Kanonissenstift

Kanonissenstift

Ein Frauenstift ist eine religiöse Lebensgemeinschaft für Frauen, die ohne Ablegung von Gelübden in einer klosterähnlichen Anlage leben. Die in einem solchen freien weltlichen Stift lebenden (im Mittelalter meist adligen) Damen werden als Kanonissen, Chorfrauen oder Stiftsdamen bezeichnet, daher wird häufig auch der Begriff Damenstift verwendet.

Zu unterscheiden sind hiervon jene Chorfrauen, die in einer regulierten Ordensgemeinschaft (beispielsweise als Augustinerinnen oder Prämonstratenserinnen) leben, die sich auf Lebenszeit in kirchenrechtlich bindenden Gelübden auf diese Lebensweise verpflichtet haben und nach einer Ordensregel leben. Die Klöster dieser Chorfrauen und anderer monastischer Frauenorden werden, vor allem in Österreich, oft ebenfalls als Stifte bezeichnet.

Eine weitere Möglichkeit religiöser Frauengemeinschaften außerhalb der traditionellen monastischen Orden waren die im 13. Jahrhundert aufkommenden Beginenhöfe, die noch in Belgien und den Niederlanden bestehen. Auch diese Gemeinschaften sind von den Frauenstiften zu unterscheiden.

Inhaltsverzeichnis

Gründung

Ein Frauenstift wurde häufig von einem Adligen oder einer begüterten Witwe gestiftet, um so ein gottgefälliges Werk zu verrichten. Die Stiftsdamen erhielten in der Regel den Stiftungsauftrag, für das Seelenheil der Stifter zu beten.

Die Stifte unterstanden entweder als Reichsstifte direkt dem König oder Kaiser, oder dem Bischof, der dann auch das Recht hatte, die Äbtissin zu ernennen und einen Beichtvater für die Stiftsdamen einzusetzen.

Die Adligen der Umgebung sicherten sich durch ihre Zustiftungen, dass das Stift ausschließlich für ihre eigenen Töchter offen war, doch konnte man sich in ein Stift auch von außerhalb "einkaufen". Auch sind für die Töchter von verdienten Beamten Stiftsstellen geschaffen worden.

Lebensweise in den weltlichen Stiften

Die Stiftsdamen lebten in klosterähnlichen Gebäuden, die jedoch häufig großzügiger eingerichtet waren als bei Ordensfrauen. Die Kanonissen brachten oft ihr eigenes Mobiliar und ihre Dienerschaft mit. Sie waren verpflichtet, am Stundengebet und der Heiligen Messe teilzunehmen und das Essen mit der Gemeinschaft im Refektorium einzunehmen.

Bei ihrem Eintritt legten die Kanonissen nur die Gelübde der Keuschheit und des Gehorsams gegenüber ihrer Äbtissin ab, konnten jedoch heiraten, wenn sie auf ihre Pfründe verzichteten. Sie hatten die Freiheit, die ihnen vom Stift zufließenden Einkünfte zu verzehren, wo sie wollten. Häufig pflegten auch nur die Äbtissin, die Vorsteherin und eine geringe Zahl Kanonissen sich im Stiftsgebäude aufzuhalten, die anderen Stiftsdamen hatten dagegen eigene Wohnungen mit einer kleinen Dienerschaft im Umkreis. Die Stiftsdamen verzichteten weder auf ihren Privatbesitz noch auf ihre Erbansprüche und konnten das Stift jederzeit verlassen.

Ihren Lebensunterhalt bestritten die Stifte aus den bei der Gründung der Stiftung eingebrachten Pfründen, aus deren Ertrag alle Stiftsdamen eine jährliche Summe erhielten. Dafür musste eine Stiftsdame bei ihrem Eintritt eine gewisse Summe zustiften.

Zwischen Stiftsklöstern und weltlichen Stiften bestand eine gewisse Grauzone. Weil auch die weltlichen Stifte sich in ihren Satzungen an der Augustinusregel oder der Benediktsregel orientierten, ist aus heutiger Sicht nicht immer zweifelsfrei aus den Quellen zu erschließen, ob es sich bei einem Frauenstift um ein klösterliches oder weltliches Stift handelte. Außerdem war es üblich, dass sich adlige Witwen in ein klösterliches Stift einkauften, um dort ihren Lebensabend im Anschluss an die Klostergemeinschaft der Chorfrauen, aber ohne Ablegung der Gelübde zu verbringen. Weltliche Stifte wurden auch gelegentlich in regulierte Klöster umgewandelt oder umgekehrt.

Geschichte

Die ersten Frauenstifte sind für das frühe Mittelalter nachgewiesen. Grundlage für die Gestaltung der Kanonissenklöster ist die von Analarius von Metz ausgearbeitete Aachener Regel (Regula Aquisgranensis) von 816. Sie galt für die Stifte in Essen, Gandersheim, Gernrode,Köln, Herford und Quedlinburg).

Im Mittelalter und der frühen Neuzeit waren die Frauenstifte wichtige Zentren, um unverheiratete adlige Frauen und Witwen zu versorgen. Die Stiftsdamen waren häufig gelehrt und verrichteten kunstfertige Handarbeiten.

Der Reformation kam einerseits die Neugründung des sich der weiblichen Erziehung widmenden Ursulinenordens entgegen, während andererseits die Tradition weltlicher Kanonissen bewahrt wurde. Die Häuser der Diakonissen gehen teilweise auf diese Tradition zurück. Viele Frauenklöster wandelten sich in der Reformationszeit auch in weltliche Kanonissen-Stifte um, um der Auflösung zu entgehen.

Heute gibt es nur noch vereinzelte Frauenstifte. In Deutschland sind die Lüneklöster oder Schloss Ehreshoven bekannte Beispiele. Außerhalb Deutschlands gibt es Stifte beispielsweise in Salles-Arbuissonnas-en-Beaujolais (Rhône), in Maubeuge, in Remiremont, in Épinal, in Bouxières-aux-Dames (bei Nancy), in Montfleury (bei Dijon) und in Mons (Belgien).

Zur Geschichte der Frauenstifte siehe auch Sanktimoniale.

Evangelische Damenstifte in Norddeutschland

Eine besondere Gruppe sind die evangelischen Damenstifte (vgl. Liste der Stifte) (auch: "Fräuleinstifte") in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Die Schleswig-Holsteinische Ritterschaft unterhält heute die Adeligen Damenstifte Kloster Preetz, Kloster Itzehoe[1], St.-Johannis-Kloster vor Schleswig, und Kloster Uetersen. Zum Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds, einer Stiftung öffentlichen Rechts, gehören die Calenberger Klöster Barsinghausen, Mariensee, Marienwerder, Wennigsen und Wülfinghausen. Der Allgemeine Hannoversche Klosterfonds wird durch die Klosterkammer Hannover [2] verwaltet. Die sog. Lüneburger Klöster Ebstorf, Isenhagen (bei Hankensbüttel), Lüne, Medingen, Walsrode und Wienhausen blieben dagegen jeweils als Körperschaften öffentlichen Rechts rechtlich selbständig, werden aber seit 1963 im Wesentlichen aus dem Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds finanziert und stehen unter der Rechtsaufsicht der Präsidentin der Klosterkammer. Daneben gibt es in Niedersachsen noch die fünf freien Stifte: Stift Börstel, Stift Bassum[3], Stift Fischbeck, Kloster Neuenwalde und Stift Obernkirchen. Diese stehen ausschließlich unter der Rechtsaufsicht der Präsidentin der Klosterkammer, werden aber nicht von der Klosterkammer finanziert.

Eines der ältesten Frauenstifte war das Kloster Böddeken im (Fürst-)Bistum Paderborn (836). In Brandenburg entstanden im 13. Jahrhundert verschiedene Frauenstifte in Anlehnung an den Zisterzienserorden, die allerdings in der Regel keine Aufnahme in den Orden fanden. Sie gehörten nicht zu Filiationen von Zisterzienserinnen-Mutterklöstern, sondern gingen in der Mehrzahl auf Stiftungen des ortsansässigen Adels zurück. Die Prignitzer Familie Gans zu Putlitz gründete 1231 beispielsweise das Frauenkloster Marienfließ, das heute noch als „Stift Marienfließ" besteht und sich in der diakonischen Altenfürsorge engagiert. Ferner bestanden das brandenburgische Kloster Stift zum Heiligengrabe bis 1945 und das Kloster Drübeck (Provinz Sachsen, heute Sachsen-Anhalt) bis 1946 als Damenstifte.

Literatur

  • K.H. Schäfer: Die Kanonissenstifte im deutschen Mittelalter, Stuttgart 1907 (= Kirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 43/44)
  • Thomas Schilp: Norm und Wirklichkeit religiöser Frauengemeinschaften im Frühmittelalter. Die Institutio sanctimonialium Aquisgranensis des Jahres 816 und die Problematik der Verfassung von Frauenkommunitäten, Göttingen 1998 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Institutes für Geschichte, Bd. 137 und Studien zur Germania Sacra, Bd. 21)
  • Robert Suckale: Die mittelalterlichen Damenstifte als Bastionen der Frauenmacht (Schriftenreihe der Kölner Juristischen Gesellschaft, Bd. 25), Köln, 2001, ISBN 3-504-62025-0
  • Jan Gerchow (Hrsg.): Essen und die sächsischen Frauenstifte im Frühmittelalter, Essener Forschungen zum Frauenstift 2, Essen 2003, ISBN 3-89861-238-4
  • Thomas Schilp; Reform - Reformation - Säkularisation: Frauenstifte in Krisenzeiten, Essener Forschungen zum Frauenstift 3, Essen 2004, ISBN 3-89861-373-9

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Kanonissenstift Lindau — Ehemalige Stiftskirche Unserer Lieben Frau unter den Linden (rechts) Das Kanonissenstift Lindau ist ein ehemaliges Kanonissenstift in Lindau (Bodensee) in Bayern in der Diözese Augsburg. Inhaltsverzeichn …   Deutsch Wikipedia

  • Kloster Wendhusen — Kanonissenstift Wendhusen Lage Deutschland Sachsen Anhalt Koordinaten: 51° 45′ N …   Deutsch Wikipedia

  • Liste historischer Stiftskapitel — Dies ist eine Liste historischer Säkularkapitel. Inhaltsverzeichnis 1 Belgien 2 Deutschland 3 Frankreich 3.1 A 3.2 B …   Deutsch Wikipedia

  • Klöster und Kirchen in Bayern — Liste der Klöster und Stifte in Bayern A Abenberg (Diözese Eichstätt) Kloster Marienburg: (Augustinerchorfrauen) Abensberg (Diözese Regensburg) Ehemaliges Kloster Abensberg: (Karmeliten) Aldersbach ( …   Deutsch Wikipedia

  • Liste bayerischer Klöster — Liste der Klöster und Stifte in Bayern A Abenberg (Diözese Eichstätt) Kloster Marienburg: (Augustinerchorfrauen) Abensberg (Diözese Regensburg) Ehemaliges Kloster Abensberg: (Karmeliten) Aldersbach ( …   Deutsch Wikipedia

  • Stift Gernrode — Das Frauenstift Gernrode wurde 959 gegründet und bestand bis ins 17. Jahrhundert. Es war reichsunmittelbar und dem Status einer Reichsabtei gleichgestellt. Es gehörte in der Frühen Neuzeit als Reichsstandschaft dem obersächsischen Reichskreis und …   Deutsch Wikipedia

  • Liste bayerischer Klöster und Stifte — Inhaltsverzeichnis A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z A Abenberg (Bistum Eichstätt) …   Deutsch Wikipedia

  • Liste von Klöstern — Die Liste von Klöstern ist eine Liste von bestehenden und ehemaligen Klöstern, geordnet nach Ordensgemeinschaft, Land und Ort. Die Liste ist nicht vollständig. Bei einem Neueintrag wird darum gebeten, Ort, Gründungs und Aufhebungsdaten sowie eine …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Äbtissinnen von Gernrode — Westfront der Stiftskirche St. Cyriakus Die Äbtissinnen von Gernrode regierten das Frauenstift Gernrode von 959 bis zu seiner Säkularisierung im Jahre 1614[1]. Das Stift wurde 959 vom Markgrafen der sächsischen Ostmark …   Deutsch Wikipedia

  • Kloster Herzebrock — Das Stift Herzebrock in Herzebrock Clarholz (Kreis Gütersloh, Nordrhein Westfalen) wurde um 860 als Kanonissenstift gegründet. Im Jahr 1208 wurde es in ein Benediktinerinnenkloster umgewandelt. Es bestand bis zur Säkularisation 1803. Konventshaus …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”