Grundmandat

Grundmandat

Der Begriff Grundmandat beschreibt in Deutschland unterschiedliche Sachverhalte:

  1. Bei Bundestagswahlen und einigen Landtagswahlen sind Grundmandate eine alternative Überwindungsmöglichkeit der Sperrklausel bei der personalisierten Verhältniswahl (Grundmandatsklausel).
  2. In Kommunalparlamenten sind Grundmandate Sitze in Ausschüssen mit eingeschränkten Rechten für fraktionslose oder aus kleineren Fraktionen stammende Ratsmitglieder (Grundmandatsträger).
  3. In Parteien und Verbänden dienen Delegiertenschlüssel mit Grundmandaten dazu, die Repräsentanz mitgliederschwacher Gliedverbände auf Partei- oder Verbandstagen zu gewährleisten.

Inhaltsverzeichnis

Wahlrecht

Deutschland

Bundestagswahl

Nach dem Zweiten Weltkrieg entschied sich der Gesetzgeber, für die Wahlen zum Deutschen Bundestag eine Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen, um eine zu starke Ausdifferenzierung des Parteiensystems und die damit verbundenen Schwierigkeiten bei der Bildung einer stabilen Regierung zu vermindern.

Von dieser Fünfprozentregel sind bis heute lediglich Parteien ausgenommen, die eine anerkannte nationale Minderheit repräsentieren oder über Grundmandate in den Bundestag einziehen. Wenn eine Partei eine bestimmte Mindestanzahl von Direktmandaten gewinnt, zieht sie mit einer zu ihrem Parteistimmenanteil proportionalen Sitzzahl ins Parlament ein, auch wenn sie die Fünfprozenthürde nicht überspringt. Bei den Bundestagswahlen zu Beginn der 1950er-Jahre reichte es hierfür noch, 1 Direktmandat zu erringen. Später wurde die Mindestzahl der notwendigen Direktmandate zur Umgehung der Fünf-Prozent-Klausel auf 3 erhöht. Eine Nutzungsmöglichkeit der Grundmandatsklausel ist das Huckepackverfahren.

Eine Partei, die über die Grundmandateklausel einzieht und weniger als 5 % der Sitze erhält, gilt im Bundestag nicht als Fraktion, sondern nur als „Gruppe“, was eingeschränkte Geschäftsordnungsrechte nach sich zieht. So ist zum Beispiel die Möglichkeit eingeschränkt, Anfragen an die Regierung zu stellen.

Fallbeispiele

In der Geschichte der Bundesrepublik haben bisher erst drei Parteien zusätzliche Abgeordnete über Grundmandate in den Bundestag entsenden können. Von der Grundmandatsklausel des Bundestagswahlrechts profitierten in den 1950er Jahren die Deutsche Partei (DP) und die Deutsche Zentrumspartei (Zentrum), nach der Deutschen Wiedervereinigung die PDS.

Bei der Bundestagswahl 1953 zogen die DP und das Zentrum auf Grund ihrer Grundmandate in den Bundestag ein. Die DP kam auf 3,3 Prozent der Stimmen und gewann zehn Wahlkreise, so dass sie mit 15 Abgeordneten in den Bundestag einziehen konnte. Das Zentrum erreichte sogar nur 0,8 Prozent der Stimmen, konnte aber wegen eines gewonnenen Grundmandats ebenfalls ins Parlament einziehen.

Nach der Bundestagswahl 1957 zog die Deutsche Partei mit 17 Parlamentariern in den Bundestag ein, da sie zwar nur 3,4 Prozent der Zweitstimmen auf sich vereinigen konnte, es ihr aber gelungen war, sechs Direktmandate zu erringen.

Bei der Bundestagswahl 1994 erhielt die PDS 4,4 Prozent der Stimmen. Aufgrund vier errungener Direktmandate in Berlin konnte sie mit 30 Abgeordneten eine Gruppe im Bundestag bilden.

Wenn eine Partei ein oder zwei Direktmandate erhält und zugleich unter der Fünf-Prozent-Hürde bleibt, dann ziehen nur diese ein oder zwei direkt gewählten Kandidaten in den Bundestag ein, so bei der PDS nach der Bundestagswahl 2002.

Kritik

Die Ausnahmeregelung von der Fünfprozentklausel ist rechtlich und politisch nicht unumstritten. So wurde bemängelt, dass auf Grund dieser Ausnahme es zu dem Paradoxon einer sehr ungleichen Sitzverteilung kommen könnte. Kann beispielsweise eine Partei nur 1,4 Prozent der Stimmen, aber drei oder mehr Direktmandate erringen, so gelangt sie in den Bundestag; eine Konkurrenzpartei jedoch, die vielleicht sogar 4,9 Prozent aller Stimmen, aber kein Direktmandat gewinnt, würde scheitern.

In den 1990er-Jahren wurde zudem politisch diskutiert, die Zahl der notwendigen Direktmandate zum Außerkraftsetzen der Fünfprozentregelung auf fünf zu erhöhen. Begründet wurde dieses mit der größer gewordenen Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung von 1990. Diese Auffassung wurde mehrheitlich von bürgerlichen und konservativen Politikern vertreten. Ihnen wurde vorgehalten, mit diesem Vorschlag den Wiedereinzug der PDS in den Bundestag erschweren zu wollen.

Landtage

In einigen Bundesländern gilt auch für die Landtagswahlen eine Grundmandatsklausel, dort werden ein oder zwei Direktmandate benötigt.

Österreich

Bei Nationalrats- und Landtagswahlen wird das Wahlgebiet in Wahlkreise eingeteilt. Wenn eine Partei in so einem Wahlkreis ein Mandat erreicht, spricht man vom so genannten Grundmandat. Wie viele Stimmen eine Partei braucht, hängt von der Wahlzahl ab. Für die Berechnung der Wahlzahl werden alle gültigen Stimmen des Bundeslandes durch die Anzahl der zu vergebenden Mandate im Bundesland dividiert. Diese Zahl muss in einem Wahlkreis erreicht werden.

Beispiel
Bundesland Kärnten | Gültige Stimmen 338 000 | zu vergebende Mandate 13
338.000 / 13 = 26.000

Diese Zahl muss in einem der vier Wahlkreise Kärntens erreicht werden um über ein Grundmandat in Kärnten in den Nationalrat einzuziehen (bei Landtagswahlen in Wien ist es anders, hier wird die Zahl der Mandate bei der Division um 1 erhöht).

Erreicht bei der Nationalratswahl eine Partei ein Grundmandat, wird sie unabhängig der bundesweit erreichten Stimmen auf jeden Fall im zweiten (Landeslisten) und dritten (Bundeslisten) Ermittlungsverfahren berücksichtigt. Ein ansonsten zum Einzug in den Nationalrat notwendiges Überwinden der 4-%-Hürde ist damit nicht nötig, weshalb ein Grundmandat von Bedeutung sein kann.

Bundesrat

Im Bundesrat der Bundesrepublik Deutschland erhält ein Bundesland mindestens drei Grundmandate, unabhängig von der Bevölkerungsstärke.

Kommunalpolitik

In Kommunalparlamenten erhalten fraktionslose Ratsmitglieder oder kleinere Fraktionen oftmals in Ausschüssen nur ein Grundmandat, weil sie wegen ihrer geringen zahlenmäßigen Größe rechnerisch keinen Anspruch auf einen Sitz haben. Als Grundmandatsträger haben sie in dem entsprechenden Ausschuss dann zwar Rede- und Antragsrecht, dürfen aber nicht mit abstimmen (siehe z. B. für Niedersachsen § 51 Abs. 3 NGO). In den Kommunalparlamenten NRW haben die so genannten Grundmandatsträger nur das Recht, Mitglied eines Ausschusses zu werden. Diesen können sie selbst wählen, haben aber kein Stimmrecht. Im Parlament (Rat) dürfen sie zwar mit abstimmen, aber keine Anträge stellen. Das degradiert sie zu reinen Zuschauern. Den politischen Auftrag, Bürgerwillen über Anträge ins Parlament zu transportieren, können sie mangels Antragsrecht nicht ausführen. Zu den Anträgen der anderen Parteien können sie sich nicht äußern, da die Anträge in den Fachausschüssen beraten und vorbeschlossen werden und der Rat selbst nur abschließendes Beschlussorgan ist. Eine Sachdiskussion wird aufgrund der Ausschussarbeit in der Regel nicht zugelassen. Die so genannten Einzelkämpfer sind somit von der politischen Information und Beschlussfassung weitestgehend ausgeschlossen.

Parteien und Verbände

Viele Parteien und Verbände sind in verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich stark. Um zu verhindern, dass besonders mitgliederschwache Regionen zum Beispiel bei einem Parteitag überhaupt nicht vertreten sind, werden Delegiertenschlüssel mit Grundmandaten verwendet. Dabei wird zunächst jeder Region eine feste Zahl von Grundmandaten zugeteilt (meist ein bis zwei). Anschließend werden die restlichen Mandate nach einem bestimmten Verfahren (zum Beispiel nach d’Hondt) nach Mitgliederstärke verteilt.


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