Hammerklaviersonate

Hammerklaviersonate

Die Klaviersonate Nr. 29 B-Dur op. 106 (bekannt unter dem Namen Hammmerklaviersonate oder Große Sonate für das Hammerklavier) gilt gemeinhin als das größte und schwierigste Klavierwerk Ludwig van Beethovens. Sie wird als eine der wichtigsten Klaviersonaten überhaupt angesehen, und im Hinblick auf die formalen Auseinandersetzung mit der Sonatenform steht ihr Ausnahmecharakter zu.

Inhaltsverzeichnis

Einordnung in Beethovens Werk

Die Sonate steht im Zentrum der „dritten Periode“ von Beethovens Schaffen. Allein aufgrund ihrer Dimension steht sie in engem Zusammenhang mit den anderen „titanischen“ Werken Beethovens aus dieser Epoche: der Neunten Symphonie, der Missa Solemnis und den Diabelli-Variationen.

Beethoven beschäftigte sich sein ganzes Leben lang mit der Sonatenform. In seinem Spätwerk wendet er sich barocken Formen wie der Fuge zu, um immer wieder zu einer neuen Erweiterung seiner Ausdrucksmöglichkeiten zu kommen. Der kontrapunktische Stil der ganzen Sonate belegt dies. Hinzu kommt Beethovens Drang nach neuen pianistischen Effekten, so dass z. B. der eigentlich als Verzierung gedachte Triller für ihn zu einem eigenständigen Mittel wird (in diesem Sinne ist z. B. an die späteren Klaviersonaten op.109 und vor allem op.111 zu denken), oder aber auch - vielleicht am allerwichtigsten - eine ungeheure Experimentierfreude auf harmonischer Ebene, die die Hammerklaviersonate auch heute noch als Stück „Neuer Musik“ erscheinen lässt (gleiches wurde z. B. über die „Große Fuge op.133“ gesagt, die dem zeitgenössischen Publikum zu dissonant gewesen war).

Entstehung

Die ersten Skizzen zum Werk wurden im Herbst 1817 niedergeschrieben. Beethoven ertaubte zu dieser Zeit schließlich vollkommen; kommunizieren konnte er ab März 1818 nur noch mit Hilfe von Konversationsheften. Außerdem befand er sich gerade mitten im Streit um seinen Neffen Karl und hatte sich zudem mit finanziellen Problemen zu plagen. Beides führte zu einer „Annäherung“ mit dem späteren Widmungsträger Erzherzog Rudolph von Österreich.

Zu dieser Zeit finden sich auch die ersten Überlegungen zu der „Missa Solemnis“ und der Neunten und einer Zehnten Symphonie – die Ideen zu allen Werken scheinen sich gegenseitig befruchtet und auch auf andere Werke übergegriffen zu haben.

Irgendwann im Jahre 1818 war Beethoven dann mit dem ersten Autograph fertig. Leider sind dieser und auch alle Stichvorlagen, die von Beethoven noch kontrolliert wurden, verloren gegangen, so dass Briefe und die Erstausgaben dieser Zeit (erschienen 1819 in Wien bei Ataria und in London) die einzigen Quellen sind.

Titel und Widmung

Der Titel ist einfach eine damals gefundene Übersetzung des italienischen Begriffs "Pianoforte" und steht somit in der Tradition eines Versuches, italienische Musikterminologie durch deutsche Wörter zu ersetzen (siehe auch Klaviersonate A-Dur op. 101). „Hammerklavier“ hat sich auch in anderen Sprachen durchgesetzt und scheint am besten geeignet, den titanischen Charakter und die Größe dieses Werkes zu beschreiben. Beethoven hatte ursprünglich geplant, dem Erzherzog Rudolph von Österreich zwei Sätze der Sonate bereits 1818 zukommen zu lassen; verschob dies aber um ein Jahr, um ihm dann schließlich die ganze Sonate zu schenken. Aufgrund von Beethovens Korrespondenz ist anzunehmen, dass die Widmung weniger aus persönlicher Zuneigung als vielmehr aus strategischem Denken in Hinblick auf die finanzielle Situation und den Prozess um seinen Neffen geschah.

Aufbau und Analyse

Das Stück besteht konventionell aus vier Sätzen, wobei Beethoven jedoch in jedem zu faszinierend originellen Erweiterungen, Konflikten und Lösungen vordringt, die diese Sonate gerade formal zu einem Meilenstein in der Musikgeschichte machen.

Harmonisch ist noch der wichtige Gegensatz zwischen B-Dur und h-Moll (der „schwarzen Tonart“, wie Beethoven sie bezeichnete) hervorzuheben; zwar schneidet die Sonate im Prinzip jede Tonart über kurz oder lang, diese beiden kehren jedoch immer wieder, als Gegensatzpaar von „hell“ und „dunkel“, wie z. B. wenn in der Reprise die Fanfaren vom Beginn urplötzlich in Moll ertönen und das ganze Geschehen sich in ungeheure Tiefen verlagert.

Erster Satz

Die Anfangsakkorde der Hammerklaviersonate

Allegro (B-Dur, 2/2-Takt) – Bereits im ersten Thema deuten sich die neuen Dimensionen musikalischen Ausdrucks an: siebenstimmige Fortissimo-Akkorde als Einleitung, folgend ein volksliedhaftes Thema, jedoch mit einer harmonisch höchst mehrdeutigen Begleitung, gefolgt von alternierenden, rasend schnellen Oktaven in beiden Händen, um schließlich zurück zu den B-Dur-Akkorden des Anfangs zu kommen. Wie verschiedene Interpreten gezeigt haben, basiert das gesamte Werk sowohl melodisch als auch harmonisch auf dem Intervall der fallenden Terz, auch diese ist in den ersten Akkorden bereits enthalten.

Es schließt sich ein eher lyrisches zweites Thema an, nun in G-Dur (von B-Dur eine kleine Terz entfernt), wobei der Schlussteil der Exposition wiederum an den Fortissimo-Beginn anknüpft.

Die sehr intensive Durchführung steht in Es-Dur, der punktierte Rhythmus der Anfangsfanfare wird durch einen immer reichhaltiger werdenden Kanon geschickt, der trotz aller erfolgenden Steigerungen immer wieder auseinanderläuft, scheinbar nie zu einem (erlösenden) Ende kommt. Auch die letzte Steigerung in Fortissimo-Akkorden läuft schließlich in einem ritardando aus und Beethoven moduliert nach h-Moll und -Dur, wobei nun der cantabile Schlussgedanke der Exposition als Überleitung zur Reprise fungiert.

Diese steht nun wieder in der Tonika und wiederholt im Prinzip die Exposition. Und doch ist alles anders: Plötzlich kommen im ersten Thema Nebenstimmen hinzu, alles wird unruhiger, aufgeregter, instabiler. Die Harmonik entfernt sich noch weiter von B-Dur als in der Exposition, um am Ende des ersten Themas in der „Schreckensfanfare“ in h-Moll zu gipfeln. Doch auch an dieser „tragischen“ Stelle macht Beethoven nicht halt, wieder ändert sich die musikalische Richtung, das zweite Thema steht wiederum in B-Dur, hat aber ebenfalls verschiedene Änderungen erfahren.

Die Coda mit ihren gebrochenen Oktaven ist ein Albtraum für jeden Pianisten; nachdem noch einmal die Melodie der Schlussgruppe ertönt ist, schließt der Satz auf einer Fantasie über die Anfangsakkorde im Fortissimo.

Zweiter Satz

Scherzo: Assai vivace (B-Dur, 3/4-Takt)

Obwohl es zunächst (aufgrund seiner Kürze) trivial oder bagatellenhaft erscheint, ist dieses Scherzo doch meisterhaft komponiert. Das Thema wird als parodistische Anspielung auf den ersten Satz empfunden, es ist zugleich spielerisch, lebhaft und angenehm. Jedoch lässt sich ein etwas unregelmäßiger Aufbau bemerken (7- anstatt 8-taktige Einheiten), der ganze Satz erscheint trotz allem irgendwie „nicht ganz geheuer“. Tatsächlich schweift er alsbald in tiefere Lagen und im Trio sogar nach b-Moll ab. Es schließt sich ein Presto im 2/4-Takt an mit einem kraftvollen crescendo bis zum Fortissimoschluss, ehe das Scherzo von Neuem beginnt, nun allerdings mit einigen Änderungen, die sozusagen auf den Trio-Teil zurückgehen.

Auch am Ende des Scherzos steht wieder der Kontrast h-B; in einem neuerlichen Presto wird ersteres ganze 21mal crescendo wiederholt, ehe Beethoven doch noch abrupt nach B-Dur zurückschwenkt und den Satz im Pianissimo beendet.

Dritter Satz

Adagio sostenuto (fis-Moll, 6/8-Takt)

Beethovens längster langsamer Satz wird von vielen als eines seiner beeindruckendsten und schönsten Werke überhaupt angesehen. Er steht wiederum in Sonatenhauptsatzform, kann jedoch fast als Variationssatz begriffen werden, da alle Themen immer wieder in anderer Gestalt auftreten. Beethovens Techniken sind dabei exemplarisch für die romantische Klaviermusik (man vergleiche das vielstimmige erste Thema mit Schumanns oder Brahms Satztechnik, oder die Überleitung zum zweiten Thema mit dem skurrilen Zusammenspiel von Begleitung und Melodie mit Chopin).

Im Verlauf des Sonatenprozesses verwendet Beethoven Variationsverfahren, die zwar einerseits typisch für sein gesamtes Spätwerk sind, aber gerade hier im Zusammenhang eine seiner größten Leistungen darstellen: Da werden Themen in Zweiunddreißigstelläufe aufgelöst, Figurationen und Verzierungen hinzugefügt, ganz zu schweigen von den Modulationen, in denen Beethoven noch einmal alle bisher (auch von ihm!) aufgestellten Konventionen überwindet. Bei aller Dramatik in der formalen Auseinandersetzung ist der dritte Satz doch Ruhepunkt und Ausdruck melancholischen Meditierens. Dem ersten Thema stellte Beethoven später noch einen weiteren Takt voran, in dem nur die beiden Noten a-cis (eine Terz!) zu hören sind, sozusagen als Nachwehen des Scherzos.

Vierter Satz

Introduzione: Largo – Fuga a tre voci, con alcune licenze: Allegro risoluto (letzten Endes B-Dur, jedoch auf D-Moll beginnend, über H- und A-Dur schließlich zur Tonika modulierend).

Die Einleitung des vierten Satzes ist ein typisches Beispiel für Beethovens Spiel mit der Takteinteilung – oder vielmehr deren Überwindung. Triolisch - und durch lange Pausen unterbrochen - scheint das Largo zunächst wahrhaft zu schweben, ehe es durch immer schnellere Läufe aus den kontemplativen Sphären des Adagios hin zu der Dramatik des Finales gezogen wird.

Von den abenteuerlichsten Modulationen begleitet und durch eine Abschüttelung aller vergangenen Einflüsse, u. a. durch rasante Synkopen, wird so das Allegro risoluto vorbereitet, das auf langen Trillern anhebt, um nach kurzer Einleitung schließlich das erste Thema der nun folgenden dreistimmigen Fuge hervorzubringen. Diese darf als eines der größten kontrapunktistischen Werke Beethovens angesehen werden und gilt als schwierigste Passage der ganzen Sonate (und damit auch des gesamten Repertoires). Das Thema dieses „Monstrums“ basiert auf absteigenden Sechzehntelläufen und wird in unzähligen Varianten in den folgenden fast 400 Takten durchgespielt. Zwischenzeitlich kommt ein zweites Thema in Vierteln hinzu, das mitunter gleichzeitig mit dem ersten erklingt.

Beethoven schickt das Thema hierbei durch alle erdenklichen Veränderungsprozesse, die aus der barocken Fugenkunst bekannt sind: Vergrößerung, Rücklauf (Krebsgang – diese stärkste aller Veränderung steht als einer der Höhepunkte des Satzes in h-Moll), Umkehrung, schließlich sogar Original und Umkehrung zugleich. Das Ganze steigert sich in einer riesigen von Trillern begleiteten Coda, um schließlich auf Fortissimo-Akkorden zu enden.

Literatur

  • Joachim Kaiser Beethovens zweiunddreißig Klaviersonaten und ihre Interpreten Fischer Tb, (1999) ISBN 3-596-23601-0
  • Siegfried Mauser Beethovens Klaviersonaten C.H. Beck (2001) ISBN 3-406-41873-2
  • Erwin Ratz Einführung in die musikalische Formenlehre Universal Edition, 3. Aufl. (1973)
  • Jürgen Uhde Beethovens Klaviermusik Reclam (2000) ISBN 3-15-010151-4

Siehe auch

Weblinks


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