Hohe Schule Herborn

Hohe Schule Herborn

Die Hohe Schule Herborn (Academia Nassauensis) war eine universitätsähnliche deutsche Hochschule in Herborn, die von 1584 bis 1817 bestand. Die Hochschule ging in dem „Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau“ auf.

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Das Schloss Herborn, der erste Sitz der hohen Schule bis 1588
Das Gebäude der hohen Schule Herborn von 1588 bis 1817

1584 wurde von Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg die Academia Nassauensis, eine Hohe Schule, gegründet. Graf Johann VI. gründete sie im Sterbejahr und auf Drängen seines Bruders Wilhelm von Oranien, genannt der Schweiger. Seinen Studenten gewährte der Landesherr zwei warme Mahlzeiten und drei Liter Dünnbier am Tag. Die Anfänge der Hohen Schule (Pädagogium) lagen im Schloss Herborn. 1588 kaufte Johann der Ältere (VI.) der Stadt Herborn das alte Rathaus ab und ließ dieses durch Erweiterungsbauten zur Hohen Schule umfunktionieren. Diese später reformierte universitätsähnliche Hochschule war mit vier Fakultäten ausgestattet. Sie wurde bald eine der wichtigsten Bildungsstätten der calvinistisch Reformierten in Europa. In den Niederlanden bestand mit der Universität Franeker eine vergleichbare Hochschule.

Trotz wiederholter Bemühungen und der unbestritten hohen Qualität der Lehre wurde der Hohen Schule kein kaiserliches Privileg für die Führung der Bezeichnung „Universität“ erteilt, eventuell weil es sich um eine calvinistische Gründung handelte. Die Hohe Schule hatte daher nie ein Promotionsrecht.

In der ersten Blütezeit, die bis 1626 andauerte, waren über 300 Studenten in Herborn eingeschrieben, z.B. im Jahr 1603 etwa 400 an der Zahl.[1] Nach 1626 gingen die Zahlen stark zurück, bis auf eine Nachblüte 1685-1725. Im Schnitt waren dann etwa 100 Studenten bzw. Schüler in Herborn eingeschrieben. Starke Schwankungen der Schüler- und Studentenzahlen weist die Geschichte immer wieder aus, so waren z.B. im Jahr 1745 zu einem Zeitpunkt insgesamt weniger als fünf Studenten in der Stadt. Von ihrer Gründung im Jahre 1584 bis zu ihrer Schließung im Jahre 1817 haben hier etwa 5700 Studenten aus ganz Europa studiert. Viele kamen aus der Schweiz, Böhmen, Mähren, Ungarn oder Schottland. Von diesen  Studenten stammten allein 1000 aus Herborn.

Am 17. Dezember 1811 erließ Napoleon ein Dekret, für das Herzogtum Berg (an das auch Herborn 1806 gefallen war) in Düsseldorf eine Landesuniversität zu errichten und zu deren Gunsten auch die Hohe Schule Herborn zu schließen. In Folge des Endes der napoleonischen Herrschaft kam es zwar nicht mehr zur Umsetzung dieser Anordnung, aber auch das 1816 entstandene Herzogtum Nassau konnte oder wollte die Hohe Schule nicht weiterführen. Die Hochschule wurde 1817 aufgehoben, nur die theologische Fakultät wurde als theologisches Seminar weitergeführt.[2]

Der Nachfolger der Hohen Schule, das Theologische Seminar der Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) ist heute im Herborner Schloss angesiedelt.

Die ursprünglichen Gebäude stehen unter dem Schutz der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten [3] und werden heute als Hotel und Restaurant benutzt.

Fakultäten

Bei ihrer Gründung hatte die Hohe Schule vier Fakultäten:

Diese Reihenfolge der Fakultäten spiegelt die damals übliche Prestigereihung der Fakultäten wider.

Bekannte Persönlichkeiten

Gedenktafel für Johann Amos Comenius am Gebäude der ehemaligen Hohen Schule Herborn

An der Hohen Schule Herborn haben unter anderem studiert oder gelehrt:

  • Caspar Olevian, Gründungsrektor, Dogmatiker und Theologieprofessor;
  • Johannes Piscator, 1584–1625 Professor der Theologie, nach Luther der bedeutendste Bibelübersetzer;
  • Graf Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg: ab 1585 Student, 1588 am Paedagogium, 1589 Rektor der Hohen Schule und 1590 wieder als Student.[4] Er gründete 1607 – nach dem Vorbild der Hohen Schule Herborn – die Hohe Landesschule Hanau;
  • Georg Pasor, ab 1591 Student am Paedagogium und der Hohen Schule, später Professor für Griechisch an der Hochschule im friesischen Franeker;
  • Johannes Althusius, bis 1604 Professor der Rechtswissenschaft, calvinistischer Staatstheoretiker, der mit seiner Politica (1603) die erste systematische Staatstheorie der ständischen Monarchie verfasste und als früher Föderalismus-Theoretiker gilt;
  • Matthias Nethenus, 1669–1686 Professor der Theologie;
  • Johannes Voet, 1670–1674 Professor für Römisches Recht;
  • Johann Heinrich Alsted, ab 1608 Student am Paedagogium, später bis 1628 Professor für Theologie und Philosophie, schrieb die erste deutsche Enzyklopädie;
  • Johann Amos Comenius, ab 1611 Student am Paedagogium und der Hohen Schule, bekannter Förderer der Pädagogik;
  • Johann Heinrich Bisterfeld, ab 1629 Professor der Philosophie;
  • Nikolaus Gürtler, ab 1685 Professor der Philosophie und Beredsamkeit, sowie Leiter des Pädagogiums der reformierten Hohe Schule;
  • Johann Henrich Horch, ab 1690 Professor für Kirchenrecht und Kirchenkritiker;
  • Christoph Corvin, akademischer Drucker;
  • Ernst Otto Alexander Cornelius Pagenstecher, seit 1722 Professor der Rechte, Rektor der Hohen Schule 1725, nassau-oranischer Rat seit 1733.

Literatur

  • Gottfried Zedler, Hans Sommer: Die Matrikel der Hohen Schule und des Paedagogikums zu Herborn. In: Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau. Band 5, Wiesbaden 1908.
  • Heinrich Schlosser: Die Hohe Schule Herborn und Caspar Olevian. Ritter, Wiesbaden 1918.
  • Carl Heiler: Die Matrikel der Hohen Schule zu Herborn, 1725–1817 / rekonstruiert von Carl Heiler. In: Nassauische Annalen. 55, 1935.
  • Stadt Herborn und Herborner Geschichtsverein e. V.: Hohe Schule Herborn. 1972.
  • Gerhard Menk: Die Hohe Schule Herborn in ihrer Frühzeit (1584–1660). Ein Beitrag zum Hochschulwesen des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation. Historische Kommission für Nassau, Wiesbaden 1981, ISBN 3922244424 und ISBN 3922244432.
  • Johann Hermann Steubing: Geschichte der Hohen Schule Herborn. Die Wielandschmiede, Kreuztal 1984 (= Hadamar 1823).
  • J. Wienecke (Hrsg.): Von der Hohen Schule zum Theologischen Seminar Herborn : 1584–1984 ; Festschrift zur 400-Jahrfeier. Herborn 1984.
  • Hans Haering: Die Spätzeit der Hohen Schule zu Herborn (1742–1817): zwischen Orthodoxie und Aufklärung. In: Europäische Hochschulschriften: Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 615. Lang, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3631476329.
  • Dieter Wessinghage: Die Hohe Schule zu Herborn und ihre Medizinische Fakultät. Schattauer, Stuttgart, New York 2003, ISBN 3-7945-1016-X.
  • Wilhelm A. Eckhardt, Gerhard Menk: Christian Wolff und die hessischen Universitäten. In: Beiträge zur hessischen Geschichte. Band 18, Trautvetter und Fischer, Marburg an der Lahn 2004, ISBN 3-87822-118-5.

Einzelnachweise

  1. Störkel, in Festschrift 1984, S. 26
  2. Störkel, in Festschrift 1984, S. 55.
  3. Druckausgabe der Dill-Zeitung (8. Juni 2011)
  4. Zedler, Seite 7 (Nr. 73), 10, 11 (Nr. 179), 185 (Nr. 29).

Weblinks


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