KZ-Syndrom

KZ-Syndrom
Klassifikation nach ICD-10
F62.0 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung
- Persönlichkeitsänderungen nach Konzentrationslagererfahrungen
F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Unter Überlebenden-Syndrom, auch unter den Synonymen KZ-Syndrom und Holocaust-Syndrom bekannt, wird eine Form der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) verstanden. In der ursprünglichen, engen Verwendung handelt es sich bei den betroffenen Menschen um Überlebende des Holocaust. In einer weitergefassten Verwendung des Begriffs werden darunter heute auch andere Personen bzw. Personengruppen als betroffen verstanden, die Formen von Völkermord und Lagerhaft körperlich überstanden haben, durch die Erlebnisse jedoch seelisch traumatisiert wurden.

Inhaltsverzeichnis

Ursprünge des Begriffs

Der Begriff Überlebenden-Syndrom (Survivor-Syndrom) wurde in den 1960er Jahren durch den deutsch-amerikanischen Psychiater und Psychoanalytiker William Niederland geprägt; bereits vorher hatten jedoch – insbesondere in Holland– Untersuchungen und Veröffentlichungen zum Thema stattgefunden.

Niederland, in Deutschland (Ostpreußen) geboren und 1934 in die Vereinigten Staaten emigriert, war in den sechziger Jahren Gutachter des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in New York. Er untersuchte im Rahmen von Wiedergutmachungsanträgen viele Hunderte – meistens jüdische– traumatisierte Überlebende der Nazi-Verfolgung. In seinem Buch „Folgen der Verfolgung: Das Überlebenden-Syndrom – Seelenmord“ fasste er die Ursachen folgendermaßen zusammen:[1]

  1. Leben in einer Atmosphäre der ständigen Bedrohung und eines anfänglich unverstandenen, namenlosen, dann immer näher rückenden Verhängnisses;
  2. hiermit einhergehende leiblich-seelische Zermürbung des Personganzen;
  3. häufige akute Todesgefahr und Todesangst;
  4. Verunsicherung aller mitmenschlichen Bezüge und Kontakte;
  5. schutzloses Dasein in einem Dauerzustand völliger oder nahezu völliger Rechtlosigkeit;
  6. Überflutung des geistigen Ich-Gefüges durch den unaufhörlichen Ansturm von öffentlichen und persönlichen Beschimpfungen, Verdächtigungen, Verleumdungen und Anschuldigungen, wiederum ohne Möglichkeit einer Zufluchtnahme zum behördlichen Rechtsschutz.

Untersuchungen an Opfern des Nationalsozialismus

Die Opfer hatten die Verfolgung während der Zeit des Nationalsozialismus durch Flucht, im Versteck oder als Insassen von Vernichtungslagern überlebt, viele hatten dabei jedoch ihre Familien verloren. In den letzten Jahren rücken verstärkt Menschen, die als Kinder überlebt haben, ins Zentrum wissenschaftlicher Diskussionen und psychiatrischer Untersuchungen, außerdem die Kinder von Überlebenden (2. Generation), die selbst nicht dem Nazi-Terror ausgesetzt waren, aber ähnliche – allerdings in geringerer Stärke vorhandene – Symptome aufweisen.

Retraumatisierung durch die deutsche Nachkriegspsychiatrie

Eine besondere Bedeutung käme der Hypermnesie zu, des überscharfen und mit starken Affekt geladenen Erinnerungsvermögen. Dieses stelle sich vor dem Einschlafen aber auch bei der ärztlichen Behandlung ein und sei für die Traumatisierten sehr qualvoll. Entsprechend seien die Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung unpünktlich zu den Gutachterprozessen erschienen. Ebenfalls nachteilig in den Wiedergutmachungsprozessen wirkte sich aus, dass oftmals im Ich-Gefüge der Traumatisierten der Zeitsinn beeinträchtigt worden sei und die Betroffenen sich so in den Zeitabläufen verhaspelten.[2]

Niederland kritisierte, dass die meisten deutschen Gutachter der Nachkriegszeit nicht die Belastungen des Überlebenden-Syndroms erkannten. Die deutschen Vertreter der klassischen Psychiatrie seien sich einig gewesen, dass seelische Belastungen und Erschütterungen unmittelbar nach der Verfolgung abklingen. Es "mute geradezu grotesk an", so Niederland, wenn man das Überleben in einem Vernichtungslager in einem vertrauensärztlichen Gutachten als "Unannehmlichkeiten des Konzentrationslagers" beschrieben findet und damit der Wiedergutmachungsantrags eines so geschädigten Menschen abgelehnt wird. Die psychologische Stumpfheit eines derartigen Gutachters erscheint selbst bei Hinnahme des bereits geschilderten Konservativismus der deutschen Psychiatrie unüberbietbar."[3]

Untersuchungen an rumänischen Waisenkindern

Anfang 1990 wurden die Zustände in den Waisenhäusern und Kinderheimen in Rumänien unter Ceauşescu bekannt (siehe unter Cighid). Jahrelang waren behinderte, chronisch kranke oder überzählige Kinder ausgesetzt oder in Waisenhäuser gegeben worden. Durch die dortigen Bedingungen wie Hunger, Kälte, Krankheiten und Dreck starben viele innerhalb einiger Wochen. Die Überlebenden trugen jedoch Schäden davon wie beispielsweise Infektionskrankheiten, Mangel- oder Unterernährung, Störungen des Wachstums, Hospitalismus (Deprivationssyndrom) und eben das Überlebendensyndrom.

Literatur

  • Martin S. Bergmann, Milton E. Jucovy, Judith S. Kestenberg (Hrsg.): Kinder der Opfer. Kinder der Täter. Psychoanalyse und Holocaust, Frankfurt a. M: Fischer Taschenbuch Verlag, April 1998 ISBN 3-596-13937-6
  • Hans-Martin Lohmann (Hrsg.): Psychoanalyse und Nationalsozialismus. Beiträge zur Bearbeitung eines unbewältigten Traumas Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag, September 1994 ISBN 3-596-12231-7
  • William G. Niederland: Folgen der Verfolgung: Das Überlebenden-Syndrom, Seelenmord, Frankfurt a.M. 1980, Suhrkamp-Verlag (als Taschenbuch 2002 in der edition suhrkamp ISBN 3-518-11015-2).

Quellen

  1. Niederland 1980, S. 10.
  2. Niederland, S.230
  3. Niederland, S. 9ff

Weblinks

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