Helios von Rhodos

Helios von Rhodos

Der Koloss von Rhodos (altgriech. Ὁ Ἥλιος Ῥόδιος, Ὁ Κολοσσὸς Ῥόδιος, ὁ ἐν Ῥόδῳ κολοσσόςho Hélios Rhódios, ho Kolossòs Rhódios, ho en Rhódô Kolossós, lateinisch Colossus Solis Rhodi oder Solis Colossus Rhodi) war die über 30 m hohe, monumentale Bronzestatue des Gottes Helios (griech. Sonne), aufgestellt in der Inselhauptstadt Rhodos der gleichnamigen Insel. Am Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. entstanden, zählte die Kolossalstatue bereits in der Antike zu den Sieben Weltwundern. Der Begriff "Kolossòs" konnte ursprünglich eine Statue beliebiger Größe bezeichnen. Dadurch, dass er aber für den Helios von Rhodos verwendet wurde, erhielten er und seine Ableitungen jedoch spätestens in der römischen Kaiserzeit die Bedeutung, die sie heute noch besitzen.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte, Maße, Entstehungstechnik und -zeit

Die kolossale Statue des Helios wurde nach dem glücklichen Ausgang der Belagerung von Rhodos durch den mächtigen Gegner Demetrios I. Poliorketes von 304/303 v. Chr. errichtet. Aus historischer Sicht wäre ohne die Unterstützung der griechischen Beherrscher von Ägypten, der Ptolemäer, dieser Sieg im Ränkespiel der Nachfolger Alexanders des Großen kaum zustande gekommen. Die Rhodier selbst sahen das anders und errichteten mehrere Monumente in der Stadt, die das Ereignis für die Nachwelt festhielten und feierten. Das mächtigste von ihnen war die kolossale Helios-Statue, die in das Hauptheiligtum der Stadt, das Helios-Heiligtum gestellt und geweiht wurde.

Die Rhodier glaubten, der Sonnengott Helios, Schutzgott ihres Stadtstaates, habe sie auf wundersame Art vor der Eroberung durch Demetrios I. Poliorketes gerettet. Es sei Helios gewesen, der die Rhodier angewiesen habe, nachts einen verdeckten Graben zwischen der Stadtmauer und der neunstöckigen Hauptbelagerungsmaschine Helepolis (altgr. ἑλέπολις = Stadtzerstörerin) zu ziehen. Als die Belagerungsmaschine am nächsten Morgen vorrückte, stürzte sie in diesen Graben und verschloss mit ihrem Turm eine bereits geschlagene Bresche in der Stadtmauer. Demetrios habe daraufhin die Belagerung der Stadt Rhodos aufgegeben und seine gesamten Belagerungsgeräte den Rhodiern hinterlassen. Deren Erlös (300 Talente Silber = 7880 kg) hätten die Rhodier zur Finanzierung des Standbildes verwendet.[1]

Aus den antiken Textquellen geht eindeutig hervor, dass der Koloss von Rhodos aus gegossener Bronze bestand. Bildhauer und Leiter der Bronzegusswerkstatt war Chares von Lindos, ein Schüler des Lysippos von Sikyon. 12 Jahre Entstehungszeit sind für die 70 Ellen (30-35 m, exaktes Ellenmaß unbekannt) hohe Statue überliefert. Die Bronzegusstechnik, nach der in der Gusswerkstatt gearbeitet wurde, muss heute rekonstruiert werden. Neuere Funde in Rhodos machen aber wahrscheinlich, dass die Figur in der Nähe ihres Standortes in großen Einzelstücken gegossen wurde.

Verwirrung stiftet die scheinbar ausführliche Überlieferung zur Gusstechnik der Statue des Philon von Byzanz.[2] Er behauptet, man habe die Figur am Standort Etage für Etage aufeinander gegossen. Nach Fertigstellung der ersten Etage hätte man diese von außen unter einer Erdanschüttung verborgen und darauf dann die zweite Etage gegossen und so weiter. Im Inneren der Figur habe man von Anfang an Eisengerüste und Steine zur Stabilisierung eingesetzt und mit hochgezogen. Nach der Methode Philons muss so ein riesiger Berg entstanden sein. Grund für die ungewöhnliche Gussmethode sei gewesen, dass man große Einzelteile nicht hätte transportieren können. 500 Talente Erz (13 t) und 300 Talente Eisen (etwa 8 t) seien verwendet worden. Der Bau habe so viel Rohmaterial verschlungen, dass die damals bekannten Kupfererzquellen zu versiegen drohten.

Der Text des Philon von Byzanz ist vermutlich der frühe Versuch, die niemals aufgeschriebene und daher schon in der Antike verlorene Gusstechnik der Riesenfigur zu rekonstruieren. Selbst kein Handwerker, vermischt der Autor Richtiges mit Falschem. So konnten in der Antike sehr wohl große Gussstücke transportiert werden, waren sie doch leichter als die riesigen Marmorteile, die im Tempelbau verwendet wurden. Der Bronzeguss in Etagen ist technisch möglich. Allerdings spricht die archäologisch nachgewiesene Technik für Rhodos dagegen, dass sie hier zum Einsatz kam. Außerdem müsste der Abraum des riesigen Berges deutliche Spuren in Rhodos hinterlassen haben, auf die man in achtzig Jahren archäologischer Ausgrabungen in der Stadt nicht gestoßen ist.

Der Koloss von Rhodos wird in der antiken Literatur häufig erwähnt, gerne als Beispiel für übertriebene Größe und Größenwahn. In diesen Kontext gehört auch folgende Anekdote: „Die Rhodier, die zunächst eine mittelgroße, etwa 18 m hohe Statue bei Chares bestellten und den Preis festlegten, erhöhten ihren Auftrag auf die letztendlich erbaute Größe. Chares merkte zu spät, dass er den achtfachen statt doppelten Preis hätte fordern müssen und ging an dem Auftrag bankrott, was ihn dann in den Selbstmord trieb.“

Eine antike Darstellung oder Beschreibung des Kolosses von Rhodos gibt es nicht. Man kann nur vermuten, dass Helios als stehender, nackter junger Mann, mit langem lockigen Haar und Strahlenkranz dargestellt war. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sein Kopf nach dem Vorbild der Münzbilder des Stadtstaates Rhodos geformt war, die seit dem späten 5. Jahrhundert. v. Chr. auf Rhodos geprägt wurden.

Standort

Die antiken Schriftquellen machen zum Standort des Helioskolosses von Rhodos nicht einmal eine Andeutung, vielleicht weil er den antiken Autoren selbstverständlich war. Aus dem historischen Zusammenhang lässt er sich für uns jedoch eindeutig erschließen: Das monumentalste Weihgeschenk, das die Rhodier jemals ihrem Gott aufgestellt haben, kann nur im wichtigsten Heiligtum des Stadtstaates, dem Helios-Heiligtum, gestanden haben. Solche Weihungen haben auch in den Heiligtümern anderer griechischer Stadtstaaten Tradition.

Allerdings war der Standort des Helios-Heiligtums von Rhodos bisher unbekannt. Verschiedene Vorschläge wurden gemacht: auf der Mole St. Nikolaus (W. Hoepfner, siehe unten), auf der Akropolis (19. Jh.), an Stelle des mittelalterlichen Großmeisterpalastes am Abhang der Akropolis (zwischenzeitlich, schon wieder verworfen). Neu ist der Vorschlag von U. Vedder, die herausgefunden hat, dass die Benennung für Tempel und Heiligtum oberhalb der Stadion-Terrasse von Rhodos als Heiligtum und Tempel des Apollon Pythios nicht zu halten ist. Oberhalb des Stadions, in dem jährlich Spiele zu Ehren von Helios durchgeführt wurden, befindet sich demnach in Wirklichkeit das lang gesuchte Helios-Heiligtum. Das Gelände ist zwar bereits 1938 ausgegraben und als archäologischer Park hergerichtet, bisher aber noch nicht ausführlich untersucht worden. Es bleibt daher abzuwarten, ob sich in den Ruinen dort Reste des Standortes des Koloss von Rhodos nachweisen lassen.

Zerstörung

Ein starkes, heute in das Jahr 227 v. Chr. zurückdatiertes Erdbeben, das große Zerstörungen in der Stadt hervorrief, brachte auch den Koloss von Rhodos zum Einsturz; eine Quelle besagt, dass das Beben ihn in den Knien umknicken ließ[3]. Das Standbild überdauerte also nur etwa 66 Jahre und war damit das kurzlebigste der Sieben Weltwunder. Nach diesem Erdbeben bekam Rhodos finanzielle Unterstützung aus ganz Griechenland. Ptolemaios III. Euergetes gab auch Geldmittel, um den Koloss wieder aufrichten zu lassen. Die Rhodier ließen die Bronzeteile jedoch liegen und setzten in Umlauf, ein Orakel mit dem Wortlaut Was gut liegt, das soll man nicht von der Stelle bewegen! sei der Grund hierfür. Noch etwa 890 Jahre konnten die Besucher des Heiligtums die Trümmer sehen.

Nach byzantinischer Überlieferung sammelten im Jahr 654 schließlich die Araber unter Muawiya, dem Feldherren des herrschenden Kalifen Uthman ibn Affan und Gouverneur von Syrien, als sie kurzfristig die Insel eroberten, das Metall der Statue ein und verschifften es in den Orient. Ein jüdischer Händler aus Edessa habe das Altmetall auf 900 Kamelen abtransportiert und verkauft.

Der Koloss von Rhodos in der Kunst

Illustration der Legende vom spreizbeinigen Koloss von Rhodos über der Hafeneinfahrt, Book of Knowledge der The Grolier Society (1911).
Der Koloss von Rhodos nach einer Vorstellung von Martin Heemskerck aus dem 16. Jahrhundert.

Seit der Renaissance ist das Bild vom spreizbeinigen Koloss über der Hafeneinfahrt von Rhodos weit verbreitet. Es illustriert eine Legende, die im von Kreuzrittern (Johanniterburg) beherrschten Rhodos des späten 14. Jahrhunderts, vermutlich unter dem frühen Humanisten Großmeister J. Fernandez de Heredia, aufkommt. Man darf annehmen, dass sie auf eine gelehrte, aber falsche Deutung einer antiken Textquelle zurückgeht. Die Johanniter erzählten den christlichen Pilgern, die auf ihrer Reise ins Heilige Land in Rhodos Station machten, dass es in Rhodos einst ein riesiges Götzenbild gegeben habe, das mit einem Fuß auf dem Ende der St. Nikolaus-Mole stand und mit dem anderen auf dem Ende der Mühlen-Mole. Es sei so groß gewesen, dass Schiffe jeglicher Größe unter seinen Beinen hindurch in den Hafen fahren konnten. Nach dieser Legende hat der Koloss von Rhodos mit den Füßen auf den Enden der antiken Molen gestanden und einen ca. 750 m großen Schritt gemacht.

Mit den christlichen Pilgern gelangte die Legende in den Westen. 1554 hat André Thevet in Lyon zum ersten Mal ein Bild vom spreizbeinigen Hafenwächter veröffentlicht (Cosmographie de Levant). Bis heute am bekanntesten ist jedoch die von Philipp Galle 1572 gestochene Zeichnung des Marten van Heemskerck (Colossus Solis, aus: „Octo Mundi Miracula“), die in der Folge häufig kopiert und variiert wurde. Van Heemskerck führt das Attribut des Gefäßes mit der Flamme in der rechten Hand des Kolosses ins Bild ein. Zwar werden im 18. Jahrhundert Zweifel an der Richtigkeit der Legende laut. Der Architekt J.B. Fischer von Erlach (Entwurf einer historischen Architektur, Wien 1721) bemerkt z.B., dass bei einer 70 Ellen hohen Statue der Schritt nicht so weit sein kann, wie es der Wortlaut der Legende vorgibt. Dennoch zeichnet auch er ein Bild in der Tradition van Heemskerck. Der Philologe Comte de Caylus wiederum stellt 1752 fest, dass Legende und antike Überlieferung nicht übereinstimmen. Die Wirkung der Legende und ihrer Illustrationen bis weit in das 19. Jahrhundert beeinflusste das nicht. Fast alle heute auf Rhodos angefertigten Souvenirs vom Koloss gehen auf das Bild des Zeichners P. J. Witdoeck in B. E. A. Rottiers von 1830 (Descriptions des Monuments de Rhodes) zurück. Ein Exemplar dieses Buches besitzt die Antikenverwaltung von Rhodos. In diese Darstellung flossen rationalistische Überlegungen wie die ein, dass der Feuertopf aus statischen Gründen in der Mittelachse der Figur, über dem Kopf, angenommen werden muss.

Die älteste Rekonstruktion des Koloss' von Rhodos als ruhig stehende Figur wird 1939 von A. Gabriel publiziert. In modernen Illustrationen zu den Sieben Weltwundern wird dagegen gerne auf die Rekonstruktion von H. Maryon aus dem Jahre 1956 zurückgegriffen. In jüngster Zeit machen W. Hoepfner und U. Vedder mit Untersuchungen zum Koloss von Rhodos auf sich aufmerksam. Hoepfner rekonstruiert den Koloss von Rhodos dort, wo heute das Kastell St. Nikolaus steht, den Vorstellungen von Vedder folgt dieser Artikel.

Etymologie

Die Wörter „kolossal“ und „Koloss“ entwickelten sich aus dem altgr. „κολοσσός“ und, daraus abgeleitet, aus den lat. Begriffen „colossus“ (Substantiv), "colossaeus, a, um" (Adjektiv). Etymologisch entstammt das Wort einer westkleinasiatischen Sprache (vermutlich dem Phrygischen, siehe den Ortsnamen Kolossai/Colossae). Es bezeichnete zunächst eine Statue in menschlicher Gestalt ohne Größenbezug. Der Begriff fand um 1000 v. Chr. Eingang in das Dorische, das es entsprechend verwandte. Seit der Übertragung des Wortes „kolossos“ auf den Helios von Rhodos wurde es synonym für eine Riesen- oder Kolossalstatue angewandt.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Plinius der Ältere: Naturgeschichte. XXXIV, 18
  2. Philon von Byzanz: Die sieben Weltwunder. IV 3-5
  3. Strabon; Geographie. XIV, 2, 5

Literatur

  • Peter A. Clayton, Martin J. Price (Hrsg.): Die sieben Weltwunder. Reclam, Leipzig 2000, ISBN 3-379-01701-9
  • Wolfram Hoepfner: Der Koloss von Rhodos und die Bauten des Helios. Neue Forschungen zu einem der Sieben Weltwunder. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2003; ISBN 3-8053-3253-X
  • Ursula Vedder, Der Koloss von Rhodos als Wächter über dem Hafeneingang in: Die Sieben Weltwunder der Antike. Wege der Wiedergewinnung aus sechs Jahrhunderten. Ausstellung Winckelmann-Museum Stendal 2003. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2003; ISBN 3-8053-3290-4

Weblinks


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