Haarseil

Haarseil

Beim Haarseil (auch Eiterband oder Setaceum genannt) handelt es sich um eine Therapiemethode der Bader-Chirurgie des 17. bis 19. Jahrhunderts.[1] Dem Patienten wird mit einer Haarseilzange ein Stück Nackenhaut angehoben, durch dieses wird eine Haarseilnadel mit dem Haarseil, einer Schnur aus Rosshaar, Leinwand oder ähnlichem, durchgestoßen. Das Haarseil verbleibt nun einige Tage unter der Haut, bis sich Eiter bildet, diese Eiterung soll nun zur „Ableitung böser Säfte“ aus dem Rest des Körpers beitragen.[2][3] Bis ins 19. Jh. wurde diese Therapieform noch bei Tieren angewendet, ohne jedoch einen positiven Einfluss auf Krankheitsherde anderswo im Körper zu haben. Bei dieser Behandlungsform besteht erheblich die Gefahr der bakteriellen Infektion, einer Blutvergiftung oder der Entstehung eines Fistelganges. Bei lokalen Erkrankungen bestimmter Organe wurde das Haarseil auch in der Haut über den vermuteten Krankheitsprozess eingenäht, so auf dem Brustkorb, Bauch oder Extremitäten. Das Haarseil wurde auch zur Behandlung psychischer Erkrankungen in den Irren- und Tollhäusern des 18. Jahrhunderts angewandt.

Die Vorstellung der Reinigung durch Eiter geht auf die Humoralpathologie der Antike zurück. Die Beobachtung, dass eitrige Prozesse (z.B. ein Abszess) nach Freisetzung des Eiters beginnen abzuheilen, führte zur Vorstellung, dass die provozierte Erzeugung und Ableitung von Eiter einen „Reinigungsprozess“ hervorrufe. Auf gleicher Vorstellung beruht auch die Methode einer Fontanell an gleicher Stelle, d.h. das Einlegen einer Erbse unter die aufgeschnittene oder durch Brandeisen geöffnete Haut.[4]

Im Gegensatz zur Technik der Wunddrainage zur Ableitung von Eiter aus tiefen Abszessen oder Fisteln, wurde beim Haarseil stets eine künstliche Wunde und eine vorher nicht bestehende Eiterung provoziert.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Brief Daniel Sennerts an Michael Döring, Wittenberg 31. Dezember 1633, in: Daniel Sennert, Opera omnia, VI, Lyon: Huguetan, 1676, p. 687, centuria II, epist. no. LXXXIV
  2. Haarseil. In: Heinrich August Pierer, Julius Löbe (Hrsg.): Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit. 4. Auflage. Bd. 7, Altenburg 1859, S. 820–821 (Online bei zeno.org).
  3. Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 306-307
  4. vgl. W. D. Bräutigam: Practisches Hand- und Hülfsbüchlein der niederen Chirurgie für Lehrlinge und Gehülfen. 2. Auflage Weimar 1850, S. 77-80

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  • Haarseil — (Setaceum), 1) eine ehemals aus Pferdehaaren verfertigte, jetzt meist baumwollene[821] od. seidene auch leinene Schnur, od. ein Bändchen aus Leinwand, od. ein an den Seiten ausgezogener Leinwandstreif. Man braucht es, um ein künstliches Geschwür… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Haarseil — (Eiterband, Setaceum), ein früher beliebtes, jetzt nicht mehr gebräuchliches Mittel, das die Erregung einer künstlichen Entzündung bewirkt, um dadurch eine tiefer gelegene, unzugängliche Entzündung gleichsam abzuleiten und den ursprünglichen… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Haarseil — (Setacĕum), Schnur von Haaren, später Wollfaden u. dgl., die man früher häufig zur Ableitung des Eiters in die Wunde legte …   Kleines Konversations-Lexikon

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  • Eiterband — Beim Haarseil (auch Eiterband oder Setaceum genannt) handelt es sich um eine Therapiemethode der Bader Chirurgie des 18. und 19. Jahrhunderts. Dem Patienten wird mit einer Haarseilzange ein Stück Nackenhaut angehoben, durch dieses wird eine… …   Deutsch Wikipedia

  • Setaceum — Beim Haarseil (auch Eiterband oder Setaceum genannt) handelt es sich um eine Therapiemethode der Bader Chirurgie des 18. und 19. Jahrhunderts. Dem Patienten wird mit einer Haarseilzange ein Stück Nackenhaut angehoben, durch dieses wird eine… …   Deutsch Wikipedia

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