Heiliger

Heiliger
Typischer christlicher Heiliger: Benedikt von Nursia

Als Heilige oder Heiliger wird eine Persönlichkeit bezeichnet, die als der jeweiligen Gottheit besonders nahestehend beziehungsweise als ein in religiöser und ethischer Hinsicht vollkommener Mensch angesehen wird. Dabei wird das allgemeine Konzept der Heiligkeit individualisiert und auf einen einzelnen Menschen angewandt.

Die Anerkennung eines Heiligen kann religiösen oder politischen Autoritäten vorbehalten sein oder sich in der Akklamation und Verehrung durch das gläubige Volk vollziehen, eine wichtige Rolle kann dabei das Auftreten übernatürlicher Phänomene („Wunder“) im Zusammenhang mit dem Heiligen spielen. Die darauf folgende – zumeist posthume – kultische Verehrung eines solchen Heiligen bezeichnet man als Heiligenverehrung.

Im allgemeinen Sprachgebrauch verweisen die Begriffe des Heiligen und der Heiligenverehrung gemeinhin auf die entsprechenden christlichen Vorstellungen. Auch wenn die Begriffe eng mit der christlichen Volksreligiosität assoziiert werden, so sind doch beide Phänomene in anderen Weltreligionen ebenso zu finden.

Inhaltsverzeichnis

Religionswissenschaftliche Definition

Der Begriff des „Heiligen“ ist religionswissenschaftlich bisher nicht befriedigend definiert. Zum einen ist aufgrund der differierenden Anforderungen, die verschiedene Religionen an einen „Heiligen“ stellen, keine für alle Religionen allgemeingültige Definition möglich. Zum anderen überschneidet sich der religiöse Typ des „Heiligen“ mit mehreren anderen religiöser Autoritätstypen, und es ist bisher nicht gelungen, eine deutlich unterscheidende Charakteristik zu finden.

Die Grenzen der im Diskurs religiöser Autoritäten skizzierten Typen sind fließend und können sich in wichtigen Punkten überschneiden. Die als „Heilige“ verehrten konkreten Personen können also gleichzeitig auch noch anderen Typen zugerechnet werden. Dies ist etwa bei der christlichen Ausprägung des Märtyrer-Typs der Fall, dem stets auch die Verehrung als Heiliger zuteil wird. Ein für alle Religionen allgemeingültiger Automatismus ist jedoch nicht gegeben.

Typologische Gemeinsamkeiten dieser Art weist der „Heilige“ besonders mit dem Märtyrer und dem Heros auf: Sein Grab bzw. der Aufbewahrungsort seiner Reliquien entwickelt sich zu einem kultischen Zentrum besonderen Ranges. Es ist das Ziel allgemeiner Verehrung, von Pilgerreisen und wird oft als Zentrum einer Nekropole genutzt. Allen drei Typen wird eine Mittlerfunktion als Fürsprecher der Gläubigen gegenüber der göttlichen Autorität zugeschrieben.

Eine Verehrung ist oft wie beim Heros bereits zu Lebzeiten gegeben, kann aber wie beim Märtyrer auch erst nach dem Tod erfolgen. Ein Unterschied zum Typ des Märtyrers liegt darin, dass der Letztere die religiöse Vollkommenheit per definitionem nicht durch seinen Lebenswandel, sondern durch die Art seines Sterbens erlangt, während beim Heiligen sich die Vollkommenheit auch ohne ein solches Martyrium wesentlich durch sein voraufgegangenes Leben erweist. Im Gegensatz zum Heros fehlt ihm die göttliche oder halbgöttliche Abstammung.

Der „Heilige“ kann zwar dem Typ des Angehörigen einer klerikalen Institution (also der Priesterschaft oder dem Mönchtum) angehören, muss dies aber nicht. Weiterhin kann der Heilige das Charisma des Religionsstifters oder Reformators besitzen, im Gegensatz zu diesen ist aber sein Ziel nicht Verkündigung einer (Glaubens-)lehre und anschließende Bildung einer Gläubigenschar, sondern das Hervortreten durch sein religiös vorbildliches Leben.

Vom mythischen Heilsbringer schließlich unterscheidet ihn sein Wirken in der real überlieferten, wenn auch oft in der Tradierung unzuverlässigen, Geschichte und der fehlende Erlösungsaspekt seines Lebens.

Die Deklaration und Verehrung von Heiligen erfüllt ein urreligiöses Bedürfnis der Menschen nach Vorbildern in ihrem Glauben und gleichzeitige Bestätigung desselben. Die als vorbildlich anerkannten Mitglieder der Glaubensgemeinschaft verlassen zwar die diesseitige – menschliche – Gemeinschaft. Sie bieten jedoch die Möglichkeit, den Kontakt zwischen Diesseits und Jenseits zu halten, denn obwohl sie in die jeweilige göttliche Herrlichkeit aufgenommen worden sind, bleiben sie über ihr Grab, ihre Reliquien und ihre Verehrung im Diesseits präsent und bilden so eine Verbindung zu der von den noch lebenden Gläubigen selbst angestrebten Erlösung. Über die ihnen während oder nach ihrem Leben zugeschriebenen Wundertaten geben sie den Gläubigen eine positive Antwort auf die Frage nach der Sinn- und Wahrhaftigkeit der jeweiligen Religion.

Christliche Heiligkeit

Die christliche Theologie ist geprägt von einem Doppelkonzept von Heiligkeit: Das Heilige schlechthin ist Gott selbst, jedoch nicht im Sinne einer transzendenten Statik, also eines Zustandes in göttlichen Sphären ohne Auswirkung auf das Diesseits. Vielmehr wird Gottes Heiligkeit als immanente Dynamik verstanden, die alle irdischen Dinge für sich aussondern kann und damit Grund ihrer Heiligkeit ist. Im Neuen Testament wird diese Sicht modifiziert. Nun ist es Jesus Christus, der in seiner einzigartigen Beziehung zum Vater durch seinen Tod und seine Auferstehung Heiligkeit in denen, die ihm nachfolgen, bewirkt.

Christliche Heiligkeit tritt in zwei Komponenten auf. Einerseits erwählt sich Gott sowohl im Alten als auch im Neuen Testament ein „heiliges Volk“: Das Volk Israel und das so bezeichnete „neue heilige Volk“ der Kirche. Andererseits tritt auch immer das Konzept der individuellen Heiligkeit einer Einzelperson auf, die durch die Verwirklichung der Nachfolge Christi einen besonderen Grad der Gnade und des angebotenen Heils erreicht hat. Die individuelle Heiligkeit ist dabei aber stets nur Manifestation einer Heiligkeit als Glied der Kirche, die in ihrer Gesamtheit ja die „communio sanctorum“, also die „Gemeinschaft der Heiligen“, darstellt.

Christliche Heilige im umgangssprachlichen Sinn zeichnen sich also dadurch aus, dass sie bereits eine höhere Stufe der Gnade erreicht haben, die aber prinzipiell für jeden Gläubigen als Glied der Kirche möglich ist. Der Theologe Wolfgang Beinert drückt es kompakt so aus: „Sie [die Heiligkeit des Einzelnen] wird in der Taufe begründet als seinshafte Qualität und entfaltet sich in der personalen Annahme des göttlichen Rufes durch Übernahme der Gesinnung Jesu in einem moralisch heiligen Leben (Eph 1,4 EU; 5,1 EU; Phil 2,5 EU; 4,8 EU; Kol 1,22 EU; 1 Petr 1,15f. EU; 2,9 EU; Tit 1,7–9 EU u.ö.)“

Antike und Mittelalter

Einer der ersten verehrten Märtyrer: Polycarp

Die frühchristliche Heiligenverehrung schloss sich an die aus dem jüdischen Glauben bekannten Formen an. Dort waren seit langem der Hohepriester als „amtlicher Fürbitter“ der Menschen, die Mittlerschaft der Engel zwischen Gott und den Menschen, die Verehrung großer Gestalten der Vergangenheit sowie das Martyrium bekannt.

Die hohepriesterliche Mittlerfunktion wurde ganz auf Christus übertragen und erst nach der theologischen Klarstellung früher Väter der Kirche, dass die Verehrung anderer Menschen, die Christus nachgefolgt waren, die Einzigartigkeit der Mittlerfunktion Christi nicht beeinträchtige, begann die Urkirche Märtyrer und die Apostel anzurufen.

Der erste Beleg einer Märtyrerverehrung ist der um 160 geschriebene Bericht über Polykarp von Smyrna, in der westlichen Kirche breitete sich die Märtyrerverehrung wahrscheinlich während der Verfolgungen im 3. Jahrhundert aus und verband sich unter dem Einfluss Tertullians zu einer Verehrung der Märtyrer als Heiliger. Anfänglich war diese Verehrung auf den Todestag und die Grabstätte des Märtyrers beschränkt, mit dem Aufkommen der Reliquienverehrung vervielfachten sich aber die räumlichen und zeitlichen Möglichkeiten der Verehrung. Der erste greifbare Beleg des Verständnisses der Heiligen als Fürsprecher bei Gott findet sich in einem Graffito an der römischen Kirche San Sebastiano aus dem Jahr 260.

Mit dem Wandel des Christentums zur Staatsreligion des Römischen Reiches weitete sich auch der Heiligenbegriff, da das Martyrium wegen der abgestellten Verfolgungen nun nicht mehr höchstes Zeugnis eines christlichen Lebens sein konnte. Nach und nach wurden – unter dem bestimmenden Einfluss Clemens’ von Alexandria – sogenannte „confessores“, also Bekenner, die zwar verfolgt worden, aber dem Martyrium entgangen waren, und Menschen mit einem „engelgleichen Leben“, deren radikal asketisch-jungfräuliches Leben als ständiger Kampf gegen die Verführungen des Satans verstanden wurde, in den Kreis der verehrungswürdigen „Heiligen“ aufgenommen. Einen vorläufigen Schlusspunkt unter diese Erweiterungen setzte das Konzil von Ephesos, das 431 mit der Verleihung des Titels der „Gottgebärerin“ an Maria die Marienverehrung offiziell sanktionierte.

Seit dem Frühmittelalter wurden zunehmend entweder große Lichtgestalten der Christenheit (Kirchenlehrer, Könige, sog. „Ritter- und Soldatenheilige“ usw.) oder Menschen, die ein Alternativkonzept zum alltäglichen christlichen Leben boten (Franziskus, Benedikt) vom Volk regional als Heilige verehrt. Bei den sog. „Adelsheiligen“, also Herrschern, Bischöfen oder Ordensgründern, ging die Initiative der Verehrung in den meisten Fällen von deren Nachfolgern im Amt oder Mitgliedern ihrer Dynastie aus, die dadurch auch sich selbst eine stärkere Legitimität zu verschaffen hofften. Die kirchliche Anerkennung folgte im allgemeinen erst später. Um von offizieller Seite Beliebigkeit und Ausufern der Heiligenkulte zu verhindern, bemühten sich die Päpste, das alleinige Recht zur Heiligsprechung und damit die Kontrolle der Heiligenverehrung zu erlangen, zumal diese aufgrund ihrer Bedeutung für die Beglaubigung politischer und dynastischer Legitimität und nicht zuletzt auch aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für die Kult- und Wallfahrtsorte auch einen gewichtigen machtpolitischen Faktor darstellte. Im Jahr 993 fand die erste päpstliche Heiligsprechung (Ulrich von Augsburg) statt, im Verlauf des 11. und 12. Jahrhunderts konnten sich die Päpste schließlich gegen die konkurrierende Instanzen der Synoden und Ortsbischöfe durchsetzen. Alexander III. dekretierte 1171 die alleinige Zuständigkeit des Papstes für Heiligsprechungen. Aber allgemein verbindlich wurde diese Alleinzuständigkeit erst durch den Liber extra, einen Nachtrag zum Decretum Gratiani, von 1234.[1]

Heiligenverehrung: Die 14 Nothelfer auf einem Marterl

Nach geltendem römisch-katholischem Kirchenrecht müssen der Kanonisation die Seligsprechung vorausgehen und strenge Kriterien erfüllt sein, um in den Kanon der Heiligen aufgenommen zu werden.

Zwar war die christliche Theologie stets bemüht, die Anbetung (griech. λατρεια, lat. adoratio) allein Gott vorzubehalten und den Heiligen und ihren Reliquien lediglich Verehrung (griech. δουλεια, lat. veneratio) zukommen zu lassen, gemäß der sachlichen und terminologischen Klärung, die das Zweite Konzil von Nicäa 787 eingeführt hatte. In der Praxis waren die Ausdrucksformen und Anrufungen jedoch schon seit der Spätantike oft kaum noch unterscheidbar, und der theologische Begriff der Heiligkeit wurde im Laufe des Mittelalters in der religiösen Praxis des Volksglaubens noch zusätzlich dadurch verwischt, dass die Fürbitt- und schließlich die Helferfunktion für Angelegenheiten des diesseitigen Lebens stark in den Vordergrund traten.

Bereits Ambrosius hatte im 4. Jahrhundert den römischen Begriff des „patronus“ für die Heiligen verwendet, der die Schutzfunktion des Patrons im Klientelwesen der römischen Gesellschaft beinhaltete. Der im Hochmittelalter zur vollen Ausbildung gelangte Gedanke, sich für Nationen und Diözesen, Kirchen und Städte (Stadtpatron), später gar Stände und Berufe eigene Schutzpatrone zu erwählen, unter deren Schutz und Hilfe man sich stellen wollte, machen das transformierte Verständnis der „Heiligen“ deutlich; Reliquienanhäufung und Drang nach Wundern waren die theologisch unerwünschten Folgen. Das Vierte Laterankonzil verurteilte zwar, „dass die Gläubigen mit phantastischen Geschichten oder gefälschten Dokumenten getäuscht werden, wie es an sehr vielen Orten aus Gewinnsucht zu geschehen pflegt.“ Aber es konnte die Entwicklung in der Praxis nicht aufhalten. Der Charakter der Heiligen als Vorbilder im christlichen Leben („imitatio Christi“) trat zugunsten der zugeschriebenen Funktionen als Helfer zurück. Die Gläubigen wählten sich zur Fürbitte gezielt Heilige aus, denen man bestimmte Attribute zuschrieb. Blasius half beispielsweise gegen Halskrankheiten, Sebastian gegen die Pest. Auch die Entwicklung des Kultes der „Vierzehn Nothelfer“ fällt in diesen Zusammenhang.

Neuzeit

Erst die Reformation brachte deutliche Kritik an der herrschenden Situation vor. Eine Rolle der Heiligen als direkte Mittler des Erbetenen wurde mit Verweis auf die Bibel strikt abgelehnt und die Einzigartigkeit der Heilsmittlerschaft Christi wieder in den Vordergrund gerückt. Nach der theologischen Festigung des Luthertums wurde in der Pflege des Gedächtnisses verschiedener altkirchlicher Heiliger keine Gefahr mehr gesehen. Das Heiligengedächtnis wurde in der Confessio Augustana XXI als Moment der persönlichen Stärkung im Glauben befürwortet und anerkannt. Zu den anerkannten „alten“ Heiligen traten zusätzlich Vorreformatoren wie Jan Hus und dann auch Akteure der Reformation – insbesondere Luther selbst – hinzu, so dass verschiedene Theologen Züge einer „Lutherverehrung“ zu erkennen glauben, die sich u. a. in den Lutherbildern in protestantischen Gottesdiensträumen manifestiere.

Ikonendarstellung der Hl. Jungfrau Maria

Im Gegensatz zu den lutherisch geprägten Protestanten lehnten die Reformierten die Heiligenverehrung insgesamt ab. Ulrich Zwingli und Johannes Calvin sahen in Wallfahrten und Reliquienverehrung ein Werk des Satans und betonten die Gültigkeit des alttestamentlichen Bilderverbots, gegen das die Heiligenverehrung verstoße.

Auch wenn die katholische Theologie in der Frage der Heiligenverehrung stets derselben Auffassung wie Martin Luther und Philipp Melanchthon war, blieb die Vermischung von verkappter Anbetung und Verehrung doch ein deutliches Kennzeichen der Volksfrömmigkeit bis in die heutige Zeit. Auf dem Konzil von Trient wurde 1563 die katholische Dogmatik in der Frage der Heiligenverehrung geschärft: Da die Heiligen im Himmel mit Christus herrschten, sei es „gut und nützlich“, sie demütig um Beistand anzurufen, um von Gott durch den alleinigen Erlöser und Heiland Jesus Christus Wohltaten zu erlangen (DH 1821). Als Ziel der Heiligenverehrung wird damit Gott festgeschrieben, im zweiten Vaticanum wird diese Auffassung bestätigt und nochmals darauf verwiesen, dass die Fürbitte der Heiligen bei Gott nicht „heilskonstitutiv“ wie die hohepriesterliche Mittlerfunktion Christi sei (LG 48–69).

In den Ostkirchen ist die Verehrung von Heiligen ein selbstverständlicher Bestandteil des geistigen Lebens. Seit dem 4. Jahrhundert ist die Darstellungen von Heiligen in Ikonen belegt. Die Verehrung äußert sich bis heute im Malen und Verehren von Ikonen, dem Verfassen und Lesen von Heiligenviten sowie der wieder verstärkt auftretenden Kanonisation. Wie in der katholischen Kirche auch werden die Gräber und Reliquien besucht und verehrt, Menschen, Kirchen und Orte nach ihnen benannt und ihr Gedächtnistag (i. d. R. der Todestag) im Kirchenjahr liturgisch gefeiert. Die Wallfahrt des Pilgers zum Heiligengrab und zuletzt das Sehen, Berühren und Küssen der Reliquie oder der Ikone ist in den Ostkirchen präsenter als im Westen und dient dazu, an der besonderen Gottesnähe des Heiligen selbst teilzuhaben.

Seit etwa den 1960er Jahren verlieren „Heiliggesprochene“ als „Heilige“ in weiten Teilen einer säkularisierten („westlichen“) Welt zunehmend an Bedeutung. Historische Legenden und mythische Berichte werden zurückgedrängt zugunsten zeitgeschichtlicher Erfahrungen vorbildhafter Menschen (Gandhi, Mutter Teresa, Martin Luther King), die als Vorbilder für Altruismus und Humanität dienen. Die Verehrung dieser neuen Vorbilder ist nicht an Konfessionen oder Religionen gebunden und spiegelt das Aufkommen von Idolen in der Jugendkultur wider.

Heiligkeit im Judentum

Das Grab der Erzväter in Hebron beherbergt sowohl eine Synagoge als auch eine Moschee

Im Judentum allgemein ist „קדוש“ („kaddosch“, hebräisch: heilig) ein Wort, das vor allem die einfache Bedeutung von besonders oder das Besondere hat und damit im Gegenteil zu profan (im Sinne von weltlich, normal, alltäglich) steht.

Im orthodoxen Judentum wird auf eine persönliche Heiligkeit nur äußerst zurückhaltend eingegangen. In der religiösen Praxis bildete sich aber de facto trotzdem bereits in alttestamentlicher Zeit die Heiligenverehrung heraus, was sich an der Existenz vieler Heiligengräber festmachen lässt.

Einer gewissen Verehrung der Propheten (besonders Mose) wurde auch von offizieller Seite kein Widerstand entgegengebracht, seit der Zeit des makkabäischen Widerstandskampfes gewann auch das Märtyrertum an Bedeutung. Seit der Spätantike entwickelte sich in der Volksfrömmigkeit ein regelrechter Gräberkult um Grabstätten besonders frommer Juden, oft werden sogar Synagogen über oder in der Nähe eines Grabes erbaut. Besonders stark trat der Typ des Heiligen im osteuropäischen Chassidismus auf, der im „Zaddik“ einen Heilsbringer mit einer besonders engen Gottesbeziehung und einer Mittlerqualität von Gottes Gnade für die Menschen verehrte.

Auch im heutigen Judentum spielen Heiligengräber als Wallfahrtsziele eine Rolle. Prominente Beispiele hierfür sind die Gräber der Erzväter in Hebron, das Davidsgrab in Jerusalem, das Grab des kabbalistischen Rabbiners Schimon ben Jochai in Meron oder des Chabad-Führers Menachem Mendel Schneerson.

Die alttestamentlichen Patriarchen und Propheten wurden auch in die Reihe der christlichen und islamischen Heiligen aufgenommen.

Heiligkeit im Islam

Verehrungsstätte (mašhad) eines Marabout, die selten vom tatsächlichen Grab (turba) unterschieden wird. Das Kuppelgebäude heißt qubba (nahe der tunesischen Oase Chebika).

Aus der orthodoxen Theologie des Islam muss die Heiligenverehrung eigentlich mit Blick auf den Koran (9,31; 10,19) abgelehnt werden. Andere Stellen (10,63–65) jedoch setzen die Existenz der „Freunde Allahs(Wali) bereits als gegeben voraus, und so hat sich dennoch im Islam bereits sehr früh eine Verehrung Heiliger durchgesetzt, die dem christlichen Verständnis eines Heiligen sehr nahe kommt. Schon bald nach ihrem Tod wurden etwa in der schiitischen Richtung ʿAlī ibn Abī Tālib, der Schwiegersohn Mohammeds, und seine Söhne Hasan ibn Ali und Husain ibn Ali als Heilige verehrt, auch bei den Sunniten treten solche Heilige auf, unter anderem die Sagengestalt al-Chidr (al-Ḫiḍr, „der grüne Mann“), die Muslime mit dem Propheten Elija und dem heiligen Georg verbinden. In orthodoxen und dogmatischen sunnitischen Gruppen wie in der Bewegung der Wahhabiten (Salafiyya) oder der Ahl-i Hadîth wird eine Heiligenverehrung explizit bekämpft, da sie dem Prinzip der absoluten Einzigartigkeit und Erhabenheit Gottes (tauhid) zuwiderlaufe und ein nicht auf Gott, sondern auf Menschen gerichteter Kult sei.

Weiterhin bezieht sich die spätere Heiligenverehrung meist auf bekannte Mystiker (Sufis). Häufig wirken diese auch als Oberhaupt (Sheikh) eines Sufiordens (Tariqa), wie sie verstärkt ab dem 12. und 13. Jahrhundert entstanden. Zu jener Zeit, die als eine erste Blütezeit des Sufismus gilt, fanden die islamischen Mystiker eine große Resonanz in der breiten Bevölkerung (vor allem in den nordafrikanischen Ländern), wodurch sich noch heute die starke Verehrung der Heiligen nicht nur unter den Mystikern erklären lässt.

Auch wenn der „Freund Allahs“ ein durchgehend gehorsames und gottgefälliges Leben geführt hat, rückt er nicht durch eigene Leistung, sondern vielmehr erst durch Allahs Wirken in eine Nähe zu jenem. Es gibt kein offizielles Heiligsprechungsverfahren, und die Verehrung einer Person als Heiligem ergibt sich aus dem Konsens der Gläubigen. Daher kann nicht nur Menschen aus der Zeit nach Mohammed, sondern auch Propheten und Patriarchen aus der Zeit zuvor die Heiligkeit zugesprochen werden.

Das Bild des Heiligen im Islam ist davon geprägt, dass Heilige Fürsprecher und Mittler zwischen den Gläubigen und dem verborgenen Allah sind, Wunder wirken können und als Wächter des Glaubens gelten. Ihre Schreine, die an Orten errichtet werden, die in irgendeiner Beziehung zur betreffenden Person stehen, sind bis in die heutige Zeit Wallfahrtsorte, die von den Pilgern als Kraftquelle gesehen werden, da die spirituelle Energie (Baraka) eines Heiligen nach muslimischer Auffassung auch über den irdischen Tod hinaus wirkt, teilweise sogar für stärker gehalten wird als zu Lebzeiten. Der Heilige erhält sein Baraka über eine spirituelle Kette (Silsila), die ihn mit der Familie des Propheten verbindet.

Siehe auch: Marabout, Ghauth, Derwisch, Kategorie:Sufi, Volksislam

Heiligkeit in den indischen Religionen

Heilige der indischen Religionen des Hinduismus, Buddhismus und Jainismus lassen sich grob dadurch charakterisieren, dass sie in radikaler Askese und Meditation einen höheren Bewusstseinsstand (Erleuchtung) erreicht haben sollen. Der Mittlercharakter zwischen göttlicher Autorität und Menschen tritt bei den verbreiteten atheistischen oder agnostischen Konzepten entsprechend nicht auf.

Die ungenaue Kategorie des „Hinduismus“ macht eine allgemein gültige Definition eines „hinduistischen Heiligen“ praktisch unmöglich. Es lässt sich aber eine relativ weit verbreitete Verehrung bestimmter religiöser Lehrer, die in ihrer Zeit das Gesicht des Hinduismus prägten, wie Shankara, Ramakrishna oder auch Gandhi, beobachten.

Der Bodhisattva Vajrapani (rechts) in einer an Herakles erinnernden Darstellung neben dem Buddha.

Im Buddhismus ist die Vorstellung von Heiligen konkreter vorhanden. Der Hinayana sieht die individuelle Heiligkeit darin gegeben, dass ein Mensch, der Arhat, nach streng asketischem Leben und Beachtung der Lehren Buddhas bereits zu Lebzeiten das Nirvana erreicht und damit aus dem Kreislauf der Wiedergeburten ausscheidet. Auch Siddhartha Gautama, der die vier edlen Wahrheiten erkannt und in der Meditation zu vollkommener innerer Ruhe gefunden hat, fällt unter die Kategorie des Heiligen.

Der bereits im Hinayana präsente Gedanke einer Verehrung der Reliquien Buddhas setzte sich im Mahayana verstärkt fort. Hier werden zusätzlich die Bodhisattvas als Heilige verehrt, weil sie zwar die Erleuchtung bereits erlangt haben, aus Altruismus („Mitgefühl“) aber auf das Nirvana verzichten und andere Menschen ebenfalls zur Erleuchtung führen wollen. Über ihren Gräbern und Reliquien wurden Stupas errichtet, die auch heute noch beispielsweise in Thailand in Ehrerbietung barfuß rechts herum andächtig umschritten wird, zumeist verbunden mit Blumen-, Weihrauch- und Kerzen-Opfern.

Im Jainismus schließlich werden 63 exemplarische Menschen, darunter die 24 sogenannten Tirthankaras („Furtbereiter, Bahnbrecher“), als Heilige verehrt, weil sie, obwohl sie selbst bereits Erlösung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten gefunden haben, in immer wiederkehrenden Abständen den Menschen den Weg zur Erleuchtung aufgezeigt haben.

Heiligkeit in den chinesischen Religionen

Konfuziusgrab in Qufu

Im Konfuzianismus war der Begriff des „Heiligen“ stets mit dem des „Adeligen“ konnotiert, der die Tugenden der Güte, Pietät und Liebe in sich vereint. Neben Konfuzius selbst und seinen Schülern zählten dazu vor allem ideale mythische Herrscher und die regierenden Kaiser.

Der Taoismus dagegen verehrte verschiedene historische Gestalten, denen zugeschrieben wurde, in Übereinstimmung mit dem Dao gelebt zu haben (z. B. die sogenannten „Acht Unsterblichen“). Sie werden oft als magisch Begabte vorgestellt, die vor Krankheit und Tod bewahren können.

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Einzelnachweise

  1. Winfried Schulz: Artikel „Heiligsprechung“ in: Lexikon für Theologie und Kirche Bd. 4. Herder Verlag 2006. Sp. 1328-1331, 1329.

Literatur

  • Arnold Angenendt: Corpus incorruptum. Eine Leitidee der mittelalterlichen Reliquienverehrung. In: Saeculum 42 (1991), S. 320–348.
  • Arnold Angenendt: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart. München 1997. ISBN 3-406-42867-3
  • Dieter Bauer und Peter Dinzelbacher (Hrsg.): Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart. Ostfildern 1990.
  • Theofried Baumeister: Artikel „Heiligenverehrung I“. In: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 14, Stuttgart 1988, Sp. 96–150. ISBN 3-7772-8835-7
  • Wolfgang Beinert: Die Heiligen in der Reflexion der Kirche. Die Heiligen heute ehren. Freiburg u. a. 1983.
  • Jürgen Beyer et al. (Hrsg.): Confessional sanctity (c. 1550 - c. 1800). Mainz 2003.
  • Peter Brown: The Cult of the Saints. Its Rise and Funktion in Latin Christianity. Chicago 1981.
  • Siglind Bruhn: Saints in the Limelight. Representations of the Religious Quest on the Post-1945 Operatic Stage. Hillsdale, NY: Pendragon Press, 2003. ISBN 978-1-57647-096-1.
  • Jürgen Frembgen: Reise zu Gott. Sufis und Derwische im Islam. C. H. Beck Verlag, München 2000. ISBN 3-406-45920-X
  • Peter Gemeinhardt: Die Heiligen. Von den frühchristlichen Märtyrern bis zur Gegenwart. Verlag C.H. Beck. München 2010.
  • John Stratton Hawley (Hrsg.): Saints and Virtues. Berkeley 1987.
  • Carol Piper Heming: Protestants and the cult of the saints in German-speaking Europe. Kirksville 2003.
  • James Howard-Johnston (Hrsg.): The cult of saints in late antiquity and the middle ages. Essays on the contribution of Peter Brown. Oxford 1999.
  • Heimo Kaindl: Zwischen Ehrfurcht und Schauder. Reliquienkult gestern und heute. Graz 2005.
  • Theodor Klauser: Christlicher Märtyrerkult, heidnischer Heroenkult und die spätjüdische Heiligenverehrung. Köln 1969. ISBN B0000BUE1H
  • Günter Lanczkowski u.a.: Heilige / Heiligenverehrung. In: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 14 (1985), S. 641–672
  • Lexikon der Heiligen und Heiligenverehrung. Freiburg i. Br. 2003. ISBN 3-451-28190-2
  • Gabriele Miller: Artikel „Heilige“. In: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 4, Freiburg u. a. 1995, Sp. 1274–1276.
  • Friedrich Prinz: Das wahre Leben der Heiligen. Zwölf historische Porträts von Kaiserin Helena bis Franz von Assisi. München 2003.
  • Erhard Gorys: Lexikon der Heiligen. dtv-verlag. Erw. Neuausg. 2004. ISBN 3-423-34149-1 .

Weblinks


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