J. H. Schultz

J. H. Schultz

Johannes Heinrich Schultz (* 20. Juni 1884 in Göttingen; † 19. September 1970 in Berlin), meist kurz J. H. Schultz genannt (und oft I. H. Schultz gesprochen), war ein deutscher Psychiater und schulenunabhängiger Psychotherapeut. Weltberühmt wurde Schultz durch die Entwicklung des Autogenen Trainings.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Medizinstudium in Lausanne, Göttingen (wo er Karl Jaspers kennenlernte) und Breslau; 1907 Promotion in Göttingen; 1908 nach seiner Approbation dort zunächst in der Poliklinik der Medizinischen Universitätsklinik tätig, ab 1911: in der Universitätshautklinik in Breslau, im Paul-Ehrlich Institut, Frankfurt/M., in der Nervenheilanstalt Chemnitz und schließlich in der Psychiatrischen Universitätsklinik in Jena unter Otto Binswanger, bei dem er sich 1915 habilitieren konnte.

Im Ersten Weltkrieg Führung eines Genesungsheims in Belgien; 1919 a.o. Prof. für Psychiatrie und Nervenheilkunde in Jena, ab 1920 Chefarzt und wissenschaftlicher Leiter von Dr. Heinrich Lahmanns Sanatorium Weisser Hirsch bei Dresden. 1924 Niederlassung als Nervenarzt in Berlin.

1925/26 Mitglied des Gründungskomitees für den ersten Allgemeinen Ärztlichen Kongress für Psychotherapie[1], Vorstandsmitglied der am 1. Dezember 1927 gegründeten Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie, ab 1928 Fachbeirat ihrer Verbandszeitschrift sowie ab 1930 mit Arthur Kronfeld (und Rudolf Allers in Wien für den Referatenteil) Schriftleiter des nun Zentralblatt für Psychotherapie genannten Verbandsorgans[2]; 1933 Vorstandsmitglied der DAÄGP unter Matthias Heinrich Göring und ab 1936 unter diesem Vizedirektor des Deutschen Instituts für psychologische Forschung und Psychotherapie sowie Leiter der Poliklinik.

Ab 1933 verfasste Schultz mehrere Beziehungsratgeber.[3] Daneben propagierte er die „Vernichtung“ behinderter Menschen („Euthanasie“)[4] und war im Rahmen seiner Tätigkeit am Göring-Institut direkt an der Verfolgung homosexueller Männer beteiligt. Schultz war der Meinung, es gäbe erbliche und heilbare Homosexualität. An dem Institut wurde einerseits versucht, Homosexuelle zu „heilen“,[5] andererseits leitete Schulz eine Kommission, die „Verdächtige“ zum Geschlechtsverkehr mit Prostituierten zwang, um „festzustellen“, ob sie homosexuell seien. „Schuldige“ wurden in Konzentrationslager überstellt.[6]

1956 Herausgeber der Zeitschrift Psychotherapie, 1959 Gründer der Deutschen Gesellschaft für ärztliche Hypnose


Leistung

Seit mindestens 1909 Rezeption und Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse

Sein größtes Verdienst ist die Entwicklung des Autogenen Trainings, das er auf der Grundlage der Hypnoseforschung und umfangreichen auch im Selbstversuch durchgeführten Einzelstudien öffentlich erstmals 1926 als „autogene Organübungen“ vorstellte und 1928 AT nannte. Es handelt sich dabei um ein autosuggestives Übungsprogramm, sich tief zu entspannen und mehr Gelassenheit zu erreichen. Darüber hinaus war Schultz Spezialist für Hypnose und alle Fragen der Psychotherapie und Neurosenlehre.

Werke

1930
1936
  • (1915) Neue Wege und Ziele der Psychotherapie Ther. Monatshefte 29, S. 443-450 (Habilitationsvortrag)
  • (1919) Die seelische Krankenbehandlung (Psychotherapie). Ein Grundriß für Fach- und Allgemeinpraxis. Fischer Jena, 7. Aufl. Thieme Stuttgart 1958
  • (1921) Psychoanalyse und ihre Kritik. In: Adam, C. (Hrsg.): Die Psychologie und ihre Bedeutung für die ärztliche Praxis. Acht Vorträge. Fischer Jena
  • (1925) Schicksalsstunde der Psychotherapie In: Moll, Albert (Hrsg.): Abh. Gebiet. Psychother. med. Psychol. 1
  • (1927) Die Einigungsbestrebungen in der Psychotherapie. In: Eliasberg, Wladimir (Hrsg.): Bericht über den I. Allgemeinen Kongreß für Psychotherapie in Baden-Baden. 17.-19. April 1926. Carl Marhold Verlagsbuchhandlung Halle, S. 241-252
  • (1930) Das Autogene Training (konzentrative Selbstentspannung). Versuch einer klinisch-praktischen Darstellung. Thieme Leipzig, zahlr. Aufl.; Erstdruck siehe Abb. →
  • (1935) Hypnose-Technik. Praktische Anleitung zum Hypnotisieren für Ärzte. Fischer Jena
  • (1935) Ubungsheft fur das Autogene Training (konzentrative Selbstentspannung). Thieme Leipzig (zahlr. Aufl.)
  • (1936) Neurose Lebensnot ärztliche Pflicht. Klinische Vorlesungen über Psychotherapie für Ärzte und Studierende. Thieme Leipzig; Erstdruck siehe Abb. →
  • (1940) Geschlecht - Liebe - Ehe. Die Grundtatsachen des Liebes- und Geschlechtslebens in ihrer Bedeutung für Einzel- und Volksdasein. Reinhardt München, 7. Aufl. 1967
  • (1951) Bionome Psychotherapie. Thiema Stuttgart
  • (1952) Organstörungen und Perversionen im Liebesleben. Bedeutung, Entstehung, Behandlung, Verhütung. Reinhardt München
  • (1952) Psychotherapie. Leben und Werk großer Ärzte. Hippokrates Stuttgart
  • (1955) Grundfragen der Neurosenlehre. Aufbau und Sinn-Bild. Propädeutik einer medizinischen Psychologie. Thieme, Stuttgart
  • (1964) Lebensbilderbuch eines Nervenarztes - Jahrzehnte in Dankbarkeit, Thieme, Stuttgart, ²1971

Literatur

  • Udo Busso Künzel, "Ich bin ganz ruhig": Psychoanalyse und Politik in den Publikationen des Begründers des Autogenen Trainings, Johannes Heinrich Schultz, Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1998
  • Christian Meurer: Wunderwaffe Witzkanone. Heldentum von Heß bis Hendrix. Oktober-Verlag, Münster 2006, ISBN 978-3-938568-01-9 (enthält einen biographischen Essay zu Schultz)
  • Eberhard J. Wormer: Schultz, Johannes. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, S. 700 f.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Geschichte der Psychotherapieverordnungen und Gesetze in Deutschland
  2. AÄZP Allgemeine Ärztliche Zeitschrift für Psychotherapie und Psychische Hygiene
  3. u.a. Geschlecht–Liebe–Ehe. Ernst Reinhardt, München 1940.
  4. Dagmar Herzog: Sex After Fascism. Memory and Morality in Twentieth-Century Germany. Princeton University Press 2005, ISBN 0-691-11702-0, S. 35; Geoffrey Cocks: Psychotherapy in the Third Reich. The Göring Institute. Transaction 1997, ISBN 1-56000-904-7, S. 235.
  5. James E. Goggin, Eileen Brockman Goggin: Death of a “Jewish Science”. Psychoanalysis in the Third Reich. Purdue University Press 2001, ISBN 1-55753-193-5, S. 120; Florence Tamagne: A history of homosexuality in Europe. Algora 2006, ISBN 0-87586-356-6, S. 385.
  6. Angelika Hager, Sebastian Hofer: Sex unterm Hakenkreuz. Das Lustverständnis der Nationalsozialisten in der Wissenschaft. In: Profil 22/08.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Schultz — ist ein deutscher Familienname Herkunft und Bedeutung Schultz ist eine Schreibvariante des Namens Schulz und ist wie dieser vom Amt des Schultheißen abgeleitet. Varianten Schulz, Schultze, Schulze, weitere siehe Schultheiß anglisiert: Shultz… …   Deutsch Wikipedia

  • Schultz — may refer toPeople: *Albert Schultz (1963), Canadian actor *Alby Schultz (1939), Australian politcian *Andrew Schultz (1960), Australian classical composer *Connie Schultz (1957), US journalist *Dave Schultz (ice hockey) (1949), Canadian ice… …   Wikipedia

  • SCHULTZ, DUTCH — (Arthur Simon Flegenheimer, The Dutchman ; 1902–1935), U.S. gangster of the 1920s and 1930s, only boss of Murder Incorporated to be killed by Murder Inc. Born in Manhattan to Emma Neu and Herman, Austrian German immigrants, Schultz was raised in… …   Encyclopedia of Judaism

  • SCHULTZ, HOWARD — (1953– ), U.S. entrepreneur. Born and reared in Brooklyn, N.Y., Schultz won a football scholarship to Northern Michigan University and graduated in 1975 with a major in communications. He had a variety of jobs and in 1981 traveled to Seattle to… …   Encyclopedia of Judaism

  • Schultz Gruppe — Rechtsform Unternehmensgruppe Sitz Kaltenbach, Uderns Leitung Heinrich Schultz, Martha Schultz Mitarbeiter ca. 700[1] …   Deutsch Wikipedia

  • SCHULTZ (T. W.) — SCHULTZ THEODORE WILLIAM (1902 ) Né aux États Unis dans une famille d’agriculteurs, Theodore W. Schultz obtient le diplôme d’économie agricole à l’université du Wisconsin et a enseigné au collège d’État de l’Iowa (1930 1943) et à l’université de… …   Encyclopédie Universelle

  • Schultz & Larsen — is a Danish rifle manufacturer located to Otterup on the island of Fyn.The company was founded in 1919 by Hans Christian Schultz (1864 1937) and Niels Larsen (1889 1969). Following the Treaty of Versailles plenty of German machinery was… …   Wikipedia

  • Schultz-Hencke — ist der Name folgender Personen: Dankmar Schultz Hencke (1857–1913), deutscher Chemiker und Physiker Harald Schultz Hencke (1892–1953), deutscher Neo Psychoanalytiker Diese Seite ist eine Begriffsklärung zur Untersch …   Deutsch Wikipedia

  • Schultz-Dale reaction — shu̇ltz dāl n a reaction of anaphylaxis carried out in vitro with isolated tissues Schultz Werner (1878 1947) German internist. Schultz is best known for his classic description of agranulocytosis in 1922. He did his research on anaphylaxis… …   Medical dictionary

  • Schultz's pipefish — Scientific classification Kingdom: Animalia Phylum …   Wikipedia

  • Schultz — Schultz, Albert, meist Schultz Lupitz genannt, Landwirt, geb. 26. März 1831 in Rehna (Mecklenburg), kaufte 1855 das ertraglose Gut Lupitz in der Altmark und brachte es durch Phosphorsäure und Kalidünger (Kainit) ohne Stalldünger zu hohem Ertrag;… …   Kleines Konversations-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”