Hegemonialmacht

Hegemonialmacht

Unter Hegemonie (von altgriechisch: ἡγεμών hēgemon „Führer“) versteht man die Vorherrschaft beziehungsweise Überlegenheit einer Institution beziehungsweise eines Staates, einer Organisation oder eines ähnlichen Akteurs in politischer, militärischer, wirtschaftlicher, religiöser und/oder kultureller Hinsicht. Gegenüber einem Hegemon (dem Ausübenden der Hegemonie) haben andere Akteure nur eingeschränkte Möglichkeiten, ihre eigenen Vorstellungen und Interessen praktisch durchzusetzen. Die theoretische/juristische Möglichkeit dazu mag zwar gegeben sein, doch die Umsetzung scheitert meist an den Einflussmöglichkeiten und der Übermacht des Hegemons.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte des Hegemoniebegriffs

In der Geschichte finden sich viele Beispiele von hegemonialen Herrschaftsstrukturen, in der Antike beispielsweise Athen und Sparta, Makedonien unter Philipp II. und das Römische Reich. Aktuell wird besonders die Großmacht USA mit diesem Begriff im Sinne einer weltpolitischen Vormachtrolle in Verbindung gebracht.

Die politische Theorie des Neorealismus erklärt die Entstehung von Hegemonien aus der Existenz verschiedener capabilities (oder auch Fähigkeiten) verschiedener Staaten und einer Vormachtstellung in eben diesen. So kann es durch Hegemone zu einer Machthierarchie des internationalen Systems kommen, die allerdings eine inhärente Instabilität aufweist. Diese Instabilität wird mit dem Streben der Einzelstaaten nach relative gains begründet, wonach die Tendenz zur Entstehung eines Machtgleichgewichts dazu führt, dass sich langfristig ein Gegenpol zu der bestehenden Hegemonie bildet. Die stabilste Konstellation ist laut dem Neorealismus das bipolare System.

In theoretischer Auseinandersetzung mit der Politik und den Theorien des Leninismus, Stalinismus und italienischen Faschismus erarbeitete Antonio Gramsci in den 1920er Jahren eine marxistische Theorie des facettenreichen Verhältnisses von politischer Macht und Hegemonie. Mit Hegemonie wird im Anschluss an Gramsci „ein Typus von Herrschaft benannt, der im Wesentlichen auf der Fähigkeit basiert, eigene Interessen als gesellschaftliche Allgemeininteressen zu definieren und durchzusetzen“[1]. (Vgl. dazu Universalismus und Partikularismus.)

Die Orte der Auseinandersetzungen um Hegemonie bezeichnete Gramsci als Zivilgesellschaft. Seine Überlegungen zur Übersetzung weltanschaulicher Auffassungen in den „gesunden Menschenverstand“, zum Verhältnis von traditionell agierenden Intellektuellen und Parteien als „kollektiven Intellektuellen“ und ähnlichem ergeben ein Konzept eines widerständischen und demokratischen Kampfes um „kulturelle Hegemonie“. Ihr Gewinn schafft nach Gramsci erst die Möglichkeit von politischer Herrschaft, ihr Verlust untergräbt die herrschende Macht. Dabei reicht die kulturelle Hegemonie nach Gramsci bis in Formen der Alltagskultur und der Folklore, in den Aberglauben und ähnliches hinein.

Aus der Richtung des Poststrukturalismus hat sich in den letzten Jahren eine u.a. auf Gramsci aufbauende diskursanalytische Hegemonietheorie entwickelt, die maßgeblich von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe ausgearbeitet wurde. Raewyn Connell hat den Begriff „hegemoniale Männlichkeit“ in der Männerforschung eingeführt.

Siehe auch

Literatur

  • W. F. Haug (Hg.): Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus (HKWM), Band 6.1, Stichwort: „Hegemonie“, Hamburg 2004, S. 2-30
  • Antonio Gramsci: Gefängnishefte, Hamburg 1991 ff.
  • Ernesto Laclau/Chantal Mouffe: Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus (1985), Wien: Passagen Verlag 2000 (2. Auflage), ISBN 3-85165-453-6
  • Mario Candeias: Neoliberalismus-Hochtechnologie-Hegemonie, Hamburg 2004
  • Heinrich Triepel: Die Hegemonie. Ein Buch von führenden Staaten, Stuttgart/Berlin 1943/ Neudr. Aalen 1974
  • Ludwig Dehio: Gleichgewicht oder Hegemonie. Betrachtungen über ein Grundproblem der neueren Staatengeschichte, Krefeld/Zürich 1948/Neudr. 1996
  • Robert Keohane: After Hegemony, Princeton, NJ: Princeton University Press, 1984
  • Stefan Robel: Hegemonie in den internationalen Beziehungen. Lehren aus dem Scheitern der „Theorie der hegemonialen Stabilität“, Dresdner Arbeitspapiere Internationale Beziehungen, DAP-2, Dresden 2001
  • Dieter Nohlen (Hg.): Lexikon der Politik, München 1995, Band 1: Politische Theorien, S. 174–180
  • Barbara Bauer u.a. (Hg.): Atlas der Globalisierung, Berlin: TAZ 2003 (Le Monde diplomatique), ISBN 3-9806917-6-4

Weblinks

Einzelnachweis

  1. Ulrich Brand/Christoph Scherrer: Contested Global Governance. Konkurrierende Formen und Inhalte globaler Regulierung (pdf)

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