Jus reformandi

Jus reformandi

Cuius regio, eius religio (lateinisch für: wessen Gebiet, dessen Religion), auch: cujus regio ejus religio oder cuius regio, illius religio, ist eine lateinische Redewendung, die besagt, dass der Herrscher eines Landes berechtigt ist, die Religion für dessen Bewohner vorzugeben. Sie ist die Kurzform eines im Augsburger Religionsfrieden und im Westfälischen Frieden niedergelegten Rechtsprinzips.

Inhaltsverzeichnis

Ausgangspunkt bis zur Reformation

Seit Entstehung des Staatswesens im Altertum war eine Aufgabe des Staates der Schutz und die Verbreitung der anerkannten Religion. Die Staatsgewalt wurde als göttliche Stiftung aufgefasst, wie etwa besonders deutlich in der Zwei-Schwerter-Lehre des Mittelalters zu Tage tretend. Eine Verneinung oder Mißachtung der jeweiligen Religion stellte damit auch die Legitimationsbasis des Staates in Frage. Die Herrscher (von "Staaten" im heutigen Sinne lässt sich erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts sprechen) betrachteten sich als verpflichtet und berechtigt, die staatlich anerkannte Religion durchzusetzen. Der „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. zum Beispiel beendete 1685 durch sein Edikt von Fontainebleau die religiöse Toleranz in Frankreich, getreu der Formel: „un roi, une loi, une foi“ (Ein König, ein Gesetz, ein Glaube)[1]. Beispiele für diese Verbindung von Staat und Religion lassen sich im Alten Ägypten (König als Gott), antiken Griechenland (Asebie) oder auch im Kaiserkult des Römischen Reiches finden. Seit 380 war das Christentum im Römischen Reich Staatsreligion und diente als Legitimationsbasis für die weltliche Herrschaft. Die obrigkeitliche Sorge und Bewahrung der Staatsreligion waren zum Zeitpunkt der Reformation 1517 der Normalfall und ein anderer Zustand grundsätzlich nicht vorstellbar.

Im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation mit dem Kaiser als Oberhaupt stellte der katholische Glaube die Staatsreligion dar und die Abweichung hiervon wurde nach dem auf Reichsebene erlassenen Ketzerrecht verfolgt.

Reichskrise durch die Reformation

Im Zuge der Reformation nach 1517 wurden weite Landstriche im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation protestantisch. Da sich aber der Kaiser, einige Fürsten und große Teile des fürstlichen Klerus der Reformation nicht anschlossen und die reformatorische Bewegung auch nicht bereit war, sich der päpstlichen Verurteilung (Exsurge Domine) zu unterwerfen, zerbrach die religiöse Einheit des Reiches. Auch die Reichstage zwischen 1527 und 1545, die Religionsgespräche zwischen 1540 und 1546, der Schmalkaldische Krieg 1546/47 und das Augsburger Interim 1548 vermochten diese nicht wiederherzustellen. Damit war ein alle gemeinsam verpflichtendes Ketzerrecht auf Reichsebene de facto nicht mehr durchsetzbar. Die Regelung des "cuius regio,..." war die Antwort auf die reichsverfassungsrechtliche Krise, dass die protestantischen „Ketzer“, obwohl sie „Reichsfeinde“ darstellten, nicht von der Herrschaft im Reich ausgeschlossen werden konnten.

Rechtssatz

Im Zuge der Reformationszeit wird das Prinzip der obrigkeitlichen Bestimmung der Religion unter der Bezeichnung Jus reformandi in Deutschland neu gefasst. Mit dem Passauer Vertrag von 1552 und im Augsburger Religionsfrieden von 1555 wird ein politisches Patt zwischen Kaiser, lutherischen und katholischen Landesherren des Heiligen Römischen Reiches zum Anlass genommen das Ketzerrecht gegenüber den Lutheraner zu suspendieren und geistliche Fragen in den ewigen Landfrieden von 1495 einzubeziehen soweit es Lutheraner und "Altgläubige" (Katholiken) betraf. Die obrigkeitliche Bestimmung und Beaufsichtigung der Religion wurde durch die Suspendierung des Ketzerrechts freilich nicht abgeschafft, sondern nur auf die Ebene der Territorien, also der Reichsteile, verlagert. In diesen gab es weiterhin eine obrigkeitlich durchgesetzte Religion. Anerkannt im Sinne des Augsburger Religionsfriedens waren nur "Altgläubige" und Lutheraner (vgl. § 17). Der Westfälische Friede bezog 1648 auch die reformierte Konfession in die Gewährleistung ein.

Dieser Kernaspekt des Jus reformandi wurde 1610 - also noch nicht zeitgenössisch! - durch den pommerschen Kanonisten Joachim Stephani mittels des Satzes "cuius regio, eius religio" popularisiert.

Das "Cuius regio" bezieht sich also nicht auf den Herrscher des Gesamt"staates" sondern auf die Herrscher der Staatsteile. Darin lag die Neuerung des Rechtssatzes: In einem Staat konnten unter einem Herrscher verschiedene Konfessionen zusammen leben. In Frankreich war dies nur zeitweise im 16. Jhd. möglich, in England wurde weiterhin auf eine einheitliche Religion geachtet. Die durch den Augsburger Religionsfrieden unveränderte obrigkeitliche Kompetenz in Fragen der Religion stellte den damaligen Normalfall dar und wäre für sich allein noch nicht erwähnungsbedürftig gewesen.

Aus Sicht des Untertanen änderte sich somit nur die Zuständigkeit für die Entscheidung über die im Reichsteil zu befolgende Konfession. Eng mit dem Rechtssatz Cuius regio, eius religio verbunden, war das Ius emigrandi in § 24 des Augsburger Religionsfriedens. Hiernach konnten Untertanen, die nicht der Konfession des Landesherrn folgen wollten, in Begleitung ihrer Familie und unter Mitnahme ihres Eigentums auswandern. Die Untertanen hatten somit das Recht, einem erzwungenen Konfessionswechsel auszuweichen. Allerdings konnte diese Auswanderung aus Glaubensgründen nur vollzogen werden, wenn alle herrschaftlichen Verbindlichkeiten abgelöst waren; beispielsweise durch Freikauf aus einer Leibeigenschaft, was oft den wirtschaftlichen Ruin bedeutete.

Eine wichtige Ausnahme vom "Cuius-Regio-Prinzip" bestand in Form des Geistlichen Vorbehalts ("reservatum ecclesiasticum"). Er regelte, dass ein römisch-katholischer, geistlicher Herrscher seine Besitzungen und Herrschaftsrechte verlor, wenn er zum Protestantismus übertrat. Das Domkapitel bzw. das Klosterkonvent musste dann einen katholischen Nachfolger wählen. Zum Ausgleich des Nachteils, der den Protestanten durch den Geistlichen Vorbehalt entstand, gab König Ferdinand I. die so genannte Declaratio Ferdinandea ab, durch die die Rechte der landsässigen evangelischen Ritter und Städte in geistlichen Territorien gesichert wurden.

Bewertung und Wirkung

Das Cuius-Regio-Prinzip bedeutet die grundsätzliche rechtliche Anerkennung eines Konfessionswechsels – wenn zunächst auch nur für Landesherren und nur für einzelne Konfessionen. Der religiöse Frieden wurde nach Auseinanderbrechen der konfessionellen Einheit im Zuge der Reformation zunächst vorübergehend und im Westfälischen Frieden endgültig hergestellt. Die Wahrheitsfrage wurde auf Reichsebene suspendiert und es wurden Verfahrensweisen zur Berücksichtigung der beiden Konfessionen entwickelt, wie etwa die itio in partes. Hierdurch war auf Reichsebene eine erste Säkularisation der Staatsgewalt erreicht, und damit eine Voraussetzung für den modernen, freiheitlichen Staat in seinen Anfängen entwickelt.[2]

Neben dieser staatsorganisationsrechtlichen Wirkung hatte das Prinzip auch eine Ausstrahlung auf die individualrechtliche Sphäre: Das Ius Emigrandi gab dem Einzelnen erstmals in Religionsangelegenheiten einen individuellen Freiheitsbereich, wenngleich die Ausübung durch hohe materielle Pflichten erschwert wurde. Es stellt damit eine Vorform der heutigen Religions- bzw. Gewissensfreiheit dar. In den einzelnen Reichsteilen wurde im Laufe des 18./19. Jhd. die Möglichkeit, mehrere Konfessionen in einem Staat zu tolerieren, durch politische Zwänge und die im 18. Jahrhundert wirkende Aufklärung verwirklicht. Führend waren hier die Reichsstädte. Diese Entwicklung führte schließlich in den Verfassungen des 19. Jahrhunderts zum individuellen Recht auf Religionsfreiheit.

Einzelnachweise

  1. Siehe Info von www.franzoesischer-dom.de mit dem Spruch: „un roi, une loi, une foi“.
  2. vgl. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Festschrift für Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, S.75ff.

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