KZ Sobibor

KZ Sobibor
Mausoleum an der Gedenkstätte Sobibor

Das Vernichtungslager Sobibór war ein deutsches Vernichtungslager im südöstlichen Polen nahe der Stadt Włodawa und dem heutigen Dreiländereck Polen - Weißrussland - Ukraine. Zwischen Mai 1942 und Oktober 1943 wurden dort schätzungsweise 150.000 bis 250.000 Juden ermordet.

Das Lager entstand als eines von drei Vernichtungslagern der Aktion Reinhardt, einer Tarnbezeichnung für die systematische Ermordung aller Juden und als Zigeuner bezeichneter Menschen in Polen.

Vernichtungslager Sobibor (Polen)
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Warschau
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Sobibor
Sobibor
Karte des heutigen Polens

Inhaltsverzeichnis

Aufbau des Lagers

Vermutlich gehen erste Planungen des Lagers auf den Herbst 1941 zurück. Anfang 1942 wurde ein Gelände von zwölf Hektar Größe umzäunt; später wurde es auf 60 Hektar ausgedehnt. Die Bauarbeiten, die im März 1942 begannen, wurden von Richard Thomalla beaufsichtigt, der vorher die Bauaufsicht im Vernichtungslager Belzec geführt hatte. Die Struktur des Lagers entsprach dem Vorbild Belzecs; Sobibor wurde jedoch erheblich größer.

Das Lager I mit Kommandantenvilla, Waffenarsenal, Versorgungseinrichtungen und Unterkünften für rund 30 deutsche SS-Angehörige und 120 ukrainische Wachmänner lag unmittelbar am Bahngleis. In diesem Vorlager befanden sich zudem Baracken für durchschnittlich 50 jüdische Häftlinge, die dort in Reparaturwerkstätten und für Hilfsdienste eingesetzt waren.

Das Lager II war durch Sichtschutz abgeschirmt. Dort gab es neben Ställen und Anbauflächen für Gemüse mehrere Unterkünfte für 400 Häftlinge. In der Regel waren 18 deutsche SS-Angehörige zur Aufsicht eingeteilt. Im Lager II wurde der gesamte Besitz der Opfer gesammelt, sortiert und gelagert. Von diesem Lagerteil aus führte ein 150 Meter langer und drei bis vier Meter breiter Gang, der mit Stacheldraht und eingeflochtenen Tannenzweigen eingefasst war, zur Vernichtungsstätte im Lager III.

Im Lager III stand ein Steingebäude mit Gaskammern, in denen die bereits im Lager II entkleideten Opfer durch Motorabgase erstickt wurden. Die Ermordeten wurden von einem Arbeitskommando in einer Grube verscharrt, die 60 Meter lang und 20 Meter breit war. Im Lager III befanden sich Küche und Unterkünfte für die Arbeitshäftlinge, die streng abgeschirmt von den anderen Lagerteilen die Leichenbeseitigung erledigen mussten. Ab Sommer 1942 mussten die Arbeitskommandos die Leichen exhumieren und verbrennen, bevor sie selbst ermordet wurden.

Im Juni 1943 wurde der äußere Zaun des Lagers zusätzlich vermint. Im Frühsommer 1943 begann man mit der Einrichtung eines vierten Lagerabschnitts, in dem Beutemunition gelagert und aufbereitet werden sollte; dieses Vorhaben wurde nicht umgesetzt.

Opfer

In Sobibor wurden wahrscheinlich ausschließlich Juden ermordet.[1] Eine genaue Bestimmung der Zahlen ist nicht möglich, da alle schriftlichen Unterlagen vernichtet wurden. Aussagen von polnischen Eisenbahnern und einzelne Zuglaufpläne erlauben grobe Schätzungen; diese Angaben liegen zwischen 150.000 bis 250.000 Opfer.[2] Größtenteils handelte es sich hierbei um polnische Juden, doch wurden auch Holländer, Deutsche, Franzosen, Tschechen, Slowaken und sowjetische Staatsangehörige in Sobibor getötet.

Mitte April wurden etwa 250 Juden aus einem nahegelegen Arbeitslager bei einer „Probevergasung“ umgebracht. Anfang Mai bis Ende Juli 1942 wurden wahrscheinlich bis zu 90.000 Juden „fabrikmäßig“ getötet; danach musste die Aktion unterbrochen werden. Am 16. Juli 1942 beschwerte sich der Persönliche Adjutant Himmlers, SS-General Karl Wolff, beim Staatssekretär Albert Ganzenmüller über Gleisbaureparaturen auf der eingleisigen Strecke zum Vernichtungslager Sobibor. Dieser versprach, die Transportkapazitäten in andere Vernichtungslager zu steigern und die Arbeiten bis Oktober abzuschließen. In Sobibor wurde diese Zeit genutzt, um die drei vorhandenen Gaskammern durch zusätzliche Räume zu erweitern und die Kapazität damit auf etwa 1.200 Opfer zu verdoppeln.

Im so genannten Höfle-Telegramm, in dem die Zahl der in den Vernichtungslagern Ermordeten weitergemeldet wird, werden für Sobibor zum Jahresende 1942 genau 101.370 getötete Juden summiert. Die Vernichtungsaktion lief jedoch weiter. Bis zum Frühsommer 1943 waren die Deportationen aus dem Generalgouvernement so gut wie abgeschlossen. Für den September 1943 sind einzelne Transporte aus Lida, Wilna und Minsk nachweisbar.[3]

Aufstand

Am 5. Juli 1943 hatte Himmler vorgeschlagen, das Lager nach Auslaufen der Mordaktion in ein Konzentrationslager umzuwandeln und dort die Entlaborierung von Munition vornehmen zu lassen. Dieser Plan wurde jedoch schon am 24. Juli aufgegeben.[4]

Am 14. Oktober 1943 kam es in Sobibor zu einem Aufstand mit anschließender Massenflucht. Planung und Durchführung der Revolte gingen mehrheitlich zurück auf sowjetische Kriegsgefangene jüdischer Herkunft aus Weißrussland unter Führung des Rotarmisten Alexander Petscherski und des Zivilgefangenen Leon Feldhendler. Die Aufständischen töteten zehn SS-Angehörige, darunter Josef Vallaster, und zwei Trawniki-Wachmänner. Viele Gefangene starben im Kugelhagel der Wachleute oder im Minenfeld außerhalb der Stacheldrahtumzäunung. 365 Gefangene konnten zunächst fliehen. Nur 47 von ihnen konnten bis zum Rückzug der Deutschen untertauchen oder sich Partisanengruppen anschließen. Die SS ermordete danach die zurückgebliebenen Lagergefangenen, die nicht fliehen konnten. Die getöteten SS-Angehörigen wurden eingesargt und in Chełm im Soldatenfriedhof mit militärischen Ehren begraben[5].

Das Lager wurde nicht weiter genutzt, sondern dem Erdboden gleichgemacht. Danach blieben ein unverdächtig aussehender Bauernhof und ein aufgeforsteter Jungwald auf dem ehemaligen Gelände des Vernichtungslagers zurück.

Täter

Als Kommandant des Lagers wurde im April 1942 SS-Obersturmbannführer Franz Stangl eingesetzt. Er unterstand dem Inspekteur aller drei Vernichtungslager, Christian Wirth, und dessen Vorgesetzten, Odilo Globocnik. Zusammen mit Stangl kamen etwa 20 bis 30 SS-Angehörige nach Sobibor, die zuvor an der Aktion T4 mit der Ermordung von Behinderten beteiligt waren. Unterstützt wurden sie von ungefähr 120 Hilfswilligen, die in Trawniki ausgebildet worden waren.

Nur ein kleiner Teil der Täter wurde vor deutschen Gerichten angeklagt. Wirth war in Italien von Partisanen getötet worden. Globocnik hatte 1945 Selbstmord begangen. Stangl, der erst 1967 in Brasilien entdeckt worden war, wurde 1970 in Düsseldorf zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Auch sein Stellvertreter, Gustav Wagner, wurde in Brasilien aufgespürt; er nahm sich vor der Auslieferung 1980 das Leben. Der SS-Mann Erich Hermann Bauer wurde 1947 von einem Überlebenden auf der Straße erkannt. Bauer wurde 1950 verurteilt und starb 1980 in der Haft. 1965 standen zwölf Angehörige des Lagerpersonals vor einem Gericht in Hagen. Fünf der Angeklagten wurden freigesprochen. In Kiew wurden in den 1960er Jahren in zwei Prozessen ukrainische Wachmänner angeklagt, dabei gab es dreizehn Todesurteile.[6]

Heinrich Himmler besuchte das Lager am 12. Februar 1943. Da kein Transportzug erwartet wurde, schaffte man 100 Frauen aus Lublin nach Sobibor, um Himmler den Vernichtungsvorgang zu demonstrieren.[7]

Gegen den in den USA lebenden Ukrainer John Demjanjuk wird von der Staatsanwaltschaft München wegen des Verdachtes auf Beihilfe zum 29.000-fachen Mord im Lager Sobibor ermittelt. [8] [9] Das Verfahren gegen Demjanjuk wurde auf Antrag der Generalbundesanwältin Monika Harms und Beschluss des 2. Strafsenates des Bundesgerichtshofes an das Landgericht München II verwiesen.[10]

Gedenken

1961 ließ der polnische Staat ein Mahnmal auf dem Aschefeld errichten. Erst 1993 wurden zum Jahrestag des Aufstandes ein kleines Museum eingerichtet und eine Gedenktafel ausgewechselt, auf der sich kein Hinweis auf die ausschließlich jüdischen Opfer befunden hatte. 2006 wurde eine Gedenkallee gepflanzt. Die Gedenkallee folgt dem ehemaligen Weg, den die Gefangenen von der Rampe der Eisenbahn bis zu den Gaskammern gehen mussten.[11]

Literatur

Historische Darstellungen
  • Jules Schelvis: Vernichtungslager Sobibór. Unrast Verlag, Hamburg/Münster 2003, ISBN 3897718146 (wissenschaftliches Standardwerk, geschrieben von einem überlebenden Holländer)
  • Barbara Distel: Sobibor. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel: Der Ort des Terrors. Band 8, München 2008, ISBN 978-3-406-57237-1 (S. 375 – 404)
Aufstand
  • Pawel Antokolski, Wenjamin Kawerin: Der Aufstand in Sobibor. In: Ilja Ehrenburg, Wassili Grossman (Hrsg.): Das Schwarzbuch. Der Genozid an den sowjetischen Juden. Deutsche Ausgabe hrsg. von Arno Lustiger. Reinbek 1994: Rowohlt, ISBN 3-498-01655-5, S. 862-883
  • Thomas Toivi Blatt: Sobibór – der vergessene Aufstand. Bericht eines Überlebenden, Unrast Verlag, Hamburg/Münster 2004, ISBN 3-89771-813-8
Opferdokumente und -berichte
  • Miriam Novitch (Hrsg): Sobibor – Martyrdom and Revolt. Documents and Testimonies. Holocaust Library, New York 1980 (frühe Sammlung von Aussagen Überlebender, teilweise schlechte Übersetzung polnischer Originale und Änderungen durch Hrsg.)
  • Jules Schelvis: Eine Reise durch die Finsternis. Ein Bericht über zwei Jahre in deutschen Vernichtungs- und Konzentrationslagern. Unrast Verlag, Hamburg/Münster 2005, ISBN 3-89771-815-4
Täterberichte und -dokumente
  • Zustände und Begebenheiten im Distrikt Lublin des Generalgouvernements von Januar 1940 bis April 1942 aufgrund persönlicher Erinnerungen von Ferdinand Hahnzog, Juli 1962. In: HStA, Nds, 721 Hild, Acc 39/91, No. 28/113, fol. 245.
Gedenken
  • Masterplan zur Gestaltung der Gedenkstätte Sobibor, ISBN 83-60321-03-5. (über Herrn Marek Bem, Direktor des Museums Wlodawa/Sobibor)

Filme

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Barbara Distel: Sobibor. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel: Der Ort des Terrors. Band 8, München 2008, ISBN 978-3-406-57237-1, S. 375
  2. Barbara Distel: Sobibor. S. 375
  3. Barbara Distel: Sobibor. S. 383
  4. Barabara Distel: Sobibor. S. 394
  5. Onlineauftritt Museum Wlodawa, Polen: Bericht (poln.) über die Beisetzung mit Foto von der militärischen Beerdigungszeremonie
  6. Barabara Distel: Sobibor. S. 399f
  7. Barbara Distel: Sobibor. S. 391
  8. http://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/0,1518,589393,00.html
  9. Erste Schritte zur Demjanjuk-Ausweisung, Reuters, 25. März 2009
  10. http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=46232&linked=pm&Blank=1
  11. Onlineauftritt Naturfreundejugend Bericht zu Pflanzungsarbeiten einer Gedenkallee, dem nachgestellten Todespfad von der Rampe bis zur Gaskammer

51.44694444444423.5938888888897Koordinaten: 51° 26′ 49″ N, 23° 35′ 38″ O


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