J. H. Pestalozzi

J. H. Pestalozzi
Dieser Artikel beschreibt den Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi. Weitere Personen namens Heinrich Pestalozzi finden sie hier
Johann Heinrich Pestalozzi (Gemälde, vermutlich von F.G.A. Schöner)
Wappen der Familie Pestalozzi aus Zürich

Johann Heinrich Pestalozzi (* 12. Januar 1746 in Zürich; † 17. Februar 1827 in Brugg, Kanton Aargau) war ein Schweizer Pädagoge. Ausserdem machte er sich als Philanthrop, Schul- und Sozialreformer, Philosoph sowie Politiker einen Namen.

Sein Ziel war es, „den Menschen zu stärken“ und ihn dahin zu bringen, „sich selbst helfen zu können“. Besonderes Augenmerk richtete er auf die Elementarbildung der Kinder, welche schon vor der Schule in der Familie beginnen sollte. Dabei kam es ihm darauf an, die intellektuellen, sittlich-religiösen und handwerklichen Kräfte der Kinder allseitig und harmonisch zu fördern. Heute würde man sagen, Pestalozzi vertrat einen ganzheitlichen Ansatz. Seine pädagogischen Ideen, die er 1801 in seinem Buch Wie Gertrud ihre Kinder lehrt erstmals systematisch darlegte, setzte er ansatzweise schon in seiner frühen Armenanstalt auf dem Neuhof (1774 - 1780) um, spezifischer dann im Waisenhaus in Stans (1799) und systematisch in seinen Instituten in Burgdorf (1800 - 1804) und Yverdon (1804 - 1825). Der Gehalt seiner zahlreichen politischen und pädagogischen Schriften, die heute teilweise altertümlich und pathetisch klingen, ist nach wie vor aktuell. Viele seiner Grundideen findet man in der modernen Pädagogik wieder.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Sein literarischer Nachlass umfasst in der „Kritischen Ausgabe“ 45 Bände. Pestalozzi nahm die Ideen Rousseaus auf, entwickelte sie weiter, distanzierte sich aber auch teilweise von ihnen. Trotz seines leidenschaftlichen theoretischen Interesses am Menschen, an Gesellschaft und Staat wollte er primär praktisch tätig sein. So brach er sein Studium in Zürich (zunächst Theologie, dann Jurisprudenz) vorzeitig ab und begab sich in eine landwirtschaftliche Lehre (1767/1768) bei Johann Rudolf Tschiffeli in Kirchberg (Kanton Bern). Ab 1769 versuchte er sich im aargauischen Birr als landwirtschaftlicher Unternehmer. Durch die Einführung neuer Gewächse und neuer Düngemethoden wollte er der teilweise verarmten Bauernschaft ein Beispiel geben, wie sie ihre Situation verbessern könnten. Dieses Unternehmen scheiterte jedoch.

Pestalozzis Vorfahren lebten im Val San Giacomo (heute Italien), einem Gebirgstal im Süden des Splügenpasses. Im 16. Jahrhundert zog von dort ein junger Abkömmling der Familie zum Studieren nach Zürich, wo er sich nach dem Studienabschluss niederliess. Rund zweihundert Jahre später kam dort als sein direkter Nachfahre Heinrich Pestalozzi zur Welt. Im September 1769 heiratete Pestalozzi in Gebenstorf Anna Schulthess, gegen den Willen ihrer Eltern. Ab etwa 1773/74 nahmen sie an die 40 Kinder auf ihr Landgut. Pestalozzi lehrte sie spinnen, weben und den "kleinen Landbau". Er verband die praktische Arbeit mit Schulunterricht und sittlich-religiöser Erziehung und hoffte, die Anstalt durch den Verkauf der Textilprodukte selbsttragend machen zu können. Dies misslang jedoch, weshalb er immer mehr in Schulden geriet und die Anstalt 1779 schliessen musste.

Ab 1780 und den folgenden knapp 20 Jahren widmete sich Pestalozzi vorwiegend der Schriftstellerei. Er wurde durch seinen Roman Lienhard und Gertrud (4 Bände 1781-1787) weltweit berühmt. Weitere Werke aus dieser Zeit: Die Abendstunde eines Einsiedlers (1780), Christoph und Else (1782), Gesetzgebung und Kindermord (1783), Ja oder Nein? (1793), Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts (1797), Fabeln (1797).

1783 war er Mitbegründer der Zürcher Filiale des Illuminatenordens (sein Ordensname war 'Alfred') und 1784 Mitbegründer der 'Gesellschaft zur Aufnahme des Guten' in Zürich, die eine Tarnorganisation des Ordens war. Er verlor indessen in verhältnismässig kurzer Zeit das Interesse an dieser Verbindung.

Pestalozzi in Stans - Bildnis von Albert Anker, 1870
Johann Pestalozzi mit seiner Frau Anna beim Unterricht in der Erziehungsanstalt Neuhof
Pestalozzidenkmal in Yverdon
Pestalozzidenkmal in der Pestalozzi-Anlage in Zürich

1792 erklärte ihn die französische Nationalversammlung als einzigen Schweizer zum französischen Ehrenbürger. In den Wirren der helvetischen Revolution (Einmarsch der Franzosen 1798) stellte sich Pestalozzi der neuen helvetischen Regierung zur Verfügung, einerseits durch publizistische Tätigkeit (Redaktor am 'Helvetischen Volksblatt'), andererseits durch die Führung eines Waisen- und Armenhauses in Stans (1799), wo er grundlegende pädagogische Erfahrungen machen konnte. Im folgenden Jahr gründete er sein berühmtes Erziehungsinstitut im Schloss Burgdorf (Burgdorf BE), wo er eine eigene Unterrichts- und Erziehungsmethode entwickelte und theoretisch begründete (Hauptwerk: Wie Gertrud ihre Kinder lehrt).

1804 verlegte er sein Institut nach Yverdon-les-Bains (Kanton Waadt), wo er - gemeinsam mit einer Reihe bedeutender Mitarbeiter - seine Methode weiterentwickelte und in zahlreichen Schriften (beispielsweise An die Unschuld, den Ernst und den Edelmut meines Zeitalters und meines Vaterlandes 1815 und Schwanengesang 1825) publizierte. Im Wesentlichen forderte seine 'Idee der Elementarbildung' eine naturgemässe Erziehung und Bildung, die die Kräfte und Anlagen des Kopfs (intellektuelle Kräfte), des Herzens (sittlich-religiöse Kräfte) und der Hand (handwerkliche Kräfte) in Harmonie entfaltet.

Interne Streitigkeiten in der Lehrerschaft um seine Nachfolge führten das Institut in Yverdon in den Ruin. 1825 musste Pestalozzi auch diese Anstalt schliessen und zog sich zurück auf den Neuhof, wo er am 17. Februar 1827 81jährig starb und am alten Schulhaus in Birr beerdigt wurde. Seinem Wunsche gemäss pflanzte man auf sein Grab einen weissen Rosenstrauch. Anlässlich seines 100. Geburtstages erbaute ihm der Kanton Aargau 1846 an der Fassade des neuen Schulhauses ein Denkmal.

Auf seinem Grabstein stehen die Worte: „Hier ruht Heinrich Pestalozzi, geb. in Zürich am 12. Jänner 1746, gest. in Brugg am 17. Hornung 1827. Retter der Armen auf Neuhof. Prediger des Volkes in Lienhard und Gertrud. Zu Stans Vater der Waisen, Zu Burgdorf und Münchenbuchsee Gründer der neuen Volksschule. Zu Iferten Erzieher der Menschheit. Mensch, Christ, Bürger, Alles für Andere, für sich Nichts. Segen seinem Namen!“

Pestalozzi wurde zum Beispiel von Johann Gottfried Herder sehr geschätzt und viele ihrer Ideen sind identisch. Joseph Anton Sickinger, ein späterer dt. Schulreformer, übernahm viele Anregungen in sein Mannheimer Schulsystem, das Ausgangspunkt weiterer Reformen im 20. Jahrhundert in Deutschland und international wurde.

Beitrag zur Pädagogik

Der Grundsatz von Pestalozzis Pädagogik ist, ein sicheres Fundament an Elementarbildung zu legen, das den Menschen befähigt, sich selbst zu helfen (dem ähnelt das Motto „Hilf mir, es selbst zu tun“ der späteren Montessoripädagogik). Bei der Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten strebt Pestalozzis Pädagogik an, Kräfte zu entfalten, die bei den Schülern bereits natürlich angelegt sind. Die unvermeidliche Entwicklung dieser Kräfte wird dadurch in geordnete Bahnen gelenkt anstatt dem Zufall überlassen. Die Pädagogik vermittelt somit also zwischen Natur und Kultur, genauer zwischen der natürlichen Entwicklung des Kindes und den äußeren Regeln menschlichen Zusammenlebens und muss über beide Aspekte gut informiert sein.

Auf die Entwicklung im Säuglings- und Kleinkindalter bezogen, wird dieser Ansatz inzwischen durch die Existenz von Zeitfenstern der neuronalen Reifung unterstützt, etwa dem Laufenlernen im ersten oder dem Spracherwerb im zweiten bis dritten Lebensjahr. Daraus folgt, dass Pestalozzis Pädagogik bereits in der frühesten Kindheit von den Eltern umgesetzt werden kann, wofür Pestalozzi eigens unterstützende Lernmaterialien entwickelte.

Für die Unterstützung der natürlichen kindlichen Entwicklung berücksichtigt Pestalozzi die Dreiteilung in "Kopf, Herz und Hand", die jeweils für Intellekt, Sitte und praktische Fähigkeiten stehen. Im Bereich des Intellekts entwickelt seine Pädagogik aus den Elementarfächern Sprache, Gesang, Schreiben, Zeichnen und Rechnen schließlich abstraktes Urteilsvermögen. Bei der Sittlichkeit bilden elementare Gefühle von Liebe und Vertrauen die Basis für höhere Fertigkeiten wie Geduld und Gehorsam bis hin zur höchsten Stufe der religiösen Gottesverehrung. Bei den physischen Fertigkeiten führen einfache Bewegungen zu ausgefeilteren Handlungen; in diesem Bereich sind Pestalozzis Beiträge jedoch weniger weit ausgearbeitet.

Würdigung

Nach dem Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi wurden unter anderem benannt:

Werke

  • Pestalozzi. Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe. Begründet von Artur Buchenau; Eduard Spranger; Hans Stettbacher. Berlin/ Zürich: Gruyter 1927-1996
  • Pestalozzi. Sämtliche Briefe. Herausgegeben vom Pestalozzianum u. der Zentralbibliothek Zürich, bearbeitet von Emanuel Dejung; Hans Stettbacher. Zürich: Zeller 1946-1971
  • Pestalozzi über seine Anstalt in Stans. Mit einer Interpretation und neuer Einleitung von Wolfgang Klafki. Weinheim/Basel: Beltz 1997 (7). ISBN 978-3-40734-107-5
  • Dagmar Schifferli; Brigitta Klaas Meilier: Meine getreue Schulthess. Aus dem heimlichen Briefwechsel zwischen Anna Schulthess und Heinrich Pestalozzi. Werd-Verlag Zürich 1996. ISBN 3-85932-199-4
  • Pestalozzi: Wie Gertrud ihre Kinder lehrt. Verlag Literarische Tradition 2006. ISBN 978-3-86672-024-4
Brief vom 28. Okt. 1794 an Niklaus Albrecht von Effinger
Sterbehaus in Brugg AG
Grabinschrift

Literatur

Briefmarke (1951) der Serie Helfer der Menschheit
  • Anne Fischer-Buck Naturgemäße Erziehung. Ein Vergleich der Lehre von Pestalozzi und Montessori angewandt auf die heutige psychologische Pädagogik Bouvier, Bonn 1957, 1959 (Diss. phil.)
  • Wolfgang Klafki: Pestalozzis „Stanser Brief“. Eine Interpretation. In: Pestalozzi, Johann Heinrich: Pestalozzi über seine Anstalt in Stans. Mit einer Interpretation und neuer Einleitung von Wolfgang Klafki. Beltz, Weinheim 1997 (7), S. 39-71
  • Volker Kraft: Pestalozzi oder Das Pädagogische Selbst. Bad Heilbrunn 1996
  • Gerhard Kuhlemann, Arthur Brühlmeier: Johann Heinrich Pestalozzi, Band 2 in der Reihe "Basiswissen Pädagogik, Historische Pädagogik", herausgegeben von Christina Lost, Christian Ritzi. Schneider Verlag Hohengehren GmbH 2002, ISBN 3-89676-536-1
  • Friedemann Lüpke: Pädagogische Provinzen für verwahrloste Kinder und Jugendliche. Eine systematisch vergleichende Studie zu Problemstrukturen des offenen Anfangs der Erziehung. Die Beispiele Stans, Junior Republic und Gorki-Kolonie. Ergon-Verlag, Würzburg 2004, ISBN 3-89913-350-1.
  • Fritz Osterwalder: Pestalozzi - ein pädagogischer Kult. Pestalozzis Wirkungsgeschichte in der Herausbildung der modernen Pädagogik. Beltz & Gelberg, Weinheim 1996
  • Meike Wulfmeyer: Entfaltung der Menschlichkeit. Johann Heinrich Pestalozzis (1746-1827) Einflüsse auf den Sachunterricht. In: Astrid Kaiser, Detlef Pech (Hrsg.): Geschichte und historische Konzeptionen des Sachunterrichts. Basiswissen Sachunterricht Band 1. Baltmannsweiler: Schneider 2004, S. 65-68
  • Peter Stadler, "Pestalozzi - Geschichtliche Biographie" Band 1 und Band 2, Verlag NZZ, Zürich 1988 (Band 1) und 1993 (Band 2)

Weblinks


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