Heilig

Heilig

Heilig stammt wortgeschichtlich von Heil ab, was etwas Besonderes bezeichnet und sich abgeschwächt noch in heil („ganz“) wiederfindet (vgl. englisch: holy, „heilig“, von whole). Im allgemeinen Sprachgebrauch ist heilig ein religiöser Begriff mit der zugedachten Bedeutung zur göttlichen Sphäre zugehörig, einer Gottheit geweiht. Gleichbedeutend wird das Fremdwort sakral gebraucht, auch als Gegensatz zu profan (weltlich).[1]

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

„Das Heilige“ wurde im 20. Jahrhundert zu einem Element, um den „wahren Gegenstand“ der Religionswissenschaft zu bestimmen. So wurde das Heilige zum bestimmenden Element von Religion und zum zentralen Gegenstand der Religionswissenschaft.[2] Dieser Begriff des Heiligen orientiert sich weitestgehend an jüdisch–christlichen Kategorien des Transzendenten. Er ist daher nicht geeignet, als universale Kategorie der Religionsgeschichte zu dienen. Denn der latente monotheistische Hintergrund versperrt den Zugang zu den polytheistischen Religionen.[3]

Manche Stätten, Gebäude, Bäume, oder Berge werden als heilige Orte bezeichnet, besonders im Animismus; auch im Christentum, etwa wenn ein Heiliger (Vollkommener) dort gewirkt hat. Häufig wurden auch Kirchen an ehemals heidnischen Heiligtümern errichtet. Schriftreligionen verehren Heilige Schriften – im Christentum die Bibel, im Islam den Koran, im Judentum die Tora.

„Für das Heilige sind Absonderung vom Profanen und unbedingter Verpflichtungscharakter typisch, weil es der Ort kollektiver Identitätsdefinition ist.“

Wolfgang Schluchter [4]

Judentum

Im Judentum ist „קדוש“ (hebräisch kaddosch, „heilig“) ein Wort, das vor allem die einfache Bedeutung von „besonders“ oder „das Besondere“ hat und damit im Gegensatz zu profan (im Sinne von „weltlich, normal, alltäglich“) steht.

„Heilig sollt ihr sein, denn heilig bin Ich, der Ewige, euer Gott.“

(3 Mos 19,2 EU)

Die jüdische Tradition versteht heilig auf verschiedene Weisen. Am prominentesten jedoch ist der Bezug auf die Tora und die Gebote, die Gott nach der Überlieferung durch die Tanach am Sinai offenbart hat. Der Begriff enthält im Grunde die Trennung zwischen dem Weltlichen, dem Physikalischen, dem Menschlichen einerseits, dem das ewige Wesen Gott, andererseits gegenübersteht und es transzendiert. Das Wort, das im Buch Leviticus für diese Trennung steht, hivdil, wird im Buch Genesis für den Prozess der Erschaffung benutzt. Die Erschaffung wird dabei als ein Vorgang der ordentlichen Trennung verstanden, die Land und Wasser, Licht und Dunkelheit – auch Heiligkeit und Profanität, Gerechtigkeit und Willkür betrifft. Die Priesterschaft und Israel – ein Volk von Priestern – sehen sich in der Aufgabe, diese am Sinai geoffenbarte Ordnung zu erhalten, da davon das Wohl jedes Juden bzw. Israeliten, des Volkes Israel, ja sogar das der Menschheit und der Erde abhänge. (Beachte, das Wohl der Menschheit zu hegen bedeutet hier nicht, alle Menschen der Welt, sanft oder durch blutigen Kampf oder durch Zwangstaufe zu Juden zu machen, zu missionieren. Es bedeutet für die Juden, sich um sich selbst und ihre heiligen Gebote und ihre heilige Lehre (=Tora) zu kümmern.)

Diese Trennung, diese Ordnung scheint nach der Mischna als graduelle Trennung zu sein, zwischen dem Allerheiligsten und dem Heiligen. Die Mischna listet darum „Kreise der Heiligkeit“ auf: Allerheiligstes, Vorraum zum Allerheiligsten, Halle der Priester, Halle der Israeliten, Halle der Frauen, Tempelberg, Mauern von Jerusalem, alle ummauerten Städte Israels und die Grenzen des Heiligen Landes, Eretz Israel. Es gibt Unterscheidungen, was für wen jeweils in welchem Bereich erlaubt ist. Ebenso ist der Kalender unterteilt, so dass der Schabbat sehr heilig ist, wie auch der Tag der Reue Jom Kippur, andere Feste sind heilig, wie die Pilgerfeste. Die Genesis legt die Ordnung von Raum und Zeit ebenso an, mit dem Schabbat, dem Ruhetag Gottes als zeitlichem Höhepunkt und dem Garten in Eden als räumlicher Entsprechung zum Tempel.

In der Heiligkeit zeigt sich die Verbindung zu Gott, die es den Geboten gemäß zu ordnen gilt, und die sich in Macht auswirkt, wenn sie nachlässig oder mangelhaft vom Volk der Priester, Israel, unterhalten wird. Es gibt verschiedene Berichte in der Bibel über Krankheit und Zerstörung, hervorgerufen durch unsachgemäße Handhabung oder unreine Behandlung von heiligen Dingen, wie z.B. dem Allerheiligsten. Diese Beziehung von göttlicher Ordnung und göttlicher Macht gilt als heilig – daher wird das Heilige in besonderer Weise mit der göttlichen Nähe verbunden. Die genaue Art der Beziehung der göttlichen Macht, Nähe zu den heiligen Dingen ist nicht klar oder einfach ersichtlich, jedoch entspricht Heiligkeit nicht dem ewigen Wesen, Gott. In einfacher Näherung durchwirkt das Ewige Wesen, Gott, in und durch das Heilige die Welt. Im Judentum wird die Nähe Gottes mit der Existenz Israels in Verbindung gebracht. Gläubige Juden beten, bemühen sich die heiligen Gebote zu erfüllen, um so eine nahe Beziehung zu Gott zu erhalten.

Jüdische Gebete, deren Bezeichnung von der Wurzel von „heilig“ abgeleitet ist, heißen Kaddisch, Kiddusch und Keduscha. Letzteres ist ein Teil des Achtzehnbittengebets und bildet den Ursprung des christlichen Sanctus.

Weitere Bedeutungen von heilig/unheilig können parallel verstanden werden mit: rein/unrein (3 Mos 10,10 EU, siehe tahor/tame); frei/unfrei (3 Mos 11,45 EU); heilsam/schadend (2 Mos 20,10.11 EU; Ps 119,66 EU; Spr 4,22 EU; 2 Tim 1,13 EU); wahrhaft/falsch (Ps 93,5 EU; Offb 3,7 EU; 6,10 EU).

Christentum

Im Neuen Testament gibt es drei griechische Wörter, die mit heilig übersetzt werden:

  • άγιος – hagios – die Übersetzung des hebräischen qadosch in der Septuaginta, im Lateinischen dann mit sanctus übersetzt. Es ist mit Abstand der häufigste der drei Begriffe im Neuen Testament. Diese Bezeichnung wird für den Heiligen Geist gebraucht, für die Heiligen (die, die Jesus Christus ihren Herrn nennen), damit sind nicht die gesetzlich Frommen gemeint, sondern die von Gott Berufenen.
  • όσιος – hosios – die Übersetzung des hebräischen chasid in der Septuaginta. Mit chasid oder hosios wird der bezeichnet, der gemäß den göttlichen Geboten handelt – die Heiligung des Lebenswandels fällt unter diesen Begriff.
  • ιερός – hieros – im Lateinischen dann mit sacer übersetzt. Das, was der göttlichen Macht gehört oder von ihr erfüllt ist – der Gegensatz zu hieros ist profan.

Im Neuen Testament ist das Wort heilig weniger im Zusammenhang mit Kultus wichtig, sondern in den von Gott gewirkten Lebensäußerungen. Die Grenze zwischen heilig und profan wird relativiert, im Gegensatz zur strengen Trennung der beiden im Judentum: Gott ist Geist, damit erübrigt sich die Frage nach dem rechten Ort für die Anbetung, rein und unrein ist weniger wichtig, als die Liebe zum Nächsten (Gleichnis vom Samariter), das Prädikat heilig gilt nicht nur den Priestern, sondern allen Christen.

Heiligmäßigkeit

In der Askese der katholischen Tradition versteht man unter dem Attribut heilig die Vereinigung mit Gott, die Angleichung des eigenen Tuns an den Willen Gottes. Erst mit dem Tod ist die Unificatio (lat. für „Vereinigung“) ganz möglich. Von einem, der sich bemüht hat, diese Vereinigung schon auf Erden zu verwirklichen, sagt man, er habe ein heiligmäßiges Leben geführt. Der Nachweis eines heiligmäßigen Lebens ist übliche Voraussetzung für eine Heiligsprechung.

Der Ausdruck Heiligkeit und Heiliger Vater als Anredeform existiert in der Ost- und Westkirche und im Buddhismus. Während die Abkürzung in der Einzahl hl. (z. B. der hl. Antonius) oder Hl. geläufig ist, ist die Abkürzung hll. für mehrere Heilige seltener geworden.

Siehe auch

Literatur

  • Carsten Colpe: Über das Heilige. Versuch, seiner Verkennung kritisch vorzubeugen. Hain, Frankfurt a.M. 1990, ISBN 3-445-06003-7
  • Carsten Colpe (Hrsg.): Die Diskussion um das Heilige. Reihe Wege der Forschung, Bd. 305, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1977, ISBN 3-534-05280-3 (wichtige Aufsätze aus der Forschung).
  • Mircea Eliade: Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte (1954). Insel, Frankfurt 1986.
  • Mircea Eliade: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Suhrkamp, Frankfurt, 3. Auflage 1987.
  • Wolfgang Gantke: Der umstrittene Begriff des Heiligen. Eine problemorientierte religionswissenschaftliche Untersuchung. Diagonal-Verlag, Marburg 1998.
  • Burkhard Gladigow: Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte. In: Germanische Religionsgeschichte. Quellen und Quellenprobleme. Berlin 1992. Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 5, S. 3–26.
  • Günter Lanczkowski u.a.: Artikel Heiligkeit - I. Religionsgeschichtlich, II. Altes Testament, III. Neues Testament, IV. Systematisch-theologisch. In: Theologische Realenzyklopädie Band 14 (1985), S. 695-712.
  • Angelika C. Messner: Annäherungen an das 'Heilige' in kulturwissenschaftlicher Perspektive. In: Angelika C. Messner/Konrad Hirschler (Hrsg.): Heilige Orte in Asien und Afrika. Räume göttlicher Macht und menschlicher Verehrung. Reihe Asien und Afrika, Bd.11. EB-Verlag, Schenefeld/Hamburg 2006, ISBN 3-936912-19-X, S. 1-17.
  • Rudolf Otto: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen (1917). Nachdruck: München 1988.
  • Günther Pöltner (Hrsg.): Auf der Spur des Heiligen: Heideggers Beitrag zur Gottesfrage. Böhlau, Wien 1991, ISBN 3-205-05375-3.
  • Hermann Schmitz: Wie kann ein Ort heilig sein?. In: Angelika C. Messner/Konrad Hirschler (Hrsg.): Heilige Orte in Asien und Afrika. Räume göttlicher Macht und menschlicher Verehrung. Reihe Asien und Afrika, Bd. 11, EB-Verlag, Schenefeld/Hamburg 2006, ISBN 3-936912-19-X, S. 163-177.

Weblinks

 Wikiquote: Heiligkeit – Zitate

Einzelnachweise

  1. Mircea Eliade: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Suhrkamp, Frankfurt, 3. Auflage 1987.
  2. R. Otto: Das Heilige. Die Methode, den Begriff des Heiligen der Gottesidee voranzustellen, hat Gladigow Schleiermacher in seinen Reden über die Religion entwickelt.
  3. Gladigow S. 8.
  4. Die Entstehung des modernen Rationalismus. Eine Analyse von Max Webers Entwicklungsgeschichte des Okzidents. 1. Aufl. Frankfurt am Main 1988. ISBN 3-518-28947-0. S. 108. / mit Verweis auf Emile Durkheim: Soziologie und Philosophie. Frankfurt 1967. S. 124ff.

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