Hutewald

Hutewald
Hudeeichen als Reste von Hudewäldern in Mecklenburg-Vorpommern
Schauinsland, Schwarzwald

Ein Hutewald, auch Hudewald oder Hutung genannt, ist ein als Weide genutzter Wald. Bei dieser als Waldweide (Hute/Hude) bezeichneten Art der Waldnutzung bzw. Viehhaltung wurde das Nutzvieh zumal in Gebieten, wo die potenzielle natürliche Vegetation weiträumig oder fast flächendeckend aus Wald besteht bzw. vor der menschlichen Ansiedlung bestand, wie unter anderem im westlichen Mitteleuropa der Fall, – anstelle von aufwändiger vorheriger Rodung und Anlage von Weiden – in den Wald getrieben, um sich dort Futter zu suchen. Hierdurch entstanden im Laufe der Zeit, mit dem durch die Beweidung deutlich unterdrückten oder zumindest reduzierten Nachwuchs, unter Rückbehaltung einiger, schließlich sehr alter Nährbäume, lichte bis fast offene, parkartige Wälder bis hin zu baumbestandenen Weiden, so dass sich ein mehr oder weniger fließender Übergang ergab zur Hutweide (technisch begriffen).

In trocken-wärmeren Vegetationszonen (Baum- oder Strauchsavanne, mediterraner Buschwald), in denen sich die Bewaldung auch natürlich weniger dicht und auch hoch entwickelt, entstanden und entstehen zum Teil bis heute unter ähnlichen Bewirtschaftungsweisen den Hutewäldern ähnliche Weidewälder und Baumwiesen, wo die Bäume auch noch die Funktion von Schattenspendern übernehmen können.

In West- und Mitteleuropa nahm die Waldweide wie die anderen dort traditionellen Waldnutzungsformen mit der industriellen Revolution ab; sie wurde weitgehend von der modernen geregelten Forstwirtschaft verdrängt. Die wenigen in Mitteleuropa noch erhaltenen Hutewälder bzw. Hutewaldreste und -zeugen stehen heute meist unter Naturschutz.

Inhaltsverzeichnis

Namensherkunft

Der Eichenwald von Langaa, Jütland, einer der letzten Weidewälder Dänemarks, zeigt noch heute den Aspekt eines durchgehend beweideten Hutewaldes
„Urwald“ Sababurg, Reinhardswald – ein nicht mehr genutzter Hutewald nach hundert Jahren natürlicher Sukzession

Das Wort Hute/Hutung leitet sich von derselben Wortwurzel wie (Vieh) hüten ab – weshalb manche auch von Hütewald oder -weide sprechen. Hude ist eine niederdeutsche Form, die sich auch in norddeutschen Orts- und Flurnamen findet, nicht nur den reinen „Hude“ (wie im Fall von Hude bei Oldenburg – mit noch existierendem Hudewaldrest oder auch Steinhude).

Auf der offenen Weide im unübersichtlichen Gelände des Waldes musste das Vieh gehütet werden – häufig von einem Hirten stellvertretend für die Viehbesitzer der Dorfgemeinschaft, der dafür mit dem Hutgeld entlohnt wurde. Die Hirten waren oft Kinder, wie es weltweit bei der Weide von Vieh ganzer Gemeinden in vielen Ländern noch heute üblich – und zumindest im Falle der Almwirtschaft im Alpenraum auch in Europa bis heute bekannt ist. Die genutzte Weide (bzw. der Wald) war entweder Gemeinbesitz oder gehörte dem (feudalen) Grundherrn und war wie auch das Ackerland gegen Abgaben zu nutzen. Die Hut (Hutung, Hute/Hude) war also auch ein Begriff des Weiderechts.

Werden und Wesen

In den Hutewäldern wurde das Vieh, nicht nur Schweine und Ziegen, sondern auch Rinder und Schafe oder sogar Pferde, im Wald geweidet, wo es sich von den Pflanzen der Krautschicht – einschließlich des Aufwuchses, also der nachwachsenden Bäume, auch deren Trieben und Knospen sowie den Waldfrüchten, vor allem Eicheln und Bucheckern, aber auch Wildobst oder Pilzen, ernährte. Die nicht weideharte, krautige Vegetation wurde zurückgedrängt, die Artenzusammensetzung änderte sich hin zu lichtliebender Bodenvegetation, was die Weide weiter verbesserte.

Durch die mit der Beweidung verbundene Zerstörung des Baumjungwuchses entstanden schon ab der Jungsteinzeit, vor allem aber über das Mittelalter lichte Wälder mit wenig Unterwuchs und großkronigen, alten Bäumen. Diese wegen ihrer Nährfunktion erhaltenen und teilweise geförderten (Hute-)Bäume fanden massiv Eingang in verschiedene, heute teils „verschüttete“ Bereiche der Kultur, wie unter anderem (romantische) Vorstellungen vom mittelalterlichen oder sogar antiken Wald bis hin zum Mythos der „deutschen Eiche“.

Neben der Ausbeutung und Niederhaltung der Vegetation, oft noch verstärkt durch Nutzung von „Waldstreu“ für die Ställe, führte die Hute/Waldweide auch zu vorprogrammierten Konflikten mit der Fauna des Waldes und deren Nutzern: Konkurrenz mit dem herbivoren Wild um Nahrung und Lebensraum, Konkurrenz mit den „Räubern“ - dem carnivoren Wild - um das Vieh als Ersatz für die natürliche Beute und, je nach dem, auch Konkurrenz mit den „Land- (bzw. Wald-)besitzern“ (Feudalherren) um das (verdrängte) jagdbare Wild.

Schon ab der Ausbreitung der Viehhaltung in Europa in prähistorischer Zeit, umsomehr aber in der Antike – zunächst im Mittelmeerraum, ab der größten Ausdehnung Roms und noch verstärkt nach der Völkerwanderung auch im nördlichen West- und in Mitteleuropa – war die Hute, die Beweidung der Wälder, meist der erste Schritt zur Umwandlung der natürlichen („Ur“-)Vegetation in Kulturland. Auch nach den Erschließungsphasen im Mittelalter stellte sie neben der Niederwaldnutzung die „klassische“, entscheidende Waldnutzungsform des „kleinen Mannes“, also vor allem der leibeigenen Bauern, dar. Im Zuge der schrittweisen Ablösung der Waldweide durch die Stallhaltung wurden in der Neuzeit die meisten Hutewälder in Wirtschaftsforste umgewandelt. Dennoch wurden einige Wälder, insbesondere in schwierigen Zeiten, noch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts als Weide genutzt und auch bestimmte Forste im 19. Jahrhundert noch so angelegt, dass unter ihren Bäumen günstige Weidebedingungen entstanden.

Geschichte

Hutebäume auf den Weiden des Gestüts Beberbeck, Reinhardswald
Eichenhain im Reinhardswald

Die Hutung ist eine alte Form der Viehhaltung, die bereits vor der Antike betrieben wurde. Im Mittelalter wurde sie in der Nähe der Siedlungen ausgeweitet. Im Hochmittelalter bedeckten Hutewälder im dicht besiedelten Mitteldeutschland große Flächen zwischen den Siedlungen und Feldfluren. Von ganz besonderer ökonomischer Bedeutung war die Waldweide durch Schweine, diese stellte die weitaus wichtigste tierische Nahrungsquelle für die Bevölkerung dar. Der Wert eines Waldes wurde vor allem daran gemessen, wie viele Schweine man zur Mast in ihn treiben konnte. Die Auslese von Bäumen, mit für Schweine essbaren Früchten veränderte die Baumartenzusammensetzung (Eichen und Buchen wurden gefördert, alle Nadelhölzer, Linden, Ahorne usw. wurden zurückgedrängt). Zahlreiche Hutewälder entstanden zu Beginn des 16. Jahrhunderts durch den erneuten Beginn des Bergbaus in Mitteldeutschland. Die Feudalherren vergaben umfangreiche ökonomische Sonderrechte, Bergfreiheiten genannt, um Bergleute anzuwerben. Die Bergfreiheit gestattete unter anderem die Waldweide. Zu diesem Zweck bildeten sich Genossenschaften von Bergleuten, die ihr Vieh mit Hirten (Huten oder Huden) zur Selbstversorgung in den Wald trieben.

Nach den Wüstungen der Pestperioden und nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde das Vieh wieder verstärkt in die Wälder getrieben, so dass eine neue „Hutewaldperiode“ begann, die durch Pollenanalysen nachweisbar ist. Das Ende der Hutewälder begann im 17. Jahrhundert durch das Verbot ungeregelter Waldnutzungen. Holz wurde knapp, Hutewälder wurden gerodet oder wegen der Holznot aufgeforstet. Die Landwirtschaft entwickelte sich weiter, steigende Preise machten intensiveren Ackerbau lohnender – später wurden ehemalige Hutewälder gerodet. Da im 19. Jahrhundert fast überall in Mitteleuropa die Waldweide wegen ihrer schädlichen Auswirkung auf den Wald gesetzlich verboten wurde, gibt es hierzulande heute nur noch wenige Hutewälder.

In Großbritannien war die Waldhute insbesondere im Kroneigentum, als Commonsrechte (deutsch Allmende) ein Privileg bestimmter Bauern und Viehzüchter, der „Commoners“.

Im Reinhardswald in Nordhessen waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts große Flächen durch übermäßige Viehweide devastiert (zerstört), so dass sie teilweise entwaldet waren. In der Folge wurden gezielt Hutewälder mit Eichen angelegt, die durch ihre Mast die Fütterung des Viehs gewährleisten und Holz produzieren sollten. Die Bäume wurden in einem Verband von 12 m x 8 m oder 12 m x 6 m gepflanzt. Noch heute sind aus dieser Zeit etwa 600 ha Hutebestände vorhanden, die unter Schutz stehen.

Heutige Hutewälder

Hutewald „Halloh“ im Naturpark Kellerwald-Edersee
Dehesa in Spanien
Der Eichenwald von Langaa (Græsningsegeskov), Dänemark, wird heute nur noch zu Naturschutzzwecken beweidet.

Der relativ bekannte „Urwald Sababurg“ im Reinhardswald, Eichenhudewälder im benachbarten Solling und auch der Hasbruch im Oldenburger Land sind ehemalige Hutewälder, die heute nach mehr oder weniger ungestörter natürlicher Sukzession als Naturschutzgebiete Wald in einen naturnahen Zustand – mit besonders alten (aber nicht (ur-)waldtypischen) Bäumen – aufweisen.

Der „Halloh“ befindet sich im Naturpark Kellerwald-Edersee. Das Kulturdenkmal gehört zu den Sehenswürdigkeiten des Bad Wildunger Stadtteils Albertshauen in Nordhessen. Das kleine Wäldchen liegt etwa 1 km oberhalb des Ortskernes. Mittlerweile hat man diesen Ort in ein Projekt eingebunden, das die Erhaltung der dortigen Baumgiganten zum Ziel hat.

In einigen Gegenden Europas gibt es immer noch wirtschaftlich bedeutsame Hutewälder, beispielsweise in Zentral- und Südwestspanien. Dort werden sie Dehesas genannt und dienen vor allem der Produktion von Eicheln für die Ernährung Iberischer Schweine (traditionelle Eichelmast). Der typische Baum ist die Steineiche.

Hutewälder und Naturschutz

Die erhaltenen Hutewälder Mitteleuropas stehen aufgrund ihrer überragenden Bedeutung für eine Vielzahl gefährdeter Organismen meist unter Naturschutz. Besonders wichtig sind Hutewälder für Organismen, die großvolumige Bäume mit hohem Totholzanteil benötigen. Typisch sind totholzbewohnende Käfer wie der Heldbock, der Körnerbock, der Hirschkäfer oder der Eremit und bestimmte Schmetterlinge wie der Eichenwollfalter, die heute alle hochgradig bedroht sind. Eine typische Vogelart der Hutewälder ist der Mittelspecht, der seine Nahrung in grober Rinde im Kronenraum alter Bäume sucht.

Siehe auch

Literatur


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