Jesiden

Jesiden
Treffen jesidischer Stammesführer mit christlich-chaldäischen Klerikern (19. Jh.)
Jesiden (um 1920)
Jesidische Frauen in traditioneller Tracht (Fotografie von 1945)

Die Jesiden (kurd. ئێزیدی Êzîdî) sind eine kurdische Volksgruppe und Anhänger einer eigenständigen Religion. Das Jesidentum (Jesidismus) ist eine ausschließlich bei ihnen verbreitete monotheistische Religion. Muttersprache der Jesiden ist das nordkurdische Kurmandschi. Eine alternative Schreibweise lautet „Yeziden“.

Das Jesidentum ist keine missionierende Religion. Man wird als Jeside geboren. Grundsätzlich bedeutet die Heirat mit Andersgläubigen für Jesiden den Austritt aus der Religionsgemeinschaft.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft der Bezeichnung

Die Herkunft der Bezeichnung ist bis heute ungeklärt. Wissenschaftler führen die Bezeichnung „Jesidi“ auf den Kalifen Yazid I. zurück. Unter Jesiden wird die Bezeichnung auf das Altiranische „Yazata“ für „göttliches Wesen“ zurückgeführt. Eine weitere etymologische Ableitung benutzt den Bezug zu ez dā („Gott schuf“).[1]

Religionsgeschichtliche Einordnung

Während die ältere religionsgeschichtliche Forschung die jesidische Religion zunächst als eine Abspaltung vom Islam oder als eine „iranische“ Religion zu verstehen versuchte, wird in jüngerer Zeit der eigenständige, wenn auch auf einem komplexen Prozess der Adaption von Elementen anderer Religionen beruhende Charakter der jesidischen Religion betont. Die Verwandtschaft der kosmogonischen Vorstellungen mit dem Zoroastrismus führt zur Annahme, dass hier eine ursprüngliche Verwandtschaft bestehen könnte. Weitere Elemente werden auf das orientalische Christentum, besonders die nestorianische Eucharistie, den Mandäismus, den Manichäismus und die Gnosis bezogen. Nach Ansicht der Jesiden soll ihre Religion älter sein als das Christentum und sich aus dem altpersischen Mithras-Kult oder aus den Kulten der Meder entwickelt haben.

Im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Jesiden von Außenstehenden teilweise als „Teufelsanbeter“ bezeichnet.[2] Diese Fremdbezeichnung beruht darauf, dass europäische Reisende sich auf die Berichte der Muslime in der Nachbarschaft der Jesiden bezogen. Für die islamische Umgebung waren die Jesiden andersgläubig und es war die Bezeichnung als Teufelsanbeter entstanden, da die religiösen Regeln unverstanden blieben.

Lehre und Kosmogonie

Die Religion der Jesiden ist monotheistisch. Der allmächtige Gott erschuf die Welt aus einer Perle. Nach einiger Zeit formten sieben heilige Engel aus dieser Perle die Welt mit allen Himmelskörpern. Jesiden führen ihre Abstammung allein auf Adam, nicht auf Eva, zurück und leiten daraus ihre Exklusivität ab. Gott wäre schwach, wenn er noch eine zweite Kraft neben sich dulden würde. Folglich fehlt in der jesidischen Theologie die Personifizierung des Bösen. Jesiden sprechen den Namen des Bösen (arabisch Schaitan) nicht aus, weil das Zweifel an der Allmacht Gottes bedeuten würde. Damit einher geht auch die Vorstellung, dass der Mensch in erster Linie selbst für seine Taten verantwortlich ist. Aus jesidischer Sicht hat Gott dem Menschen die Möglichkeit gegeben, zu sehen, zu hören und zu denken. Er hat ihm den Verstand gegeben und damit die Möglichkeit, für sich den richtigen Weg zu finden.

Die Jesiden glauben, dass das Leben nicht mit dem Tod endet, sondern dass es nach einer Seelenwanderung einen neuen Zustand erreicht. Der neue Zustand ist abhängig von den Taten im vorherigen Leben. In diesem Zusammenhang spielt für einen Mann der „Jenseitsbruder“ (biraye achrete) und für eine Frau die „Jenseitsschwester“ (chucha achrete) eine wichtige Rolle. Unter den Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft sucht man sich zu Lebzeiten einen Bruder oder eine Schwester für das Jenseits aus. Diese Wahlgeschwister übernehmen im Jenseits gegenseitig die moralische Mitverantwortung für ihre Taten und in der Totenzeremonie „begleiten“ sie den Verstorbenen auf dem Weg zur neuen Bestimmung. Nach den jesidischen Vorstellungen bestand die Verbindung der Jenseitsgeschwister bereits im vorherigen Leben und wird auch im künftigen Leben weiter bestehen.

Überlieferungen

Das Jesidentum beruft sich auf keine heiligen Schriften. Die Vermittlung religiöser Traditionen und Glaubensvorstellungen beruht ausschließlich auf mündlicher Überlieferung. In der Literatur über die Jesiden werden zwei Bücher erwähnt, das Buch der Offenbarung, das Kitêba Cilwe, und die Schwarze Schrift, das Mishefa Reş. Beide Bücher wurden 1911 und 1913 veröffentlicht,[3] wobei wohl nicht alle Glaubensvorstellungen der Jesiden vollständig authentisch wiedergegeben sind. Sie gelten in der Iranistik als Aufzeichnungen durch Nicht-Jesiden, enthalten aber authentisches Material, das unter Jesiden auch schon vorher bekannt war.

Der Glaube wird überwiegend durch Lieder (so genannte Qewals) und Bräuche weitergegeben. Hilmi Abbas veröffentlichte einige der bisher nur mündlich überlieferten altkurdischen Legenden im Jahre 2003 in einer Ausgabe unter dem Titel Das ungeschriebene Buch der Kurden.[4] Das Buch beschreibt die Schöpfungsgeschichte aus jesidischer Sicht und die mythische Wanderung des kurdischen Volkes von Osten in den Westen in das heutige Kurdistan.

Taus-i Melek

Der Pfau ist bei den Jesiden heilig und dient als deren religiöses Symbol

Eine zentrale Bedeutung in den jesidischen Glaubensvorstellungen hat Taus-i Melek, der „Engel Pfau“, dessen Symbol ein Pfau ist. Nach der jesidischen Mythologie hat er in besonderer Weise der Allmächtigkeit Gottes gehuldigt und wurde deshalb von Gott zum Oberhaupt der sieben Engel erkoren. Er fungiert als eine Art Stellvertreter Gottes. So symbolisiert Taus-i Melek in der jesidischen Theologie sowohl das Gute wie das Böse.[5] Zwar wollte er sich dem Mythos nach selbst einmal zum Gott erheben, fiel deswegen in Ungnade, doch er bereute seine Vermessenheit und büßte dafür in der Hölle.[6] Seine Schuld wurde ihm schließlich vergeben, seither dient er Gott als Wächter der Welt und als Mittler zu den Menschen: Er ist der Ansprechpartner der Jesiden.

Nach der Schöpfungsgeschichte der Jesiden ist Taus-i Melek, den Gott mit sechs weiteren Engeln aus seinem Licht schuf, an der gesamten Schöpfung, an dem göttlichen Plan, aktiv beteiligt. Taus-i Melek verkörpert nicht den Widerpart in einem dualen Weltbild.[7] Insbesondere ist es verboten, das Wort „Satan“ zu benutzen, was nach jesidischer Überlieferung mangelnden Respekt gegenüber Taus-i Melek bezeugt, weil Nicht-Jesiden dieses Wort gebrauchten, um Taus-i Melek zu verunglimpfen.[8]

„Wir glauben, dass er ein stolzer Engel ist, der rebellierte und deswegen von Gott in die Hölle verbannt wurde. Er blieb dort 40.000 Jahre, bis seine Tränen das Feuer der Unterwelt auslöschten. Jetzt hat er sich mit Gott versöhnt.“

Halil Savucu, Vorsitzender der „Plattform[9] Ezidischer Celler“[10]

Scheich Adi

Das Grab von Scheich Adi in Lalisch im Irak

Eine zweite wichtige Gestalt für die Jesiden ist der als Reformer geltende Scheich Adi aus dem 11./12. Jahrhundert. Die Religionswissenschaft identifiziert ihn mit dem mit dem sufischen Mystiker Scheich Adî Ibn-Musafîr (1075–1162), der nach seiner Zwangsislamisierung wieder in der jesidischen Gemeinschaft eintreten wollte und deswegen von den Muslimen verfolgt wurde.

Für die Jesiden ist Scheich Adi eine Inkarnation des Taus-i Melek, der kam, um das Jesidentum in einer schwierigen Zeit neu zu beleben. An seinem Grab in Lalisch findet jedes Jahr vom 6. Oktober bis 13. Oktober das „Fest der Versammlung“ (Jashne Jimaiye) statt. Jesiden aller Gemeinden aus den Siedlungs- und Lebensgebieten kommen zu diesem Fest zusammen, um ihre Gemeinschaft und ihre Verbundenheit zu bekräftigen. Häufig erschweren oder verhindern politische Umstände die Pilgerfahrt nach Lalisch, die eine Pflicht für jeden Jesiden ist. Aus Lalisch bringen die Jesiden geweihte Erde mit, die mit dem heiligen Wasser der Quelle Zemzem (in Lalisch, nicht mit dem muslimischen Samsam zu verwechseln) zu festen Kügelchen geformt wurde. Sie gelten als „heilige Steine“ (Sing. berat) und spielen bei vielen religiösen Zeremonien eine wichtige Rolle.

Scherfedin

Scherfedin ist der Sohn von Scheich Hassan (al-Hasan ibn Adi), einem Neffen von Scheich Adi, und ein jesidischer Volksheld. Um das Jahr 1254 n. Chr. kam es zu einem Konflikt zwischen Scheich Hassan und dem Statthalter von Mosul, Badr al-Din Lulu. Im Sindschar-Gebiet versammelten sich jesidische Krieger. Nach der Niederlage der Jesiden nahmen Badr al-Dins Männer Scheich Hassan fest und hängten ihn in Mosul am Tor auf. Des Weiteren wurde Lalisch angegriffen. Scherfedin sandte den Jesiden in Lalisch eine Botschaft, die zu Zusammenhalt, Verteidigung und Bewahrung der jesidischen Religion aufrief. Er ist bei dem erneuten Kampf getötet worden. Seine Botschaft wurde zur religiösen Hymne der Jesiden:

Şerfedîna, Şerfedîna, Şerfedîna ji dînê me ye
Şerfedîna Mîra li dîwanê
Élem bidin Êzidxanê
qewîn bikin vê îmanê
Şerfedîna ji dînê me ye.

Das Kastensystem

Das jesidische Kastensystem wurde von Scheich Adi begründet. Vor dieser Reform gab es bei den Jesiden kein Kastensystem. Hintergrund der Einführung war der Versuch, die jesidische Religion vor dem Eindringen des Islam zu sichern.

Das jesidische Kastensystem hat kaum Ähnlichkeiten mit dem hinduistischen Kastensystem. Die einzige Gemeinsamkeit ist die Geburt in eine Kaste und das Heiratsverbot zwischen Angehörigen verschiedener Kasten. Sonst unterscheiden sich die beiden Kastensysteme stark voneinander. So ist jeder Jeside unabhängig von seiner Kastenzugehörigkeit gleich an persönlichen und wirtschaftlichen Rechten und Pflichten geboren. Kein Jeside ist aufgrund seiner Kaste besser oder schlechter als andere. Im Jesidentum kann jeder unabhängig von seiner Kaste oder Geschlecht jeden Beruf frei wählen.

Man unterscheidet hierbei zwischen der Kaste der Scheichs, der Kaste der Pirs und der Kaste der Muriden (allgemeinen jesidischen Gläubigen).

Die Scheichs und Pirs sind religiöse Führungskräfte (Geistliche) und müssen die jesidische Religion unter den Gläubigen aufrechterhalten, Zeremonien (bei Festen, jesidische Taufe bei Neugeborenen und bei Beerdigungen) durchführen, Gläubigen in der Not helfen sowie Streitereien zwischen Jesiden beseitigen.

Obwohl diese Aufgaben die Angehörigen der Scheichs und Pirs machen müssen, gibt es einen Unterschied zwischen den beiden Kasten. Die Scheichs haben in der Gemeinschaft noch eine administrative Aufgabe. Sie müssen bei politisch-sozialen Aufgaben für die Gemeinschaft tätig werden. Sie sind also nach außen und innen Vertreter der Gemeinschaft und müssen Probleme sowohl innerhalb, als auch außerhalb der Gemeinschaft lösen. Die Scheichs und Pirs sind neben den Mir (Fürst, Oberhaupt der Jesiden), Priesterinnen und Priester von Lalisch, Hüter der Religion und für jeden jesidischen Gläubigen Ansprechpartner.

Die Kaste der Muriden ist die dritte und größte Kaste. Die Jesiden in dieser Kaste teilen sich in Stämme auf, bei denen die Heirat der Angehörigen untereinander kein Problem ist. Auch diese haben Pflichten, nämlich zur Erhaltung der Religion beizutragen und sich gegenseitig in der Not zu helfen. Es ist Pflicht für jeden Jesiden unabhängig von seiner Kaste, seine Kinder religiös zu erziehen und ihnen die jesidische Kultur und Bräuche beizubringen.

Die jesidischen Siedlungsgebiete waren und sind räumlich voneinander getrennt. Aus organisatorischen Gründen hat Scheich Adi festgelegt, dass sowohl die Angehörigen der Pirs als auch der Scheichs sich auf die jesidischen Stämme in Abhängigkeit zu deren Größe aufteilen sollen. So bekam jeder Stamm seine Scheichs und Pirs. Dadurch gibt es in jedem Siedlungsraum für jede Gruppe jesidischer Gläubigen eines Stammes die zuständigen Pirs und Scheichs. Bei Problemen können sich die Gläubigen jedoch auch an Pirs und Scheichs wenden, die für andere Stämme zuständig sind.

Jesidische Stämme

Im Jesidentum gibt es viele Stämme. Die Stämme haben Sippencharakter und sind Ergebnisse des Zusammenhalts von Nachfahren bestimmter Gründungsväter und des engen Zusammengehörigkeitsgefühls von Jesiden in bestimmten Gebieten Kurdistans. Die Angehörigen der Stämme sehen sich in der Pflicht, anderen Stammesangehörigen zu helfen. Die Heirat zwischen Angehörigen unterschiedlicher jesidischer Stämme ist erlaubt.

Verbreitung

Die Jesiden haben ihr traditionelles Siedlungsgebiet im Verbreitungsgebiet der Kurden. Noch im Mittelalter bekannten sich nach jesidischer Überlieferung die meisten Kurden zum Jesidentum. Unter anderem waren viele Adlige laut Şerefhan ursprünglich Jesiden. Die erste Völkermordwelle an ihnen durch die Osmanen zu Anfang des 19. Jahrhunderts und vor allem der Völkermord an Armeniern und Jesiden während des Ersten Weltkrieg zwang die Jesiden zur Flucht nach Armenien und Georgien. Seit den 1980er Jahren wanderten sie auch nach Mittel- und Westeuropa sowie Nordamerika aus.

Es gibt keine offizielle Zählung der Jesiden. Ihre Zahl wird weltweit auf 800.000 geschätzt.[11].

Den Hauptanteil stellen die irakischen Jesiden (160.000–350.000). In Deutschland leben 70.000, im restlichen Europa kommen noch etwa 65.000 hinzu. In den USA und Kanada leben einige Tausende Jesiden, meist aus dem Irak. Im Kaukasus (Armenien und Georgien), in Russland und im Iran leben einige Zehntausend und in Syrien einige Tausend, in der Türkei nur noch wenige Hundert. Die Jesiden stellen heute also unter den mehrheitlich muslimischen Kurden eine religiöse Minderheit dar.

Jesiden im Irak

Das Hauptverbreitungsgebiet der Jesiden ist der Nordirak. Die Jesiden siedeln überwiegend westlich des Tigris in der Provinz Ninawa. In Ninawa konzentrieren sich die Jesiden um dem Dschabal Sindschar mit der gleichnamigen Stadt Sindschar. In der Stadt Mosul selbst leben auch viele Jesiden. Ein kleiner Teil lebt in der Provinz Dahuk. Nicht allzu weit von Mosul entfernt befindet sich Lalisch, das religiöse Zentrum der Jesiden. Nahe bei Lalisch residiert in Baadhra das weltliche und geistliche Oberhaupt der Jesiden, der Mir, der auch Schaichan Mire Schaichan genannt wird.

Zählungen und Schätzungen von türkischer, britischer und irakischer Seite aus den 1920er Jahren ergaben einen jesidischen Anteil von 4 % bis 7 % an den irakischen Kurden, was heute bei gleich bleibendem Anteil 160.000 bis 350.000 Personen entspräche. Manche Maximalschätzungen gehen heute von bis zu 550.000 jesidischen Gläubigen aus. Die Jesiden machen schätzungsweise 1 % der irakischen Bevölkerung aus. Seit 1991 ist die jesidische Gemeinschaft im Irak zweigeteilt. 90 % der irakischen Jesiden leben in irakisch verwaltetem und nur etwa 10 % in kurdisch verwaltetem Gebiet.

Nach Angaben des UNHCR verfügen die Jesiden im Irak nicht über eine eigene Interessenvertretung im gegenwärtigen zentralirakischen Regierungsgefüge, nachdem das frühere Ministerium für Religionsangelegenheiten zugunsten dreier neugeschaffenen Ressorts für die Angelegenheiten der Schiiten, Sunniten und Christen aufgelöst wurde [12].

Seit dem Ende des Irakkrieges sind die Jesiden gezielt zur Zielscheibe fundamentalistischer Moslems geworden. Sie müssen um ihr Leben fürchten. Das führt dazu, dass die Jesiden aus dem Irak in Massen nach Europa und Nordamerika flüchten. Am 14. August 2007 verübten Terroristen aus dem Umfeld der al-Qaida vier Anschläge in den ausschließlich von Jesiden bewohnten Dörfern El Khatanijah und El Adnanijah. Die Anschläge forderten insgesamt über 500 Todesopfer, Hunderte wurden verletzt.[13] Die Tat gilt als Racheakt für die 15 Tage zuvor stattgefundene Ermordung des 17-jährigen jesidischen Mädchens Du’a Khalil Aswad, das, angeblich wegen eines Übertritts zum Islam, von ihrem eigenen Clan gesteinigt wurde. Die al-Qaida in Mossul hatte darüber hinaus in einer Fatwa verboten, den Jesiden Essen zu geben, wodurch sich die Lebensmittelversorgung in den jesidischen Dörfern dramatisch verschlechterte. Die Zusage der Amerikaner und der kurdischen Regionalregierung, bald Lebensmitteltransporte zu schicken, nutzten Terroristen für einen Anschlag.[14][15] Diese gegen die Jesiden gerichteten Anschläge waren die folgenschwersten seit Beginn des Irakkriegs.[16]

Jesiden in der Türkei

In den letzten 30 Jahren haben die Jesiden in großen Auswanderungswellen die Türkei verlassen. Sie lebten überwiegend in Südostanatolien. Laut dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht liegt seit 2003 keine staatliche Gruppenverfolgung der Jesiden vor.[17]

Jesiden in Syrien

In Nordsyrien, hier besonders in Afrin, und in Nordost-Syrien, hier besonders in und um die Stadt Qamischli und im Gouvernement Al-Hasaka leben Jesiden in Syrien – vgl. als Illustration Qîbar. Allerdings ging ihre Zahl beträchtlich zurück, für 1990 wurden 12.256 gezählt und Ende 2008 nur noch 3.357. Ein wesentlicher Grund dafür ist die verstärkte Auswanderung nach Europa.

Jesiden im Iran

Im Iran gibt es einige Tausend Jesiden. Im Iran sind als Religionen nur der Islam und, mit wesentlichen Einschränkungen, das Christentum, der Zoroastrismus und das Judentum erlaubt. So müssen die Jesiden ihre Religionszugehörigkeit und -ausübung geheim halten. Sie leben anonym auf dem Land und vor allem in größeren Städten.

Jesiden in der Diaspora

Kaukasus

Es gab insgesamt drei Fluchtwellen der Jesiden aus dem osmanischen Reich in den Kaukasus, nach Georgien und Armenien. Die erste geschah im 18. Jahrhundert. Zur zweiten Fluchtwelle kam es während des Russisch-Türkischen Krieges 1877–1878. Die dritte und größte Fluchtwelle ereignete sich am Anfang des 20. Jahrhunderts, während des Ersten Weltkrieges.[18] Auslöser der Flucht waren die gezielte Verfolgung, Unterdrückung und Massaker an Jesiden und anderen Volksgruppen im osmanischen Reich. Nicht selten unterstützten moslemische Kurden und osmanische Behörden diese Verfolgungen und Massaker. Die Jesiden, die selbst Opfer der Osmanen waren, schützten die Armenier während des Ersten Weltkrieges, indem sie diese in ihren Häusern versteckt hielten. Dieser Schutz der Armenier durch die Jesiden bildete eine Grundlage für das Zusammenleben von Jesiden und Armeniern in Armenien.

Vor dem Zusammenbruch der UdSSR um 1990 lag die Zahl der Jesiden in Georgien bei 22.000, in Armenien bei 60.000. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam es aber zu wachsendem Nationalismus in beiden Staaten und die Situation für die Jesiden und andere Minderheiten verschlechterte sich. Die Zahl der Jesiden ging im Zeitraum zwischen 1989 und 1997 in Georgien auf 1.200 und in Armenien auf 18.000 zurück. Viele Jesiden flüchteten nach Europa und Russland.

In Georgien sind die Gründe der Flucht vielfältig. Die Jesiden beklagen massive Übergriffe durch Polizisten und Beamte, Mordvorwürfe, Körperverletzungen, Falschanschuldigungen, Hass und zu Unrecht negative Berichte der Presse und öffentliche Äußerungen von Politikern. Die Jesiden haben keine Chance auf höhere Posten und Gleichbehandlung bei der Verwaltung und medizinischen Versorgung. Auch haben sie keine Chance auf höhere Bildung und ein höheres Einkommen. Die Flüchtlinge berichten über Erpressung, Bedrohung und Verfolgung durch die Polizei. Den Jesiden in Georgien wird der Bau von jesidischen Gebetshäusern verboten. Sie sind in Georgien weder in Parlament noch Regierung vertreten, so dass ihre Forderungen nach einem normalen Leben kein Gehör finden. Zur Sowjetzeit wurden Garantiemandate an die Jesiden vergeben; nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurden sie aber wieder abgeschafft.[18]

In Armenien bilden die Jesiden mit 1,3 % an der Gesamtbevölkerung die größte Minderheit.[19] Da ihnen nach dem Zusammenbruch der UdSSR keine Garantiemandate mehr zustehen, sind sie im Parlament nicht vertreten.

In Russland wurde das Jesidentum erst Ende Juli 2009 offiziell als Religionsgemeinschaft und somit als Körperschaft des öffentlichen Rechtes anerkannt.

Seit 1990 sendet Radio Jerewan täglich eine halbe Stunde lang die Sendung Stimme der Jesiden in kurdischer Sprache. In der Redaktion der Radiosendung wird die jesidische Wochenzeitung, die ebenfalls Stimme der Jesiden heißt, verfasst. Sie erscheint in armenischer Sprache. In Armenien darf in jesidischen Schulen kurdisch gelehrt werden.

Europa und Amerika

Eine bedeutende Zahl von Jesiden lebt zurzeit in Europa, hauptsächlich in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und besonders in Deutschland. Einige wenige leben in Schweden, Dänemark, Österreich und in außereuropäischen Staaten[20], wie in den USA und Kanada.

Deutschland

Zunehmende Repressionen trieben Jesiden in den 1980ern vor allem aus der Türkei zur Flucht nach Deutschland. In Deutschland leben schätzungsweise 60.000 Jesiden[21], vorwiegend in den Bundesländern Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Hier bilden sie häufig größere Gemeinden. Bedeutende Gemeinden befinden sich in Hannover, Oldenburg, Celle, Bielefeld, Halle (Westf.), Emmerich am Rhein, Rees, Kalkar und Kleve und zunehmend in Mecklenburg-Vorpommern.

Der mit den Gegebenheiten vor Ort vertraute Orientalist Gernot Wießner der Universität Göttingen erwirkte mit einem Gutachten beim Verwaltungsgericht Stade 1982 die Anerkennung der Jesiden als Flüchtlinge. 1993 hat sich dieser Status vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg allgemein durchgesetzt. Auf politischer Ebene bereitete 1989 Herbert Schnoor in seiner Amtszeit als Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen den Weg für ein Bleiberecht der Jesiden. Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker, bei der Wießner Beiratsmitglied ist, hat sich als Menschenrechtsorganisation für die Jesiden eingesetzt.

Feleknas Uca, die von 1999 bis 2009 Die Linke im Europaparlament vertrat, ist Jesidin. Der Jeside Ali Atalan gehört als Abgeordneter der Fraktion der Linken im Landtag von Nordrhein-Westfalen an.

Jesiden in literarischen Werken

Literatur

  • Andreas Ackermann: Yeziden in Deutschland. Von der Minderheit zur Diaspora. In: Paideuma – Mitteilungen zur Kulturkunde 49 (2003), S. 157–177 Online als pdf
  • Christine Allison: Artikel Yazidis I (General), in: Encyclopaedia Iranica (2004).
  • Carsten Colpe: Konsens, Diskretion, Rivalität. Aus der Ethnohistorie von Kurden und Yeziden. In: Carsten Borck, Eva Savelsberg, Siamend Hajo (Hrsg.): Ethnizität, Nationalismus, Religion und Politik in Kurdistan, Kurdologie 1, Münster 1997. ISBN 3-8258-3420-4; S. 279–300 Online als pdf
  • Mirza Dinnayi: Yeziden im Irak: Eine bedrohte Minderheit ohne Existenrechte als pdf
  • Johannes Düchting, Nuh Ates: Stirbt der Engel Pfau? Geschichte, Religion und Zukunft der Yezidi-Kurden. Edition KOMKAR. medico international, Köln 1992. ISBN 3-927213-06-3
  • Irene Dulz: Die Yeziden im Irak. Zwischen Modelldorf und Flucht. LIT, Münster, Hamburg, London 2001. ISBN 3-8258-5704-2
  • Chaukeddin Issa: Das Yezidentum – Religion und Leben. Dengê Êzîdiyan, Oldenburg 2007. ISBN 978-3-9810751-4-4
  • Ilhan Kizilhan: Die Yeziden. medico, Frankfurt/M. 1997. ISBN 3-923363-25-7
  • Ursula Spuler-Stegemann: Der Engel Pfau. Zum Selbstverständnis der Yezidi. In: Zeitschrift für Religionswissenschaft 5 (1997), S. 3–17. (online)
  • Eszter Spät: Late Antique Motifs in Yezidi Oral Tradition. Gorgias Press, Piscataway, NJ 2010. (= Gorgias Dissertations in Religion; 52.) ISBN 978-1-60724-998-6
  • Telim Tolan: Religion und Leben. In: Erhard Franz (Hrsg.): Yeziden. Eine alte Religionsgemeinschaft zwischen Tradition und Moderne. Beiträge der Tagung vom 10.–11. Oktober 2003 in Celle. Mitteilungen des Deutschen Orient-Instituts im Verbund der Stiftung Deutsches Übersee-Institut 71. Deutsches Orient-Institut, Hamburg 2004. ISBN 3-89173-085-3
  • Gernot Wießner: „ … in das tötende Licht einer fremden Welt gewandert” – Geschichte und Religion der Yezidi. In: Robin Schneider (Hrsg.): Die kurdischen Yezidi. Ein Volk auf dem Weg in den Untergang. Pogrom 110. Gesellschaft für Bedrohte Völker, Göttingen 1984. ISBN 3-922197-14-0; S. 31–46 Online als pdf
  • Banu Yalkut-Breddermann: Der Wandel der yezidischen Religion in der Diaspora. In: Gerdien Jonker (Hrsg.): Kern und Rand: Religiöse Minderheiten aus der Türkei in Deutschland. Zentrum Moderner Orient. Studien 11. Das Arabische Buch, Berlin 1999. ISBN 3-86093-227-6; S. 51–63 Online als pdf
  • Ph.G. Kreyenbroek et al.: Yezidism in Europe: Different Generations Speak about their Religion. Wiesbaden, 2009.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. P. G. Kreyenbroek In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition, s.v. YAZĪDĪ
  2. Christine Allison: Artikel Yazidis I (General). In: Encyclopaedia Iranica (2004); dies.: The Yezidi oral tradition in Iraqi Kurdistan. Curzon Press, Richmond Surrey 2001, S. 26, ISBN 0-7007-1397-2.
  3. P. Anastase Marie: La découverte récente des deux livres sacrés des Yézîdis. In: Anthropos 6 (1911), S. 1-39; M. Bittner: Die Heiligen Bücher der Jeziden oder Teufelsanbeter (Kurdisch und Arabisch). Wien 1913. (Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, phil.-hist. Klasse; 55.)
  4. Hilmi Abbas: Das ungeschriebene Buch der Kurden. Mythen und Legenden. Diederichs Verlag, München 2003 ISBN 3-720-52387-X. Auf die philologische Problematik der Ausgabe hat Martin Zähringer in seiner Rezension in der Neuen Zürcher Zeitung, 19. September 2003 hingewiesen
  5. The Devil worshippers of Iraq. Auf: Daily Telegraph
  6. The Devil worshippers of Iraq. Auf: Daily Telegraph
  7. David Szakonyi, Ethnic Mobilization in Post-Soviet Georgia: The Case of the Yezidi-Kurds, in: Journal on Ethnopolitics and Minority Issues in Europe, Vol. 2007, Issue 2 (2007), S. 1 (S. 3)
  8. Christine Allison: The Yezidi oral tradition in Iraqi Kurdistan. Curzon Press, Richmond Surrey 2001, S. 35, ISBN 0-7007-1397-2.
  9. Eine der größten jesidischen Gemeinschaften außerhalb des Iraks
  10. Daily Telegraph: The Devil worshippers of Iraq.
  11. Verwaltungsstreitsache irakischer Staatsangehöriger jesidischer Religionszugehörigkeit, Amnesty International. Abgerufen am 18. November 2009
  12. amnesty international, abgerufen am 18. November 2009
  13. Die Zeit, Nr. 35/2007 vom 23. August 2007, S. 7
  14. http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/323751/index.do
  15. http://www.bfm.admin.ch/etc/medialib/data/migration/laenderinformationen/herkunftslaenderinformationen/naher_und_mittlerer.Par.0004.File.tmp/Irak_JSS_Focus.pdf
  16. Schwere Anschlagsserie im Irak (n-tv), 14. August 2007
  17. Gruppenverfolgung für Yeziden, Rechtslupe
  18. a b Sarah Reinke: Kurdische Yezidi aus Georgien, Gesellschaft für bedrohte Völker im April 2006. Abgerufen am 14. November 2009
  19. www.cia.gov, abgerufen am 20. November 2009
  20. Iryedi
  21. n-tv: 15. August 2007

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