Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige

Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige

Die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) war eine Organisation, die bundesweit rechtsextreme verurteilte Straftäter während und nach ihrer Haftzeit in Justizvollzugsanstalten betreute und unterstützte. Zuletzt hatte die Organisation rund 600[1] Mitglieder und gehörte damit zu den mitgliederstärksten rechtsextremen Organisationen in Deutschland. Ihren letzten Sitz hatte sie in Frankfurt am Main, ihre letzte Adresse war hingegen in Mainz-Gonsenheim. Am 21. September 2011 wurde die Organisation durch einen Erlass des zuständigen Bundesministers des Innern Hans-Peter Friedrich verboten.

Inhaltsverzeichnis

Aufgaben

Die inhaftierten Gesinnungsgenossen, von der HNG als „politische Gefangene“ bzw. „nationale Gefangene“ bezeichnet, wurden mit Propagandamaterial versorgt, ihnen wurden „Brieffreundschaften“ und Kontakte in die Szene vermittelt und es wurde für finanzielle Unterstützung gesorgt. Dabei wurden diese Hilfsleistungen auch bis dahin unorganisierten Neonazis oder Gefangenen ohne politischen Hintergrund angeboten, um sie für die Neonazi-Szene anzuwerben.[2] Außerdem vermittelte die Organisation Anwälte im Zusammenhang mit Gerichtsverhandlungen gegen Neonazis und betreute die Angeklagten bei Prozessen. Ziel der psychischen und materiellen Unterstützung war die Erhaltung der „Kampfmoral“ und die Vermeidung eines Ausstiegs aus der Neonaziszene.

Gründung und Mitglieder

Die 1979 gegründete HNG (Registrierung beim Amtsgericht Frankfurt am Main am 21. September) betreute nach eigenen Angaben zwischen 50 und 100 Gefangene, die in einem monatlich erscheinenden Nachrichtenblatt der Organisation mit dem Titel „Nachrichten der HNG“ namentlich genannt wurden.[3] So wurden beispielsweise von 2000 bis einschließlich März 2001 Inhaftierte aus circa 70 Justizvollzugsanstalten (JVA) in insgesamt dreizehn Bundesländern aufgeführt.[3] Unter ihnen waren bzw. sind mehrere wegen Mordes oder versuchten Mordes Verurteilte, Kriegsverbrecher wie Erich Priebke,[2] Josef Schwammberger oder Terroristen wie Stefan Michael Bar, Gottfried Küssel, Peter Naumann und Steven Smyrek sowie Holocaust-Leugner wie Udo Walendy. Der HNG gehörten ehemalige Mitglieder nahezu aller verbotenen neonazistischen Organisationen an.

In den 1980er Jahren war Christa Görth aus Bielefeld Vorsitzende der HNG. Sie stammte aus dem Umfeld von Michael Kühnen und der Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA). Von 1991 bis Juli 2011 war Ursula Müller die Vorsitzende, ihr folgte Daniela Wegener. Bekannte Mitglieder waren bzw. sind Siegfried Borchardt, Norman Bordin, Friedhelm Busse, Günter Deckert, Thomas Gerlach, Lutz Giesen, Christian Hehl, Manfred Roeder, Frank Schwerdt, Norbert Weidner, Hans-Christian Wendt und Christian Worch.

Die Nachrichten der HNG

Mit den Nachrichten der HNG gab die Organisation eine monatlich erscheinende Zeitschrift mit einer Auflage von etwa 700 Exemplaren heraus. In den Publikationen sollte anhand von Berichten über „Repressionen“ gegenüber „nationalen Gefangenen“ im Justizvollzug die politische Verfolgung des „nationalen Widerstandes“ in der Bundesrepublik Deutschland dokumentiert werden. Hier wurden regelmäßig aktualisierte Listen der betreuten Häftlinge veröffentlicht.[2] Dabei wurde unterschieden zwischen einer eigentlichen Gefangenenlisten mit etwa zehn prominenten Personen in Deutschland und zehn bis 15 Personen im Ausland (darunter vor allem die USA, Großbritannien, Frankreich und Italien) und einer wesentlich längeren Liste von Personen, die „Briefkontakt wünschen“. Bei der letzten Personengruppe handelte es sich fast ausschließlich um Straftäter, die sich wegen Gewaltstraftaten oder Morden mit rassistischem Hintergrund in Haft befanden. Die „Gefangenenliste“ der HNG wurde auch in zahlreichen anderen Publikationen der Neonaziszene und im Internet veröffentlicht.

Jahreshauptversammlungen der HNG

Die Vereinigung organisierte einmal im Jahr einen Kongress bzw. eine Jahreshauptversammlung an wechselnden Orten in der Bundesrepublik. Diese wurden regelmäßig von 150 bis 400 Personen besucht, darunter zahlreiche prominente Vertreter des neonazistischen und extrem rechten Spektrums wie Führungskader der Freien Kameradschaftsszene und der verbotenen Neonazi-Skinhead-Organisation Blood and Honour, aber auch Vertreter der NPD, der DVU und ehemalige Republikaner. Solche Versammlungen fanden beispielsweise im März 1996 in Bad Dürkheim (Rheinland-Pfalz), am 13. März 1999 in Schwarzach am Main (Unterfranken), am 18. März 2000 in Kalbach (Hessen), am 31. März 2001 in Spiekershausen (Süd-Niedersachsen), am 23. März 2002 in Hessisch Lichtenau (Hessen), am 15. März 2003 in Alzenau-Wasserlos (Unterfranken) und am 20. März 2004 in Gremsdorf (Mittelfranken) statt. Bei der Jahreshauptversammlung der HNG e. V. am 9. April 2005, die erneut in Gremsdorf durchgeführt wurde, referierte Olaf Rose, der auch den umstrittenen Film „Geheimakte Heß“ über Rudolf Heß drehte. Thorsten Heise überbrachte ein Grußwort der NPD-„Kameraden“ und Ralph Tegethoff erinnerte als letzter Redner in seinem Vortrag „an die letzten Kriegstage des Großdeutschen Reiches und seine tapferen Töchter und Söhne, die noch in den letzten Kriegstagen und darüber hinaus ihr Leben für die Heimat gaben“ (NPD-Pressemitteilung).

Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden und der Bundesregierung

2001 stellte die Bundesregierung fest, dass „durch Inhalte in der Publikation „Nachrichten der HNG“. .. der Eindruck vermittelt (werde), dass insbesondere Delikte wie das Verbreiten von Propagandamitteln für verfassungswidrige Organisationen, das Verwenden von deren Kennzeichen oder die Volksverhetzung mit rechtsextremistischem Hintergrund nicht strafwürdig seien. Entsprechende Verurteilungen, so die Argumentation dort, seien vielmehr Ausdruck nicht zu rechtfertigender staatlicher Unterdrückung. So werde einem Unrechtsbewusstsein potenzieller Straftäter entgegengewirkt. Dies könne durchaus im Einzelfall die Hemmschwelle für die Begehung rechtsextremistischer Straftaten mindern.“[3] Die Mitgliederzahl wurde für das Jahr 2000 mit 550 angegeben.[3] Seither stiegen die Mitgliederzahl und der Einfluss der Organisation kontinuierlich an, so dass in einem Spiegel-TV-Bericht im November 2005 festgestellt wurde, dass „in den Gefängnissen. .. die Propaganda-Arbeit der HNG massiv die Resozialisierung der rechtsextremistischen Täter (behindert)“.

Über die Gefangenenbetreuung hinaus diente die HNG auch zur Kontaktpflege von eigentlich miteinander rivalisierenden Organisationen und Personen innerhalb des stark zersplitterten extrem rechten/neonazistischen Spektrums. Zu dieser Einschätzung gelangte auch der Verfassungsschutzbericht 2000: „Für die rund 550 Mitglieder - überwiegend aus der zersplitterten Neonaziszene - besitzt die HNG die Funktion einer Klammer, die einen gewissen Zusammenhalt der Szene sichert.“

Razzia 2010

Im September 2010 fand auf Veranlassung des Bundesministeriums des Innern eine bundesweite Razzia gegen die Organisation statt. In mehreren Bundesländern, darunter Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, wurden Räume der Gruppe polizeilich durchsucht.[4]

Verbot 2011

Der Bundesminister des Innern, Hans-Peter Friedrich, verbot die Organisation am 21. September 2011 durch einen Erlass.[5] Friedrich begründete das Verbot damit, dass es „nicht länger hinnehmbar sei, dass inhaftierte Rechtsextremisten durch die HNG in ihrer aggressiven Haltung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bestärkt werden.“ Aus „Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates sowie der Verherrlichung des Nationalsozialismus versuchte die HNG, rechtsextreme Straftäter in der Szene zu halten.“ Die HNG habe zur „Radikalisierung der Neonaziszene beigetragen.“[6]

Einzelnachweise

  1. Bundesweite Razzia gegen Neonazi-Gruppe auf tagesschau.de, 6. September 2010
  2. a b c Jan-Henrik Buschbom: Die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. - Ein Portrait.
  3. a b c d „Keine Verfestigung rechtsextremistischer Strukturen über Strafgefangene“. hib-Meldung 145/2001 vom 28. Mai 2001.
  4. Bundesweite Razzia gegen neonazistische Gruppe Hannoversche Allgemeine, 7. September 2010. Abgerufen am 22. September 2011
  5. Patrick Gensing: Neonazi-Organisation HNG verboten. In: NPD-Blog. 21. September 2011
  6. Bundesministerium des Innern: Bundesinnenminister verbietet neonazistische Gefangenenhilfsorganisation. Pressemitteilung vom 21. September 2011

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige — Die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) mit Sitz in Frankfurt am Main gehört mit etwa 550 Mitgliedern zu den größten und einflussreichsten rechtsextremen Organisationen in Deutschland. Sie betreut… …   Deutsch Wikipedia

  • Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene — Die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) mit Sitz in Frankfurt am Main gehört mit etwa 550 Mitgliedern zu den größten und einflussreichsten rechtsextremen Organisationen in Deutschland. Sie betreut… …   Deutsch Wikipedia

  • Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene — Die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) mit Sitz in Frankfurt am Main gehört mit etwa 550 Mitgliedern zu den größten und einflussreichsten rechtsextremen Organisationen in Deutschland. Sie betreut… …   Deutsch Wikipedia

  • Nationale Sammlung (Deutschland) — Die Nationale Sammlung (NS) war eine am 15. Juli 1988 von Michael Kühnen gegründete und am 9. Februar 1989 durch das Bundesinnenministerium verbotene rechtsextreme Organisation neonazistischer Prägung. Zum Verbotszeitpunkt gehörten der Nationalen …   Deutsch Wikipedia

  • Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten — Die Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA) war eine deutsche neonazistische Organisation. Sie wurde im November 1977 unter dem Namen ANS vom früheren Leutnant der Bundeswehr Michael Kühnen in Hamburg Wandsbek gegründet …   Deutsch Wikipedia

  • Ursula und Curt Müller — Ursula Müller (* 8. Dezember 1933) und ihr Ehemann Curt Müller (* 19. Juni 1930) sind deutsche Aktivisten in der Neonaziszene. Sie leben in Mainz Gonsenheim. Inhaltsverzeichnis 1 Aktivitäten im rechtsextremen Spektrum 2 Das Anwesen der Müllers in …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Söhne und Töchter von Chemnitz — Dies ist eine Liste der Persönlichkeiten der Stadt Chemnitz. siehe auch Liste der Oberbürgermeister der Stadt Chemnitz Ehrenbürger Die folgende Übersicht enthält Personen, die von der Stadt Chemnitz die Ehrenbürgerwürde verliehen bekamen. Die… …   Deutsch Wikipedia

  • Fest der Völker — „Fest der Völker – Für ein Europa der Vaterländer“ ist das Motto eines großen Rechtsrock Festivals im thüringischen Jena, das erstmals am 11. Juni 2005 stattfand. An der Veranstaltung der NPD nahmen mehrere führende Vertreter rechtsextremer… …   Deutsch Wikipedia

  • Frank Schwerdt — (* 1944 in Berlin) ist stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD, Landesvorsitzender der NPD Thüringen sowie Kreisvorsitzender der NPD Erfurt. Er gilt als Schlüsselfigur rechtsextremer Bildungsarbeit. Frank Schwerdt bei einer rechtsextremen… …   Deutsch Wikipedia

  • Bund Freier Jugend — Der Bund freier Jugend (BfJ) ist eine österreichische rechtsextreme Jugendorganisation mit völkischer Ausrichtung.[1] Sie ist die Jugendorganisation der Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AFP); ihr Tätigkeitsschwerpunkt liegt in… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”