Japanische Selbstverteidigungsstreitkräfte

Japanische Selbstverteidigungsstreitkräfte
Selbstverteidigungsstreitkräfte
Jieitai
Flagge der Selbstverteidigungsstreitkräfte Japans
Militärische Stärke nach Personen
Wehrfähigkeitsalter Vollendetes 18. Lebensjahr.[1]
Verfügbare wehrfähige Bevölkerung Insgesamt (Männer und Frauen; Alter 15–49: 53.156.594 (2005; Schätzung)[1]
Verfügbare wehrtaugliche Bevölkerung Insgesamt (Männer und Frauen; Alter 15–49: 43.729.610 (2005; Schätzung)[1]
Anzahl Personen, die jährlich das Wehrfähigkeitsalter erreichen Insgesamt (Männer und Frauen; Alter 15–49: 1.333.304 (2005; Schätzung)[1]
Mannstärke (ohne Reserve) 240.812[2]
Wehretat
Ausgaben $ 44,693 Mrd. (Fiskaljahr 2006; Schätzung)[3]
Anteil am BSP 0,8 % (Fiskaljahr 2006; Schätzung)[1]
Ausgaben pro Kopf $ 310,16 (27. Rang) [4]

Die Selbstverteidigungsstreitkräfte (jap. 自衛隊, Jieitai, englisch: Japanese Self Defense Forces (JSDF)) sind die Streitkräfte Japans, welche nach Ende des Zweiten Weltkrieges aufgebaut wurden. Die Streitkräfte waren bisher noch nie in Kampfhandlungen verwickelt, nehmen aber an friedenserhaltenden Einsätzen teil.

Inhaltsverzeichnis

Auftrag

Hintergrund

Die japanische Gesellschaft steht als Kollektiv seit Jahrzehnten unter dem Eindruck des als Kaiserreich verlorenen Zweiten Weltkrieges, der für Japan durch die amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki eine traumatische Qualität gewann. Seitdem sind Gesellschaft und Politik bemüht, die nach dem Ende des Krieges eingeschlagene Orientierung des Landes zum Frieden hin fortzuführen. Aufgrund der geostrategischen Lage Japans in der Nähe zu Russland und der Volksrepublik China, war und bleibt dies nur bedingt möglich, vor allem auf Kosten der Präsenz amerikanischer Großverbände.

Verfassungsrechtlicher Rahmen

Die stark pazifistische Grundhaltung der Gesellschaft kommt vor allem in der Verfassung Japans zum Ausdruck, die in Kapitel gegliedert ist. Auf das erste Kapitel, das in acht Artikeln den grundlegenden Staatsaufbau vorgibt, folgt das zweite Kapitel, welches auf englisch den Titel „Renunciation of War“ (zu dt.: „Lossagung vom Krieg“) trägt und allein den neunten Verfassungsartikel umfasst. Dieser lautet wie folgt:[5]

Article 9 Aspiring sincerely to an international peace based on justice and order, the Japanese people forever renounce war as a sovereign right of the nation and the threat or use of force as means of settling international disputes. In order to accomplish the aim of the preceding paragraph, land, sea, and air forces, as well as other war potential, will never be maintained. The right of belligerency of the state will not be recognized.

Amtliche englische Übersetzung des neunten japanischen Verfassungsartikels

zu dt.:

Artikel 9. Im aufrichtigen Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gründenden Frieden sagt sich das japanische Volk für immer von der Kriegführung als einem Ausdruck souveränen [nationalstaatlichen] Handelns oder als Mittel zur Beilegung internationaler Konflikte los. Um das Ziel des vorhergehenden Satzes zu verwirklichen, werden Boden-, See- und Luftstreitkräfte sowie anderes Kriegspotenzial niemals betrieben werden. Das Recht des Staates auf den Kriegszustand wird nicht anerkannt.“

Japan ist es somit verboten, ein Militär aufzustellen oder internationale Konflikte durch Gewalt zu lösen, wobei es allerdings derzeit eine breite öffentliche Diskussion über die Möglichkeit gibt, den Artikel aus der Verfassung zu streichen. Die Interpretation des Artikels an sich ist ebenso umstritten, wird aber dahingehend ausgelegt, dass bewaffnete Streitkräfte zur Selbstverteidigung legitim sind. Allerdings haben die Selbstverteidigungsstreitkräfte eine eingeschränkte, hauptsächlich auf eine funktionierende Defensive ausgelegte Ausrüstung. Es gibt keine Langstreckenangriffsmöglichkeiten, wie Mittel- oder Langstreckenraketen, Langstreckenbomber, Tankflugzeuge, Kampfschwimmer, große Munitionslager oder Einsatzrichtlinien (Rules of engagement). Japan hat derzeit (2007) mit rund 50 Milliarden US-Dollar den drittgrößten Militäretat (nach den USA und Großbritannien). Die Hälfte des Geldes wird für Personalkosten ausgegeben, der Rest teilt sich in Versorgung, Neuanschaffung und Aufrüstung von Waffen etc. auf.

Verteidigungsstrategie

Die grundlegenden Militärdoktrin des Landes, die am 20. Mai 1957 vom Kabinett Nobosuke zusammen mit dem Nationalen Verteidigungsrat, dem De-facto-Generalstab, mit der Bezeichnung Basic Policies for National Defense verabschiedet wurde,[6] schließt sich nahtlos an den Friedensimperativ der Verfassung an, und baut bereits auf der weiteren Interpretation auf, dass eine militärische Selbstverteidigung gestattet sei. Als Ziel der nationalen Verteidigungspolitik wird die Prävention sowohl direkter als auch indirekter Aggression gegen Japan herausgearbeitet, um so den Frieden des Landes, der auf der Demokratie beruht, zu bewahren.

Zu diesem Zweck werden der Politik vier Leitlinien empfohlen:

  1. Orientierung am internationalen Frieden, die am besten in Kooperation mit den Vereinten Nationen erreicht wird;
  2. „Stabilisierung der Existenzgrundlage des Volkes“ und die Pflege des Patriotismus, um die Grundlage der nationalen Verteidigung zu etablieren;
  3. schrittweiser Aufbau der Verteidigungskapazitäten, ausgehend von der aktuellen Stärke Japans und der aktuellen politischen Situation, solange sie im Rahmen der Selbstverteidigung bestehen;
  4. Befassung mit militärischen Gefahren und Aggressionen im Rahmen der Abkommen mit den Vereinigten Staaten(→ Vertrag über gegenseitige Kooperation und Sicherheit zwischen Japan und den Vereinigten Staaten von Amerika) und den Vereinten Nationen, um bestehende Gefahren abzuwenden und zukünftige einzudämmen.

Die Basic Policies for National Defense wurden im Laufe der Zeit in Nachfolgedokumenten überarbeitet. Die derzeitigen National Defense Program Outline wurden im Jahr 2004 vom Parlament abgesegnet und lösten das gleichnamige Dokument in seiner Version von 1994 ab. Die neue Version trägt vor allem der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus Rechnung.

Die enge Verzahnung mit den Streitkräften der USA in der Region ist ein zentrales Element der japanischen Militärstrategie. Ein US-Flugzeugträger, 180 Kampfflugzeuge und 21.000 Marineinfanteristen sind ständig in Japan stationiert. Zunehmend werden sowohl die Volksrepublik China wie auch Nordkorea als potenzielle militärische Bedrohung angesehen. In diesem Zusammenhang steht die Neufassung der Verteidigungsrichtlinien im Dezember 2004. Sie erlaubt es Japan nun, unter anderem am Raketenabwehrprogramm der USA teilzunehmen und die eigene Luftwaffe mit Tankflugzeugen auszustatten. Außerdem will sich Japan stärker an internationalen Militäroperationen beteiligen. Seit 1999 sollen PATRIOT PAC-3-Systeme auch Japan vor möglichen chinesischen und nordkoreanischen Raketen schützen. Hierzu wurden durch die USA auf Okinawa und ab 2007 in Saitama das Raketenabwehrssystem stationiert.

Tagespolitik

Entsprechend der Aufgabe der Streitkräfte und den Befindlichkeiten der Bevölkerung wird der japanische Ausdruck 軍 (gun, dt. „Armee“, „Heer“), welcher auf eine militärische Kraft hinweist, oder die Ausdrücke „Militär“, „Heer“, „Marine“ und „Luftwaffe“ oder „Luftstreitkräfte“ offiziell nie im Zusammenhang mit den Selbstverteidigungsstreitkräften benutzt.

Am 9. Januar 2007 wurde die Generaldirektion für die Selbstverteidigungsstreitkräfte von der japanischen Regierung in den Rang eines Verteidigungsministeriums erhoben. Begründet wurde dies mit der gewachsenen internationalen Bedeutung Japans, den internationalen Einsätzen der Selbstverteidigungsstreitkräfte und den besonderen politischen Bedingungen in der Region. Erster Verteidigungsminister Japans war Fumio Kyuma, der am 3. Juli 2007 wegen kontroverser Äußerungen um den Atombombenabwurf auf Nagasaki zurücktrat.[7] Seine Nachfolgerin war Yuriko Koike[8], die am 27. August 2007, nach nur 54 Tagen ebenfalls auf eigenen Wunsch aus dem Amt schied.
Der amtierende Verteidigungsminister ist Shigeru Ishiba.

Die für die Verteidigungspolitik zuständige Institution (früher der Sicherheitsrat, heute das Verteidigungsministerium) gibt in Zusammenarbeit mit Denkfabriken ein fast jährlich aktualisiertes Weißbuch zur nationalen Verteidigungsstrategie heraus, welches als National Defense Program Guidelines bezeichnet wird.

Teilstreitkräfte

Die Japanese Self-Defence Forces verfügen über die drei klassischen Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftstreitkräfte, die dem neugegründeten Verteidigungsministerium unterstehen. Sie verfügen über insgesamt 240.812 Mann.[2] Der strategische Primat liegt aufgrund der Insellage Japans auf der Marine, obwohl sie die kleinste der drei Streitkräfte ist.

Heer

Die Bodenselbstverteidigungsstreitkräfte sind das Heer Japans und stellen mit 148.302[2] Soldaten die größte der drei Teilstreitkräfte. Als Bodenstreitkraft fügen sie vor allem durch ihre primäre Verwendung zur Bekämpfung feindlicher Landeoperationen in das Konzept der Selbstverteidigung ein. Diese Aufgabe wird, vor allem was die Verlegung der Truppen angeht, durch den gebirgigen Charakter Japans, die langen Küstenlinien und die Vielzahl der Inseln erschwert. Deshalb sieht die japanische Heeresdoktrin einerseits den Schutz wichtiger Zentren und Verbindungswege sowie die hinhaltende Abwehr bis zum Eintreffen von amerikanischer Verstärkung vor. Eine große Rolle spielt die Truppenbewegung per Hubschrauber.

Marine

Die Meeresselbstverteidigungsstreitkräfte ist die wichtigste Teilstreitkraft, obwohl sie über gerade mal 44.528[2] Mann verfügt. Dies erklärt sich aus der Tatsache, dass bei einer Seestreitmacht vor allem offensive Gerätschaften über viel Personal verfügen. Besonders großer Wert wird auf die Verteidigung gegen U-Boote und feindliche Luftstreitkräfte gelegt.

Luftstreitkräfte

Die Luftselbstverteidigungsstreitkräfte sind mit 45.913[2] Mann ähnlich personalstark wie die Marine. Ihre 280 Kampfflugzeuge sind in erster Linie Abfangjäger, die von einer dichten Radarüberwachung des Luftraums unterstützt werden.

Auslandseinsätze

Der erste Auslandseinsatz der Selbstverteidigungsstreitkräfte fand unter dem Mandat der UN 1992 statt. Die Truppen wurden nach Kambodscha entsandt, um dort die ersten freien Wahlen zu überwachen. Der erste Auslandseinsatz ohne Mandat der Vereinten Nationen erfolgte 2004 im Irak. Eine öffentliche Debatte wurde in Japan durch den Vorwurf ausgelöst, dass die Selbstverteidigungsstreitkräfte durch die Betankung des Flugzeugträgers USS Kitty Hawk indirekt an den Kriegshandlungen im Irak teilgenommen hätten. Die japanischen Truppen im Irak sollen nach Beschluss der Regierung bis zum Ende 2008 vollständig abgezogen werden.[9][10]

Auf der Grundlage des Antiterrorismusgesetzes von 2001 nahmen die Meeresselbstverteidigungsstreitkräfte mit Betankungsschiffen im Indischen Ozean auch an der Operation Enduring Freedom teil.[11] Die Opposition verhinderte im Oberhaus eine Verlängerung des Gesetzes, und die Mission musste am 31. Oktober 2007 beendet werden. Eine Verlängerung des Gesetzes durch eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus und eine Wiederaufnahme des Einsatzes erreichte die Regierung im Januar 2008.

Verweise

Interne Verweise

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e CIA World Factbook, Militärsektion aus dem Artikel zu den Japan. Funddatum: 31. August 2006.
  2. a b c d e Authorized and Actual Numbers of Self-Defense Personnel. Zahlen des japanischen Verteidigungsministeriums (Stand: 30. März 2006). Gefunden am 27. Juni 2007.
  3. Quelle: Budgetschätzung von GlobalSecurity.org auf dem Dollar-Yen-Kurs vom Jahresende 2003. Funddatum: 27. Juni 2007.
  4. Quelle: Nationmaster.com vom 28. Juli 2005.
  5. Amtliche engl. Übersetzung der japanischen Verfassung auf der offiziellen Internetseite des japanischen Beigeordnetenhauses. Zugriff am 29. Juni 2007.
  6. Basis of Defense Policy auf der Werbsite des japaniscehn Verteidigungsministeriums. Eingesehen am 29. Juni 2007.
  7. Kyuma steps down over A-bomb gaffe. Artikel im Japan news Review vom 3. Juli 2007. Eingesehen am 11. August 2007.
  8. Rede des ersten japanischen Verteidigungsministers zur Eröffnung seines Ministeriums vom 9. Januar 2007. Funddatum: 27. Juni 2007.
  9. The Japan Times, 21. September 2007: MSDF fuel was used in Iraq war, group charges (Zugriff: 16.12.2007)
  10. [http://findarticles.com/p/articles/mi_m0XPQ/is_2003_May_13/ai_101643931 Kyodo News, 13. Mai 2003: Defense Agency admits indirectly fueling Kitty Hawk before war
  11. Japan's International Counter-Terrorism Cooperation auf der Website des Außenministeriums, 2.(2)(c) (Zugriff: 16.12.2007)

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