J. J. Rousseau

J. J. Rousseau
Jean-Jacques Rousseau, Pastell von Maurice Quentin de La Tour, 1753

Jean-Jacques Rousseau (* 28. Juni 1712 in Genf; † 2. Juli 1778 in Ermenonville bei Paris) war ein Genfer Schriftsteller, Philosoph, Pädagoge, Naturforscher und Komponist. Er gilt als einer der wichtigsten geistigen Wegbereiter der Französischen Revolution und hatte großen Einfluss auf die Pädagogik und die politischen Theorien des 19. und 20. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Schaffen

Rousseaus Vater Isaac (1672–1747) war ein Uhrmacher, dessen protestantische Vorfahren aus Glaubensgründen von Frankreich in die damals unabhängige Stadtrepublik Genf ausgewandert waren. Dort lebte auch sein Cousin Jacques Rousseau (1683-1753, Vater des französischen Orientalisten Jean-François Xavier Rousseau, 1738-1808). Isaac Rousseau war von 1705-1711 in Konstantinopel, wo er als Uhrmacher des Sultans am Serail (dem Palast des türkischen Herrschers) Genfer Uhren reparierte und wohin ihm sein Cousin Jacques später ebenfalls als Hofjuwelier folgte. Seine Mutter Suzanne Bernard (1673–1712) war Tochter eines Genfer Pastors. Als sie im Jahr 1712 neun Tage nach seiner Geburt starb, übernahm eine jüngere Schwester des Vaters den Haushalt. Sie kümmerte sich offenbar liebevoll um das oft kränkelnde und empfindsame Kind. Früh förderte der Vater seine Leselust.

1722 änderte sich die Situation des Zehnjährigen dramatisch. Der Vater flüchtete nach einer Rauferei mit einem Offizier aus Genf, da ihm eine Gefängnisstrafe drohte. Rousseau verbrachte darauf zwei Jahre als Pflegekind bei einem Pastor. Dort litt er unter ungerechter Bestrafung und körperlicher Misshandlung. Ähnlich erging es ihm später während eines Aufenthalts bei einer anderen Tante väterlicherseits. Mit zwölf ging er zunächst bei einem Gerichtsschreiber, ein Jahr später bei einem Graveur in die Lehre. Sein Vater heiratete 1726 ein zweites Mal in seinem Zufluchtsort Nyon und zeigte nur noch wenig Interesse an ihm.

Als Rousseau 1728 bei der späten Rückkehr von einem Sonntagsausflug das Stadttor verschlossen fand, folgte er einer schon länger gehegten Idee und ging auf Wanderschaft. In Savoyen lernte er nach einigen Tagen einen katholischen Geistlichen kennen, der ihn an eine Madame de Warens in Annecy vermittelte, die gerade aus der Schweiz nach Savoyen ausgewandert und Katholikin geworden war. Sie nahm Rousseau auf, schickte ihn aber drei Tage später nach Turin, wo er sich nach kurzer Unterweisung im Hospice des catéchumènes katholisch taufen ließ. Dort verdingte er sich als Diener und später als Sekretär in adeligen Turiner Häusern.

Ein Jahr später kehrte er zu Madame de Warens zurück. Ihrem Vorschlag folgend trat er für kurze Zeit in das Priesterseminar von Annecy ein. Danach vermittelte sie ihn an den Leiter der Dom-Musikschule, da er ihr während der Hausmusikstunden als talentierter Sänger aufgefallen war. Der Schulleiter nahm ihn bei sich auf und unterrichtete ihn in Chorgesang und Flöte. Es folgten einige fruchtbare Monate, in denen Rousseau die Grundlagen seiner Musikkenntnisse erwarb.

Als sein Lehrer eine neue Stelle in Lyon antrat, begleitete er ihn zunächst, kehrte dann aber nach Annecy zurück. Madame de Warens war jedoch nach Paris abgereist. Er ging erneut auf Wanderschaft, die ihn unter anderem nach Lausanne, ins preußische Neuchâtel, gelegen in der heutigen Westschweiz, und zum ersten Mal nach Paris führte. In Neuchâtel versuchte er sich zum ersten Mal erfolglos als Musiklehrer und in Paris arbeitete er im Sommer 1731 als Diener eines jungen Schweizers.

Nachdem er erfahren hatte, dass Madame de Warens sich wieder in Savoyen aufhielt, diesmal in Chambéry, kehrte er zu seiner dreizehn Jahre älteren „Maman“, wie er sie liebevoll nannte, zurück. Sie nahm ihn nun wie einen Ziehsohn bei sich auf und vermittelte ihm eine Schreiberstelle im Katasteramt, die er jedoch 1732 nach acht Monaten aufgab, um als freier Musiklehrer zu arbeiten.

Es folgten fünf relativ glückliche Jahre, die für seine Bildung – die er fast gänzlich autodidaktisch erwarb – sehr wichtig waren. Er las, musizierte, experimentierte und begann zu schreiben. „Maman“ führte ihren anfänglich widerstrebenden Jean-Jacques zudem in die Liebeskunst ein.

Im Sommer 1737 erlitt er eine Augenverletzung bei einem chemischen Experiment und reiste im Herbst zu einem Arzt nach Montpellier. Als er Anfang 1738 zurückkehrte, hatte Madame de Warens mit ihrem neuen Sekretär und Hausverwalter ein Verhältnis begonnen. Rousseau blieb trotzdem noch zwei Jahre, bis er im Frühjahr 1740 eine Stelle als Hauslehrer in Lyon antrat.

1742 reiste er nach Paris, um ein von ihm entwickeltes Notensystem von der Académie des sciences patentieren zu lassen. Er durfte es dort präsentieren, bekam auch ein Zertifikat und ließ Anfang 1743 seine Präsentation als Dissertation sur la musique moderne im Druck erscheinen, doch setzte sich sein System nicht durch.

Immerhin erhielt er Zugang zu dem bekannten literarischen Salon von Madame Dupin und lernte führende Köpfe der Stadt kennen. Auch begann er die Oper Les Muses galantes. Im Sommer 1743 reiste er nach Venedig, wo er dem neuen französischen Botschafter als Privatsekretär empfohlen worden war. Er zerstritt sich jedoch mit seinem Herrn und kehrte schon im Herbst 1744 nach Paris zurück.

Paris

Titelblatt von Rousseaus Discours sur les Sciences et les Arts, 1750

In Paris machte Rousseau 1745 die Bekanntschaft verschiedener Mäzene, mit deren Hilfe er seine fertiggestellte Oper Les Muses galantes aufführen ließ. Vor allem knüpfte er Kontakte zu anderen jungen Intellektuellen, darunter Denis Diderot und Jean le Rond d’Alembert, die Herausgeber der 1746 von Diderot initiierten Encyclopédie. Ebenfalls 1745 begann er ein Verhältnis mit der Wäscherin Thérèse Levasseur (1721–1801).

Es folgten weitere Jahre der literarischen Gehversuche (z. B. schrieb er 1747 eine Komödie, L’Engagement téméraire) in großer materieller Unsicherheit. Auch deswegen übergab seine Geliebte die 1746 und 1748 geborenen Kinder einer Einrichtung für „Findelkinder“ (Enfants trouvés), wo ihre Überlebenschancen gering waren. Dies entsprach einer damals nicht unüblichen Praxis. Voltaire machte dies dem späteren pädagogischen Theoretiker zum Vorwurf. Rousseau entschuldigte sich damit, dass seine Arbeit schlecht oder gar nicht bezahlt worden sei, weshalb Thérèse auch für seinen Lebensunterhalt habe aufkommen müssen und sich nicht mit Kindern habe belasten können.

1749 war ein entscheidendes Jahr für Rousseau. Zu Jahresbeginn beauftragte ihn d’Alembert mit der Abfassung musikologischer Artikel für die Encyclopédie. Im Herbst besuchte er den in der Festung Vincennes inhaftierten Diderot und las unterwegs in der Zeitschrift Mercure de France die Preisfrage der Académie von Dijon: Le Rétablissement des sciences et des arts a-t-il contribué à épurer les mœurs? („Hat die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste dazu beigetragen, die Sitten zu reinigen?“). Er hatte die provokante Idee, die Frage zu verneinen, und schrieb seinen Discours sur les Sciences et les Arts („Abhandlung über die Wissenschaften und die Künste“), worin er die nach Luxus strebende zeitgenössische europäische Gesellschaft in die sittliche Dekadenz abgleiten sieht. Der Discours lief den Vorstellungen vieler Intellektueller der Zeit zwar völlig entgegen, stieß bei anderen jedoch auf Interesse. Rousseau erhielt 1750 den ersten Preis und wurde, auch dank der Diskussion, die er auslöste, über Nacht europaweit bekannt. Seine Einkünfte stiegen und er konnte mit Thérèse in eine gemeinsame Wohnung ziehen. Allerdings gaben das Paar 1751 auch ein drittes Neugeborenes bei den Findelkindern ab.

Ende 1752 wurde mit großem Erfolg seine Oper Le Devin du village („Der Dorfwahrsager“) zunächst vor dem Hof und 1753 auch in Paris aufgeführt. Als Rousseau dem König vorgestellt werden sollte, entzog er sich der Ehrung und versäumte damit möglicherweise die Zuweisung einer jährlichen Pension. Nach dem Erfolg des Devin wurde vom Théâtre Français auch seine Komödie Narcisse, ein Jugendwerk, angenommen.

Beginnende Schwierigkeiten

Statt sich zu etablieren, begab sich Rousseau nun in eine Art fundamentaler Opposition. Noch 1753 begann er eine zweite kritische Preisschrift (s. u.). Daneben erregte er den Zorn nicht nur des Opernorchesters (das eine Rousseau-Puppe erhängte) mit seiner Lettre sur la musique française, in der er den französischen Musikstil zugunsten des italienischen herabsetzte. 1754 reiste er (mit einer Zwischenstation bei Madame de Warens) nach Genf, nahm die Staatsbürgerschaft der Genfer Republik wieder an und kehrte zum Protestantismus zurück.

1755 publizierte er, vorsichtshalber in Amsterdam, seinen Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes (Abhandlung über Ursprünge und Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen), der wiederum die Antwort auf eine Preisfrage der Académie de Dijon war: « Quelle est l’origine de l’inégalité parmi les hommes, et est-elle autorisée par la loi naturelle? » (deutsch: „Was ist der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, und wird sie vom Naturrecht erlaubt?“). Rousseau, der ärmliche Kleinbürger, erklärt hierin die soziale Ungleichheit aus der Herausbildung der Arbeitsteilung und der dadurch ermöglichten Aneignung der Erträge der Arbeit Vieler durch einige Wenige, die anschließend autoritäre Staatswesen organisieren, um ihren Besitzstand zu schützen. Rousseau wurde mit dieser wahrhaft revolutionären Schrift einer der Begründer des europäischen Sozialismus.

Montmorency

Anfang 1756 lehnte er den Bibliothekarsposten ab, den ihm die Stadt Genf anbot. Stattdessen siedelte er um nach Montmorency nördlich von Paris als Gast der vielseitig interessierten, selbst schriftstellernden Madame d’Épinay, einer Freundin von Diderot. Mit diesem und dem Kreis der philosophes um ihn verfeindete er sich allerdings 1758, als er auf den kritischen Artikel „Genf“, den d’Alembert für die Encyclopédie verfasst hatte, mit der Lettre à d’Alembert sur les spectacles reagierte, worin er, der einstige Theaterautor, das Theater, dieses Lieblingskind der Aufklärung, als unnütz und potentiell unsittlich anprangerte.

Titelblatt der Erstausgabe Amsterdam, 1762

In Montmorency, wo er 1758 ein Häuschen mietete und vorübergehend auch Gast des hochadeligen Duc de Luxembourg war, schrieb er innerhalb von knapp sechs Jahren seine erfolgreichsten und langfristig wirksamsten Werke: den empfindsamen Briefroman Julie oder Die neue Heloise (1756–58, erschienen 1761), der die letztlich unmögliche Liebe des bürgerlichen Intellektuellen Saint-Preux zu der adligen Julie d’Étanges darstellt und z. T. von Rousseaus Leidenschaft für die Schwägerin von Madame d’Épinay, Madame d’Houdetot, inspiriert war; weiter den Bildungsroman Émile (1759–61, erschienen 1762), in welchem er dafür eintritt, Kinder und Jugendliche sich selbst und der Natur zu überlassen und von zivilisatorischen Einflüssen fernzuhalten; und drittens die staatstheoretische Schrift Du contrat social ou Principes du droit politique (Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes, 1760/61, erschienen 1762), die die Rechte der Individuen gegenüber dem Staat, aber auch dessen Ansprüche gegenüber den Individuen zu definieren und zu begründen versucht und den heute so wichtigen Begriff der Volkssouveränität prägt, auf dem die Legitimität von Volksentscheiden und allgemeinen Wahlen gründet.

Während Julie oder Die neue Heloise sofort nach ihrem Erscheinen Anfang 1761 ein großer Erfolg war und eine Welle von Briefromanen in ganz Europa auslöste (darunter Goethes Werther), wurde der Contrat social nach seinem Erscheinen im April 1762 verboten, ebenso der Émile, als er Ende Mai erschien. Die Sorbonne verurteilte das Buch Anfang Juni, das Parlement von Paris verbot es wenige Tage danach und erließ einen Haftbefehl gegen den Autor. Stein des Anstoßes war vor allem die im Émile als Einschub enthaltene Profession de foi d’un vicaire savoyard („Glaubensbekenntnis eines savoyischen Vikars“), worin Rousseau eine quasi religiöse Verehrung der Natur propagiert. Auch die calvinistischen Oberen in Genf waren entrüstet. Sie verboten das Buch noch im Juli und erließen ebenfalls Haftbefehl.

Neuerliches Wanderleben

Manuskriptseite aus Deux Lettres à M. le Mareschal Duc de Luxembourg contenant une description du Val-de-Travers, Môtiers 1763
Rousseau in armenischer Tracht

Rousseau, der sofort geflüchtet war, fand Aufnahme bei einem Freund in Bern, wurde aber sehr rasch ausgewiesen. Im Juli wandte er sich über den Gouverneur Keith der damaligen preußischen Exklave Neuchâtel/Neuenburg an Friedrich den Großen, der ihm Asyl und etwas später sogar Bürgerrecht gewährte. Rousseau ließ sich nieder im neuenburgischen Städtchen Môtiers, wohin er Thérèse nachholte und wo er begann, sich als Armenier zu kleiden. Noch von Ende 1762 datiert eine erste Verteidigungsschrift Rousseaus, ein offener Brief an den Pariser Erzbischof, der im August den Émile ebenfalls verurteilt hatte. Anfang 1763 stellte er in Môtiers sein wohl noch in Montmorency begonnenes Dictionnaire de la musique fertig. 1764 begann er mit botanischen Studien.

Ende 1765 fühlte er sich auch in Môtiers unwillkommen und verfolgt, nicht zuletzt vielleicht, weil er begonnen hatte, sich als Armenier zu kleiden. Er nahm deshalb eine Einladung des Philosophen David Hume an und ließ sich einen Durchreise-Pass für Frankreich ausstellen. Unterwegs konnte er feststellen, dass er inzwischen durchaus auch Sympathisanten hatte. Bei einem Aufenthalt in Straßburg wurde er mit einer Aufführung des Devin de village geehrt, in Paris war er Gast des Prince de Conti und empfing in dessen Haus Besuche.

Rousseau in England, Porträt von Allan Ramsay, 1766

Das Jahr 1766 und die erste Jahreshälfte 1767 verbrachte er überwiegend in England, anfangs bei Hume, mit dem er sich aber zerstritt und der ihn attackierte. Immerhin fand er auch in England Sympathisanten vor, die z. B. den König bewogen, ihm eine Pension zu gewähren. 1767 und 1768 lebte er an verschiedenen Orten Frankreichs, unter anderem auf einem Schloss von Conti. Da der Haftbefehl des Pariser Parlaments nicht aufgehoben war, reiste er unter einem Decknamen und gab Thérèse als seine Schwester aus. 1769 und 1770 lebten sie auf einem Bergbauernhof in der südostfranzösischen Dauphiné, nachdem sie im August 1768 dort geheiratet hatten.

Aufgrund der zahlreichen Verunglimpfungen und tatsächlichen Verfolgungen seit 1762 entwickelte Rousseau nach und nach einen Verfolgungswahn. Dieser erzeugte einen Erklärungs- und Rechtfertigungsdrang, aus dem heraus er ab 1763 eine ganze Reihe kürzerer und längerer autobiografischer Texte verfasste. Der bekannteste und umfangreichste darunter waren die auch intime und für den Autor unvorteilhafte Details schildernden Confessions („Bekenntnisse“, 1765–70), die erst posthum publiziert wurden und die Untergattung der selbstentblößenden Autobiografie begründeten. Den Titel wählte Rousseau in selbstbewusster Anlehnung an den der Confessiones des Augustinus von Hippo.

Im Frühjahr 1770 verließ er seinen Bergbauernhof Richtung Paris. Bei einem Aufenthalt in Lyon ließ der Vorsteher der Kaufmannschaft ihm zu Ehren seinen Devin und sein lyrisches Kleindrama Pygmalion aufführen. Ab Juni lebte er wieder, zurückgezogen und von den Behörden geduldet, mit Thérèse in Paris. Er wurde hin und wieder zu Lesungen eingeladen und, da seine Ideen sich nun weiter verbreiteten, sammelten sich Bewunderer um ihn, darunter ab 1771 der später sehr bekannte Autor Bernardin de Saint-Pierre.

Die letzten Jahre

Île des peupliers („Insel der Pappeln“) mit dem Grabmal Rousseaus
Thérèse Levasseur, Witwe Rousseaus, vor der Pappelinsel. Nach einer Sepia von Caroline Naudet.

1772–1775 verfasste Rousseau den autobiografischen Dialog Rousseau juge de Jean-Jacques. 1774 gab er sein Dictionnaire des termes d’usage en botanique in Druck. 1776–1778 schrieb er sein letztes längeres Werk: die in lyrischer Prosa gehaltenen Rêveries du promeneur solitaire („Träumereien des einsamen Spaziergängers“), die auf ebenfalls neue Art Gegenwartsmomente zum Ausgangspunkt von autobiografischen Rückblicken machen und mit ihrem Einfangen von Naturstimmungen als eine Vorbereitung der Romantik gelten.

Im Mai 1778 folgte er einer Einladung des Marquis de Girardin auf dessen Schlösschen Ermenonville. Hier starb er wenig später, wahrscheinlich durch einen Schlaganfall, und wurde auf der Île des peupliers („Insel der Pappeln“) im Schlosspark, dem heutigen Parc Jean-Jacques-Rousseau, begraben. Seine Witwe Thérèse wohnte noch etwa ein Jahr in dem für ihn bestimmten Haus.

1794 ließ der jakobinische Wohlfahrtsausschuss Rousseaus sterbliche Überreste triumphal ins Pariser Panthéon überführen.

Rousseaus Grab ab 1794 im Panthéon, Paris

Musik und Theater

Mit selbst gedichteten und vertonten Stücken initiierte Rousseau zwei der bedeutendsten „bürgerlichen“ Theatergattungen des 19. Jahrhunderts: Mit dem publizistisch durch seine Lettre sur la musique française (1753) unterstützten Intermezzo Le Devin du village (1752) begründete er die Opéra comique, und mit seinem Melodram Pygmalion (1770, Musik von Coignet) schuf er das Theatermelodram. Durch sein Musiklexikon Dictionnaire de musique (1767) wurde er zudem zu einem der meistzitierten Ästhetiker des 18. Jahrhunderts.

Rousseaus Philosophie

Menschenbild

Ausgangspunkt des Rousseau’schen Denkens ist der Abscheu vor der etablierten Kultur und Gesellschaft seiner Zeit. Er stellt fest, dass die in Gesellschaft lebenden Menschen böse und eitel sind. Interessenkonflikte verleiten sie dazu, ihre wahren Absichten voreinander zu verbergen.

„Die Menschen sind böse; eine traurige und fortdauernde Erfahrung erübrigt den Beweis; jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben; […] Man bewundere die menschliche Gesellschaft, soviel man will, es wird deshalb nicht weniger wahr sein, dass sie die Menschen notwendigerweise dazu bringt, sich in dem Maße zu hassen, in dem ihre Interessen sich kreuzen, außerdem sich wechselseitig scheinbare Dienste zu erweisen und in Wirklichkeit sich alle vorstellbaren Übel zuzufügen.“

– Zweiter Diskurs, Anmerkung IX

Rousseau kritisiert nicht nur die Gesellschaft seiner Zeit, sondern die Vergesellschaftung des Menschen schlechthin. Damit steht er in starkem Gegensatz zum Denken seiner Zeit: Seine Theorien wurden von den Vertretern der christlichen Kirchen sowie auch von vielen Denkern der Aufklärung abgelehnt. Die christlichen Kirchen hielten die Idee des „edlen Wilden“ für abwegig; der Mensch war für sie durch die Erbsünde belastet. Die Aufklärer schließlich betrachteten die Menschen als vernunftbegabt, lern- und gesellschaftsfähig.

Wenn jedoch der Mensch ein gemeinschaftsfähiges Wesen (griechisch: zoon politikon) wäre, wie auch Aristoteles behauptete, dann sollte gemäß Rousseau eigentlich überall freudvolle Harmonie herrschen. Da das nicht der Fall ist – die Menschen hassen, betrügen, verleugnen, belügen und morden – schließt er, dass der Mensch von Natur aus ein ungeselliges Wesen und nur außerhalb der Gesellschaft „gut“ ist. Diese These projiziert er nun mittels der genetischen Methode an ihren logischen und zeitlichen Anfang und gelangt so zum Begriff Naturzustand.

Im hypothetischen Naturzustand ist der einzige Trieb des Menschen die Selbstliebe (amour de soi). Sie gebietet ihm: „Sorge für dein Wohl mit dem geringstmöglichen Schaden für die anderen“ (Zweiter Diskurs). Neben der Selbstliebe kennt der Naturmensch das Mitleid (pitié), ein Gattungsgefühl, das nach Rousseaus Überzeugung auch die Tiere kennen. Alle anderen Fähigkeiten des Menschen ruhen noch, also die Vernunft, die Einbildungskraft und das Gewissen. Der Mensch ähnelt im Naturzustand einem wilden Tier, welches nur um sich selbst kreist. Sein Gutsein ist keine Bravheit im moralischen Sinne, sondern eher im Sinne von „naturgehorchend“.

Auf Grund äußerer Umstände, etwa Naturkatastrophen, wird er jedoch dazu gezwungen, sich mit anderen Gattungsexemplaren zusammenzutun. So entstehen Kultur und Gesellschaft und das Böse tritt in die Welt. Von großer Bedeutung ist die Einbildungskraft, mittels deren das Individuum aus seinem urwüchsig-narzisstischen Schlummer erwacht und sich in andere Wesen hineinversetzen kann. Sie ermöglicht aber auch den Vergleich der Individuen untereinander. Dadurch kann die naturgemäße Selbstliebe (amour de soi) in die naturwidrige Eigenliebe oder Selbstsucht (amour propre) umschlagen: Der Mensch sieht sich nun nur noch mit den Augen der anderen. Er möchte als leidenschaftlicher Rangkämpfer immer den ersten Platz einnehmen. Darüber hinaus verspürt er den drängenden Wunsch, dass die Nebenmenschen ihn sich selbst vorziehen. Dies ist jedoch schwer möglich, da auch alle anderen Menschen von der Eigenliebe angetrieben werden. So kommt es dazu, dass die Menschen ihre wahren Absichten verbergen. Sie geben ihr Eigeninteresse als Allgemeininteresse aus. Quelle des Übels sind also das naturferne Konkurrenzdenken und die amour propre. Im Gesellschaftszustand erwachen zudem die Vernunft, das bewusste Mitleid sowie auch die „widernatürliche“ moralische Reflexion.

Grundlage der Rousseau’schen Ethik ist nicht die Vernunft. Diese kann bestenfalls helfen, Vorteilhaftes und Unvorteilhaftes zu unterscheiden. Damit der Mensch aber auch gut handelt, bedarf es des Instinktes. Rousseau verwendet hier zwar den Begriff des christlichen „Gewissens“ und spricht gar von einer „angeborenen Liebe zum Guten“. Aber wie aus seinen Ausführungen im Émile hervorgeht, ist hier eine vorbewusste, gewissermaßen urweltliche Grundfähigkeit, eben der Instinkt, gemeint. Jemand, der gegen seinen Instinkt handelt, ist ein depravierter und unglücklicher Mensch. Die urwüchsige Selbstliebe zwingt uns geradezu, instinktgesteuert zu handeln, da sie die Befriedigung unserer Bedürfnisse verlangt. Rousseaus Denken zeichnet sich also dadurch aus, dass er nicht allgemeine ethische Regeln aufstellt, sondern zeigt, welches Interesse der Einzelne daran hat, „gut“ zu handeln.

Eine Rückkehr in den Naturzustand schließt Rousseau ausdrücklich aus, auch wenn viele Kritiker, allen voran Voltaire, ihm vorhielten, sie empfohlen zu haben. In einem Brief an Rousseau schreibt Voltaire spöttisch:

"Ich habe, mein Herr, Ihr neues Buch gegen die menschliche Gattung erhalten ... Niemand hat es mit mehr Geist unternommen, uns zu Tieren zu machen, als Sie; das Lesen ihres Buches erweckt in einem das Bedürfnis, auf allen Vieren herumzulaufen."[1]

Rousseau fragt vielmehr, wie in konkurrierenden Gesellschaften kollektives, vom Instinkt gesteuertes Handeln möglich werden kann. Dabei beschäftigt er sich nicht nur mit der Kunst der Aufzucht des Einzelmenschen, der Pädagogik, sondern auch mit der Theorie des an der Natur orientierten Staates.

Politische Philosophie

(siehe hierzu auch Rousseaus politisches Hauptwerk "Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes")

Rousseau stellt sich in seinen staatstheoretischen Texten die Frage, wie ein von Natur aus wildes und freies Individuum seine Freiheit behalten kann, wenn es aus dem Naturzustand in den Zustand der Gesellschaft eintritt bzw. diesen Zustand begründet. Rousseau geht davon aus, dass die Menschen im Naturzustand unabhängig voneinander leben. Sie verfügen über ausreichend Güter und sind friedlich. Insbesondere ist der Mensch weder der Philosophie und der Wissenschaft noch der Gier nach Luxusgütern verfallen. Im Unterschied zu Hobbes oder Locke zeichnet Rousseau ein positives Bild vom Menschen im wilden, tiernahen Zustand. Den genuin menschlichen Vermögen, so v. a. der Vernunft, steht er hingegen ablehnend gegenüber. Anderen Vertragstheoretikern wirft er vor, bei ihren Schilderungen des Urmenschen nicht realitätsnah geblieben zu sein und ihm überwiegend negative Attribute zugeschrieben zu haben.

Durch das Auftauchen der Institution des Eigentums entstehen erste gesellschaftliche Strukturen. Der Mensch ist nicht mehr autark, sondern von anderen abhängig; sei es als Herr, oder als Knecht. Um seinen Leidenschaften folgen zu können, unterdrückt der Eigentümer seine Knechte. Dies sind nach Rousseau die „schlechten“ Gesellschaftszustände, die er in seiner Abhandlung zum Sozialvertrag (contrat social) kritisiert. Grundlage dieser Zustände ist ein Vertrag, der jedem ermöglicht, sich wieder so frei zu fühlen, wie im Naturzustand. Dabei unterscheidet Rousseau „natürliche Unabhängigkeit“ von „bürgerlicher Freiheit“. Im Gegensatz zu Montesquieu wollte Rousseau das Volk in allen Bereichen der Politik einbeziehen und nicht nur in einer Gewalt (Legislative) mitwirken lassen.

Nach Rousseaus Auffassung ordnet sich jeder Bürger zum Zwecke eines rechtmäßig geordneten gesellschaftlichen Zusammenlebens freiwillig einem Gesellschaftsvertrag unter. Dessen Grundlage ist der Gemeinwille, welcher absolut und auf das Wohl des ganzen Volkes gerichtet ist. Jeder Einzelbürger ist somit Teil eines religiös überhöhten und konfessionell neutralen Staatswesens, welches den allgemeinen Willen vollstreckt und zugleich totale Verfügungsgewalt über ihn hat. Der Staat ist befugt, Gesetze zu verabschieden, die jederzeit den unantastbaren Willen des Volksganzen zum Ausdruck bringen.

Rousseaus Theorie des allgemeinen Willens stellt einen originellen und wirkungsmächtigen Versuch dar, der feudalistischen Königs- und Adelsherrschaft seiner Zeit die Legitimationsgrundlage zu entziehen. Sie beeinflusste viele andere politische Theoretiker und Philosophen des 18. und 19. Jahrhunderts, so u. a. Immanuel Kant. Neben Voltaire gilt Rousseau außerdem als einer der wichtigsten Wegbereiter der französischen Revolution. Der aktivste Exponent der jakobinischen Schreckensherrschaft, Robespierre, war ein großer Verehrer des Schriftstellers.

Langfristig wirkte sein Werk stark auf die Fragestellungen der Politologie und Soziologie ein.

Pädagogik

In Rousseaus pädagogischem Hauptwerk Emile oder über die Erziehung wird die fiktive Erziehung eines Jungen beschrieben. Die Erziehung beginnt im Kindesalter und endet mit der Heirat Émiles mit 25 Jahren. Der Zögling wird in seiner Kindheit von allen kulturellen Einflüssen abgeschottet. So wie die Natur einfach da ist, soll auch die urwüchsige Natur des Kindes zur Entfaltung gebracht werden. Jegliche direkte Einflussnahme von außen ist demnach zu vermeiden.

Das Hauptziel in der Jugendzeit Émiles ist die Herausbildung der sozialen Instinkte. Rousseau betont zwar immer wieder die Selbsttätigkeit des Zöglings, der sich vieles selbst aneigne, doch die eigentliche Kunst der Erziehung besteht darin, Émile soweit zu beeinflussen, dass sein Wille mit dem des Erziehers übereinstimmt. Die pädagogische Arbeit findet gewissermaßen „hinter seinem Rücken“ statt. So heißt es in Emile oder über die Erziehung: „Folgt mit Eurem Zögling den umgekehrten Weg. Laßt ihn immer im Glauben, er sei der Meister, seid es in Wirklichkeit aber selbst. Es gibt keine vollkommenere Unterwerfung als die, der man den Schein der Freiheit zugesteht. So bezwingt man sogar seinen Willen.“

Rousseaus Theorien beeinflussten viele namhafte Pädagogen und Pädagoginnen, so z. B. Immanuel Kant, Johann Heinrich Pestalozzi, Johann Gottfried Herder, Adolph Diesterweg, Maria Montessori und Ellen Key.

Werke

Ausgaben

  • Kurt Weigand (Übers.) (Hrsg.): Schriften zur Kulturkritik. 5. Auflage. Meiner, Hamburg 1995, ISBN 978-3-7873-1200-9 (Franz.-dt.). 
  • Lettres élémentaires sur la botanique (Zehn botanische Lehrbriefe für eine Freundin). 1978 (Insel-Taschenbuch 366). 
  • Heinrich Meier (Hrsg.): Diskurs über die Ungleichheit. Schöningh, Paderborn 1984, ISBN 3-8252-0725-0 (Krit. Ausg. d. integralen Textes). 
  • Henning Ritter (Hrsg.): Schriften. Hanser, München 1978, ISBN 3-446-12503-5. 
  • Dictionnaire de Musique. G. Olms, Hildesheim 1969 (Nachdruck). 
  • Dorothea Gülke (Übers.), Peter Gülke (Übers.): Musik und Sprache. Ausgewählte Schriften. Heinrichshofen, Wilhelmshaven 1984, ISBN 3-7959-0424-2. 
  • Der neue Dädalus. (Le nouveau Dédale. Übers. von Klaus H. Fischer); darin: Klaus H. Fischer: Rousseaus Schrift über die Aeronautik. Schutterwald/Baden 2000, ISBN 978-3-928640-58-9

Literatur

  • Winfried Böhm, Frithjof Grell (Hrsg.): Jean-Jacques Rousseau und die Widersprüche der Gegenwart. Ergon, Würzburg 1991, ISBN 3-928034-06-5. 
  • Jörg Bockow: Erziehung zur Sittlichkeit – Das Verhältnis von praktischer Philosophie und Pädagogik bei Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant. 
  • David Edmonds, John Eidinow: Rousseau’s Dog. Two Great Thinkers at War in the Age of Enlightenment. Harper Collins (Ecco), New York 2006, ISBN 0060744901.  und Faber & Faber, London 2006 ISBN 0571224059. Deutsch von Sonja Finck: Rousseaus Hund. Zwei Philosophen, ein Streit und das Ende aller Vernunft DVA, Stuttgart 2008 ISBN 3421042519 (über R. und David Hume) Inhaltsangabe (engl.): [1]
  • Nils Ehlers: Der Widerspruch zwischen Mensch und Bürger bei Rousseau. Cuvillier, Göttingen 2004, ISBN 3-86537-306-2. 
  • Iring Fetscher: Rousseaus politische Philosophie. Suhrkamp, Frankfurt/M 1989, ISBN 3-518-27743-X. 
  • Klaus H. Fischer: Jean-Jacques Rousseau. Die soziologischen und rechtsphilosophischen Grundlagen seines Denkens. Wissenschaftlicher Verlag, Schutterwald/Baden 1991, ISBN 978-3-928640-00-8. 
  • Maximilian Forschner: Rousseau. Alber, Freiburg 1977, ISBN 3-495-47349-1. 
  • Jean Chrétien Ferdinand Hoefer (Hrsg.): Nouvelle biographie générale, depuis les temps les plus réculés jusqu’à nos jours. Band 42, Diderot frères, Paris 1863, Sp. 737–766. 
  • Christiane Landgrebe: ‚Ich bin nicht käuflich‘ – Das Leben des Jean-Jacques Rousseau. Beltz, Weinheim 2004, ISBN 3-407-85784-5. 
  • Günther Mensching: Rousseau zur Einführung. Junius, Hamburg 2003, ISBN 3-88506-384-0. 
  • Martin Rang: Rousseaus Lehre vom Menschen. Göttingen 1959. 
  • Hermann Röhrs: Jean-Jacques Rousseau. Vision und Wirklichkeit. 3. Auflage. Böhlau, Köln [u.a.] 1993, ISBN 3-412-12592-X. 
  • Robert Spaemann: Rousseau – Bürger ohne Vaterland. Piper, München 1980 u.ö.. 
  • Jean Starobinski: Rousseau. Eine Welt von Widerständen. München 1988, u.ö., ISBN 3-596-10255-3. 
  • Ulrich Steinvorth: Stationen der politischen Theorie. 3. Auflage. Reclam, Stuttgart 1994, ISBN 3-15-007735-4, S. 97–132. 
  • Dieter Sturma: Jean-Jacques Rousseau. C. H. Beck, München 2001, ISBN 3406419496. 
  • Bernhard H. F. Taureck: Rousseau. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt, Reinbek 2009, ISBN 3-499-50699-8. 

Belletristik

Einzelnachweise

  1. Weit, weit... Arkadien.: Über die Sehnsucht nach dem anderen Leben.(S. 26) (2000) http://books.google.at/books?id=eCwFCrNNYLoC&hl=en

Weblinks


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