Altonaer Balkon

Altonaer Balkon
Auf dem Altonaer Balkon
Lovis Corinth Blick vom Altonaer Balkon auf den Köhlbrand
Fischer von Gerhard Brandes
Rainville's Garten um 1815

Der Altonaer Balkon südlich der Palmaille gegenüber dem Altonaer Rathaus ist ein Teil des Grünzuges, der sich am nördlichen Elbufer von Hamburg-Altona über Neumühlen nach Westen erstreckt. Den Namen verdankt die Anlage ihrer Aussichtsplattform auf dem Geesthang 27 m über der Elbe mit Blick auf den Hamburger Hafen und den Köhlbrand.[1] Auf dem Altonaer Balkon steht eine Bronze-Plastik Fischer von Gerhard Brandes (* 1923) aus dem Jahr 1968.

Im 19. Jahrhundert bestand in ähnlicher Lage über der Elbe 250 Meter stromabwärts in Ottensen das Gartenrestaurant Rainville. Als Voreigentümer des Geländes werden der Rechtsgelehrte Rutger Rulant[2] (1568-1630), 1652 der Bürgermeister von Leipzig Christian Lorentz von Adlershelm, 1661 der hannoversche Gesandte Johann Jacob von Hiebener (1623 - 17. Februar 1711) und 1677 Manuel Teixeira, einziger Sohn des Abraham Senior Teixeira und wie sein Vater Resident der abgedankten Königin Christina (Schweden), genannt. Georg Ludwig von Köller-Banner (General), Widersacher des 1772 hingerichteten Johann Friedrich Struensee, erbte es 1776 und öffnete den Garten mit seiner schönen Aussicht „zum Vergnügen der Altonaer“. Als er 1781 nach Stettin zog, vermietete er Haus und Garten „zum öffentlichen Gasthause“. 1794 erwarb der Kaufmann (und ab 1795 Gesandte der Batavischen Republik) Balthasar Elias Abbema das Anwesen für 40000 Mark und ließ dort noch im selben Jahr von Christian Frederik Hansen ein Landhaus errichten, welches Gottlieb Ernst Klausen,[3] Rektor und Professor des Gymnasiums Christianeum in Altona, 1799 mit folgenden Versen besang:

ragt dort von seiner[4] Hand ein Bau,
schimmernd weiß und dunkelblau,
mit freier Aussicht hoch empor,
die schöner kaum ein Wunsch erkor.

Ab 1798/99 betrieb César Claude Rainville (1767 – 18. Oktober 1845), der Adjutant des Generals Dumouriez gewesen und 1794 aus Frankreich geflohen war, dort ein vornehmes Wirtshaus und machte daraus in kurzer Zeit eine weithin bekannte Attraktion.[5] "Eine Societät von ausgewanderten Franzosen", heißt es in Friedrich Johann Lorenz Meyers "Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg" von 1800, "hat sich in unserer Elbegegend zu einer eigentlich monopolistischen Restaurationsgesellschaft konstituirt [...] und dafür mehrere Häuser gekauft und Wirthschaften darin angelegt." Eines ihrer Etablissements sei "das Prachtgebäude des holländischen Gesandten, vormals Köller Banner genannt, auf Ottensens Hügel". Es solle "nicht geleugnet werden, dass dieses Köller Banner, des französischen Gastwirths Rainville, in Ottensen, nicht eins der schönsten und besuchwürdigsten Landgasthöfe in Europa sei. Dazu eignet es seine treffliche Lage - es beherrscht die Elbe mit ihren Inseln und ihrer Schiffahrt - der Geschmack in der äussern Form des im grossen Stil gebauten Hauses, in den Zimmeranlagen und ihren Dekorationen, der Garten mit seinen wechselnden Partien, Sitzen, Pavillons und ihren herrlichen Aussichten, die promte und urbane Aufwartung an Tagen, wo das Haus nicht überfüllt ist."[6]

Was der französische Diplomat Michel-Ange-Bernard Mangourit (* 21. August 1752 Rennes; † 27. Februar 1829 Paris) darüber noch enthusiastischer in seinem 1805 erschienen Buch "Voyage en Hanovre" schrieb,[7] gab die Zeitschrift "Nordische Miszellen" am 24. August 1805 ohne Namensnennung als "Bemerkungen eines Franzosen über Hamburg" wie folgt wieder:

"Ich gieng nach Rainville's Garten um zu Mittag zu essen. Die Eleganz dieses Hauses, die Reinlichkeit der Bedienung, die delikaten Speisen, das Zuströmen der schönen Welt, die erfindungsreiche Benutzung des Bodens, die Abwechslung der mahlerischen Gegenden, die bescheidene Zierde der Kunst zu Gunsten einer an.sich selbst so schönen Natur, besonders die Aussicht der obern Terrasse, eine Aussicht die man als die entzückendste in der ganzen Welt angab, dies alles hatte man mir so sehr gerühmt, daß es die erste Beschäftigung meines Geistes war, der übertriebenen Vorliebe der Franzosen und dem dänischen Stolz etwas abdingen zu wollen. Ich zeichnete mir alle Vergleichungspunkte vor, die sich in Frankreich, Spanien, Amerika, in der Schweiz und unter dem schönen Himmel Italiens meinem Gedächtnisse eingeprägt hatten. Ich habe gewiß auf meinen langen Wanderungen Gegenden angetroffen, die zum Entzücken hinrissen, aber diese, ich muß es gestehn, hat einen solchen majestätischen Charakter an sich, daß sie das schönste Bild meiner Erinnerung bei weitem übertraf. Auf der Bank wo ich saß, betrachtete ich die ausgedehnten Haiden von Hannover, die reichen Ufer Hollsteins und die kühnen Krümmungen der, die Schätze zweier Welten zu meinen Füßen hinführenden, Elbe, dieses Flusses, der in seinen weiten Biegungen Sandbänke, mit reichen Ernten, mit dunkeln Gehölzen, mit lichten Gebüschen bedeckte Inseln, und Städte in sich faßt, deren entfernte Massen nur durch die hohen Spitzen ihrer stolzen Thürme gesehn werden können; ha! wenn die Götter es wollten, daß Homer und Ossian hieher kämen auf diese andachtsvolle Bank, um die erhabenen und wilden Schönheiten dieser Aussicht zu besingen, ich glaube die Götter würden Ossian den Preis zuerkennen."[8]

Heinrich Heine, dessen Onkel Salomon Heine in unmittelbarer Nachbarschaft 1808 einen Landsitz, den heutigen Heine-Park, kaufte, fasste sich 1833 kürzer:

“Die Ufergegenden der Elbe sind wunderlieblich. Besonders hinter Altona, bei Rainville. Unfern liegt Klopstock begraben…“[9]

Am 14. Juni 1842, knapp sechs Wochen nach dem Hamburger Brand, berichtete "Der Schweizer Bote" von einem glänzenden "Festdiner eigenthümlicher Art" am 5. Juni nachmittags "in dem hinter Altona reizend an der Elbe gelegenen Gartenlokale Rainville". Es habe "zwei Kunstheroen von europäischem Rufe in harmonischer Eintracht vereinigt. [...] Liszt, ruhmgekrönt von Rußlands Hauptstadt heimkehrend, - wo er durch seine enorme Virtuosität sich 200,000 Rubel erspielt haben soll - Liszt, der Kaiser des Piano, und Ole Bull, der Geigenfürst, feierten ihr Begegnen im unsteten Künstler-Wanderleben durch ein Diner". Die "beiden bleichen Jünglinge mit dem langen Haare, von so fremdartig originellem Aussehen [...] wollen vereinigt ein großes Konzert zum Besten der Abgebrannten geben, auf das schon jetzt Aller Erwartung gespannt ist."[10]

Julius Gottheil: Rainville's Garten, um 1850

Mit der Industrialisierung des Elbufers verlor der Standort nun nach und nach sein romantisches Flair. Rainville starb 1845, seine Frau 1851. Baedeker vergab wie 1855 zwar auch 1862 noch einen Stern für "*Rainville's Gasthof und Garten mit einem schönen Blick auf die Elbe, an hübschen Sommer-Nachmittagen, besonders Sonntag und Donnerstag, bei Harmonie-Musik von der Hamburger feinen Welt zahlreich besucht."[11] Aber schon 1867 wurde das Rainville-Haus abgerissen.

Heute erinnert daran nur noch der Straßenname Rainvilleterrasse. 1930/35 errichtete die Preußische Staatshochbauverwaltung dort nach einem Entwurf des Architekten Hans Meyer die Seefahrtschule, einen langgestreckten, durch Fensterbänder in vier Geschosse gegliederten kubischen Baukörper im Stil des Neuen Bauens mit Betonung der Ostecke durch weit vorkragende Balkons.[12][13][14]

Die Seefahrtschule wurde 2005 von der Stadt geschlossen und zum Verkauf gestellt. Im März 2009 billigte die Bezirksversammlung Altona einen Entwurf der Architekten Allmann Sattler Wappner für einen Neubau als Hauptverwaltung der Rickmers Reederei.[15] Nachdem sich die Reederei im Juni 2010 von diesen Plänen verabschiedet hat, zeichnet sich seit Februar 2011 eine Weiternutzung des alten Gebäudes unter Bau von 50 Wohnungen auf der im Westen angrenzenden Fläche durch eine Investorengruppe um den Architekten Meinhard von Gerkan und die Projektentwicklung "Team Hamburg" Peter Jorzick ab.[16]

Literatur

  • Wolfgang Retzlaff: Ottensen Chronik. Ottensener Bürgerverein, Hamburg-Ottensen 1994, S.238.
  • Paul Th. Hoffmann: Die Elbchaussee: ihre Landsitze, Menschen und Schicksale. Verlag Broschek Hamburg, 7. Auflage 1966, S. 50 ff.: Rainville, der „Weinberg“ und der Plangesche Gartenbesitz.

Einzelnachweise

  1. Karte 1:1000 zum Bebauungsplan Altona-Altstadt 32 von 1982
  2. Otto Beneke: Rulant, Rütger I., II., III.. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 29, Duncker & Humblot, Leipzig 1889, S. 635 f.
  3. Carsten Erich Carstens: Klausen, Gottlieb Ernst. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 16, Duncker & Humblot, Leipzig 1882, S. 63.
  4. Christian Frederik Hansens
  5. Torhild Hinrichsen: César Rainville, in: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke: Hamburgische Biografie - Personenlexikon, Band 2, Wallstein Verlag, 2001 ISBN 3767213664, S. 333 f. in der Google Buchsuche
  6. S. 86 ff. in der Google Buchsuche
  7. S. 70 ff. in der Google Buchsuche
  8. S. 70 ff. in der Google Buchsuche. In der Ausgabe vom 7. September 1805 meldeten die "Nordischen Miszellen" anschließend, "Bulletin de l'Europe" habe Mangourit für sein Buch "nach Verdienst abgefertigt" und ihn mit Kotzebue verglichen, was "in Frankreich die bedeutungsvollste Bezeichnung eines schlechten Reisebeschreibers" sei: S. 159 in der Google Buchsuche
  9. Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski Kapitel 6
  10. S. 285 in der Google Buchsuche
  11. S. 43 in der Google Buchsuche
  12. Dehio Handbuch (bearb. Johannes Habich), Hamburg/Schleswig-Holstein, 1971, S. 45
  13. Ralf Lange, Architekturführer Hamburg, 1995, ISBN 3930698587
  14. http://www.altona.info/2010/02/ein-stuck-altona-die-seefahrtsschule-rainvilleterrasse/
  15. http://www.hochschule-bochum.de/fileadmin/media/fb_a/Krenz/Entwerfen/SS_08_Rainvilleterrasse_Hamburg_Altona/Aufgabenstellung%20Entwurf.pdf
  16. DIE WELT 25. Februar 2011 - taz 25. Februar 2011
53.5453555555569.9354583333333

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