalten.

Strukturelle Merkmale

Die Struktur der Volksparteien ist gekennzeichnet durch eine starke Parteiführung, die von Mitgliedern und Anhängern weitgehend unabhängig ist und durch den geringen Einfluss des einzelnen Parteimitglieds, das aufgrund einer in viele Ebenen differenzierten Organisation wenig Kontakt zur Parteiführung hat. Dies sowie die nur gering ausgeprägte interessenpolitische und ideologische Ausrichtung führt dazu, dass die Identifikation und Loyalität der Anhängerschaft gegenüber der Partei im Vergleich mit anderen Parteitypen eher gering ist. Zwar sind Volksparteien in der Regel die mitgliederstärksten Parteien; dem steht jedoch eine hohe Zahl von Parteiwechseln und -austritten gegenüber.

Normativer Gehalt des Begriffs „Volkspartei“

Neben der Verwendung des Begriffs für einen bestimmten Typus politischer Parteien berührt der Begriff Volkspartei auch normative Aspekte.

Die Verwendung des Begriffs durch Parteien selbst beinhaltet den Anspruch, Partei für das ganze Volk zu sein bzw. die Interessen des ganzen Volkes zu vertreten. In der Bundesrepublik Deutschland diente der Begriff darüber hinaus in der politischen Auseinandersetzung, z. B. mit der Außerparlamentarischen Opposition und in ihrer Anfangsphase auch mit den Grünen, den etablierten Parteien [...] als Instrument der Legitimation und der Abgrenzung gegenüber solchen politischen Kräften, die gegen den Grundkonsens der Bonner Demokratie opponierten“[1]. Mit der Verwendung des Begriffs Volkspartei zur (Selbst-)Legitimierung lassen sich auch Diskussionen über die Frage erklären, ob eine Partei (z. B. Die Linke in Deutschland) den Status einer Volkspartei habe[2] - oder eben nicht, wobei mit der Charakterisierung einer Partei als Volkspartei ihr zugleich diese Legitimität zu- bzw. abgesprochen werden soll.

Aus parteienkritischer Perspektive (vgl. Guggenberger) steht der Begriff eben wegen des Bemühens, potenziell die gesamte Wählerschaft anzusprechen, für inhaltliche Beliebigkeit und ein nur noch auf Erwerb und Erhalt von Macht um ihrer selbst Willen gerichtetes politisches Handeln im repräsentativen System.

Kritik und Problematik

Die allgemeine Problematik bei Volksparteien besteht darin, dass sie durch eine Öffnung für eine sehr große Bandbreite von Ansichten und andererseits durch die Fixierungen auf (vermeintlich) mehrheitsfähige und populäre Themen und Lösungswege an Profil verlieren. Letzteres hat vor allem bei der dominierenden Rolle von zwei Volksparteien (wie sie meist anzutreffen ist) Auswirkungen. Durch den Versuch, eine möglichst große Wählerklientel (vor allem in der politischen Mitte) anzusprechen (siehe auch: Medianwähler), verwischen die programmatischen Unterschiede zwischen den zwei Volksparteien immer mehr. Das hat oft zur Folge, dass sich viele traditionelle Wähler, die sich eher am äußeren Rand des Spektrums der jeweiligen Volkspartei stehen, von ihr nicht mehr vertreten sehen und sich anderen Parteien, die die jeweilige Programmatik deutlicher vertreten bzw. vertreten können, da sie nicht den Anspruch einer Volkspartei haben, zuwenden. Daher birgt die Herrschaft von größeren Volksparteien auch immer die Gefahr von Zersplitterung der Parteienlandschaft in sich.

Ferner sind Volksparteien kaum geeignet, Minderheiten in das politische System zu integrieren, die gegenüber der Mehrheit der Wählerschaft grundlegend andere Interessen und/oder Werte haben. Dies kann zur Entfremdung von Teilen der Bürgerschaft gegenüber dem bestehenden politischen System führen, aber auch zur Entstehung neuer Parteien, die zumindest vorübergehend weniger das Ziel einer möglichst breiten Zustimmung als vielmehr das einer deutlichen Artikulation der Anhängerschaft verfolgen. Beispielhaft für die damit verbundene Kritik am (Volks-)Parteiensystem ist die Entstehung der Grünen in (West-)Deutschland.

Eine teilweise geäußerte Kritik ist auch, dass der Öffnung für alle Wählerschichten ein Einflussgewinn einzelner Interessengruppen auf die Partei gegenüberstände. Als Beispiel wird dabei u.a. die Zuwendung von SPD (und zunehmend auch SPÖ) zu wirtschaftsnahen und neoliberalen Positionen angegeben.

Deutschland

In Deutschland gab es vor 1945 keine Volksparteien; jede Partei verstand sich als Partei für eine abgegrenzte Wählergruppe: Die SPD war eine Klassenpartei der Arbeiter, das Zentrum religiös gebunden (an die Katholische Kirche), die Deutsche Volkspartei eine Partei des protestantischen Großbürgertums und Großindustrie. Der NSDAP wird aufgrund der heterogenen sozialen Zusammensetzung der Wählerschaft, die sich aus nahezu allen gesellschaftlichen Gruppen zusammensetzte, der Charakter einer Volkspartei zugeschrieben; dazu fehlten ihr jedoch die lagerübergreifende Ausrichtung und der bewusste Verzicht auf politische Radikalität, die Volksparteien im heutigen Sinne mindestens ebenso kennzeichnen wie die Zusammensetzung der Wählerschaft.

Die heutigen deutschen Volksparteien, SPD und CDU, sind von ihrer historisch-programmatischen Tradition abgegangen. Die SPD versteht sich seit dem Godesberger Programm nicht mehr ausschließlich als Arbeiterpartei. Die CDU als teilweiser Nachfolger des katholischen Zentrums ist in ihrem Handeln nur noch begrenzt katholisch oder christlich beeinflusst.

Im Hinblick auf Die Linke wird diskutiert, ob es sich hierbei beziehungsweise bei der Vorgängerpartei PDS (begrenzt auf Ostdeutschland) um eine Volkspartei handle. Hierfür spricht die relative Stärke ihrer Wähler- und Anhängerschaft im Vergleich mit SPD und CDU zumindest auf regionaler Ebene. Dem können jedoch die deutlich stärkere ideologische Prägung und Ausrichtung auf Gruppeninteressen entgegen gehalten werden.[3]. Die Linke selber sieht sich selber als die „Partei der kleinen Leute[4].

Andere Länder

In Österreich gibt es mit der SPÖ und der ÖVP ähnlich wie in Deutschland eine große sozialdemokratische und eine große christdemokratische Volkspartei.

In den USA gelten die beiden großen Parteien Demokratische Partei (eher links) und Republikanische Partei (eher rechts) als Volksparteien.

Die italienische Parteienlandschaft ist sehr zersplittert. Es gibt zwar ein mehr links und ein mehr rechts ausgerichtete Parteienbündnis, diese vereinigen aber sehr unterschiedliche Parteien. Beispielsweise umfasst das Mitte-Links-Bündnis L'Unione Gruppierungen im gesamten Spektrum zwischen Alt-Kommunisten und Christdemokraten.

Quellen

  1. Nohlen, Dieter/Schultze, Rainer-Olaf/Schüttemeyer, Suzanne S. (Hg.) 1998: Lexikon der Politik. Band 7: Politische Begriffe, S. 696.
  2. Vgl. Neugebauer 2000: 46.
  3. Neugebauer (2000), S. 45 f.; Die Zeit, Nr. 36, 30. August 2007.
  4. Grundsätze und Ziele der Partei DIE LINKE in den Wahlkämpfen 2008/2009 - Beschluss des Parteivorstandes vom 25. August 2007, Abschnitt II. Die Wahlen 2008 - 9.1

Literatur

  • Gabriel, Oscar W./Niedermayer, Oskar/Stöss, Richard (Hg.) (1997): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn: BpB.
  • Guggenberger, Bernd (1980): Bürgerinitiativen in der Parteiendemokratie. Von der Ökologiebewegung zur Umweltpartei, Stuttgart u.a.: Kohlhammer.
  • Hildebrandt, Tina/Ulrich, Bernd (2007): „Auf ihrem Weg zum Horizont“, in: Die Zeit, Nr. 36, 30. August 2007.
  • Kirchheimer, Otto (1965): „Der Wandel des westeuropäischen Parteiensystems“, in: Politische Vierteljahresschrift, 6. Jg., S. 20-41.
  • Mintzel, Alf (1984): Die Volkspartei, Opladen: Westdeutscher Verlag.
  • Neugebauer, Gero (2000): „Die PDS zwischen Kontinuität und Aufbruch“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 5/2000, S. 39-46.

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