Grubenunglück von Stolzenbach

Grubenunglück von Stolzenbach
Gedenkstätte Stolzenbach am ehemaligen Seilfahrtschacht

Das Grubenunglück von Stolzenbach war eine Bergwerkskatastrophe, die sich am 1. Juni 1988 in der Schachtanlage Stolzenbach im Borkener Braunkohlerevier (Hessen, Deutschland) ereignet hat. Bei dem Grubenunglück kamen 51 von 57 eingefahrenen Bergleuten, Handwerkern und Aufsichtspersonen ums Leben.

Nach der Bergung der letzten überlebenden Bergleute wurde die Grube Stolzenbach nicht wieder eröffnet, sondern mit Beton versiegelt und stillgelegt.

Inhaltsverzeichnis

Chronologie

Schematischer Grubenplan der Grube Stolzenbach mit der Bohrung, durch die das Mikrofon der Reporter vom Hessischen Rundfunk herabgelassen wurde

Am 1. Juni 1988 gegen 12:30 Uhr kam es im Nordfeld der Grube unmittelbar nach einer Sprengung zu einer Kohlenstaubexplosion. Von sechs Sprengladungen zündeten fünf wie geplant gleichzeitig, die sechste, verzögert gezündete, entflammte den aufgewirbelten Kohlenstaub. Die Druckwelle breitete sich bis zum Ostfeld aus und verwandelte einen Großteil des vorhandenen Luftsauerstoffs in giftiges Kohlenmonoxid.

Die Explosion war so gewaltig, dass große Betonteile bis zu 200 m weit geschleudert wurden.[1] Acht Bergleute der Mittagschicht, die gerade einfahren wollten, wurden teilweise schwer verletzt.

Die Verbindungen zu den Bergleuten unter Tage wurden bei der Explosion zerstört, weder Grubenfunk noch -telefon funktionierten. Durch den Ausfall der Energieversorgung war auch die Bewetterung, die Fördereinrichtungen und die Druckluftversorgung der Grube außer Betrieb. Zudem wurden die in den drei Wetterschächten installierten Fahrten mitsamt den Ruhebühnen bei der Explosion herausgeschleudert und auch die Einfassungen der Wetterschächte schwer beschädigt.

Trotz sofort eingeleiteter Maßnahmen konnte der erste Trupp der Grubenwehr Stolzenbach erst um 13:40 Uhr in den Materialschrägstollen einfahren. Hierbei offenbarten sich schwere Zerstörungen im Bereich der Materialstrecken und des Seilfahrtschachts Nordfeld. Mit Hilfe der herbeigerufenen Grubenwehr Hirschhagen und des THW wurde versucht, über die Fahrten in den Wetterschächten vorzudringen. Bei einer Tiefe von 60 bzw. 80 Metern stießen die Wehrmänner auf eine extrem hohe Kohlenmonoxid-Konzentration. Da die üblichen CO-Filterselbstretter für derartige CO-Konzentrationen ungeeignet waren, da sie zum Atmen Sauerstoff in der Umgebungsluft voraussetzen, ging man davon aus, dass es keine Überlebenden geben konnte. Der Sauerstoff aber war von der Explosion vollkommen aufgebraucht worden. Für solche Bedingungen sind nur Sauerstoff-Selbstretter geeignet, die durch eine chemische Reaktion den Atemsauerstoff selbst erzeugen und so von der Umgebungsluft unabhängig machen. Mit solchen Sauerstoffselbstrettern wurden später auch die Überlebenden aus der Grube durch die Giftgase bis zu Tage gebracht.

Durch die Hauptstelle für das Grubenrettungswesen in Clausthal-Zellerfeld wurden insgesamt 29 Grubenwehren alarmiert und nach Stolzenbach beordert. Insgesamt wurden 807 Wehrmänner und eine Hundestaffel eingesetzt. Um die Bergungsarbeiten und die Angehörigen vor Schaulustigen zu schützen, wurde das Gelände großräumig abgesperrt.

Bis zum Vormittag des 2. Juni 1988 wurden 29 Bergleute tot geborgen. Die Presse titelte bereits 57 Toten.

Es wurden Bohrungen niedergebracht, um die Situation vor Ort zu klären. Hierbei wurde auch gemessen, inwieweit Gase oder Sauerstoff vorhanden sind. Bei der Bohrung im Ostfeld wurde am 3. Juni um 20:20 Uhr festgestellt, dass keine giftigen Gase austraten.

Um 00:15 Uhr des 4. Juni stand fest, dass in dem Abschnitt, in dem die Bohrung niedergebracht worden war, aufgrund von Einbrüchen in den Stollen keine Bewetterung vorhanden war. Da auch keine giftigen Gase austraten, keimte Hoffnung auf, Überlebende zu finden. Jedoch konnten von Untertage zunächst keinerlei Geräusche gehört werden, bis ein Reporter vom Hessischen Rundfunk auf die Idee kam, ein Richtmikrofon herunterzulassen. Um 01:15 Uhr erreichte das Mikrofon 70 Meter unter Tage. Dies war aber nicht tief genug, um mit Sicherheit Überlebende zu orten. Aus dem Kasseler Studio des HR wurden weitere 100 Meter Mikrofonkabel gebracht. Mit dem zusätzlichen Kabel wurden die Eingeschlossenen erreicht und es stand fest: Es gibt Überlebende. Sie überlebten in einem kurzen Stollenabschnitt, der von der Feuerwalze nicht erreicht worden war.

Erst um 04:20 Uhr erreichten die Grubenwehren die Überlebenden unter Tage. Um 05:20 Uhr kam der erste Überlebende aus der Grube Stolzenbach über Tage an. Im Laufe der nächsten 50 Minuten wurden die restlichen fünf Überlebenden nach Übertage gebracht.

Der 10. Juni nahm den Angehörigen die letzte Hoffnung, ihre unter Tage gebliebenen Männer lebend wiederzusehen. Die letzten der vermissten Bergleute wurden tot geborgen. Nach der Bergung wurde in Borken in einer gemeinsamen Trauerfeier mit über 3000 Trauergästen der unter Tage gebliebenen Kumpel (38 Deutsche und 13 Türken) gedacht. Die Leichen der türkischen Kumpel wurden zur Beisetzung in die Türkei geflogen.

2008 förderten Redakteure des HR Gutachten des Betreibers Preussen Elektra von 1967 zutage, wonach die dort geförderte Kohle einen Feuchtigkeitsgehalt von ca. 22 bis 25 Prozent aufwies. Der 1988 verwendete Sprengstoff durfte aber vom Betreiber nur für Kohle mit einer Feuchte von ca. 40 Prozent genutzt werden. Die Angehörigen der getöteten Bergleute reichten daraufhin zivilrechtlich Schadensersatzklage gegen den Rechtsnachfolger E.ON ein; strafrechtlich war bereits eine Verjährung eingetreten.

Gedenken vor Ort

Detail des Denkmals
Beschriftung

Am ehemaligen Seilfahrtschacht befindet sich heute eine Gedenkstätte. Alljährlich kommen die Hinterbliebenen am 1. Juni zum stillen Gedenken hier zusammen.

Betreut wird die Gedenkstätte durch das Hessische Braunkohle Bergbaumuseum.[2]

Literatur

  • Andreas Brandtner; Arbeitsgruppe Stolzenbachhilfe (Hrsg.): Nach der Katastrophe. Das Grubenunglück von Borken. Ein Erfahrungsbericht über drei Jahre psychosoziale Hilfe.. 1. Auflage. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1992, ISBN 3-525-45751-0.
  • Rainer Mathes, Hans-Dieter Gärtner, Andreas Czaplicki: Kommunikation in der Krise: Autopsie eines Medienereignisses.. Das Grubenunglück in Borken. In: Institut für Medienentwicklung und Kommunikation (Hrsg.): Kommunikation heute und morgen. 1. Auflage. Verlagsgruppe Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-927-28211-1.

Einzelnachweise

  1. Das Grubenunglück von Stolzenbach am 1. Juni 1988. Dietz-Online, archiviert vom Original, abgerufen am 30. Juni 2010 (html): „Die bis zu 200 m weit geschleuderten Bau- und Betonteile richteten z. T. erhebliche Schäden an.“
  2. HTML Gedenkstätte Stolzenbach – Verweilen und Erinnern. Hessisches Braunkohle-Bergbaumuseum, abgerufen am 30. Juni 2010.

Weblinks


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