Joseph Boulogne Chevalier de Saint-George

Joseph Boulogne Chevalier de Saint-George
Le Chevalier de Saint-George

Joseph Boulogne (auch Bologne) (* 25. Dezember 1739 in Baillif bei Basse-Terre (Stadt) auf Guadeloupe; † 10. Juni 1799 in Paris), genannt Chevalier de Saint-George, war ein französischer Geigenvirtuose, Komponist und Dirigent, der als Fechter ebenso berühmt war wie als Reiter in der Garde König Ludwigs XVI. und als Frauenheld.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Geboren in der Karibik: Seine genaue Herkunft ist umstritten. Man geht heute davon aus, dass er gegen die frühere Annahme, 1745 geboren zu sein, bereits 1739 zur Welt kam. Das einzige erhaltene frühe Dokument weist Joseph bei der Überfahrt nach Frankreich 1749 als Vierjährigen aus. Ob diese Angabe stimmt, wird schon lange angezweifelt. Auch wer der Vater war, ist unsicher. Der Annahme der Association du Chevalier de Saint-Georges, es handele sich um Georges de Boulogne de Saint-Georges, widersprechen mehrere Autoren. So geht der Biograf und Journalist Alain Guédé davon aus, dass Guillaume-Pierre Tavernier de Boullongne sein Vater gewesen sei, der 1738 als Plantagenbesitzer nach Guadeloupe kam und den illegitimen Sohn nach seinem Vetter und Nachbarn George Boulogne de Saint-Georges benannte, allerdings ohne „s“. Wegen der unehelichen und unstandesgemäßen Geburt konnte er den eigenen Namen für seinen Sohn wohl nicht übernehmen, zumal er bald darauf eine Weiße heiratete. Die Identität der Mutter scheint indes sicher, es handelte sich um eine schwarze junge Sklavin aus dem Senegal mit Namen Nanon, die für ihre Schönheit vielfach gerühmt wurde und auch in Paris Aufsehen erregte.

Frankreich: 1748/49 kam Joseph mit seiner Familie nach Frankreich, zunächst nach Bordeaux, dann nach Paris. Der offensichtlich namengebende Onkel George wurde später wegen eines tödlich endenden Streits auf Guadeloupe verurteilt und tauchte kurzzeitig in Paris unter, bevor er auf Pardon des Königs wieder auf die Karibikinsel zurückkehren konnte. Guillaume-Pierre Tavernier de Boullongne machte unterdessen mit Hilfe seines Bruders Philippe-Guillaume Tavernier de Boullongne, der Kontakte zu Madame de Pompadour pflegte, schnell Karriere als Finanzberater des Hofs und galt als „Schatzmeister der Antillen“. Dies beförderte auch die frühe Ausbildung des gerade etwa 13-jährigen Joseph zum Geiger, Fechter und Reiter. Seine musikalischen Lehrer wurden der Violinvirtuose Jean-Marie Leclair und der Komponist und Orchesterleiter François-Joseph Gossec.

Denkmal Saint-George in Basse-Terre (Stadt), Guadeloupe

Erste Erfolge: Boulogne de Saint-George war wegen seiner guten Manieren und künstlerischen sowie sportlichen Fähigkeiten eine (besonders von Frauen) umschwärmte Persönlichkeit in Paris und am französischen Hof in Versailles. Als Musiker unterrichtete er die junge Marie Antoinette und entzückte die Gesellschaft auch als Schwimmer und Eisläufer. Neben seiner Tätigkeit als Dirigent und Violinist sowie in der Reiter-Garde des Königs komponierte Saint-George eine Reihe von Solo-Konzerten, Sinfonien, Streichquartette, Sonaten, Liedern und Opern. Die Sinfonia concertante (Konzerte für mindestens zwei Solisten und Orchester) gehörte zu den bevorzugten modernen Gattungen, die Saint-George besonders pflegte und die Mozart, so wird verschiedentlich angenommen, sehr beeindruckten und inspirierten. In der Nachfolge Gossecs übernahm Saint-George acht Jahre lang die Leitung der Concerts des Amateurs in Paris und führte dieses Orchester zu Weltruhm. Er war auch als musikalischer Direktor der Pariser Oper im Gespräch; der Widerstand einiger Sängerinnen, die sich weigerten, unter einem Mulatten zu singen, sowie Bedenken des Hofes, dass es keinen weißen Franzosen gebe, der in der Lage sei, die Oper zu führen, verhinderte allerdings die Berufung. Der Posten blieb lange unbesetzt.

Bedeutung im Pariser Musikleben: Saint-George war Mitglied der Freimaurerloge zu den Neun Schwestern und leitete später das Orchester der Loge „de la Parfaite Estime et Société Olympique“ mit Sitz im Palais Royal, das 1781 die Concerts des Amateurs fortführte. Mit 65-70 Mitgliedern - teils Profimusikern der Oper, teils gut ausgebildeten Laien - war es das größte Orchester seiner Zeit. Ob Saint-George Mozart in Paris getroffen hat, ist ungewiss. Der Salzburger erwähnt ihn mit keinem Wort in seiner umfangreichen Korrespondenz. Zu Joseph Haydn schien Saint-George Kontakte zu pflegen, dessen „Pariser Sinfonien“ (Nr. 82-87) die „Olympique“ in Auftrag gaben und die unter Führung des Chevalier de Saint-George uraufgeführt wurden. Der Briefwechsel mit Haydn, der in Wien lebte, ist offenbar verschollen.

Die Revolution und die Folgen: Kurz vor und nach 1789 hielt sich Saint-George in London auf, später kämpfte er auf Seiten der Französischen Revolution vor allem in der Gegend um Lille. Er führte ein eigenes Heer mit Soldaten aus den französischen Kolonien und ein Laienorchester. In der Folge der Schreckensherrschaft der revolutionären Komitees wurde Saint-George denunziert und in Hondainville (bei Clermont-sur-Oise) für elf Monate inhaftiert (in Briefen spricht er selbst von 18 Monaten). Wieder frei, nutzte er 1797 die Gelegenheit, einen Freund nach Santo Domingo/Haiti (zur Geschichte der Insel siehe unter Hispaniola) zu begleiten, wo François-Dominique Toussaint L'Ouverture kurzzeitig offenbar ein Regime aus Mulatten errichtet hatte, das reinrassige Schwarze wie Weiße gleichermaßen verfolgte. Saint-George kehrte enttäuscht nach Frankreich zurück, wo er wenig später zurückgezogen und verarmt starb.

Nachleben: 2004 wurde das Leben des Künstlers im Schlosspark von Versailles durch den Künstler Bartabas in einem historischen Spektakel inszeniert. Auch ein Film („Le Mozart noir“) über sein Leben stammt aus der gleichen Zeit. Eine Straße in Paris wurde nach ihm benannt und sein Heimatort Basse-Terre ehrte ihn ebenfalls mit einer Straße und einem Denkmal: Bemerkenswert ist hier, dass die zuerst benannte Rue de Chevalier de Saint-Georges auf Guadeloupe das Geburtsjahr 1745 festhält, während direkt daneben das Denkmal 1739 angibt. Auch die Straße im Pariser 1er Arr. hält das Geburtsjahr 1739 fest.

Stil

Musikalisch ist Joseph Boulogne Chevalier de Saint-George in die Frühklassik einzuordnen. Barocke Formen lässt er weitgehend hinter sich. Er orientiert sich am Stil seiner berühmtesten Zeitgenossen Mozart und Haydn und lässt auch Einflüsse der Mannheimer Schule erkennen. Hauptsächlich aber übten seine Lehrer Leclair und Gossec großen Einfluss auf seinen instrumentalen wie kompositorischen Stil aus.

Werke

Zu seinen Werken zählen ca. 25 Violinkonzerte, Sinfonien, Streichquartette sowie Cembalo- und Violinsonaten. „L’Amant Anonyme“ (1780) scheint die einzige seiner sechs nachgewiesenen Opern zu sein, die erhalten blieb.

Biografische Quellen

  • Gabriel Banat: Le Chevalier de Saint-Georges: Virtuoso of the Sword and the Bow, Pendragon Press, 2006.
  • Daniel Marciano: Le chevalier de Saint-Georges, le fils de Noémie. France: Thespis, 2005.
  • Luc Nemeth: Un État-Civil Chargé D'Enjeux : Saint-George, 1745-1799. Annales historiques de la Révolution française, 2005, N° 1.
  • Jean-Claude Halley: Chevalier de Saint-Georges raconte aux enfants. Editions Scérén - Crdp Guadeloupe, 2005.
  • Claude Ribbe: Le chevalier de Saint-George. France: Perrin, 2004.
  • Alain Guédé: Monsieur de Saint-George: Le nègre des Lumières. Arles, Actes Sud, 1999. Englisch von Gilda M. Roberts, 2005.
  • Emil Smidak: Joseph Boulogne nommé Chevalier de Saint-Georges. Lucerne: Avenira 1996.
  • Odet Denys: Qui était le chevalier de Saint-George?, 1972.
  • Gaston Bourgeois: Le Chevalier de Saint-George: Mistakes His Biographers Have Made. In: Bulletin de la Société d'histoire de la Guadeloupe, 1964.
  • Roger de Beauvoir: Le Chevalier de Saint-George (Roman), 1840.
  • Joseph Michaud (Hg.) Biographie universelle Michaud, vol. XXXIX, 1812.
  • Romane über sein Leben schrieben in neuerer Zeit Roland Brival (1991), Daniel Picouly (2003) und Daniel Marciano (2005).
  • Dokumentarfilm über Joseph Boulogne Chevalier de Saint-George mit dem Titel Le Mozart Noir

Weblinks


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