Intraossärer Zugang

Intraossärer Zugang

Ein intraossärer Zugang bzw. eine intraossäre Infusion ist eine Applikationsform, bei der Infusionen oder Medikamente intraossär (in die Knochenmarkshöhle) verabreicht werden. Dazu wird eine Stahlkanüle in den Knochen eingestochen, worüber die Substanzen aufgrund der guten Durchblutung der Knochenmarkhöhle verabreicht werden können.

Verwendet wird der intraossäre Zugang oft bei Kindernotfällen, da es bei diesen mitunter schwierig ist, die kleinen Venen mit einer Venenverweilkanüle zu punktieren. Grundsätzlich ist er jedoch in allen Altersstufen einsetzbar und wird zunehmend auch bei Erwachsenen genutzt. Der intraossäre Zugang ist bei der Infusion von Flüssigkeit, Applikation von Medikamenten und Blutentnahme eine vergleichbare Alternative zum Venenkatheter. Im Notfall lassen sich alle gängigen Medikamente und Blutprodukte applizieren, auch Blutentnahmen sind möglich. Vorteile der intraossären Punktion sind die schnelle Anwendung und hohe Erfolgsraten (>80 %) bei geringem Komplikationsrisiko. Nachteilig sind die höheren Kosten für Material und eine beschränkte Durchflussrate der Punktionsnadeln bei manchen Systemen.[1]

Bereits in den 1940er Jahren wurde die intraossäre Injektion erfolgreich angewendet.[2]

Inhaltsverzeichnis

Anwendung und Gegenanzeigen

Der Einsatz eines intraossären Zugangs ist eine wichtige Alternative, wenn aufgrund schwieriger Umgebungsbedingungen oder patientenspezifischer Aspekte (Übergewicht, Gefäßschäden, schwierige Punktion bei Kindern) ein venöser Zugang über eine Venenverweilkanüle nicht möglich ist. In den Richtlinien der amerikanischen (AHA) und europäischen Reanimationsgremien (ERC) wird der intraossäre Zugang im Rahmen der Herz-Lungen-Wiederbelebung als Alternative zum peripher-venösen Zugang empfohlen, erst an dritter Stelle die Medikamentengabe über die Luftröhre (endobronchial).[3]

Ein intraossärer Zugang ist relativ kontraindiziert beim Vorliegen einer Osteogenesis imperfecta (Glasknochenkrankheit), lokalen Infektionsherden, Knochenbrüchen und Vorpunktionen am betroffenen Knochen.[4]

Punktionsorte

Der bevorzugte Punktionsort ist der obere Teil des Schienbeins (proximale Tibia), einige Zentimeter unterhalb der Tuberositas tibiae. Daneben stehen als Alternativen unter anderem der Oberschenkelknochen (Femur), der Oberarmknochen (Humerus) und die Spina illiaca anterior superior des Darmbeins zur Verfügung. Auch die Punktion des Brustbeins ist möglich. Sie wird jedoch wegen der potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen[5] und des störenden Einflusses auf Reanimationsmaßnahmen (Herzdruckmassage etc.) kaum angewandt.[4]

Komplikationen

Komplikationen sind insgesamt selten. Bei Fehllagen der Kanüle kann es zu einem Kompartmentsyndrom kommen. Bei ungemäßer Kraftanwendung kann eine Fraktur des Schienbeins resultieren. Entzündungen (Osteomyelitis) und Embolien sind bei kurzer Verweildauer selten, Verletzungen der Epiphysenfuge mit Wachstumsstörungen in der Folge ebenfalls.[1][6]

Produkte

Es werden verschiedene Systeme kommerziell angeboten. Cook- und Jamshidi-Nadeln werden manuell in den Knochen eingebracht und sind für verschiedene Punktionsorte ausgelegt. Das F.A.S.T.-System ist für die Punktion des Brustbeins (Sternums) konzipiert, findet aber hauptsächlich im militärischen Bereich Anwendung. Technisch aufwändiger sind das EZ-IO-System, das den Zugang mittels einer Bohrmaschine schafft und die Bone Injection Gun, die die Kanüle mit einem Federmechanismus in das Knochenmark schießt. Diese Systeme werden als therapeutisch gleichwertig angesehen.[7]

Einzelnachweise

  1. a b Aniset L, Meinhardt J, Genzwürker H: Der intraossäre Zugang. Eine wichtige Alternative im Notfall. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2007 Jul;42(7):494-9. PMID 17661258
  2. Tocantins LM, O'Neill JF, Jones HW: Infusions of blood and other fluids via the bone marrow. J Am Med Assoc 1941; 117:1229-1234
  3. Nolan JP, Deakin CD, Soar J, Böttiger BW, Smith G: European Resuscitation Council guidelines for resuscitation 2005. Section 4: Adult advanced life support. Resuscitation (2005) 67(S1):39–86. PMID 16321716
  4. a b Jordi Ritz EM, Erb TO, Frei FJ: Vaskulärer Zugang in der Kindernotfallanästhesie. Anaesthesist 2005;54: 8-16. PMID 15609024
  5. Fortner JG, Moss ES: Death following sternal puncture: report of two cases. Ann Intern Med 1951;34:809-815. PMID 14811303
  6. Fiser RT, Walker WM, Seibert JJ, McCarthy R, Fiser DH: Tibial length following intraosseous infusion: a prospective, radiographic analysis. Pediatr Emerg Care 1987;13:186-188. PMID 9220503
  7. Calkins MD, Fitzgerald G, Bentley TB, Burris D: Intraosseous infusion devices: a comparison for potential use in special operations. J Trauma 2000;6:1068-74. PMID 10866253

Weblinks


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