Jesuitenverbot

Jesuitenverbot

Mit Jesuitenverbot wird insbesondere der in der katholischen Kirchengeschichte einzigartige Vorgang bezeichnet, bei dem der Papst Clemens XIV. 1773 den stärksten Orden aufhob und dem Papsttum damit eine wichtige Stütze raubte.

Daneben sind noch Verbote der Jesuiten in mehreren anderen Ländern zu späteren Zeiten vorgekommen. In der Schweiz gab es in der Bundesverfassung bis 1973 ein Jesuitenverbot.

Bei den Angriffen auf die Jesuiten, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzten und zur Aufhebung des Ordens im Jahre 1773 führten, spielten variierte Verschwörungstheorien jedes mal eine große Rolle.

Inhaltsverzeichnis

Portugal

In Portugal war Marquis von Pombal leitender Minister, ein Anhänger des aufgeklärten Absolutismus. Ihm waren die Jesuiten schon deshalb ein Dorn im Auge, weil sie sich den Versuchen widersetzten, die portugiesische Kirche der absoluten Macht seines Königs, Josephs I., zu unterwerfen. Konkreter Anlass der Feindschaft gegen den Orden waren die jesuitischen Indianerreduktionen in Südamerika. Als 1750 sieben dieser Siedlungen geräumt werden sollten, weil ihr Gebiet bei einem Gebietstausch an die spanische Krone fallen sollte, wehrten sich die dort lebenden Indios gewaltsam gegen ihre Umsiedlung. Obwohl der Orden die Indios zum Gehorsam aufgerufen hatte, machte Pombal ihn für den fünf Jahre währenden Kleinkrieg verantwortlich. Dies genügte zusammen mit dem Vorwurf, die Jesuiten würden in den Kolonien einen "Staat im Staate" bilden, um die übrig gebliebenen Reduktionen in Brasilien auflösen zu lassen. Die öffentliche Predigt des Jesuiten Gabriel Malagrida, wonach das verheerende Erdbeben des Jahres 1755, das Lissabon zerstörte, die Strafe für die gottlose und kirchenfeindliche Politik der Regierung sei, vergiftete die Beziehungen weiter. Ein Attentat auf den König im September 1758 brachte das Fass zum Überlaufen. Pombal stellte, ohne zureichende Beweise präsentieren zu können, die Jesuiten als Drahtzieher des Anschlags hin und ließ Malagrida und neun weitere Patres verhaften. Im Januar 1759 wurden die Besitzungen des Ordens beschlagnahmt, im Oktober erfolgte die Ausweisung sämtlicher Jesuiten aus Portugal.

Frankreich

In Frankreich geriet der Orden durch die aufstrebenden Jansenisten unter Druck. Diese streng elitäre Frömmigkeitsrichtung scheute sich in ihrem Kampf um die geistliche und politische Vorherrschaft nicht, sich obskurer Stereotypen und Verschwörungstheorien zu bedienen: So verbreiteten sie zum Beispiel das Gerücht, der Orden hätte Robert François Damiens 1751 beauftragt, ein Attentat auf König Ludwig XV. zu verüben. Zum anderen war der international tätige Orden der Krone im Weg: Das Königshaus hatte in den gallikanischen Artikeln von 1682 jeglichen Anspruch der Kirche und dem Papst auf weltliche Macht geleugnet und den Begriff der "weltlichen" Macht überdies auf kirchliche Interessen erstreckt. Noch um 1730 schienen die Jesuiten über den Jansenismus triumphiert zu haben. Anlass zur Aufhebung bot dann konkret - ähnlich wie in Portugal - die Missionstätigkeit des Ordens in Übersee. Antoine de LaValette, der Generalobere der Jesuitenmissionen in Lateinamerika, war wegen verbotener Handelstätigkeit auf Martinique ins Visier geraten. Als er 1755 bankrott ging und Schulden im Wert von 2,4 Millionen Livres hinterließ, weigerten sich die französischen Jesuiten, diesen Ausfall zu erstatten. Sie behaupteten, jedes Jesuitenhaus wirtschafte selbstständig, und lehnten eine Gesamthaftung des Ordens ab. Dies führte zu einem Prozess vor dem jansenistisch dominierten "Parlement" (Gericht) von Paris, in dem 1764 die bis dahin geheimen Constitutiones des Ordens aufgedeckt wurden. Dass die französischen Patres dem Papst absoluten Gehorsam schuldeten, also mehr Loyalität als der französischen Krone, löste erhebliche Empörung aus. Das Pariser Parlement verbot den Jesuiten daraufhin jegliche Verbindung mit ihren Oberen und zog ihren Besitz ein. Im November 1764 folgte König Ludwig XV. mit einem Edikt, in dem den verbliebenen Jesuiten ein Treueeid auf die Krone abverlangt wurde, den aber nur sechs von ihnen zu leisten bereit waren. Damit war die Tätigkeit des Ordens in Frankreich beendet.

Spanien

In Spanien bot ebenfalls der Jesuitenstaat von Paraguay den äußeren Anlass zum Verbot des Ordens. Um sie instand zu setzen und sich gegen die Sklavenjäger aus São Paulo, die berüchtigten Paulistaner Bandeiranten, zu verteidigen, hatten die Jesuiten ihren Indios gestattet, sich zu bewaffnen, was dem Vorurteil, sie strebten nach eigener politischer Macht, weitere Nahrung gegeben hatte. Als es 1766 zum so genannten "Madrider Hutaufstand" kam - die Regierung hatte mit dem Verbot, Sombreros zu tragen und einer gleichzeitigen Steuererhöhung den Zorn der Bürger erregt - wurden, wider gegen alle Evidenz, die Jesuiten als angebliche Drahtzieher dafür verantwortlich gemacht. Am 27. Februar 1767 wurde der Orden in Spanien durch ein Dekret König Karls III. aufgehoben, seine Mitglieder verhaftet und außer Landes geschafft[1] gleichzeitig wurden auch die Reduktionen aufgelöst.

Ein Territorialkonflikt zwischen dem bourbonisch regierten Herzogtum Parma und dem Kirchenstaat bot schließlich den anderen bourbonischen Thronen von Frankreich und Spanien sowie Portugal einen Hebel, um verstärkten Druck auf die päpstliche Kurie auszuüben, den verhassten Orden gänzlich aufheben zu lassen. Nach zähen Verhandlungen fügte sich Clemens XIV. und hob am 21. August 1773 mit dem Breve "Dominus ac redemptor noster" den Orden auf. Im Jahr darauf wurden dem Kirchenstaat drei kleinere Territorien zurückgegeben, die von bourbonischen Mächten besetzt worden waren, um Druck auf die Kurie auszuüben.

Folgezeit

Nach der Aufhebung ihres Ordens sammelten sich die Jesuiten in verschiedenen Genossenschaften zur Herz-Jesu-Verehrung, die zum Teil sogar die Jesuitenregel übernahmen, zum Beispiel in der 1794 gegründeten Gesellschaft des Hl. Herzens Jesu oder den drei Jahre später gestifteten Paccanaristen. Mit dem Ende des Ordens endeten die Verschwörungstheorien gegen ihn noch keineswegs: Man argwöhnte, er würde seine Arbeit im Geheimen fortsetzen, und als Clemens XIV. im September 1774 verstarb, munkelte Jean Baptiste d'Alembert in einem Brief an König Friedrich II. von Preußen, der Papst sei sicher einem Giftanschlag der rachsüchtigen Jesuiten erlegen.

In Russland und in Preußen, wo die nicht-katholischen Regierungen die päpstliche Autorität sowieso nicht anerkannten, fanden einige der Jesuiten Zuflucht, vor allem weil die Zarin Katharina die Große und Friedrich II. die Vorteile des jesuitischen Schulsystems nicht aufgeben wollten und weil beide Herrscher für die katholische Bevölkerung Polens, welches zwischen Russland und Preußen aufgeteilt worden war, Seelsorger benötigten.

Würdigung

Die Tatsache, dass katholische Monarchien den Vatikan nach jahrzehntelangem Ringen (die Jesuitenfrage stellte sich schon zur Zeit des Papstes Benedikt XIV.), dazu bringen konnten, den blühenden Jesuitenorden preiszugeben, markiert einen der tiefsten Punkte der Geschichte des Papsttums.

Wenige Jahre später sollte aber die Französische Revolution von 1789 ihrerseits die absolutistische Staatsidee, für die der internationale Orden ein Störfaktor war, so massiv erschüttern, dass sich das Ancien régime nicht mehr davon würde erholen können. Folgerichtig nutzte Papst Pius VII. 1815 die Rückkehr des Papsttums auf das völkerrechtliche Parkett, um die Jesuiten, die partiell die Aufhebung überstanden hatten, wieder zu restaurieren. Den Schock der Aufhebung von 1773 hat der Orden aber möglicherweise nie ganz verkraftet. Im 19. und 20. Jh. wurden die Jesuiten zum Inbegriff für eine Theologie des Römischen Zentralismus, die in der Definition der Unfehlbarkeit des Papstes 1870 gipfelte.

Bis in die Zeit Pius XII. hinein waren Jesuiten die führenden Vertreter einer autoritär gefassten Theologie, welcher Kritiker nachsagten, dass sie zum Integralismus tendiere. Beispielsweise trennte sich 1950 der theologische Schriftsteller Hans Urs von Balthasar vom Jesuitenorden und forderte eine "Schleifung der Bastionen" (des Katholizismus).

Möglicherweise war der Orden an dem Verbot von 1773 nicht ganz so unschuldig, wie es im Rückblick erscheinen mag. Denn die elitäre und autarke Gesellschaft hatte innerkirchlich und bis in die Politik hinein eine so kräftige Eigendynamik kultiviert, dass vielleicht die Identifikation mit der Verbreitung des Evangeliums Jesu bereits brüchig geworden sein könnte. Die starke Zuwendung der Jesuiten zu weltlichen Vorgängen, bspw. den Wissenschaften (um "Gott in allen Dingen zu suchen"), ihre pragmatische Moraltheologie ("Jesuitenmoral") und ein soldatisch-aristokratisches Sonderbewusstsein (wohl aus der "Indifferenz" herleitbar, welche die ignatianischen Exerzitien lehren), macht sie für eine Tendenz zu klerikaler Eigenbrödelei anfällig. In Folge des II. Vatikanischen Konzils ist es den Jesuiten bislang nicht gelungen, die Aufwertung von Laienapostolat und neueren Bewegungen zu verarbeiten. Auch progressive Jesuiten argumentieren heute noch häufig so, als seien letztlich Jesuiten in allen Sach- und Fachbereichen kompetent.

Einzelnachweise

  1. Peter Claus Hartmann: Die Jesuiten, Seite 90. ISBN 3406447716, abgefragt am 28. Februar 2009

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