Kairoer Erklärung der Menschenrechte

Kairoer Erklärung der Menschenrechte

Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam ist eine 1990 beschlossene Erklärung der Mitgliedsstaaten der Organisation der Islamischen Konferenz, welche die Schari'a als alleinige Grundlage von „Menschenrechten“ definiert. Die Erklärung wird von Islam-Apologeten als islamisches Gegenstück zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gesehen, von der sie aber erheblich abweicht. Der Rat der Liga der arabischen Staaten hat im September 1994 separat eine Arabische Charta der Menschenrechte verabschiedet, [1] im Januar 2004 in einer überarbeiteten Fassung.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Vorwiegend islamische Länder wie Sudan, Pakistan, Iran, und Saudi-Arabien kritisierten die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wegen der, ihrer Ansicht nach, fehlenden Einbeziehung des kulturellen und religiösen Bezugs der nichtwestlichen Länder. 1981 fasste der iranische Vertreter bei den Vereinten Nationen, Said Rajaie-Khorassani, die iranische Position zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zusammen, indem er sagte, sie sei „eine säkulare Interpretation der judäo-christlichen Tradition, die von Muslimen nicht ohne Bruch des islamischen Rechts befolgt werden könne“. [2]

Die Kairoer Erklärung wurde am 5. August 1990 von 45 Außenministern der aus 57 Mitgliedern bestehenden Organisation der Islamischen Konferenz angenommen. Sie soll den Mitgliedsstaaten als Richtschnur in Bezug auf die Menschenrechte dienen, besitzt allerdings damit keinen völkerrechtlich bindenden Charakter und ist auch im nationalstaatlichen Recht der meisten OIC-Mitgliedsländer von wenig Belang.

Inhalte

Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte weicht von der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in vieler Hinsicht ab, vor allem dadurch, dass sie eindeutig nur diejenigen Rechte anerkennt, welche im Einklang mit der Schari’a stehen. [3] Artikel 24 legt fest: „Alle in dieser Erklärung festgelegten Rechte und Freiheiten sind der islamischen Schari'a nachgeordnet.“ [4] Artikel 19 besagt: „Es gibt keine Verbrechen und Strafen außer den in der Schari’a festgelegten“. [5] Die Rolle des islamischen Rechts als alleinige Quelle der Rechtsfindung wird durch Artikel 25 bestätigt, dieser legt fest: „Die islamische Schari'a ist die alleinige Referenz für die Erklärung oder Erläuterung aller Artikel dieser Erklärung“. [6] Die Kairoer Erklärung unterstreicht ihren Ursprung im Islam als der „wahren Religion“ [7] und der Lebensart der islamischen Gesellschaft (Umma), die als beste aller menschlichen Gesellschaften beschrieben und der eine zivilisierende und historische Rolle [8] zugeschrieben wird.

Bei fast jedem Verweis auf die Menschenrechte macht die Kairoer Erklärung die Einschränkung, dass diese Rechte im Einklang mit der Schari’a ausgeübt werden müssten. Artikel 22 zum Beispiel beschränkt die Redefreiheit auf diejenigen Meinungsäußerungen, die dem islamischem Recht nicht widersprechen. [9] Auch das Recht zur Ausübung öffentlicher Ämter könne nur in Übereinstimmung mit der Schari'a wahrgenommen werden. [10]

Die Kairoer Erklärung steht im Widerspruch zum internationalen Verständnis der Menschenrechte, weil sie die Unumstößlichkeit der Religionsfreiheit nicht anerkennt. [11] Artikel 5 verbietet jede Einschränkung des Heiratsrechts was „Rasse“, „Hautfarbe“ oder „Nationalität“ betrifft, führt allerdings die Religion nicht auf, so dass Männer und Frauen auf Grundlage ihre Religionszugehörigkeit Heiratsbeschränkungen unterworfen werden können.

Die Erklärung unterstützt die Gleichstellung von Mann und Frau nicht, sie stellt vielmehr die Überlegenheit des Mannes fest. Der Artikel 6 garantiert Frauen gleiche Würde, aber nicht Gleichstellung in anderen Belangen. Weiterhin legt der Artikel dem Mann die Verantwortung für den Unterhalt der Familie auf, der Frau wird keine entsprechende Rolle zugewiesen.

Weitere Erklärungen

Die Arabische Charta der Menschenrechte wurde 1994 vom Rat der Arabischen Liga verabschiedet. Mangels genügender Ratifikationen ist die Charta nicht in Kraft getreten und bildet kein völkerrechtlich anerkanntes Instrument. [12] Eine überarbeitete Fassung der aus dem Jahr 1994 datierenden Arabischen Menschenrechtscharta wurde 2004 von der Arabischen Liga verabschiedet. [13] Die Beratungen über den Entwurf wurden durch das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte (UNHCHR) unterstützt.

Kritik

Adama Dieng, ein Mitglied der Internationalen Juristenkommission, kritisiert die Kairoer Erklärung, weil

  1. sie den interkulturellen Konsens ernstlich bedrohe, der die Grundlage der internationalen Menschenrechte ist
  2. sie, im Namen der Verteidigung der Menschenrechte, zu untragbaren Diskriminierungen von Nichtmuslimen und Frauen führe
  3. sie, in Bezug auf bestimmte grundlegende Rechte und Freiheiten, einen gezielt einschränkenden Charakter aufweise, so dass bestimmte, wesentliche Bestimmungen unter dem geltenden Standard einiger islamischer Ländern lägen
  4. sie, unter dem Schutz der islamischen Schari’a, die Legitimität von Praktiken, beispielsweise der Körperstrafen, bestätige, welche die Integrität und Würde des menschlichen Wesen angriffen. [14]

In den Artikeln Artikel 24 und 25 der Erklärung sieht die Soziologin Necla Kelek die wichtigsten Feststellungen: „Alle Rechte und Freiheiten, die in dieser Erklärung genannt werden, unterstehen der islamischen Scharia … Die islamische Scharia ist die einzig zuständige Quelle für die Auslegung oder Erklärung jedes einzelnen Artikels dieser Erklärung.“ Sie erwähnt auch die Präambel: „Die Mitglieder der Organisation der Islamischen Konferenz betonen die kulturelle Rolle der islamischen Umma, die von Gott als beste Nation geschaffen wurde und die der Menschheit eine universale und wohlausgewogene Zivilisation gebracht hat.“

Anders als in demokratischen Verfassungen sei hier nicht vom Individuum die Rede, sondern von der Gemeinschaft der Gläubigen als Kollektiv. Infolge erkenne die Erklärung nur die im Koran festgelegten Rechte an, und werte schariatisch nur solche Taten als Verbrechen, über die auch Koran und Sunna gleichermaßen urteilen: „Es gibt kein Verbrechen und Strafen außer den in der Scharia festgelegten“ (Artikel 19). Gleichberechtigung sei in dieser Erklärung nicht vorgesehen, dafür legitimiere sie soziale Kontrolle und Denunziation, wie Artikel 22 deutlich mache: „Jeder Mensch hat das Recht, in Einklang mit den Normen der Scharia für das Recht einzutreten, das Gute zu verfechten und vor dem Unrecht und dem Bösen zu warnen.“ Das sei eine mittelbare Rechtfertigung von Selbstjustiz. [15]

Die Kairoer Erklärung stellt alle ihre Artikel, auch den zur Glaubensfreiheit, ausdrücklich unter den Vorbehalt der Scharia und betont in ihrer Präambel die Führungsrolle der islamischen Gemeinschaft bei der Lösung der „ständigen Probleme“ der „materialistischen Zivilisation“. [16] [17] Hans Zirker stellt fest, dass sich über „das individuelle Selbstbestimmungsrecht in Fragen von Religion, Glaube, Weltanschauung“ in der Kairoer Erklärung nichts finde, diese sei der muslimischen – wie auch der christlichen – Tradition fremd. [18]

Literatur

  • Fischer, Mattias G./Diab, Amal, Islam und Menschenrechte, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 41/2007, S. 2972 ff.
  • Kazemi, Farouh, Perspectives on Islam and Civil Society in Islamic Political Ethics: Civil Society, Pluralism and Conflict, Sohail H. Hashmi, ed. Princeton University Press, 2002. ISBN 0-691-11310-6 (Englisch)
  • Littman, David, Universal Human Rights and 'Human Rights in Islam'. Midstream, February/March 1999 (Englisch)
  • Mathewson Denny, Frederick, Muslim Ethical Trajectories in the Contemporary World in Religious Ethics, William Schweiker, ed. Blackwell Publishers, 2004. ISBN 0-631-21634-0 (Englisch)
  • Smith, Rhona, Textbook on International Human Rights, Oxford University Press 2003. ISBN 1-84174-301-1 (Englisch)
  • Fritzsche, K. Peter, Menschenrechte, Schöningh, 2004. - ISBN 3-8252-2437-6
  • Zirker, Hans, Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam. Duisburg-Essen Publications online (DuEPublico)

Weblinks

Quellen

  1. Arabische Charta der Menschenrechte, verabschiedet vom Rat der Liga der arabischen Staaten am 15. September 1994
  2. „A secular understanding of the Judeo-Christian tradition, which could not be implemented by Muslims without trespassing the Islamic law“; zitiert nach Littman (1999)
  3. Mathewson Denny (2004), p.272
  4. „All the rights and freedoms stipulated in this Declaration are subject to the Islamic Shari’ah“.
  5. „There shall be no crime or punishment except as provided for in the Schari’a.“
  6. „The Islamic Schari’a is the only source of reference for the explanation or clarification of any of the articles of this Declaration.“
  7. „true religion“
  8. „civilizing and historical role“
  9. „Everyone shall have the right to express his opinion freely in such manner as would not be contrary to the principles of the Schari’a.“
  10. Smith (2003), p.195
  11. Kazemi (2002), p.50
  12. [1]
  13. Text der arabischen Menschenrechtscharta von 2004 (pdf, 20 S.)(frz.)
  14. Littman (1999)
  15. Necla Kelek: Integration der Muslime – Bist du nicht von uns, dann bist du des Teufels. Das kollektivistische Gesellschaftsmodell des Islam steht der Integration entgegen; FAZ vom 25. April 2007
  16. Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam (Deutsch)
  17. Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam; überarbeitete Fassung eines Vortrags im Rahmen einer Tagung der Islamischen Akademie Köln Islah, veröffentlicht in: Moslemische Revue 21 (76), 2000, S. 54–66
  18. Hans Zirker: Die „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“; Online-Fassung des Vortrags, S. 9

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