Hypostasierung

Hypostasierung

Hypostase (griechisch hypóstasis; allgemein: „Grundlage“, philosophisch: „Seinsstufe“) ist seit der Spätantike ein Fachausdruck der Philosophie und Theologie. Heute ist der Begriff auch in der Religionswissenschaft gebräuchlich. In der christlichen Theologie bedeutet er „Person“ im Rahmen der Lehre von der Trinität, die drei Personen oder Hypostasen in Gott annimmt.

Inhaltsverzeichnis

Ursprung und allgemeine Bedeutungen

Das Substantiv hypóstasis ist vom Verb hypístēmi (auch: hyphístēmi) abgeleitet, das intransitiv „darunter stehen“ und allgemeiner „dasein“, „vorhanden sein“, „bestehen“ bedeutet, transitiv „darunter stellen (oder legen)“, „(etwas mit etwas) stützen“. Als medizinischer und naturwissenschaftlicher Begriff kommt hypóstasis seit Hippokrates und Aristoteles vor; die Hauptbedeutungen sind „Unterlage“, „Stütze“ sowie „das, was sich unten ansammelt“: ein sich nach unten absetzendes Sediment bei Flüssigkeiten, ein Bodensatz, ein Niederschlag oder beispielsweise auch vom Baum herunterrinnender Harz. Im Zeitalter des Hellenismus werden dann daraus abgeleitete abstrakte Bedeutungen wie „Basis“, „Grundlage“ „Gesamtplan“, „Grundkonzeption“ gebräuchlich.

Der philosophische Sprachgebrauch ist wohl vom Bild des Bodensatzes abgeleitet. Der Bodensatz ist das, was zunächst in der Flüssigkeit verborgen war, dann aber abgesunken ist und sich dadurch angesammelt und verdichtet hat; so ist es sichtbar geworden und bleibt danach bestehen, auch wenn die Flüssigkeit verdunstet. „Hypostasis“ bedeutet philosophisch „dauerhafter Bestand“, „Wirklichkeit“, „wahre (nicht nur scheinbare oder eingebildete) Existenz“. In diesem Sinne kommt das Wort ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. in philosophischen Texten vor. Es ist aber zunächst kein streng definierter, auf eine bestimmte Bedeutung eingeengter Fachbegriff. Versuche der älteren Forschung, einen spezifisch stoischen oder spezifisch peripatetischen Sprachgebrauch nachzuweisen, sind gescheitert.[1]

Erst später wird „Hypostasis“ manchmal auch als Synonym von „Substanz“ verwendet. Es besteht aber doch, wie manche Textstellen zeigen, ein Bedeutungsunterschied. „Substanz“ (griechisch Ousia) ist der allgemeinere, abstraktere Begriff, „Hypostasis“ bezeichnet die in Erscheinung tretende Verwirklichung des mit Ousia gemeinten abstrakten „Seins“ (wörtlich der „Seiendheit“), den konkreten „Bestand“ von etwas, das Vorkommen in der Realität. So schreibt der Aristoteles-Kommentator Alexander von Aphrodisias, dass Stoff und Form sich nach ihrem Sein (kat’ ousían) unterscheiden, in ihrem Bestand (hypostásei) und Vorkommen aber nicht ohneeinander sein können.[2]

Philosophischer Fachbegriff

Neben seinen bisherigen allgemeinen, dehnbaren Bedeutungen erhält der Begriff „Hypostasis“ in der griechischen Philosophie der römischen Kaiserzeit aber auch eine konkrete Bedeutung als Fachbegriff, vor allem im Neuplatonismus. In dieser Verwendung bezeichnet „Hypostasis“ eine eigenständige Existenzform, die von anderen Existenzformen abgegrenzt werden soll. Damit ist nicht die Existenz von Einzeldingen gemeint, die von anderen Einzeldingen derselben Art unterschieden werden, sondern eine besondere Art des Bestehens, der Realität. So schreibt der Skeptiker Sextus Empiricus Begriffen wie „weiß“, „schwarz“, „süß“ und „sauer“ eine eigene Realität („Hypostasis“) zu, im Gegensatz zu Steigerungsformen wie „weißer“ oder „süßer“; er erörtert die Frage, ob der Linie, dem Ganzen oder der Zahl in diesem Sinn eine eigene Realität zukommt.

Bisweilen schreiben Philosophen, etwas „sei“ eine bzw. keine Hypostasis, wenn sie meinen, dass es eine bzw. keine Hypostasis aufweise. Im Neuplatonismus und später im Christentum bürgert sich dieser Sprachgebrauch ein.

Der Begründer der neuplatonischen Tradition, Plotin, verwendet den Begriff Hypostase häufig, aber noch nicht im Sinne eines besonderen Fachterminus. Er spricht von drei „Naturen“ (phýseis) im hierarchisch aufgebauten Bereich des Geistigen, nämlich dem Einen, dem Nous und der Seele, und bezeichnet das Eine auch als „erste Hypostase“. Die Materie betrachtet Plotin als nicht im eigentlichen Sinne existierend und damit nicht als Hypostase.

Als Fachbegriff speziell für die „Naturen“ (Seinsformen oder Seinsstufen) ist „Hypostase“ erst bei Plotins Schüler Porphyrios geläufig. Porphyrios bezeichnet den Nous, die Seele und den Weltkörper als ganze und vollkommene Hypostasen unterhalb des Einen; in anderem Zusammenhang wird deutlich, dass er auch das Eine selbst als vollkommene Hypostase betrachtet. Neben diesen vollkommenen Hypostasen in der rein geistigen Welt nimmt er unvollkommene Hypostasen an, die sich in Raum und Zeit manifestieren. Die jeweils untergeordnete Seinsstufe erscheint in diesem neuplatonischen Stufenmodell als Ausfluss der nächsthöheren; sie geht aus der höheren hervor, ohne dass diese dadurch verändert oder gemindert wird. In anderem Zusammenhang nennt Porphyrios, Platon auslegend, das Gute, den Demiurgen (Weltschöpfer) und die Weltseele die drei Hypostasen des Göttlichen.

Anscheinend ist Porphyrios auch der Urheber der philosophischen Verwendung des Gegenbegriffs parhypóstasis. Dieser dient zur Bezeichnung der scheinbaren Existenz von etwas, was nicht wirklich vorhanden ist, sondern nur einen Mangel an etwas Wirklichem darstellt. Eine solche unreale Existenzweise schreiben die antiken Neuplatoniker, besonders Proklos, dem Bösen zu, das sie als bloßen Mangel auffassen.

Christliche Theologie

Die antiken Christen fassten den Begriff Hypostase anfänglich im damals gängigen philosophischen Sinn auf; so wird er im Neuen Testament verwendet. In der Spätantike erfuhr der Begriff in der Diskussion um die Trinität eine Umdeutung. Unter Hypostase verstand man nunmehr das Besondere jedes der drei Elemente der Trinität (Vater, Sohn und Heiliger Geist), während deren Einheit als Ousia (Wesen) bezeichnet wurde. Die Formel von dem einen Wesen Gottes in drei Hypostasen (Personen) wurde zum Bestandteil des christlichen Dogmas. Ein fundamentaler Unterschied zur nichtchristlichen philosophischen Bedeutung von „Hypostase“ besteht darin, dass in der christlichen Lehre die Hypostasen nicht hierarchisch gestuft, sondern wesensgleich sind.

In der Christologie wurde der Begriff Hypostase, der anfänglich als Synonym von „Natur“ verwendet wurde, ab dem letzten Viertel des 4. Jahrhunderts ebenfalls zunehmend im Sinne der neuen Terminologie umgeprägt. Im 5. Jahrhundert setzte sich die neue Bedeutung auch in der Christologie durch. Von da an unterschied man zwischen der einen Hypostase (Person) Christus und seinen beiden Naturen (der menschlichen und der göttlichen). Diese beiden Naturen sind dem Dogma zufolge in der „hypostatischen Union“ in Christus vereint.

Kant

Bei Immanuel Kant erhält der Begriff „Hypostase“ einen neuen Sinn, da er davon ausgeht, dass Hypostasen im antiken Sinn nicht existieren, sondern ein „bloße(s) Blendwerk“ sind. Er versteht unter Hypostase etwas, was bloß in Gedanken existiert, dem man aber dieselbe Qualität zuschreibt, die einem wirklichen Gegenstand außerhalb des denkenden Subjekts zukommt. Aus dieser Wortbedeutung leitet Kant das Verb „hypostasieren“ ab. Damit meint er, dass einem Gedanken gegenständliche Realität untergeschoben wird.[3]

Religionswissenschaft

In der Religionswissenschaft bezeichnet man als Hypostase die Konkretisierung unterschiedlicher Wirkungsweisen einer Gottheit.

Literatur

Weblinks

Anmerkungen

  1. Hammerstaedt Sp. 990f.
  2. Alexander von Aphrodisias: Kommentar zu den Analytica priora des Aristoteles 4, 10f. und 4,13.
  3. Einschlägige Äußerungen Kants stehen in der Kritik der reinen Vernunft A 386, A 392, A 395, A 402 u.a.

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