Hypochondrie

Hypochondrie
Honoré Daumier:
Der eingebildete Kranke

Hypochondrie (gr. ὑποχόνδρια: Gegend unter den Rippen) ist eine somatoforme Störung und bezeichnet nach den internationalen Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV eine psychische Störung, bei der die Betroffenen unter ausgeprägten Ängsten leiden, eine ernsthafte Erkrankung zu haben, ohne dass sich dafür ein objektiver Befund finden lässt.

Inhaltsverzeichnis

Alltagsgebrauch

Im Alltagssprachgebrauch wird unter Hypochondrie eine von Angst dominierte Beziehung zum eigenen Körper und zu dessen Funktionen verstanden. Die Betroffenen, bezeichnet als Hypochonder, sind um ihre Gesundheit besorgt, achten vermehrt auf geringe Veränderungen von Körperfunktionen und interpretieren auch geringfügige Körpersignale als möglichen Ausdruck schwerer Erkrankungen.

Eine übertriebene Selbstbeobachtung führt oft zu häufigen Arztbesuchen, wobei auch ausführliche und wiederholte Untersuchungen keine körperliche Ursache der Beschwerden ergeben. Der Hauptgegenstand der Befürchtungen ist meist über längere Zeit konstant, beispielsweise Angst vor Krebs (Karzinophobie), vor AIDS oder eine Angst, überhaupt zu erkranken (Nosophobie), wobei alltägliche körperliche Wahrnehmungen als Krankheitszeichen fehlgedeutet werden.

Die leicht zugänglichen Möglichkeiten, sich über Internetportale zu Krankheitsymptomen zu erkundigen, führt zu einer neuen Ausprägung der Hypochondrie: Cyberchondrie.

Man spricht laienhaft von einer eingebildeten Krankheit (siehe Molière, Der eingebildete Kranke), als ob Hypochonder „nichts“ hätten. Tatsächlich erleben Hypochonder Missempfindungen, aber die Bedeutung, die sie ihnen überbesorgt beimessen, erscheint der Umgebung nicht nachvollziehbar, und Heilfachkundige können gewöhnlich keine auffälligen Organbefunde feststellen. Typischerweise haben die Betroffenen bereits viele medizinische Untersuchungen hinter sich und wechseln häufig den Arzt („Doctor Hopping“ oder „Doctor Shopping“ genannt).

Medizinische Definition

Klassifikation nach ICD-10
F45.2 hypochondrische Störung
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Das entsprechende Krankheitsbild wurde früher als Hypochondrie bezeichnet, wird aber heutzutage entsprechend der „Internationalen Klassifikation der Krankheiten“ (ICD-10) unter „F45.2“ als „Hypochondrische Störung“ definiert. Jeder 20. Patient leidet unter Symptomen, die sich aus medizinischer Sicht, in ihrer Schwere der Beeinträchtigung, nicht erklären lassen. Für Heilung beziehungsweise Besserung ist Psychotherapie erfolgversprechend.

Definitionsgemäß sollte man die hypochondrische Störung von Wahnstörungen oder der übermäßigen Beschäftigung mit der eigenen körperlichen Erscheinung (Dysmorphophobie) abgrenzen. Besonders wichtig ist auch die Abgrenzung zu den anderen somatoformen Störungen. Kennzeichnend für die hypochondrische Störung ist die Tatsache, dass der Patient fürchtet an einer bestimmten Krankheit (z. B. Krebs) zu leiden. Das Klagen über körperliche Symptome steht nicht im Vordergrund.

Bei nachhaltiger Ausprägung ist Hypochondrie eine ernst zu nehmende Störung, die quälend sowohl für die Betroffenen als auch – manchmal noch mehr – für ihre Umgebung sein kann. Nach den Ergebnissen einer großen WHO-Studie (Gureje et al., siehe Literatur) zählt Deutschland international zu den Spitzenreitern für hohe Krankheitsangst. Die Krankheit tritt bei Frauen und Männern etwa gleich häufig auf.

Wortherkunft

Die ursprüngliche Wortschöpfung erfolgte durch Galenos: Der Begriff hängt mit dem griechischen χόνδρος („chondros“ für Knorpel) zusammen. Gemeint sind die Rippenknorpel, unter (ὑπό „hypo“) welchen man damals den Ursprung der Gemütskrankheiten vermutete. Man ging davon aus, dass die Milz für diese Art von Beschwerden verantwortlich sei. („Milzsucht“).[1]

Geschichte

Sigmund Freud rechnete die Hypochondrie zusammen mit der Neurasthenie und der Angstneurose zu den Aktualneurosen.[2]

Literatur

  • Susan Baur: Die Welt der Hypochonder. Über die älteste Krankheit der Menschheit, dtv, München 1994, ISBN 3-423-30429-4
  • Esther Fischer-Homberger: Hypochondrie. Melancholie bis Neurose: Krankheiten und Zustandsbilder. Huber, Bern 1970.
  • O. Gureje, T. B. Üstün, G. E. Simon: The syndrome of hypochondriasis: A cross-national study in primary care, Psychological Medicine, 27, 1997, 1001–1010
  • John Naish: Hypochondrie kann tödlich sein. Handbuch für eingebildete Kranke (Satirische Betrachtung, kein Sachbuch), Rowohlt Verlag, Reinbek 2005, ISBN 3-499-61994-6
  • Autark Magazin: Hypochondrie. (Monothematisches Magazin mit Beiträgen zum Thema, Bestellung online), 2004
  • Gaby Bleichhardt, Florian Weck: Kognitive Verhaltenstherapie bei Hypochondrie und Krankheitsangst. Springer, 2007, ISBN 978-3-540-46854-7
  • Ben Reichel: Autark Magazin // Ausgabe Eins: Hypochondrie. 2004 (Nur zu beziehen über: www.hypochondrie.de)
  • Ernst L. Kaufs: Ich habe Angst vor Krankheiten - Erfahrungen eines Hypochonders. Tribut Verlag, 2006, ISBN 3-9809863-1-4

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Hypochondrie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 213. auf zeno.org
  2. Uwe Henrik Peters: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. Urban & Schwarzenberg, München 31984; Stw. „Aktualneurosen“: Seite 16
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