Homosexualität in Indien

Homosexualität in Indien
Temple of Visvanatha, Khajuraho, Zentralindien, 10. Jahrhundert

Homosexualität ist in Indien gesellschaftlich stark tabuisiert. In den letzten Jahren hat sich das gesellschaftliche Klima hingegen insbesondere in den indischen Großstädten und vor allem durch Bollywood[1] in zunehmendem Maße liberalisiert.

Inhaltsverzeichnis

Kriminalisierung

Seit der britischen Kolonialzeit beinhaltet das indische Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1861 Section 377, der "sexuelle Handlungen wider die Natur" unter Strafe stellt.[2][3] Das Strafmaß variierte in der Vergangenheit zwischen zehn Jahren Gefängnis und lebenslänglicher Gefängnishaft. Jedoch wurde seit rund zwanzig Jahren in Indien keine Verurteilung nach Section 377 zu einer Gefängnisstrafe wegen einer gleichgeschlechtlichen Handlung ausgesprochen. Oft hingegen wurden Lesben und Schwule Erpressungen ausgesetzt oder es wurden durch die Polizei Haftarreste ausgesprochen.

Reformbewegung zur Aufhebung von Paragraph 377 des indischen Strafgesetzbuches

Die Organisation Human Rights Watch argumentiert seit einigen Jahren, dass das Gesetz ein Haupthindernis für Präventionsbemühungen gegen HIV/AIDS in Indien sei.[4] Da bereits Aufklärung und die Verteilung von Präservativen als strafbare Förderung der Homosexualität eingestuft wurde, kam es zu Behinderungen und Festnahmen von Mitgliedern der in diesem Bereich tätigen NGO NAZ Foundation. Die Organisation setzte sich 2001 mit einer PIL (Popularklage) gegen die Regierung des National Capital Territory of Delhi zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Paragraph 377 des Indian Penal Code dagegen zur Wehr. Im Jahr 2004 versagte der Delhi High Court ihr die Klagebefugnis, da kein öffentliches Interesse gegeben sei und sie als Organisation daher keine PIL einreichen könne.[5] Dieser Beschluss wurde hingegen vom Supreme Court of India im Jahr 2006 mit der Feststellung des Vorliegens eines öffentlichen Interesses aufgehoben und die Sache zur Entscheidung an den High Court verwiesen.[6] Weitere Personen des öffentlichen Lebens in Indien und die Aktion Voices Against 377 traten in Delhi für die Abschaffung der Illegalität ein und begleiteten das Gerichtsverfahren medial.[7][8] So unterzeichneten im September 2006 der indische Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen und der Schriftsteller Vikram Seth sowie weitere prominente indische Bürger einen offenen Brief zur Legalisierung.[9] Im Sommer 2008 befürworteten der indische Premierminister Manmohan Singh, der indische Arbeitsminister Oscar Fernandes und der Vorsitzende der 12. Finanzkommission der Regierung C. Rangarajan die Aufhebung von Paragraph 377.[10] Ebenso befürwortete im August 2008 der indische Gesundheitsminister Anbumani Ramadoss eine Aufhebung von Paragraph 377.[11] Im Zuge des Anchorage case, wo es primär um Pädophilie und Prostitution geht, aber auch nach Paragraph 377 angeklagt wurde, äußerten sich im Sommer 2008 erstmalig Richter, Bilal Nazki und Sharad Bobde vom Bombay High Court, dass Paragraph 377 einer Revision bedürfe.[12] Am 2. Juli 2009 entschied der Delhi High Court, dass Paragraph 377 verfassungswidrig sei.[13][14] Die Entscheidung hat die Nichtanwendbarkeit von Paragraph 377 im Zuständigkeitsbereich des Gerichts, im Unionsterritorium Delhi,[15] zur Folge. Die Entscheidung wurde umgehend vor dem Obersten Gericht als Revisionsgericht und höchste Rechtsmittelinstanz angefochten. Eine erste Anhörung findet am 20. Juli 2009 statt.[16][17][18][19] Nach Diskussionen auf Ministerebene hat sich die indische Regierung auf die stillschweigende Anerkennung der ausstehenden Entscheidung des Supreme Courts und spätere Änderung des Paragraphen 377 des indischen Strafgesetzbuches verständigt.[20]

Antidiskriminierungsgesetze

In Indien existieren keine Antidiskriminierungsgesetze.

Anerkennung homosexueller Paare

Eine staatliche Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Paaren besteht nicht. In den indischen Medien hingegen wird dieses Thema in zunehmendem Maße diskutiert.

Gesellschaftliche Situation

Das Thema Sexualität ist bis in die Gegenwart in Indien weitgehend tabuisiert. Sexualität wurde kaum öffentlich diskutiert.

Erst in den letzten Jahren ändert sich dies langsam in der indischen Öffentlichkeit. In Calcutta fand 1999 die erste kleine pride-Veranstaltung statt, die 2005 als Rainbow-Week gefeiert wurde.

Medien und insbesondere die indische Filmindustrie verändern das gesellschaftliche Bewusstsein und die positive Darstellung von Sexualität.[1][21] Filme wie Dostana erschienen 2008 und 2010 herausgegebener Dunno Y … Na Jaane Kyun sind Beispiele für die Veränderungen in der Filmindustrie dieses Thema anzusprechen.[22] Dazu zählt auch Kashish – das Mumbai International Queer Film Festival[23] 2010, das Filme aus 25 Ländern zeigte. Das Festival gab eine Möglichkeit Homosexuelle Themen weiter auszuforschen und zu diskutieren, eine Plattform Herzustellen wo dies möglich sei und letzten endlich verstärkt Leute zu dem Thema zu sensibilisieren.[24]

In den Großstädten Mumbai, Delhi, Hyderabad und Bangalore entstehen zunehmend LGBT-Communitys, zudem findet sich dort ein wachsendes Angebot an schwulen und lesbischen Discos und Nachtclubs - wenn auch noch stark eingeschränkt und verdeckt.

Im Sommer 2008 fanden die ersten Pride-Parades in den Städten Neu-Delhi[25] und Kolkata[26] (Kalkutta) statt, bei denen die Legalisierung der Homosexualität von den Demonstranten gefordert wurde. [27] 2009 und 2010 gab es Paraden bereits in weiteren Städten, nämlich in Mumbai (Bombay) [28], Chennai (Madras) [29], Bangalore [30] und Bhubaneswar [31].

Queere Zeitschriften sind: Pink Pages India[32] und Bombay Dost[33].

Im Internet finden sich Chatrooms und Datingseiten wie GayDia.com oder GayRomeo.

Internationale Politik (UN)

Ab 2010 unterstützt Indien in der UN die Rechte von Homosexuellen:

  • Im November 2010 stimmte Indien in der UN-Vollversammlung für eine - zunächst abgelehnte - Erklärung, die die Todesstrafe für Homosexuelle verurteilt[34].
  • Im Juli 2011 stimmte Indien für die Verleihung des UN-Beraterstatus (im UN-Wirtschafts- und Sozialrat ECOSOC) an den queeren Welt-Dachverband ILGA.[35]

Siehe auch

Literatur

  • Alain Daniélou: The Complete Kāma Sūtra. The first unabridged modern Translation of the classic Indian text by Vātsyāyana. Including the Jayamangalā commentary from the Sanskrit by Yashodhara and extracts from the Hindi commentary by Devadatta Shāstrā. Park Street Press, Rochester 1994, ISBN 0-89281-492-6.
  • Gilbert H. Herdt: Third Sex, Third Gender. Beyond Sexual Dimorphism in Culture and History. Zone Books, New York NY 1993, ISBN 0-942299-81-7.
  • Saleem Kidwai: Same-Sex love in India. Readings from Literature and History. (Gemeinsam mit Ruth Vanita). Palgrave Macmillan, London 2000, ISBN 0-312-22169-X.
  • Serena Nanda: Neither Man Nor Woman. The Hijras of India. 2nd Edition. Wadsworth Publishing Co., Belmont CA u. a. 1999, ISBN 0-534-50903-7.
  • Devdutt Pattanaik: The Man Who Was a Woman and Other Queer Tales from Hindu Lore. Harrington Park Press, New York NY u. a. 2002, ISBN 1-560-23180-7, (Haworth Gay & Lesbian Studies).
  • Arlene Swidler (Hrsg.): Homosexuality and World Religions. Trinity Press International, Valley Forge PA 1993, ISBN 1-563-38051-X.
  • Ruth Vanita: Gandhi's Tiger and Sita's Smile. Essays on Gender, Sexuality and Culture. Yoda Press, New Delhi 2005, ISBN 81-9022725-4.
  • Ruth Vanita: Love's Rite. Same-Sex Marriage in India and the West. Penguin Books India, New Delhi 2005, ISBN 0-14-400059-8.
  • Ruth Vanita, Saleem Kidwai (Hrsg.): Same-Sex Love In India. Readings from Literature and History. Palgrave, New York NY u. a. 2001, ISBN 0-312-29324-0.
  • Das Amara Wilhelm: Tritiya-Prakriti. People of the Third Sex. Understanding Homosexuality, Transgender Identity, and Intersex Conditions Through Hinduism. Xlibris Corporation, Tinucum PA 2003, ISBN 1-4134-3534-3.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Queering Bollywood, ehemals bei media.opencultures.net, jetzt bei Archive.org, Version vom 2. Februar 2008
  2. Indian Penal Code (pdf)
  3. Aditya Bondyopadhyay von Naz Foundation: A perspective from India: Homosexuality stands criminalized because of a mid 19th century colonial law, ilga.org, Version: 27. April 2004, Rede vor der UNO-Diskussion Breaking the “cultural” straitjacket: why sexual orientation and gender identity are issues on the global south's agenda
  4. Human Rights Watch: India - Repeal Colonial-Era Sodomy Law, hrw.org, 11. Januar 2006
  5. Gay Rights Group Challenges India's Sodomy Law, The Advocate, 10. Dezember 2001, bei sodomylaws.org
  6. Sheela Bhatt: Gay Rights is matter of Public Interest: SC, Rediff - India Abroad, 3. Februar 2006
  7. Voices Against 377, www.voicesagainst377.org
  8. Sharma Jyoti: Why should homosexuality be a crime?, The Times of India, 18. September 2003
  9. ehemals unter www.openletter377.com, 20. August 2006, archiviert bei archive.com, Version vom 17. Oktober 2007
  10. Vikram Doctor: Reverse swing: It may be an open affair for gays, lesbians, The Economic Times/India Times, 2. Juli 2008
  11. Tony Grew: India's health minister calls for decriminalisation of homosexuality, pinknews.co.uk, 8. August 2008
  12. Phoebe Ferris-Rotman: India's “unnatural sex” law should be revised says High Court judge, pinknews.co.uk, 29. Juli 2008
  13. BBC News: Gay sex decriminalised in India (mit pdf-Link zum Text der Entscheidung)
  14. Tagesschau: Indien legalisiert gleichgeschlechtliche Liebe (nicht mehr online verfügbar) (Anm.: Meldung jedoch mit Bezug auf das falsche Gericht) und Queer.de: Indien legalisiert Homosexualität. 2. Juli 2009
  15. http://delhihighcourt.nic.in/
  16. Challenge to India gay sex ruling in BBC News vom 9. Juli 2009
  17. India Supreme Court steps into gay sex law dispute in The Washington Post vom 9. Juli 2009
  18. Gay sex ‘a disease, can be cured by yoga’
  19. Apex court refuses to stay gay ruling in The Telegraph India vom 10. Juli 2009
  20. Centre gives silent consent to gay law in The Telegraph India vom 18. September 2009
  21. BBC News: Celina Jaitley starts Gay film festival in India
  22. Bollywood's first gay film breaks taboos, 27. April 2010
  23. http://mumbaiqueerfest.com
  24. Rainbow SCREEN, 7. Mai 2010
  25. http://delhiqueerpride.blogspot.com
  26. http://groovyganges.org/2010/07/kolkata-gay-pride-2010/
  27. Gay pride march debuts in Delhi, bbc.co.uk, 30. Juni 2008
  28. http://queerazaadi.wordpress.com
  29. http://www.orinam.net/Chennaipride
  30. http://www.bangalorepride.com/
  31. http://www.telegraphindia.com/1090628/jsp/nation/story_11167322.jsp
  32. http://pink-pages.co.in/new/
  33. http://www.bombaydost.co.in/
  34. Artikel "UNO verurteilt Todesstrafe für Schwule nicht mehr"
  35. Artikel "Vereinte Nationen erkennen ILGA an"

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Homosexualität (Strafrechtsgeschichte) — Status von gleichgeschlechtlichen Paaren in Europa ██ Gleichgeschlechtliche Ehe ██ Eingetragene Partnerschaft …   Deutsch Wikipedia

  • Homosexualität im Gesetz — Status von gleichgeschlechtlichen Paaren in Europa ██ Gleichgeschlechtliche Ehe ██ Eingetragene Partnerschaft …   Deutsch Wikipedia

  • Homosexualität und Religion — Biblischer Prinz Jonathan und David (ca. 1300 n. Chr.). Im Gegensatz zur allgemeinen Tradition in Judentum und Christentum werden die Beiden in einigen historischen Texten als männliche Geliebte beschrieben. So heißt es in dem Buch Leben von… …   Deutsch Wikipedia

  • Homosexualität in China — Dieser Artikel wurde auf den Seiten der Qualitätssicherung eingetragen. Bitte hilf mit, ihn zu verbessern, und beteilige dich bitte an der Diskussion! Folgendes muss noch verbessert werden: Macao wird im Vorspann erwähnt, gehört rein aber… …   Deutsch Wikipedia

  • Homosexualität in Japan — Kabuki Schauspieler schmeichelt seinem Klienten mit gefälliger Konversation (Kitagawa Utamaro, Kopfkissengedichte, 1788) Homosexualität ist in Japan aus alten Zeiten überliefert und wird auch gegenwärtig akzeptiert. In früheren Zeiten wurde Liebe …   Deutsch Wikipedia

  • Homosexualität in den Israelischen Streitkräften — Israelische Streitkräfte Tzwa haHagana leJisra’el Führung Oberbefehlsh …   Deutsch Wikipedia

  • Homosexualität in Israel — Israel Homosexualität ist in Israel wie in den meisten Demokratien legal und wird gesellschaftlich überwiegend akzeptiert. Israel ist seit 2001 zudem das einzige Land der Region mit einem Antidiskriminierungsgesetz. Derzeit wird in der… …   Deutsch Wikipedia

  • Homosexualität im Libanon — Libanon Homosexualität im Libanon ist immer noch strafbar, aber das Land Libanon gehört im Nahen Osten zu den weniger für homosexuelle Menschen eingrenzenden Staaten, da es eine kleine LGBT Bewegung hat. Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Homosexualität in Malaysia — Malaysia Homosexualität in Malaysia ist zwar strafbar, wird aber in der Öffentlichkeit und in den Medien in zunehmendem Maße thematisiert. Gegenwärtig steht hierbei im Mittelpunkt die politische Debatte um den Oppositionspolitiker Anwar Ibrahim.… …   Deutsch Wikipedia

  • Homosexualität in Südkorea — Südkorea Homosexualität in Südkorea ist staatlich legal. Sexualität wird in der Gesellschaft zunehmend thematisiert. Inhaltsverzeichnis 1 Legalität …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”