Histrionische Persönlichkeitsstörung

Histrionische Persönlichkeitsstörung
Vergleichende Klassifikation nach
ICD-10   DSM-IV
F60.4 Histrionische Persönlichkeitsstörung 301.50 Histrionische Persönlichkeitsstörung
ICD-10 online DSM IV online

Die histrionische Persönlichkeitsstörung (HPS) (von englisch histrionic „schauspielerisch; theatralisch, affektiert“ zu lateinisch histrio „Schauspieler“) ist gekennzeichnet durch egozentrisches und theatralisches Verhalten. Als Bezeichnung für eine Persönlichkeitsstörung ist die HPS aus dem nur noch von der psychoanalytischen Schule verwendeten Begriff Hysterie herausgelöst und von der Konversionsstörung abgetrennt worden. Diese neue Begrifflichkeit hat sich wegen der sehr abwertenden volkstümlichen Konnotation des Begriffes Hysterie in Verbindung mit einer Bedeutungsverschiebung im Vergleich zur fachlichen Bedeutungsbelegung als notwendig erwiesen.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Das Störungsbild ist gekennzeichnet durch eine übertriebene Emotionalität und ein übermäßiges Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Bestätigung, Anerkennung und Lob. Fallschilderungen beschreiben die oberflächlich anmutende Präsentation von Gefühlen im Kontakt, verbunden mit unerwarteten und spontanen Wechseln, die für Gesprächspartner nur schwer nachvollziehbar sind und zudem mit einer geringen Frustrationstoleranz, ausgerichtet auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung, einhergehen. „Bereits geringfügige Anlässe führen zu extrem anmutenden Gefühlsveränderungen, die ihrerseits eine Veränderung des affektiven Erlebens, kognitiven Urteilens und Handelns anderer in der Situation mitbewirken“.[1]

Als Diagnoseinstrument dient das Testverfahren Hypochondrie-Hysterie-Inventar (HHI)[2], mit dessen Hilfe interaktionelle Besonderheiten wie Extravertierung, Ungezwungenheit und Kontaktfreudigkeit, in Stress-Situationen jedoch Schuldabwehr, Selbstmitleid oder aggressives Verhalten aufgezeigt werden.[1]

Klassifizierung nach ICD und DSM

ICD-10

Nach ICD-10 müssen mindestens vier der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen:

  1. dramatische Selbstdarstellung, theatralisches Auftreten oder übertriebener Ausdruck von Gefühlen;
  2. Suggestibilität, leichte Beeinflussbarkeit durch andere oder durch Ereignisse (Umstände);
  3. oberflächliche, labile Affekte;
  4. ständige Suche nach aufregenden Erlebnissen und Aktivitäten, in denen die Betreffenden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen;
  5. unangemessen verführerisches Erscheinen oder Verhalten;
  6. übermäßige Beschäftigung damit, äußerlich attraktiv zu erscheinen.

Egozentrik, Selbstbezogenheit, dauerndes Verlangen nach Anerkennung, fehlende Bezugnahme auf andere, leichte Verletzbarkeit der Gefühle und andauerndes manipulatives Verhalten vervollständigen das klinische Bild, sind aber für die Diagnose nicht erforderlich.

DSM-IV

Nach DSM-IV ist die HPS charakterisiert durch ein tiefgreifendes Muster übermäßiger Emotionalität oder Streben nach Aufmerksamkeit. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter, und die Störung zeigt sich in verschiedensten Situationen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

  1. fühlt sich unwohl in Situationen, in denen er/sie nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht,
  2. die Interaktion mit anderen ist oft durch ein unangemessen sexuell-verführerisches oder provokantes Verhalten charakterisiert,
  3. zeigt rasch wechselnden und oberflächlichen Gefühlsausdruck,
  4. setzt regelmäßig seine körperliche Erscheinung ein, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken,
  5. hat einen übertrieben impressionistischen, wenig detaillierten Sprachstil,
  6. zeigt Selbstdramatisierung, Theatralik und übertriebenen Gefühlsausdruck,
  7. ist suggestibel, das heißt leicht beeinflussbar durch andere Personen oder Umstände,
  8. fasst Beziehungen enger auf, als sie tatsächlich sind.

Differentialdiagnose und Behandlung

Hilfe wird im Allgemeinen nicht wegen HPS, sondern wegen Depressionen oder dissoziativer Störungen (s. auch als Konversionsstörung bezeichnet), die Organbeschwerden ähnlich sein können, die bis zu Blindheit oder Lähmungen reichen können, aufgesucht. Da die Beschwerden subjektiv sind, sollte man sich vor Fehldiagnosen hüten. Dabei ist in der diagnostischen und therapeutischen Interaktion zu berücksichtigen, dass es sich bei dissoziativen Störungen nicht um Simulation oder bewusstes Agieren handelt. Auch psychosomatische Beschwerden, die persönlichkeits- und störungsunabhängig auftreten und Reaktionen auf verschiedenste innerpsychische Konflikte sein können, sind hiervon zu trennen. Depressive Beschwerden werden wiederum im Rahmen des histrionischen Erlebens mit dem Ziel sekundären Krankheitsgewinns verarbeitet, so dass sie sich oft als die für das soziale Umfeld und die Therapeuten sehr belastende Jammerdepression äußern. Es sei noch darauf hingewiesen, dass Histrioniker im Rahmen ihres manipulativen bzw. provokanten Verhaltens, aber auch Narzissten oder bei narzisstischer Auslenkung/Komorbidität der HPS wegen ihrer oft zu beobachtenden eingeschränkten Fähigkeit bzw. auch fehlenden Willens, ihren Mitmenschen zuzuhören (s.u.) und/oder erlernte Inhalte zu behalten, aber auch bei dissoziativen Bewußtseinsstörungen (dissoziatives Vergessen, dissoziative Schwerhörigkeit) als ADHS/ADS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, Aufmerksamkeitsdefizitssyndrom) fehldiagnostiziert werden, was oftmals eine kontraindizierte Behandlung mit Ritalin zur Folge hat. Da auch Kinder häufig schon im Schulalter deutliche histrionische Auslenkungen zeigen können, sollte man sich vor besagter sehr häufiger Fehldiagnose hüten. Histrioniker sind schwer zu behandeln, da sie ihr Verhalten nur langsam und schwer ändern können und ihnen oftmals die nötige Einsicht fehlt. Sie können manipulierend auf ihren Therapeuten einwirken und somit die Behandlung in eine falsche Richtung lenken. Er sollte dem Patienten die psychische Ursache seiner Beschwerden verdeutlichen und dynamisch und unterstützend auf ihn einwirken. Hierbei ist eine klare Begrenzung des Patienten hinsichtlich seines Agierens bzw. seiner manipulativen Verhaltensweisen sinnvoll. Auch kann es helfen, dem Betroffenen sein Verhalten zu spiegeln. Bei apellativen Suizidankündigungen und/oder parasuizidalen Handlungen kann paradox interveniert (paradoxe Intervention) werden, was aber dem in der Diagnostik und Behandlung suizidaler Störungen erfahrenen Therapeuten vorbehalten bleiben sollte.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b Peter Fiedler: Persönlichkeitsstörungen. 6 Auflage. Beltz, Weinheim, Basel 2007, ISBN 9783621276221., Seite 190–199
  2. Fritz Süllwold: Das Hypochondrie-Hysterie-Inventar (HHI). Konzept, Theorie, Konstruktion, meßtheoretische Qualitätskriterien, Normen und Anwendungsmöglichkeiten. In: Arbeiten aus dem Psychologischen Institut. Nr. 6, 1994.

Literatur

  • Aaron T. Beck, Arthur Freeman, Denise D. Davis and Associates: Cognitive Therapy of Personality Disorders, 2nd edition. The Guilford Press, 2007, ISBN 1-59385-476-5.
  • Annegret Eckhardt-Henn, Otto F. Kernberg, Peter Buchheim, Birger Dulz: Die hysterische, histrionische Persönlichkeitsstörung. In: Persönlichkeitsstörungen, Theorie und Therapie Heft 3, Schattauer, Stuttgart / New York, NY 2000, S. 127–175 ISBN 3-7945-1907-8
  • Peter Fiedler: Persönlichkeitsstörungen. 6 Auflage. Beltz, Weinheim, Basel 2007, ISBN 9783621276221.
  • Sven Olaf Hoffmann, Frank R. Hochapfel, Annegret Eckhardt-Henn, Gereon Heuft (Hrsg.): Neurotische Störungen und psychosomatische Medizin. Mit einer Einführung in Psychodiagnostik und Psychotherapie [CompactLehrbuch]. 8., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Schattauer, Stuttgart / New York, NY 2009, ISBN 978-3-7945-2619-2.
  • Karl König: Einführung in die psychoanalytische Krankheitslehre. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen / Zürich 1997, ISBN 3-525-45788-X.
  • Stavros Mentzos: Hysterie. Zur Psychodynamik unbewusster Inszenierungen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen / Zürich 2004, ISBN 3-525-46199-2.
  • Fritz Riemann: Grundformen der Angst. Eine tiefenpsychologische Studie, 39. Auflage, Reinhardt, München / Basel 2009 (Erstausgabe 1961) ; ISBN 978-3-497-00749-3.
  • Rainer Sachse: Histrionische und Narzisstische Persönlichkeitsstörungen, Hogrefe, Göttingen / Bern / Toronto / Seattle 2002, ISBN 3-8017-1446-2.

Weblinks

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