Hypertextifizierung

Hypertextifizierung

Hypertext ist eine multi-lineare Organisation von Objekten, deren netzartige Struktur durch logische Verbindungen (so genannte Hyperlinks) zwischen Wissenseinheiten (Knoten, z. B. Texten oder Textteilen) hergestellt wird. Hypertext ist eine Anwendung des Verweis-Knoten-Konzepts.

Die Begriffe Hypertext und Hypermedia werden meistens unterschiedslos benutzt; Hypertext betont dabei jedoch den textuellen Anteil, Hypermedia dagegen mehr den multimedialen. Beispiele für Hypertext sind Wikipedia-Artikel wie dieser, aber auch das World Wide Web selbst.

Inhaltsverzeichnis

Nutzen

Hypertexte bieten gegenüber der linearen Informationsdarstellung den Vorteil, eine größere Komplexität redundanzfrei oder zumindest vergleichsweise redundanzarm vermitteln zu können. Die assoziative Struktur eines Hypertextes entspricht eher der Funktionsweise des menschlichen Denkens als lineare Texte. Dies hat seine Ursache in der Annahme, dass unser vernetztes Denken ähnlich abläuft wie die Strukturen eines Hypertextes. Schulmeister verwendet dafür in diesem Zusammenhang den Verweis auf die „kognitive Plausibilitätshypothese“.[1]

Probleme

Ein Problem beim Arbeiten mit Hypertext ist das gezielte Auffinden von Informationen (Information Retrieval). Während literate Menschen über Jahrhunderte in der Rezeption von linearen Texten geschult worden sind, begann man erst mit der zunehmenden Verbreitung des World Wide Web seit Mitte der 1990er Jahre den Umgang mit komplexen Hypertexten zu erlernen. Hilfsmittel wie Suchmaschinen und siteinterne Suchfunktionen unterstützen den Nutzer.

Ein weiteres Problem ist das Navigieren in Hypertexten, da vor allem in den Anfangsjahren häufig eine vom Autor vorgegebene Lesestruktur (z. B. Guided Tour) fehlte. Heute verfügen Hypertexte in der Regel über eine ausgefeilte Navigation. Als Folge eines Übermaßes an Querverweisen kann ein sogenannter Information Overload, die Überflutung mit ungeordneten Informationen und eine Desorientiertheit im weit verzweigten Netz von Texten (Lost in Hyperspace) entstehen. Die Lesegewohnheiten spielen hier dabei eine wichtige Rolle. So haben online-affine Nutzer weniger Schwierigkeiten damit, das Lesen eines Textes zu unterbrechen, um einem Querverweis zu folgen.

Problemlösungsansätze bieten virtuelle Mindmaps und Web-Ontologien. Erst in Ansätzen gelöst ist das Problem der Visualisierung von Hypertexten, also die grafisch aufbereitete Darstellung der typischerweise netzwerkförmigen und daher nicht hierarchisch präsentierbaren Struktur eines Hypertextes (siehe auch Hyperbolic Tree).

Geschichte und Entwicklung

Hypertextuelle Strukturen sind seit Jahrhunderten bekannt; die im Aufschreibesystem der Neuzeit ausdifferenzierten Erschließungshilfen für lineare Texte wie Inhaltsverzeichnisse, Indizes, Querverweise und Fußnoten sowie jegliche Verweissysteme entsprechen funktional einem Hypertext. Der Unterschied besteht darin, dass zum einen die Verweisziele nicht vor Ort präsent sein müssen, und zum anderen, dass das Verfolgen der Verweise nicht mechanisiert bzw. automatisiert ist. Als Vorläufer heutiger digitalisierter Hypertexte gilt daher beispielsweise Agostino Ramellis Bücherrad aus dem 15. Jahrhundert und Roussels Lesemaschine, eine Art Wechselrad für Notizzettel, siehe Zettels Traum von Arno Schmidt. Literaturgeschichtlich prominent ist James Joyce’ vertracktes Werk Finnegans Wake, das an semantische Netze des Hypertext erinnert.

Das moderne Hypertext-Konzept wurde von Vannevar Bush im Jahr 1945 in einem Artikel As We May Think im Journal The Atlantic Monthly erwähnt. Er sprach darin über ein zukünftiges System Memex (für Memory Extender), das das Wissen eines bestimmten Gebietes elektronisch aufbereitet leicht zugänglich darstellen kann. Diese Idee lag bereits der 1931 in den USA patentierten "Statistischen Maschine" von Emanuel Goldberg zugrunde.[2] Die Kernidee des Konzepts ist zum einen, dass das Verfolgen von Verweisen mit elektronischer Hilfe erleichtert wird und zum anderen, dass Bücher und Filme aus einer Bibliothek verfügbar gemacht und angezeigt werden können. Die Idee von Hypertext ist also von Anfang an mit alten Utopien von der „universellen Bibliothek“ verbunden (siehe auch Bibliotheksutopie). Daher ist es kein Zufall, dass der Herausgeber der Universalklassifikation Paul Otlet als frühester Pionier des Hypertext gilt und diese Universalsprache völkerverbindend einsetzen wollte. Er gilt nicht von ungefähr als Mitbegründer des Völkerbunds, aus dem die UNO hervorging.

Ein Beispiel für ein hypertext-artiges Gedicht sind die Hunderttausend Milliarden Gedichte von Raymond Queneau (1961). Der Gesellschaftswissenschaftler Ted Nelson (Projekt Xanadu) prägte den Begriff „Hypertext“ im Jahr 1965.

Eines der ersten Hypertextsysteme, das einer größeren Gruppe zugänglich war, war HyperCard der Firma Apple, das mit den Apple-Macintosh-Computern ausgeliefert wurde.

Das heute am weitesten verbreitete Hypertext-System ist der Internet-Dienst World Wide Web (WWW), obwohl ihm einige wichtige Funktionen früherer Hypertextsysteme fehlen. So ist zum Beispiel das Problem der so genannten toten Links im WWW ungelöst, die nicht oder nicht mehr zum gewünschten Ziel führen. Auch die Einführung der Uniform Resource Identifiers (URIs) ist über die im Web gebräuchlichen URLs nur unvollständig erfüllt. Im Gegenzug erlaubt das WWW aber auch das Einbinden von nichtsprachlichen Datentypen wie Bildern. Dadurch ist es, obwohl auf Hypertext beruhend, streng genommen ein Hypermedia-System. Die Sprache, in der die Texte des World Wide Web beschrieben werden, heißt Hypertext Markup Language; Web-Dokumente werden von Webtextern und Webdesignern konzipiert und erstellt.

Siehe auch

Literatur

  • Stephan Porombka: Hypertext. Zur Kritik eines digitalen Mythos. München: Fink 2001. ISBN 3-7705-3573-1
  • Peter Schnupp: Hypertext. München: Oldenburg 1992. ISBN 3-486-21740-2
  • Stefan Iske: Vernetztes Wissen. Hypertext-Strategien im Internet. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag 2002. ISBN 3-7639-0151-5
  • George P. Landow: Hypertext 3.0. Critical Theory and New Media in a Era of Globalization. 3. Auflage. Baltimore, Md. [u.a.]: Johns Hopkins Univ. Press, 2005. ISBN 0-8018-8257-5
  • Jakob Krameritsch: Geschichte(n) im Netzwerk. Hypertext und dessen Potenziale für die Produktion, Repräsentation und Rezeption der historischen Erzählung (= Medien in der Wissenschaft 43). Münster: Waxmann Verlag 2007. ISBN 978-3-83091835-6
  • Rainer Kuhlen: Hypertext. Ein nicht-lineares Medium zwischen Buch und Wissensbank. Springer-Verlag, 1991.
  • Beat Sutter: Der Hyperlink in der Lektüre. Pause, Leerstelle oder Flucht?, dichtung-digital.de

Belege

  1. Schulmeister, 1996: Grundlagen hypermedialer Lernsysteme, S. 257.
  2. Buckland, Michael K.: "Emanuel Goldberg, Electronic Document Retrieval, And Vannevar Bush's Memex", 1992

Weblinks


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