Hypothetischer Imperativ

Hypothetischer Imperativ

Ein hypothetischer Imperativ hat die Form „Wenn du x willst, dann tue y“. Nach einigen Moraltheorien haben moralische Forderungen grundsätzlich diese Struktur. Auf y verpflichtet ist daher nur derjenige, welcher faktisch auch x will. Eine Gegenthese dazu besagt, dass moralisches Sollen im eigentlichen Sinne nicht nur relativ zu bestimmten Interessen bestehe, sondern grundsätzlich für jeden und unbedingt, d. h. kategorisch gelte.

Begriffsgeschichte

Der Ausdruck „hypothetischer Imperativ“ stammt von Immanuel Kant. Er hält dem entgegen, dass moralische Forderungen unbedingt und kategorisch gelten (siehe Kategorischer Imperativ), nicht nur unter Voraussetzung bestimmter Präferenzen oder Ziele. Die Universalität ethischer Pflichten rührt dabei vom menschlichen Subjekt.

Für einige traditionelle fundamentalethische Ansätze, wie man sie vielen Scholastikern zuschreiben kann, gründet die Universalität moralischer Pflichten dagegen im Verstand und Willen des ersten Seienden. Durch objektive Sachzwänge (inclinatio naturae, Lex aeterna) ist das Erreichen bestimmter Ziele mit Voraussetzungen verbunden (virtus naturae, inclinatio naturae, lex aeterna). Diese bringen ein Sollen hervor, falls ein Ziel angestrebt wird. Das Anstreben des Zieles ist gleichwohl hypothetisch, und deshalb auch der Imperativ.

Nach Thomas von Aquin werden alle konkreten Ziele vom Menschen selbst bestimmt[1] Einzig das allgemeine Ziel des Menschen (Streben nach objektiver, geistiger Glückseligkeit) kommt ihm wesentlich und damit notwendig zu. Worin es sich konkret ausgestaltet, wird vom Menschen aber weitgehend selbst bestimmt. So finden nicht alle Menschen, dass Gott das letzte Ziel ist.[2] Glückseligkeit wird dabei nicht egoistisch, sondern als ein objektiver Zustand der sittlichen Ordnung verstanden. Mit diesem Ziel sind Güter wie Gott, die Gerechtigkeit und die vollkommene Betätigung der Seelenkräfte innerlich verbunden.[3]

Durch den Sollensanspruch hinsichtlich des letzten Zieles wird aus dem Guten (bonum) eine Pflicht (ein rectum). Das bonum ist durch die sittliche Vernunft (orthos logos, recta ratio) bestimmt, während das rectum eine Pflicht (bonum debitum) ist und somit darüber hinausgeht.[4] Da das rectum aber letztlich aus dem Sollensanspruch hinsichtlich des letzten Zieles hervorgeht, muss jedes rectum auch der sittlichen Vernunft konform sein. (In analoger Weise wird durch den Sollensanspruch hinsichtlich des letzten Zieles auch aus dem malum ein peccatum.[5])

Diskussion

Die Verteidiger kategorischer Imperative werfen Ethikern, welche moralische Forderungen als hypothetische Imperative verstehen, vor, dass Sittenforderungen absolut gelten und dies nicht angemessen eingefangen werde, wenn moralische Forderungen auf bestimmte Ziele relativiert werden.

Umgekehrt erscheint z. B. aus tugendethischer Perspektive der Anspruch kategorischer Imperative zu unvermittelt z. B. mit Gesichtspunkten der Persönlichkeitsentwicklung.

Quellen

  1. Summa theologica I-II 1,7 c: Tametsi unus est ultimus finis formaliter omnium hominum, multiplicantur tamen quae per varia studia homines ut ultimos fines assequi conantur.
  2. Summa theologica I-II 2 a 1 c: Quamvis Deus sit ultimus finis omnium rerum, non est tamen hominis et aliarum creaturarum ratione carentium idem ultimus finis ad illius consecutionem et adeptionem.
  3. Summa theologica I-II 3 a 2, 5, 8
  4. Vgl. beispielsweise W. Kluxen: Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin. Verlag Meiner, Hamburg 1998, S. 228
  5. Summa theologica I-II q 21 a 1
    W. Kluxen: Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin. Verlag Meiner, Hamburg 1998, S. 205

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Imperativ — steht in den Sprachwissenschaften für: Imperativ (Modus), in der Grammatik die Befehls oder Aufforderungsform wird darüber hinaus in folgenden Zusammenhängen gebraucht: imperatives Mandat, in der Politik ein Vertretungsauftrag, der den… …   Deutsch Wikipedia

  • Kategorischer Imperativ — Der kategorische Imperativ (kurz KI) ist das grundlegende Prinzip der Ethik Immanuel Kants. Er gebietet allen endlichen vernunftbegabten Wesen und damit allen Menschen, Handlungen darauf zu prüfen, ob sie einer universalisierbaren Maxime folgen… …   Deutsch Wikipedia

  • Pragmatischer Imperativ — Immanuel Kant, Radierung von Johann Leonhard Raab nach einem Original von Döbler (1791) Kants Unterschrift Immanuel Kant …   Deutsch Wikipedia

  • Imperativsatz — Imperativ steht für: Imperativ (Modus), in der Grammatik die Befehls oder Aufforderungsform imperatives Mandat, in der Politik ein Vertretungsauftrag, der den Volksvertreter an den Auftrag der Vertretenen bindet Imperative Programmierung, in der… …   Deutsch Wikipedia

  • Pflichtethik — Der kategorische Imperativ (kurz KI) ist das grundlegende Prinzip der Ethik Immanuel Kants. Er gebietet allen endlichen vernunftbegabten Wesen und damit allen Menschen, Handlungen darauf zu prüfen, ob sie einer universalisierbaren Maxime folgen… …   Deutsch Wikipedia

  • Prinzipienethik — Der kategorische Imperativ (kurz KI) ist das grundlegende Prinzip der Ethik Immanuel Kants. Er gebietet allen endlichen vernunftbegabten Wesen und damit allen Menschen, Handlungen darauf zu prüfen, ob sie einer universalisierbaren Maxime folgen… …   Deutsch Wikipedia

  • Sollensanspruch — Der moralphilosophische Ausdruck Sollensanspruch charakterisiert diejenige Eigenschaft moralischer Normen, welche sie von Beschreibungen unterscheidet und ihre moralische Verpflichtung, ein Sollen, an eine bzw. jede bzw. jede betroffene Person… …   Deutsch Wikipedia

  • kategorisch — ka|te|go|risch: 1. einfach aussagend, behauptend; kategorisches Urteil: einfache, nicht an Bedingungen geknüpfte Aussage (A ist B). 2. unbedingt gültig; kategorischer Imperativ: unbedingt gültiges ethisches Gesetz, Pflichtgebot; vgl.… …   Das große Fremdwörterbuch

  • hypothetisch — hy|po|the|tisch <über lat. hypotheticus aus gleichbed. gr. hypothetikós> nur angenommen, auf einer unbewiesenen Vermutung beruhend, fraglich, zweifelhaft; hypothetischer Imperativ: nur unter gewissen Bedingungen notwendiges Sollen; vgl.… …   Das große Fremdwörterbuch

  • hypothetical imperative — noun a principle stating the action required to attain a desired goal • Hypernyms: ↑principle, ↑precept * * * noun Etymology: translation of German hypothetischer imperativ : an imperative of conduct that springs from expediency or practical… …   Useful english dictionary

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”