Hellmut Georg von Gerlach

Hellmut Georg von Gerlach
Hellmut von Gerlach

Hellmut Georg von Gerlach (* 2. Februar 1866 in Mönchmotschelnitz (heute Moczydlnica Klasztorna), Schlesien; † 1. August 1935 in Paris) war ein deutscher Publizist und Politiker.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Hellmut von Gerlach wurde als Sohn des Gutsbesitzers Max von Gerlach und dessen Ehefrau Welly geb. Peyer in Mönchmotschelnitz geboren. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften in Genf, Straßburg, Leipzig und in Berlin trat Gerlach in den preußischen Staatsdienst ein. Während seines Studiums wurde er bereits Mitglied des VDSt. Erste journalistische Sporen verdiente sich Gerlach als Mitarbeiter des Deutschen Adelsblatts.

Im Jahr 1892 kehrte Gerlach dem Staatsdienst den Rücken, um sich ausschließlich politischer und journalistischer Arbeit zu widmen. Zunächst stand er dem christlich-sozialen, antisemitischen Flügel der Konservativen um Adolf Stoecker nahe. Von 1892 bis 1896 war er Redakteur der christlich-sozialen Tageszeitung Das Volk. Unter dem Einfluss Friedrich Naumanns entwickelte Gerlach jedoch bald eine liberale politische Haltung. Mit seinem Bundesbruder Naumann gründete er 1896 den Nationalsozialen Verein.

Von 1898 bis 1901 und erneut von 1906 an war er Chefredakteur der Berliner Wochenzeitung Die Welt am Montag. In seinen Beiträgen fordert er politische Reformen zur Parlamentarisierung des Reichs. Gerlach bearbeitete intensiv zwei Wahlkreise, um für die Nationalsozialen in das Preußische Abgeordnetenhaus und in den Reichstag zu gelangen. Im preußischen Abgeordnetenhauswahlkreis Lingen-Bentheim im äußersten Westen der Provinz Hannover an der niederländischen Grenze gründete er dazu nationalsoziale Arbeitervereine, die in den Textilarbeitergemeinden Nordhorn, Schüttorf und Gildehaus sowie unter den Eisenbahnarbeitern in Lingen an der Ems viel Zulauf erhielten. 1898 gewann er so viele Wahlmänner, dass im Bündnis mit dem Zentrum in diesem Teil des ehemaligen Reichstagswahlkreises Ludwig Windthorsts trotz des Wahldrucks gegen seine Anhänger und die Zentrumspartei die Wahl Gerlachs in das Preußische Abgeordnetenhaus zum Greifen nahe schien. Da boten die nationalliberalen Fabrikanten dem bislang so verhassten Zentrum an, einen Zentrumsmann zu wählen, um einen Sieg von Gerlachs zu verhindern. Da er die bislang duldsame Arbeiterschaft organisierte, wurden hier er und die Nationalsozialen für einige Jahre das Feindbild der Fabrikanten schlechthin. Das Zentrum nahm das Angebot der Nationalliberalen an, so dass es hier zu einem weithin Aufsehen erregenden Stimmverhalten der Nationalliberalen kam. Obwohl von Gerlach mit der angekauften „Schüttorfer Zeitung“ ein höchst aktives Presseorgan zu seiner Unterstützung besaß und er bei den nächsten Wahl 1903 seine Stimmenzahl steigern konnte, blieb seine Bewerbung ebenso erfolglos wie die Kandidaturen im Reichstagswahlkreis „Meppen“ im Januar und Juni 1903.

Seine politische Arbeit im Reichstagswahlkreis Marburg-Frankenberg-Kirchhain war jedoch erfolgreicher. Als einziger Nationalsozialer gehörte von Gerlach vom Juni 1903 bis zum Januar 1907 dem Reichstag an. Dort schloss er sich als Hospitant der linksliberalen Freisinnigen Vereinigung im Reichstag an, da sich der Nationalsoziale Verein nach der Wahlniederlage von 1903 auflöste. Gewählt wurde er mit Hilfe des Zentrums und der SPD. 1907 verlor er den Wahlkreis an einen Angestellten des Deutschen Landbundes. 1908 verließ Gerlach die Freisinnige Vereinigung und wurde Mitbegründer der Demokratischen Vereinigung.

Im Ersten Weltkrieg nahm Gerlach eine pazifistische Haltung ein. Überzeugt von der deutschen Kriegsschuld, forderte er in seiner Zeitung Welt am Montag eine Verständigungspolitik. 1918 gehörte er mit Friedrich Naumann zu den Gründern der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und der Deutschen Friedensgesellschaft. 1918/1919 war Gerlach Unterstaatssekretär im preußischen Innenministerium. In diesem Amt setzte er sich für die deutsch-polnische Aussöhnung ein und war infolgedessen heftigen Anfeindungen ausgesetzt.

1919 trat er dem Rat des Internationalen Friedensbüros bei. Als Journalist kämpfte er gegen politische Umsturzversuche rechtsgerichteter Kreise. So trat er für die Erfüllung des Versailler Vertrags ein und prangerte die illegale Aufrüstung an. In der Welt am Montag setzte er sich besonders für eine deutsch-französische Verständigung ein. 1920 entging Gerlach nur knapp einem Mordanschlag nationalistischer Kreise. 1922 trat er aus der DDP aus und wurde 1926 Vorsitzender der Deutschen Liga für Menschenrechte. In dieser Funktion nahm er an mehreren internationalen Friedenskongressen teil. 1930 wurde Gerlach Gründungsmitglied der politisch einflusslosen Radikaldemokratischen Partei.

Für den inhaftierten Carl von Ossietzky übernahm er 1932 die politische Leitung der Zeitschrift Die Weltbühne. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1933 ging Gerlach ins Exil nach Österreich; er stand auch auf der Ersten Ausbürgerungsliste des Deutschen Reichs von 1933. Auf Einladung der französischen Liga für Menschenrechte siedelte er nach Paris über, wo er sein journalistisches und pazifistisches Engagement fortsetzte und vor dem nationalsozialistischen Regime warnte.

Er nominierte erfolgreich Carl von Ossietzky für den Nobelpreis.[1]

Am 1. August 1935 starb Hellmut von Gerlach im Alter von 69 Jahren in Paris.

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Sozialdemokratisch oder nationalsozial. Redekampf zwischen Molkenbuhr und von Gerlach zu Emden am 15. November 1899, Emden 1900
  • Die freisinnige Vereinigung im Parlament, Berlin 1907
  • Das Parlament, Frankfurt am Main 1907
  • Die Geschichte des preußischen Wahlrechts, Berlin 1908
  • August Bebel. Ein biographischer Essay, München 1909
  • Meine Erlebnisse in der Preußischen Verwaltung, Berlin 1919
  • Der Zusammenbruch der deutschen Polenpolitik, Berlin 1919
  • (als Herausgeber:) Briefe und Telegramme Wilhelms II. an Nikolaus II (1894–1914), Wien 1920
  • Die deutsche Mentalität. 1871-1921, Ludwigsburg 1921
  • Erinnerungen eines Junkers, Berlin 1924
  • Die große Zeit der Lüge, Charlottenburg 1926
  • Von rechts nach links, hrsg. v. Emil Ludwig. Zürich 1937 (Autobiografie, postum erschienen)

Literatur

  • Dieter Düding, Der nationalsoziale Verein 1896 bis 1903. Der gescheiterte Versuch einer parteipolitischen Synthese von Nationalismus, Sozialismus und Liberalismus (= Studien zur Geschichte des 19. Jahrhunderts, Abhandlung der Forschungsabteilung des Historischen Seminars der Universität Köln Bd. 6), München/Wien 1972.
  • Joachim Gauger, Geschichte des Nationalsozialen Vereins samt einer Darstellung seiner ideellen und tatsächlichen Herkunft – als Teil einer evangelischen Parteigeschichte, (Diss. Münster) Wuppertal-Elberfeld 1935.
  • Ursula Susanna Gilbert, Hellmut von Gerlach (1866-1935). Stationen eines deutschen Liberalen vom Kaiserreich zum „Dritten Reich“, Frankfurt/Main 1984.
  • Ruth Greuner, Wandlungen eines Aufrechten. Lebensbild Hellmut von Gerlachs. Buchverl. Der Morgen, Berlin 1965.
  • Bernd Haunfelder, Die liberalen Abgeordneten des Deutschen Reichstags 1871-1918. Ein biographisches Handbuch, Münster 2004, S. 153-154.
  • Hellmut Holl, Art. Hellmut von Gerlach, in: Helmut Donat/Karl Holl (Hrsg.), Die Friedensbewegung. Organisierter Pazifismus in Deutschland, Österreich und in der Schweiz (= Hermes Handlexikon), Düsseldorf 1983, S. 156-159.
  • Helmut Lensing, Die Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus im Wahlkreis Lingen-Bentheim 1867 - 1913, in: Osnabrücker Mitteilungen Bd. 98, Osnabrück 1993, S. 161-204.
  • Helmut Lensing, Die Wahlen zum Reichstag und zum Preußischen Abgeordnetenhaus im Emsland und in der Grafschaft Bentheim 1867 bis 1918 - Parteiensystem und politische Auseinandersetzung im Wahlkreis Ludwig Windthorsts während des Kaiserreichs (= Emsland/Bentheim. Beiträge zur Geschichte Bd. 15. Hrsg. von der Emsländischen Landschaft für die Landkreis Emsland und Grafschaft Bentheim), Sögel 1999.
  • Helmut Lensing, Wahlmanipulationen im Landtagswahlkreis Lingen-Bentheim, in: Osnabrücker Mitteilungen Bd. 104, Osnabrück 1999, S. 253-275.
  • Carl Schneider, Die Publizistik der national-sozialen Bewegung 1895-1903, Wangen i. A. 1934 (Diss. Berlin).
  • Franz Gerrit Schulte, Der Journalist Hellmut von Gerlach, München 1988.
  • Martin Wenck, Die Geschichte der Nationalsozialen von 1895 bis 1903, Berlin 1905.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Nominierung. Insgesamt wurde Ossietzky 93 Mal nominiert, bis ihm 1936 der Friedensnobelpreis für das Jahr 1935 zugesprochen wurde (vgl. nobelprize.org).

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