Industrierevolution

Industrierevolution
Mechaniker arbeitet an einer Dampfpumpe (1920), eines der berühmtesten Bilder des sozialdokumentarischen US-Fotografen Lewis W. Hine

Als Industrielle Revolution wird die schnelle und nachhaltige Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, Arbeitsbedingungen und Lebensumstände bezeichnet, die vom späten 18. Jahrhundert an und verstärkt im 19. Jahrhundert zunächst in England, dann in ganz Europa und in den USA zum Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft geführt hat.

Das Zeitalter der Industriellen Revolution war bzw. ist neben einer enormen Entwicklung von Technologie, Produktivität und Wissenschaften vielfach auch von sozialen Missständen gekennzeichnet, die in Pauperismus, Ausbeutung und Massenelend zum Ausdruck kamen bzw. kommen. Daraus ergab sich als ein gesellschaftspolitisches Kernproblem die Soziale Frage. In den Industrieländern ist es jedoch langfristig zu einer erheblichen Verbesserung der materiellen Verhältnisse breiter Bevölkerungsschichten gekommen.

In weltgeschichtlicher Perspektive wird die Bedeutung der Industriellen Revolution dem Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit in der Neolithischen Revolution an die Seite gestellt, welche einen vergleichbar tiefgreifenden Wandel mit sich brachte.[1] Bezüglich der Industriellen Revolution bildeten sich mit der Zeit zwei Begriffsebenen heraus: Die eine meint die mit der Entstehung der Großindustrie verbundene Epochenbezeichnung, während die andere auf einen unabgeschlossenen Prozess fortlaufenden Gesellschaftswandels zielt.

Der mit Industrieller Revolution bezeichnete epochale Umbruch des späten 18. und 19. Jahrhunderts hat nachgeborene Wirtschaftshistoriker und Sozialwissenschaftler dazu bewogen, spätere historische Umbrüche in den Wirtschafts-, Produktions- und Arbeitsformen als zweite und dritte Industrielle Revolution zu kennzeichnen. Der französische Soziologe Georges Friedmann sprach 1936 erstmals von einer zweiten industriellen Revolution.[2] Er datierte sie auf die Jahrzehnte vor und nach der Wende zum 20. Jahrhundert und identifizierte als deren Charakteristika intensivierte Mechanisierung, weitverbreiteter Gebrauch von Elektrizität und die Massenproduktion von Gütern (Taylorismus und Fordismus). Die mikroelektronische Revolution seit Mitte der 1970er Jahre wird als technologischer Kern einer neuen, dritten Industriellen Revolution angesehen.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Der Begriff der industriellen Revolution kam in Frankreich während der französischen Revolution auf. Zu Beginn diente er als Analogie, um den politischen Wandel in Frankreich mit den in etwa gleichzeitig ablaufenden Veränderungen der gewerblichen Produktionsformen vor allem in Großbritannien zu vergleichen. Ähnlich war die Verwendung auch in den folgenden Jahrzehnten, so 1827 in einem Bericht der Zeitung Moniteur Universel oder 1837, als Adolphe Jérôme Blanqui den Begriff in diesem Sinn verwandte.[3] Bereits zwei Jahre später wurde er von Natalis Briavoine als Prozess- und Epochenbegriff genutzt.

Außerhalb Frankreichs tauchte er erstmals 1843 bei Wilhelm Schulz und 1845 in der Schrift von Friedrich EngelsDie Lage der arbeitenden Klasse in England“ auf. Auch Engels verglich die politische Revolution in Frankreich und die gewerbliche Entwicklung in Großbritannien. Für ihn war die industrielle Revolution eine Epochenzäsur: „... kaum kennt die Weltgeschichte ein Ereignis, welches in dem kurzen Zeitraum weniger Menschenalter so außerordentliche Veränderungen hervorgebracht, so gewaltsam in die Schicksale der gebildeten Völker eingegriffen hat und noch eingreifen wird, als die industrielle Revolution, in welche unsere Zeit begriffen ist.

Während der Begriff hier auf die von England ausgehende industrielle Entwicklung begrenzt wurde, hatte Schulz ihn auch bereits auf andere Epochen angewandt. Darin folgte ihm vor allem die angelsächsische Tradition, z.B. John Stuart Mill. Dieser verwandte den Begriff 1848 zur Kennzeichnung jedes schnellen technologischen und sozialen Wandels. Allgemeine Verbreitung fand er allerdings erst durch Arnold Toynbee, dem man deshalb lange auch die Prägung des Begriffs zugeschrieben hat. Im 20. Jahrhundert trat das Begriffsverständnis im Sinne von Zeitalter der Industrialisierung stärker hervor.[4]

Technischer Fortschritt

Allgemein ist seit Mitte des 18. Jahrhunderts eine Zunahme von Erfindungen festzustellen; diese waren insbesondere bei der neuartigen Nutzung nicht-menschlicher Energie und im Textilgewerbe auszumachen.

David S. Landes fasst den technischen Kerngehalt der Industriellen Revolution in drei Prozessen zusammen: 1. die Mechanisierung von Handarbeit durch Maschinen, 2. die mechanische Energieerzeugung und Energieumwandlung vor allem durch die Dampfmaschine, 3. die massenhafte Verwendung der mineralischen Grundstoffe Kohle und Eisen.[5]

Die Textilindustrie ist die Schlüsselindustrie der Industriellen Revolution in England. Der britische Historiker Eric Hobsbawm bringt es auf den Punkt: "Wer Industrielle Revolution sagt, meint Baumwolle."[6] Technische Erfindungen wie die Spinning Jenny und der mechanische Webstuhl erlaubten ihre maschinelle Verarbeitung und schufen die Grundlage für das entstehende Fabriksystem, eine auf innerbetrieblicher Arbeitsteilung und Maschinennutzung beruhende neue Produktionsform (Industriekapitalismus). Die Textilindustrie gab Anstoß zur Entstehung und Entwicklung weiterer Industriezweige.

Die Einführung und Verbreitung der Dampfmaschine führte zu einer Intensivierung der Industrieproduktion. So wurde z.B. die Textilindustrie von den vorher heimischen Kleinproduktionsstätten in große Fabriken umgelagert, wo dampfgetriebene Spinnmaschinen und Webstühle schnell und produktiv die auf dem europäischen Kontinent begehrten Stoffe herstellten.

Als Folge mechanisierter Produktion stieg die Nachfrage nach Brennstoffen, wodurch Kohleabbau lukrativ und durch weitere Erfindungen immer produktiver wurde. Weiterhin wichtige technische Grundlage war die Erfindung des Kokshochofens zur Eisenverhüttung durch Abraham Darby. Mit Rädern versehen und auf Schienen gestellt, wurde die Dampfmaschine als Eisenbahn (Robert Stephensons' "Rocket") erfunden, die eine enorme Produktivitätssteigerung im Transportwesen ermöglichte. Durch fortschreitende Spezialisierung trieb die Industrialisierung im Kontext der kapitalistischen Kommerzialisierung in einem bis heute anhaltenden Prozess immer neue Gewerbe hervor.

Entwicklung der Verkehrswege

Während der industriellen Revolution entstand in England das Bedürfnis nach Transportmöglichkeiten großer Gütermengen zwischen den Städten, aber auch von Rohstoffquellen (namentlich Kohlegruben) in die wachsenden Städte. Die noch von den Römern errichteten Straßen waren für einen wirtschaftlichen Überlandtransport von Massengütern nicht geeignet und über die Jahrhunderte nur ungenügend instand gehalten worden. Auch die vorhandenen natürlichen Wasserstraßen waren nicht immer geeignet. Entweder waren sie zu klein, führten also zu wenig Wasser, oder eben nicht dahin, wo Angebot (Rohstoffquellen) oder Nachfrage (wachsende Städte) es erforderten. Die ersten Transportwege waren deshalb sog. Narrowboat-Kanäle, die ab 1750 errichtet, schließlich ein dichtes Verkehrsnetzwerk in England darstellten und erst allmählich ab 1825 (Stockton-Darlington line) von der Eisenbahn als Haupttransportmittel abgelöst wurden.

Die wichtigsten Maschinen der Industriellen Revolution

Erste Beispiele für die durch Maschinen ermöglichte Produktionssteigerung waren Spinnmaschine und mechanischer Webstuhl. Sie gehören zur Kategorie der Werkzeugmaschine, für Marx die bedeutendste Erfindung der Industriellen Revolution: deren Mechanismus verrichtet "mit seinen Werkzeugen dieselben Operationen (...), welche früher der Arbeiter mit ähnlichen Werkzeugen verrichtete".[7] Neben der Textilindustrie fand sie vornehmlich in der metallverarbeitenden Industrie Verbreitung. Als wichtigste Maschine der Industriellen Revolution wird gemeinhin die Dampfmaschine angesehen. Sie ersetzte weitgehend die wesentlich unbeständigeren bzw. leistungsärmeren herkömmlichen Antriebskräfte, die auf dem Einsatz von Menschen und Tieren sowie auf der Nutzung von Wind und Wasser beruhten. Ebenfalls von großer Bedeutung war die Dampflokomotive. Sie beschleunigte den Transport von Waren. Nach Werner Heisenberg[8] basierte die Technik des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts auf der Verwendung mechanischer Prozesse. Oft imitierten die Maschinen nur die Aktivitäten der menschlichen Hand. Diese Art von Technik konnte als eine Fortsetzung und Erweiterung der alten Handwerke (wie beispielsweise Weben, Spinnen, Lastentransport oder Eisenschmieden) betrachtet werden. Selbst die Einführung der Dampfmaschine veränderte das Wesen der Technik nicht grundlegend, obwohl mit ihr die Technologie in einem bis dato nicht bekannten Grad und Umfang expandierte.

Die Spinnmaschine und der mechanische Webstuhl

Im 18. Jahrhundert waren zwei Kleidergarnituren für das einfache Volk noch ein Luxus; kostengünstigere Textilherstellung versprach den Produzenten aber Möglichkeiten zur Absatzsteigerung. 1760 wurden in England etwa 1.300 Tonnen Baumwolle verarbeitet; 1860 waren es 190.000 Tonnen – eine Steigerung nahezu um das Hundertfünfzigfache. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der größte Teil der aus den Kolonien importierten Baumwolle in Heimarbeit verarbeitet: Die ganze Familie war beschäftigt. Doch die Weber konnten mehr Garn verarbeiten, als vier Spinner(innen) in derselben Zeit von Hand herzustellen vermochten. Die Nachfrage an Garn führte dazu, dass der Preis enorm anstieg und dass sogar Preise für Erfindungen zur Erhöhung und Qualitätsverbesserung der Garnproduktion ausgesetzt wurden.

Die Ratinger Textilfabrik Cromford gilt als erste Fabrik auf dem europäischen Kontinent

Die technologische Revolution begann zunächst in England: James Hargreaves entwickelte 1764 eine Spinnmaschine, die nach seiner Tochter „Spinning Jenny“ benannt wurde. Nur fünf Jahre später entwickelte Richard Arkwright die Waterframe, welche mit Wasserkraft betrieben wurde. Durch diese Kombination konnte der Techniker Samuel Crompton 1779 mit einer Weiterentwicklung noch viel feineres Garn herstellen. Anfangs gegenüber Ausländern geheim gehalten und in England durch Patente geschützt, wurde die Waterframe 1783 mittels Industriespionage für die deutsche Textilfabrik Cromford kopiert; von dort aus verbreitete sich das mechanisierte Spinnen über den europäischen Kontinent, später auch in die USA. Die Produktion wurde nochmals enorm gesteigert, als die Dampfmaschine die Wasserkraft ablöste. Das Ergebnis war, dass ein Spinner zu Beginn des 19. Jahrhunderts soviel Garn erzeugen konnte wie 200 Arbeiter vor der Erfindung der „Jenny“. Das bedeutete aber gleichzeitig das Ende der Heimindustrie – sie konnte nicht mehr mit den größeren, dampfbetriebenen Maschinen Schritt halten. Anfang des 19. Jahrhunderts befanden sich davon etwa 100.000 in den entstandenen Spinnfabriken. Der Preis des Garns sank enorm. Ergebnis: Die billig gewordenen Baumwolltextilien steigerten den Absatz in England und machten 1830 mehr als die Hälfte der englischen Exporte aus.

Die Weberei blieb gegenüber der Modernisierung in der Spinnerei lange zurück – bis der Londoner Pfarrer Edmond Cartwright 1784 den mechanischen Webstuhl erfand; aber er benötigte etwa 50 Jahre, bis er sich endgültig durchsetzen konnte. Der Grund war, dass gut 250.000 Handweber erbitterten und brutalen Widerstand leisteten und aus Angst um ihren Berufsstand und vor der Modernisierung sogar Fabriken niederbrannten. Der Aufstand blieb aber erfolglos, da Industrielle und Konsumenten von den neuen Produktionsweisen profitierten.

Die Dampfmaschine

Animation einer doppelt wirkenden Dampfmaschine mit Fliehkraftregler

Vor der Industrialisierung waren die Menschen beim Produzieren auf die eigene Kraft und auf die von Wasser, Wind und Tieren angewiesen. Zwar hatten manche sich bereits mit dem Bau von Kraftmaschinen beschäftigt; doch fehlte es oft an den technischen Möglichkeiten, um ihre Ideen zu verwirklichen.

Die erste industriell nutzbare Dampfmaschine wurde 1712 von Thomas Newcomen konstruiert und diente zum Abpumpen des Wassers in einem Bergwerk. Der Wirkungsgrad der Newcomenschen Maschinen lag anfänglich bei lediglich 0,5 Prozent und konnte von John Smeaton auf ein Prozent erhöht werden. James Watt, dem oft fälschlicherweise die Erfindung der Dampfmaschine zugeschrieben wird, verbesserte den Wirkungsgrad der Newcomenschen Dampfmaschine – basierend auf Vorarbeiten von Denis Papin – auf drei Prozent, indem er die Kondensation des Wasserdampfes in einen separaten Behälter, den Kondensator verlegte. Watt erhielt 1769 ein Patent auf die Dampfkonsensation außerhalb des Zylinders, zunächst für sechs Jahre. Watts Geschäftspartner, Matthew Boulton, nutzte später seine Beziehungen zu Mitgliedern des britischen Parlaments und erreichte eine Verlängerung des Patentes auf 30 Jahre, bis zum Jahr 1800. Die Beiden behinderten bis zum Ablauf des Patentes erfolgreich die Weiterentwicklung der Dampfmaschine durch konkurrierende Ingenieure. So verklagten sie Jonathan Hornblower, dessen Verbunddampfmaschine eine weitere Steigerung des Wirkungsgrads ermöglichte, wegen Patentverletzung und konnten so deren Weiterentwicklung stoppen.[9][10]

Eine Verbesserung der Effizienz gegenüber der Wattschen Dampfmaschine brachte weiterhin die Hochdruckdampfmaschine, welche 1784 von Oliver Evans konstruiert wurde. Richard Trevithick baute unmittelbar nach Ablauf des Wattschen Patentes eine solche Maschine in ein Straßenfahrzeug ein. Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Hochdruckdampfmaschinen war der Fortschritt in der Metallherstellung und -bearbeitung zu dieser Zeit. Auch das Prinzip der Verbunddampfmaschine wurde 1804 von Arthur Woolf wieder aufgegriffen. Beiträge verschiedener Ingenieure führten in den nachfolgenden Jahren zu weiteren Verbesserungen. Die Dampfmaschine wurde innerhalb kurzer Zeit zur wichtigsten Arbeitsmaschine in verschiedensten Bereichen und wurde unter anderem zum Antrieb von Pumpen, Hämmern, Gebläsen und Walzen genutzt.

Kohleabbau und Schwerindustrie

Seit dem 16. Jahrhundert wurde in England Kohle für den Hausbrand und herkömmliche Industrie verwendet. Um 1800 nahm der Bedarf noch zu, als Holzkohle durch das Roden der Wälder knapper und teurer wurde. Anfangs wurde nur im Tagbau abgebaut – aufgrund der fehlenden Pumpen für den Untertagbau (Wasserpumpen für das Schmutzwasser). Seit die Dampfmaschine als Wasserpumpenantrieb eingesetzt wurde, konnte Kohle aus immer größeren Tiefen abgebaut werden. Dampfmaschinen wurden auch zum Befördern von Menschen und Material in den Schächten genutzt und als Zugmaschinen für beladene Karren auf Holz-, später dann Eisenschienen eingesetzt (gegen Ende des 18. Jahrhunderts).

Eisenbahn durch London

Für die Eisenerzeugung wurde (bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts) Holzkohle verwendet – obwohl Abraham Darby schon 1709 aus Steinkohle Koks hergestellt und damit Eisen zum Schmelzen gebracht hatte. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts konnte gutes Eisen billig und in großen Mengen erzeugt werden, anfänglich vor allem zur Verarbeitung als Kriegsgerät. Es wurden aber auch Gegenstände für den Hausgebrauch und für die Industrie hergestellt. Trotzdem brauchte man mehrere Tage um 10 Tonnen Stahl zu erzeugen. Henry Bessemer erfand 1855 die effizientere „Bessemerbirne“. Eisen hatte aber schon zuvor Holz und Stein als Werkstoff abgelöst (z.B. bei kleinen Gebäuden, Brücken, Schiffen und Gegenständen aus Blei).

Verkehrsmittel

Wichtige Bestandteile der Industriellen Revolution waren neben der Fortentwicklung der Dampfmaschine die Entwicklung maschinell betriebener Fahrzeuge wie der Dampflokomotive durch Richard Trevithick, Timothy Hackworth, John Blenkinsop und George Stephenson und des Dampfschiffs durch Robert Fulton zu Beginn des Jahrhunderts. Mit Lokomotiven und Dampfern konnten Waren über Land und Meer sehr schnell und innerhalb einer berechenbaren Zeit transportiert werden, da die Dampfaggregate gleich bleibende Energie lieferten.

Ökonomische Entwicklung

Veränderung der Produktionsweisen

Dampfmaschine im Textilmuseum Bocholt

Mit der Nutzung der Dampfmaschine als Grundlage der Energieerzeugung an Stelle von Wasser- und Windenergie wurde ein tief greifender technologischer Wandel eingeleitet. Handarbeit konnte mechanisiert werden; aus Manufakturen entwickelten sich Fabriken und damit eine neue Produktionsweise, die zuerst in der englischen Baumwollverarbeitung, dann in weiteren Industriezweigen Einzug hielt. Die Dampfmaschine beseitigte die Abhängigkeit von witterungsbedingten saisonalen Schwankungen der Energiequellen. Wind- und wassergetriebene Mühlen oder Pumpen wurden durch Dampfgetriebe ersetzt. Mit der Umwandlung von Dampfkraft in mechanische Kraft wurde der Bau von Fabriken weit entfernt von Wasserläufen möglich. Die Energiekapazitäten der kleinen Mühlen und Manufakturen vermochten nicht mit der Dampfenergie zu konkurrieren.

Dabei wurden vorhandene Prinzipien der Herstellung durch neue ersetzt:[11] "menschliche Fertigkeit und Anstrengung durch die ebenso schnell wie gleichmäßig, präzise und unermüdlich funktionierende Arbeits-Maschine"; "belebte durch unbelebte Kraftquellen, insbesondere durch die Erfindung von (Kraft-)Maschinen, die Wärme in Arbeit umwandeln" (und damit vielfältige Energieträger erschließbar machen); "Verwendung neuer Rohmaterialien in größeren Mengen, vor allem die Ersetzung pflanzlicher und tierischer Substanzen durch anorganische und schließlich synthetisch hergestellte Materialien".

Die damit verbundenen Veränderungen der Arbeitswelt verliefen nicht konfliktfrei. So kam es in England zur Erhebung der Maschinenstürmer ("Ludditen"). Arbeiter sahen ihren Lebensunterhalt bedroht und protestierten gegen diese Entwicklung teilweise mit Gewalt und Sabotage in Fabriken.

Adam Smith

Kapitalbildung für eine zentralisierte Produktion

Zur Industrialisierung in großem Stil wurde das entsprechende Kapital benötigt, das die Finanzierung von Maschinen, Fabrikanlagen und Verkehrsinfrastruktur ermöglichte. Neben Banken, adeligen Großgrundbesitzern, Kaufleuten, dem Kolonialhandel und Handwerkern trugen zur Kapitalbildung auch die Minimallöhne der abhängig Beschäftigten bei. Es wurden außerdem Kapitalgesellschaften gegründet, die es erlaubten die Investitionssumme auf mehrere Gesellschafter zu verteilen und gemeinsame wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Nordenglische Grubenbesitzer verbanden sich mit Londoner Kohlehändlern; Brauereibesitzer mit Malzlieferanten und Erfinder mit Kapitalgebern, Maschinenbauer mit Spinnereien. Technische Erfindung wurde genutzt und verbessert, die Arbeitsteilung und Spezialisierung vorangetrieben und die Betriebe vergrößert. In der den Prozess einleitenden englischen Industrie nahm die Pro-Kopf-Erzeugung stetig zu. Der Absatz der Massengüter war durch die seinerzeitige Weltmachtstellung des Britischen Empires nicht nur in England gesichert, sondern auch in den Kolonien und in Kontinentaleuropa, wo englische Produkte bis in das 19. Jahrhundert den Markt beherrschten.

Wirtschaftsliberalismus

Wichtige theoretische Grundlagen für die Industrielle Revolution lieferten der englische Wirtschaftsliberalismus bzw. die Klassische Nationalökonomie. Die liberale Wirtschaftsordnung Englands im 18. Jh. wurde durch den schottischen Moralphilosophen Adam Smith erstmals gründlich beschrieben und als ursächlich für den gesellschaftlichen Wohlstand bewertet (vgl. Der Wohlstand der Nationen).

Die Klassische Nationalökonomie brach mit der politischen Ökonomie des bis dahin vorherrschenden Merkantilismus. Im Gegensatz zu diesem hielt die wirtschaftsliberale Auffassung jede nützliche Arbeit für produktiv. Indem sie dem persönlichen Wohl diene, nütze sie auch der Gesellschaft. Monopole, die im Merkantilismus als nützliche Einnahmequelle für den Staat angesehen wurden, lehnte Adam Smith ab. Die von ihm entwickelte Theorie der “unsichtbaren Hand“ wurde zur vorherrschenden Wirtschaftslehre.

Als Moralphilosoph lehrte Smith, nicht eine höhere Instanz, sondern der Mensch selbst setze sich seine Schranken. Die Rolle des Staates bestimmte er im Anschluss an John Locke und im Gegensatz zum Leviathan von Thomas Hobbes zurückhaltend. Aus der Wirtschaftsregulierung sollte sich der Staat demnach weitgehend heraushalten; er sollte vor allem ordnungspolitische Funktionen übernehmen und die Eigentumsrechte der Bürger garantieren. Unter solchen Voraussetzungen konnte sich ein industriell ausgerichtetes Bürgertum herausbilden.

Demografische Entwicklung

Bevölkerungswachstum

Eine wichtige Antriebskraft für die Industrialisierung war die Bevölkerungsexplosion ab Mitte des 18. Jahrhunderts bis spät ins 19. Jahrhundert. Während im 18. Jahrhundert die Sterberate etwa so hoch war wie die Geburtenrate, erhöhte sich die Bevölkerungszahl während der industriellen Revolution explosionsartig. Um die schnell wachsende Bevölkerung Englands zu ernähren, reichte die traditionelle Dreifelderwirtschaft nicht aus. Eine Agrarrevolution, in der auf die viel produktivere Fruchtwechselwirtschaft und ertragreichere Feldfrüchte umgestellt wurde, sorgte für mehr Nahrungsmittel. Die mit der Industriellen Revolution auch verbundene Mechanisierung der Landwirtschaft steigerte das Nahrungsmittelangebot zusätzlich und beschleunigt auf diese Weise wiederum das Bevölkerungswachstum.

Weitere Gründe für die Bevölkerungszunahme lagen in medizinischen Fortschritten (Entdeckung der Viren und Bakterien) und in verbesserter Hygiene (Gesunderhaltung durch verbreitete Aufklärung und standardisierte Verhaltensweisen). Auch die Bauernbefreiung trug ihren Teil dazu bei, wo sie zu selbstverantwortlicher landwirtschaftlicher Bodennutzung auf der Basis von Eigentum oder Pachtverträgen führte. Auf die im Gegensatz zum Feudalsystem daraus resultierenden wirtschaftlichen Anreize zu Investitionen in eine höhere Ertragskraft des landwirtschaftlich genutzten Bodens ist Adam Smith in seiner Publikation "Der Wohlstand der Nationen" ausführlich eingegangen.

Urbanisierung und Migration

Erstmals galten im damaligen England die heute selbstverständliche freie Berufswahl, die Gewerbefreiheit, die freie Wahl des Wohnsitzes und des Ehepartners. Viele Bauern verkauften ihr kleines, oft unrentables Stück Boden oder gaben ihren Pachtvertrag auf. Die vorwiegend ländlichen Heimarbeiten konnten mit der wachsenden und billigeren Konkurrenz der Fabrikerzeugnisse nicht mehr mithalten. Hunger und wachsende Armut trieben die schnell wachsende ländliche Bevölkerung in die neu gegründeten Industriestädte. Die einsetzende Landflucht war eine direkte Folge der Industrialisierung. Kleinbauern und Landlose fingen an, in die Städte abzuwandern und dort Arbeit zu suchen. Diesen Vorgang nennt man Urbanisierung. Arbeiter für die Industrielle Revolution standen damit ausreichend zur Verfügung. Andererseits wanderten Millionen von Menschen in die USA oder andere Staaten in „Übersee“ aus, weil sie für sich keine auskömmliche Zukunft in ihrer jeweiligen Heimat sahen.

Soziale Entwicklung und Begriff der „Sozialen Frage“

Gustave Doré: Ein Hundeleben, 1872

Durch die landwirtschaftlichen Revolution kam es in Westeuropa zu Beginn der industriellen Revolution einerseits zu einem Bevölkerungswachstum, andererseits auch zu einer Verarmung der Kleinbauern durch Abkehr von der Allmendewirtschaft. Die nun wachsende landlose Bevölkerung, die in die Städte strömte, traf auf eine für eine wesentlich kleinere Stadtbevölkerung ausgelegte Infrastruktur. Rechtsstaatliche Regelungen für die neu entstehenden Arbeitsverhältnisse in den Industriebetrieben gab es noch gar nicht. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen des sich entwickelnden Industrieproletariats waren vorwiegend von Elend und Ausbeutung bestimmt. Die Lebenserwartung blieb gering. Die sozialen Missstände wurden im 19. Jahrhundert unter dem Begriff Soziale Frage diskutiert, zu der von verschiedenen Seiten Lösungsansätze entwickelt wurden.

Einzelnachweise

  1. “Wenn man den Gesichtspunkt der Daseinsbewältigung in den Vordergrund stellt, gibt es wahrscheinlich doch nur zwei kulturgeschichtlich wirklich entscheidende Zäsuren: jenen neolithischen Übergang von der Jägerkultur zu einer ortsfesten Lebensweise und den modernen zum technisierten Industrialismus. Auch damals war die Transformation unabsehbar tiefgreifend und ging durch die Menschen quer hindurch, sie muß viele Jahrhunderte gedauert haben.“ Arnold Gehlen: Anthropologische Forschung. Reinbek 1961, S. 99.
  2. Georges Friedmann: La crise du progrés. Esquisse d'histoire des idées 1895-1935, Paris 1936
  3. Adolphe Jérôme Blanqui: Histoire de l‘économie politique en Europe. 3. Aufl. Paris 1845, S. 180f.
  4. Dietrich Hilger: Industrie als Epochenbegriff: Industrialismus und industrielle Revolution. In: Geschichtliche Grundbegriffe: historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 3. Stuttgart: Klett-Cotta, 1982. S.286-296
  5. David S. Landes: Der entfesselte Prometheus. Köln 1973, S. 52
  6. Eric J. Hobsbawm: Industrie und Empire I. Frankfurt am Main 1969, S. 55
  7. Karl Marx: Das Kapital, Band I, Marx-Engels-Werke, Band 23, Berlin 1962, S.394
  8. Werner Heisenberg: The Physicist's Conception of Nature, London 1958.
  9. Jonathan Hornblower, In: Encyclopædia Britannica, 2009.
  10. Ben Marsden, Watt’s Perfect Engine: Steam and the Age of Invention, Columbia University Press, 2004.
  11. Landes, Wohlstand, S. 205.

Siehe auch

Literatur

  • Fernand Braudel: Sozialgeschichte des 15. - 18. Jahrhunderts. 3 Bände. Kindler, München 1985/86 (Originaltitel: Civilisation matérielle, économie et capitalisme, XVe - XVIIIe siècle)
  • Christoph Buchheim: Industrielle Revolutionen, dtv, München 1994, ISBN 3-423-04622-8
  • Hans-Werner Hahn: Die Industrielle Revolution in Deutschland. 2. Auflage. Oldenbourg, München 2005, ISBN 3-486-57669-0
  • Friedrich Hayek: Capitalism and the Historians, The University of Chicago Press, ISBN 0-226-32072-3 (Taschenbuch 1963)
  • Eric Hobsbawm: The Age of Revolution, 1962, Nachdruck 1996, B&T, ISBN 0-679-77253-7
  • David S. Landes: Der entfesselte Prometheus. Technologischer Wandel und industrielle Entwicklung in Westeuropa von 1750 bis zur Gegenwart. (TB-Ausgabe) dtv, München 1983, ISBN 3-423-04418-7
  • David S. Landes: Wohlstand und Armut der Nationen. Warum die einen reich und die anderen arm sind. Siedler-Verlag, Berlin 1999, ISBN 3-88680-525-5
  • Toni Pierenkemper: Umstrittene Revolutionen. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Fischer, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-596-60147-9

Weblinks


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