Hilfsverben

Hilfsverben

Als Hilfsverb bezeichnet man in der Sprachwissenschaft bestimmte Verben, deren Funktion darin liegt, die Bedeutung der von ihnen begleiteten Vollverben zu modifizieren. Dabei verschmelzen Hilfs- und Vollverb zu einem mehrteiligen Prädikat. Hilfsverben sind nicht als eine bestimmte Wortklasse zu verstehen, sondern es sind Verben, die syntaktisch eine bestimmte semantische Funktion übernehmen. Das kann die gleiche Funktion sein, die auch flektierende Verb-Endungen ausdrücken, beispielsweise das Markieren der Zeitform des Verbs als Vergangenheit. Im Fall der Flexion durch Endungen spricht man von synthetischem Satzbau, bei Modifikation durch Hilfsverben von analytischem.

Inhaltsverzeichnis

Hilfsverben im Deutschen

Im Deutschen sind die Verben haben, werden und sein zur Bildung der Perfekt-, Plusquamperfekt- und Zukunftsformen (Futur) sowie zur Konstruktion des Passivs gebräuchlich. Auch die Kombination mehrerer Hilfsverben ist möglich.

Weit verbreitet ist ferner die analytische Irrealis- bzw. Konjunktiv-II-Bildung mit würde: „wenn er kommen würde“ statt „wenn er käme“. Sie ist mittlerweile bei vielen unregelmäßig konjugierten Verben zur Standardform für den Konjunktiv II geworden, die Form er würde waschen ist mittlerweile weit gebräuchlicher als er wüsche. Da bei vielen Verben Indikativ Präteritum und Konjunktiv II bei manchen Personen identisch sind (sie hielten ihn für einen Franzosen), wird auch hier für den Konjunktiv zur Unterscheidung die Umschreibung mit Hilfsverb (sie würden ihn für einen Franzosen halten) verwendet.

Syntaktisch wird die Verbindung von Hilfs- zu Vollverb im Fall der Perfekt- und der Passivbildung durch eine Partizipialkonstruktion realisiert, die Futur- und Konjunktivbildung durch eine Infinitiv-Konstruktion.

Vom Präsens er verzaubert werden die folgenden finiten Verbformen gebildet:

Indikativ
  Aktiv Passiv Zustandspassiv
Präsens   er wird verzaubert er ist verzaubert
Perfekt er hat verzaubert er ist verzaubert worden  
Präteritum   er wurde verzaubert er war verzaubert
Plusquamperfekt er hatte verzaubert er war verzaubert worden  
Futur I er wird verzaubern er wird verzaubert werden er wird verzaubert sein
Futur II er wird verzaubert haben er wird verzaubert worden sein  
Konjunktiv I
  Aktiv Passiv Zustandspassiv
Präsens   er werde verzaubert er sei verzaubert
Perfekt er habe verzaubert er sei verzaubert worden  
Futur I er werde verzaubern er werde verzaubert werden er werde verzaubert sein
Futur II er werde verzaubert haben er werde verzaubert worden sein  
Konjunktiv II
  Aktiv Passiv Zustandspassiv
Präteritum   er würde verzaubert er wäre verzaubert
Plusquamperfekt er hätte verzaubert er wäre verzaubert worden  
Futur I er würde verzaubern er würde verzaubert werden er würde verzaubert sein
Futur II er würde verzaubert haben er würde verzaubert worden sein  

Andere Wörter in Hilfsverb-Funktion

Auch das Verb „tun“ kann im Deutschen – allerdings nur umgangssprachlich – die Rolle eines Hilfsverbs übernehmen, beispielsweise in „Tust du noch rauchen?“ Die semantische Funktion in dieser Verwendung ist üblicherweise das Ausdrücken des Aspekts des Andauerns, welches in anderen Sprachen – z.B. slawischen – analytisch geschieht (mittels flektierten Verbindungen, Stamm-Beugung oder Präfigierung; siehe auch Aorist). Das Verb „tun“ erfüllt umgangssprachlich in Süddeutschland auch die Funktion des Hilfsverbs „werden“ für den Konjunktiv II: Ich tät ja gern aufhören, aber ich rauch halt so gern.

Das Verb gehören wird umgangssprachlich wie ein Hilfsverb mit dem Passivpartizip gebraucht, um die Notwendigkeit einer passiven Handlung auszudrücken: Eins gehört gehört: SWR1 (Werbespruch des SWR).

Gebrauch der Hilfsverben als Vollverben

Nicht in jeder Verwendung sind die Verben „haben“, „werden“ oder „sein“ Hilfsverben. Sie können auch als eigenständige Verben auftreten.

„Sein“ wird am häufigsten als Kopula verwendet; dem Satzsubjekt wird mit Hilfe des Verbs „sein“ eine Eigenschaft zugeordnet („Das Buch ist blau“, „Ich bin müde“). „Haben“ dient zumeist besitzanzeigend oder als Zuordnung eines Sachverhaltes zum Subjekt („Otto hat ein Auto“, „Ich habe Bauchschmerzen“). „Werden“ kann eine Entwicklung bzw. einen Zustandsübergang anzeigen („Ich werde gleich ziemlich wütend“, „Er wird mit seiner Arbeit langsam fertig“). Das Passivpartizip von „werden“ ist hierbei regulär „geworden“, im Gegensatz zur Form „worden“, die beim Hilfsverb „werden“ gebraucht wird.

Gebrauch von „sein“, „haben“ und „werden“ als modifizierende Verben (Modalverben)

In der Infinitivkonstruktion „wir haben unsere Verbündeten zu verteidigen“ wird „haben“ als Modalverb im Sinn von „müssen“ (in der Negation auch „dürfen“) verwendet. Entsprechendes gilt für die Verwendung von „sein“ in Ausdrücken wie „Dieser Antrag ist zu genehmigen“ („Dieser Antrag muss genehmigt werden“). In Konstruktionen wie „Das Mädchen wird 20 Jahre alt sein.“ („Das Mädchen scheint 20 Jahre alt zu sein.“) hat „werden“ eine modale Bedeutung, denn es drückt keine zukünftige Handlung aus, sondern modifiziert die Aussage. Oft wird das modale „werden“ auch mit der Modalpartikel „wohl“ kombiniert: „Der Chef ist noch nicht gekommen. Er wird wohl krank sein.“

Hilfsverben in anderen Sprachen

Die Entsprechungen von haben und sein werden auch in vielen anderen indogermanischen Sprachen verwendet, z.B. im Französischen (avoir „haben“, être „sein“). Teilweise wird auch nur eines der Verben verwendet; im Bulgarischen wird z.B. ausschließlich съм „sein“ zur Bildung von Perfekt und Plusquamperfekt verwendet, während имам „haben“ hier nicht als Hilfsverb verwendet wird. Umgekehrt verwenden manche Sprachen auch andere Verben als Hilfsverben, z.B. im Bulgarischen щe/щях (eigentlich „wollen“) zur Bildung der Futurformen.

Im Italienischen können bei der Passivbildung die Verben andare (gehen) und venire (kommen) statt des sonst verwendeten essere (sein) gebraucht werden, wobei andare eine Notwendigkeit ausdrückt: Questo libro va letto (etwa: Dieses Buch gehört gelesen).

Im Englischen werden Hilfs- und Modalverben als auxiliary verbs zusammengefasst, da sie sich voneinander grammatisch weniger stark unterscheiden als im Deutschen. Beispiele für Hilfsverben im Sinne der deutschen Grammatik sind neben be (sein) und have (haben) auch will (für die Bildung des Futurs) und get (eigtl. bekommen, für die Bildung des Passivs).

Literatur

  • Annette Fischer / Werner Abraham: Das grammatische Optimalisierungsszenario von tun als Hilfsverb. In: Karin Donhauser / Ludwig M. Eichinger (Hrsg.): Deutsche Grammatik - Thema in Variationen. Festschrift für Hans-Werner Eroms zum 60. Geburtstag. Heidelberg 1998

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