Hans Nelböck

Hans Nelböck

Hans Nelböck, auch Johann Nelböck (* 1903; † 1954) ermordete am 22. Juni 1936 den Philosophen Moritz Schlick, was das faktische Ende des Wiener Kreises bedeutete. Seine Tat wurde durch antisemitische und klerikalfaschistische Kreise in einen ideologischen Zusammenhang gestellt. Nach zwei Jahren Haft wurde Nelböck nach dem „Anschluss Österreichs“ 1938 entlassen.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Hans Nelböck war ein Bauernsohn aus katholischem Milieu, der bei Schlick studiert und promoviert hatte.[1] Zweimal war er unter der Diagnose "schizoide Psychopathie" in psychiatrische Anstalten eingeliefert worden, beide Male aufgrund einer Anzeige von Moritz Schlick, der von Nelböck Morddrohungen erhalten hatte.

Die Urteilsbegründung durch das Wiener Landesgericht für Strafsachen vom 26. Mai 1937 resümierte: "Am 22. Juni 1936 hat der Angeklagte um 9 Uhr 20 den Professor der philosophischen Fakultät Dr. Moritz Schlick im Gebäude der Wiener Universität auf der zur philosophischen Fakultät führenden Hauptstiege in dem Augenblick erschossen, als Dr. Schlick sich zu seiner Vorlesung begeben wollte. Die Leicheneröffnung ergab, dass Dr. Schlick von vier aus einer Pistole mit Kaliber 6,35 abgefeuerten Geschossen getroffen war." Als Motive für die Tat werden genannt: Nelböck habe die Ablehnung seiner Bewerbung um eine Stelle bei den Volkshochschulen auf eine Intervention Schlicks zurückgeführt. Auch Rivalität um eine Frau wurde genannt.

Das Umfeld

In der Anklageschrift gegen Nelböck hieß es: "Der Beschuldigte, der von Natur aus religiös eingestellt ist, hat die wissenschaftliche Bekämpfung des von Prof. Schlick vertretenen Positivismus, bzw. den destruktiven Tendenzen des atheistischen Positivismus entgegenzuarbeiten, für unerlässlich erachtet". Dieser Aspekt der Gesinnungstat spielte im Zeitkontext des in Österreich 1933 bis 1938 etablierten klerikalkonservativen Regimes eine nicht unwesentliche Rolle. Wenige Wochen nach dem Mord erschien in der regimenahen Zeitschrift "Schönere Zukunft" beispielsweise ein Artikel eines „Dr. Austriacus“[2]. Autor war der Philosophieprofessor Johannes Sauter. Dieser distanzierte sich zwar von der Tat Nelböcks, sah sie allerdings als "verhängnisvolle Folge" "böser Ursachen", nämlich der antimetaphysischen und damit antireligiösen Zielrichtung von Schlicks Positivismus. In der Ablehnung des Wiener Kreises waren sich das Regime Schuschnigg und der ab 1938 in Österreich die Macht ausübende Nationalsozialismus einig.

Hans Nelböck wurde im Mai 1937 zu zehn Jahren Kerkerhaft verurteilt, jedoch schon im Oktober 1938 - kurz nach dem „Anschluss“ - auf Bewährung entlassen.[3]

Einzelnachweise

  1. Johann Nelboeck: Die Bedeutung der Logik im Empirismus und Positivismus. Dissertationsschrift, Wien 1930.
  2. Abgedruckt in Friedrich Stadler: Studien zum Wiener Kreis. Ursprung, Entwicklung und Wirkung des Logischen Empirismus im Kontext. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997, S. 920-961 und Dokumentenanhang. ISBN 3-518-58207-0.
  3. Zitiert nach Wolfgang L. Reiter: Die Vertreibung der jüdischen Intelligenz: Verdopplung eines Verlustes – 1938/1945, S. 6, Fußnote 17. In: Internationale Mathematische Nachrichten, Nr. 187 (2001), 1–20. Online

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