Jean-Monnet-Lehrstuhl

Jean-Monnet-Lehrstuhl
Jean Monnet

Jean Omer Marie Gabriel Monnet (* 9. November 1888 in Cognac, Poitou-Charentes, Frankreich; † 16. März 1979 bei Paris) war französischer Unternehmer und Staatsmann. Er gilt als einer der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaften und wird als „Vater Europas“ bezeichnet. Vor seiner politischen Karriere in Frankreich bzw. Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg war er im Unternehmen seiner Familie, in der internationalen Wirtschaftsverwaltung und im Völkerbund tätig. Am bekanntesten wurde er als der politische Architekt, der die Pläne zum Zusammenschluss der westeuropäischen Schwerindustrie verwirklichte. Seine Einigungskonzeption dabei folgte den Grundsätzen des politischen Funktionalismus.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Erinnerungstafel
Erinnerungstafel in Bazoches-sur-Guyonne

Jean Monnet entstammte einer französischen Kaufmanns-Dynastie, die im Weinbrandhandel (‚Cognac‘) tätig war. Als Wirtschaftstreibender und „entrepreneur“ verbrachte er einige Jahre in London und den USA, woher auch seine Aufgeschlossenheit gegenüber der englischsprachigen Welt rührte.

Während des Ersten Weltkriegs koordinierte Monnet – zusammen mit dem Briten John Salter sowie bald auch einem italienischen und später noch einem amerikanischen Kollegen – die kriegswirtschaftliche Güternachfrage und -logistik der westlichen Alliierten, und zwar in einem komplexen kriegswirtschaftlichen Nachfrage-Kartell mit dem Allied Shipping Control als Zentrum. Von 1919 bis 1923 fungierte er als stellvertretender Generalsekretär des Völkerbundes, zog sich dann zunächst von der Öffentlichkeit und Politik zurück und wirkte bis 1938 im Unternehmen seiner Familie. Seit 1932 nahm er verschiedene internationale Beraterfunktionen wahr, u. a. auch als Beauftragter des Völkerbundes in China, tätig, wo er durch die Herstellung von Handelsbeziehungen und Wirtschaftsverbindungen den japanisch-chinesischen Konflikt zu lindern versuchte.

Im Bewusstsein des bevorstehenden Waffengangs mit Deutschland initiierte Monnet 1939 eine erneute kriegswirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Großbritannien und wurde selbst Chef dieses „alliierten Koordinationskomitees“, eines binationalen Nachfrage-Kartells mit gemeinsamer Einkaufs-Tochter in den USA. Monnet trat 1940 für das Churchill-Projekt einer Britisch-Französischen Union ein. Er hielt sich 1940-1943 im britischen Auftrag in den USA auf, wo er den Plan der Umstellung der US-Wirtschaft von der Friedens- auf die Kriegsproduktion („Victory Program“) ausarbeitete. 1943 sorgte Monnets Einfluss auf General Henri Giraud dafür, dass dieser schließlich sein Vichy-Regime in Algier unter den Augen der Amerikaner beendete. Monnet beteiligte sich 1943/44 an der Arbeit des Comité francais de la Libération nationale (CFLN).

Jean Monnet 1953 zu Besuch bei Konrad Adenauer

1946-1950 war Monnet Leiter des französischen Planungsamtes und entwickelte Modernisierungsprogramme für die französische Wirtschaft. Dort entwickelte er die Idee, die westeuropäische Montanindustrie zusammenzuschließen unter Einbeziehung des bisherigen Feindstaats Deutschland. Am 9. Mai 1950 stellte der französische Außenminister Robert Schuman diese Idee in einer Regierungserklärung der französischen Regierung der Öffentlichkeit vor. Sie wird dann als Schuman-Plan bekannt, hätte aber vom geistigen Ursprung her „Monnet-Plan“ heißen müssen.

Monnet selbst wurde Vorsitzender der Pariser Schuman-Plan-Konferenz, die zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Montanunion) führte. 1952 bis 1954 stellte er den ersten Präsidenten der Hohen Behörde der Montanunion, die mit dem Fusionsvertrag von 1965 mit den Kommissionen von EWG und EURATOM zur Europäischen Kommission verschmolzen wurden. Er war somit der erste Präsident des Vorläufers der Europäischen Kommission. In den genannten Funktionen stieg Monnet zu einem der einflussreichsten Wirtschafts- resp. Integrationspolitiker Europas auf, der sich internationales Ansehen auf vielen politischen Ebenen erwarb. Er blieb bis 1975 politisch aktiv.

Auszeichnungen

Besondere Ehre zu Lebzeiten, eine Briefmarke der Deutschen Bundespost anlässlich der Ehrenbürgerschaft von Europa (1977)

Jean Monnet erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter am 17. Mai 1953 den Karlspreis der Stadt Aachen als Schöpfer der ersten souveränen übernationalen europäischen Institution.[1] Am 6. Dezember 1963 erhielt er die Freiheitsmedaille des Präsidenten der USA von John F. Kennedy für seine Verdienste um die Einigung Europas und die Effektivität der Zusammenarbeit der atlantischen Nationen.[2] Durch die Regierungschefs der EG wurde er 1976 zum ersten Ehrenbürger Europas ernannt. Eine Auszeichnung, die erst 1998 ein weiteres mal verliehen wurde (→ Helmut Kohl).

Jean-Monnet-Lehrstuhl

Der Europäische Universitätsrat, bestehend aus Rektoren und Europarechtsexperten europäischer Universitäten, vergibt in einer europaweiten Auswahlentscheidung die Bezeichnung „Jean-Monnet-Lehrstuhl“ an Lehrstühle. Die Bezeichnung ist an eine starke europäische Ausrichtung der Lehrstühle in Forschung und Lehre geknüpft. Sie bringt dem jeweiligen Lehrstuhl von der Universität kofinanzierte zusätzliche finanzielle Mittel. Jean-Monnet-Lehrstühle gibt es in Deutschland insbesondere in den Bereichen Recht (Europarecht), Politik und Wirtschaft. Ein derartiger Lehrstuhl wurde beispielsweise an der Freien Universität Berlin, Universität zu Köln, Universität Passau, Universität Paderborn, Ruhr-Universität Bochum, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Justus-Liebig-Universität Gießen und der Universität Wuppertal eingerichtet.

International sind unter anderem das von Joseph H. H. Weiler geleitete Jean Monnet Center an der New Yorker University Law School, das regelmäßige Jean Monnet Working Papers heraus gibt. Das Jean Monnet Centre of Excellence des Institut d’études politiques de Paris („Sciences Po“) wird von Renaud Dehousse geleitet.

Werke

  • Erinnerungen eines Europäers. Hanser, München 1978, ISBN 3-446-12421-7 (Vorwort von Helmut Schmidt), Übersetzung seiner Autobiografie von 1976

Literatur

  • Gerard Bossuat/Andreas Wilkens (Hrsg.), Jean Monnet, l’Europe et les chemins de la Paix, Paris 1999, 435.
  • Francois Duchene, Jean Monnet. The First Statesman of Interdependence, New York 1994.
  • Frederic J. Fransen, The Supranational Politics of Jean Monnet, Westport 2001.
  • François Roth, L'invention de l'Europe : de l'Europe de Jean Monnet à l'Union européenne, Paris 2005.
  • Eric Roussel, Jean Monnet: 1888-1979, Paris 1996.
  • Wolfgang Wessels, Jean Monnet. Mensch und Methode, Wien 2000.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Karlspreisträger 1953
  2. Freiheitsmedaille 1963 (enthält auch eine detaillierte Beschreibung des Zustandekommens des Schuman-Plans)

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