Karl Höcker

Karl Höcker

Karl-Friedrich Gottlieb Höcker (* 11. Dezember 1911 in Engershausen, heute Stadtteil von Preußisch Oldendorf; † 30. Januar 2000 in Lübbecke) war ein SS-Obersturmführer, der unter anderem in den Vernichtungslagern Lublin-Majdanek und Auschwitz-Birkenau tätig war. Bekannt wurde das ihm zugeordnete Fotoalbum aus seiner Zeit in Auschwitz, das 2006 in den USA öffentlich gemacht wurde.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Höcker war das jüngste von 6 Kindern eines Bauarbeiters, der im Ersten Weltkrieg fiel. Nach seiner Lehre als Bankkaufmann arbeitete Höcker in einer Bank in Lübbecke. Nach zweieinhalbjähriger Arbeitslosigkeit trat er im Oktober 1933 der SS (Mitgliedsnr. 182.961) und im Mai 1937, dem Jahr seiner Heirat, der NSDAP (Mitgliedsnr. 4.444.757) bei. Seit dem 16. November 1939 war er Angehöriger des 9. SS-Infanterieregiments in Danzig. Ab 1940 war Höcker im KZ Neuengamme eingesetzt, wo er zum Adjutanten des Lagerkommandanten Martin Gottfried Weiss aufstieg und zunächst in der Schreibstube eingesetzt wurde. 1942 leitete Weiss gleichzeitig das KZ Arbeitsdorf, auch dort war Höcker ab Frühjahr 1942 sein Adjutant. Bevor Höcker im Mai 1943 nach Lublin-Majdanek wechselte, wiederum als Adjutant von Lagerkommandant Weiss, absolvierte er die SS-Junkerschule in Braunschweig und eine militärische Ausbildung. Im Mai 1944 wurde Höcker schließlich ins Stammlager Auschwitz versetzt. Dort war er Adjutant des gleichfalls neu eingesetzten Lagerkommandanten Richard Baer.

Nach der Evakuierung von Auschwitz im Januar 1945 wurde Baer Kommandant des KZ Dora-Mittelbau in Nordhausen; Höcker folgte ihm als Adjutant. Im April 1945 wurde das Lager evakuiert; Höcker floh und wurde bei Rendsburg von britischen Truppen aufgegriffen. Aufgrund seiner mitgeführten falschen Papiere, die ihn als Wehrmachtsoldaten auswiesen, wurde er nach nur 18 Monaten in einem britischen POW-Lager Ende 1946 entlassen und kehrte zu seiner Frau und seinen zwei Kindern nach Lübbecke zurück, wo er wieder als Bankkaufmann arbeitete. Durch Selbstanzeige bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld im Jahre 1952 wollte sich Höcker entnazifizieren lassen. Aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation, der SS, wurde er zu einer Haftstrafe von 9 Monaten verurteilt, musste die Haft aber wegen des Straffreiheitsgesetzes von 1954 nicht antreten.

Im Zuge der Ermittlungsverfahren der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen wurde er Anfang der 1960er Jahre erneut verhaftet und 1963 im 1. Frankfurter Auschwitzprozess angeklagt. Im Prozess beteuerte er, von den Massenvernichtungsaktionen an den ungefähr 400.000 ungarischen Juden während seiner Dienstzeit in Auschwitz keine Kenntnis gehabt zu haben. Er sei davon ausgegangen, „dass Häftlinge in Auschwitz grundsätzlich nicht getötet worden sind“[1]. In der Urteilsverkündung am 19. und 20. August 1965 wurde er wegen Gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in mindestens 3 Fällen an mindestens je 1000 Menschen zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt.[2] Nach seiner Entlassung 1970 arbeitete er bis zu seiner Pensionierung wieder in seiner alten Bank in Lübbecke.

Am 3. Mai 1989 wurde Höcker vom Landgericht Bielefeld zu vier Jahren Haft verurteilt. Verfahrensgegenstand des Bielefelder Prozesses war seine Beteiligung an der Vergasung vorwiegend jüdischer Häftlinge im KZ Majdanek. Höcker hatte zwischen Mai 1943 und Mai 1944 mindestens 3.610 kg Zyklon B bei der Hamburger Firma Tesch & Stabenow beschafft.[3][4]

Im Jahr 2000 starb Höcker im Alter von 88 Jahren.

Auschwitzalbum

Im Dezember 2006 erwarb das United States Holocaust Memorial Museum von einem anonym gebliebenen ehemaligen Lieutenant Colonel der U.S. Army ein 1946 von diesem gefundenes Fotoalbum mit 116 Aufnahmen, die Höcker während seiner Zeit in Auschwitz gemacht hatte.[5] Der Großteil der inzwischen Höcker-Album genannten Sammlung zeigt Angehörige des Lagerpersonals bei Schießübungen, bei der Übergabe des SS-Lazaretts in Auschwitz und bei Freizeitaktivitäten in der Solahütte im Tal der Soła, rund 30 km von Auschwitz entfernt. Abgebildet sind unter anderem Baer, Rudolf Höß, Josef Kramer, Franz Hößler und Otto Moll. Das Album enthält auch die einzigen bekannten Aufnahmen von Josef Mengele aus seiner Zeit als Lagerarzt in Auschwitz.

Fußnoten

  1. zitiert nach: Der Spiegel, 39/2007, 24. September 2007, S. 61
  2. http://www.fritz-bauer-institut.de/auschwitz-prozess/pdf/auschwitz-prozess.pdf
  3. http://www1.jur.uva.nl/junsv/brd/files/brd906.htm
  4. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2005. ISBN 3-596-16048-0
  5. Die einzigen bis 2006 bekannten Fotos aus dem Lager Auschwitz vor der Befreiung 1945 waren die 193 Bilder des sogenannten Auschwitz-Albums. Im Unterschied zu Höckers Fotos dokumentieren die vermutlich von dem bei der SS tätigen Fotografen Ernst Hofmann in Zusammenarbeit mit Bernhard Walter gemachten, im Mai/Juni 1944 entstandenen Album-Aufnahmen die Abläufe im Inneren des Vernichtungslagers. Das Auschwitz-Album wurde 1945 von Lilly Jacob während ihrer Haft in Dora-Mittelbau entdeckt und 1980 der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem übergeben. Vgl. Israel Gutman, Belah Guṭerman, Lili Meier: The Auschwitz Album: The Story of a Transport. Yad Vashem, Jerusalem 2002, ISBN 965-308-149-7, S. 93/94.

Literatur

  • Karin Orth: Die Konzentrationslager-SS. Sozialstrukturelle Analysen und biographische Studien. Wallstein, Göttingen 2000. ISBN 3-89244-380-7 (Taschenbuchausgabe: München 2004, ISBN 3-423-34085-1)
  • Sybille Steinbacher: Auschwitz. Geschichte und Nachgeschichte. Beck, München 2004. ISBN 3-406-50833-2
  • Klaus Wiegrefe: Schöne Tage in Auschwitz. In: Spiegel, 39/2007, 24. September 2007, S. 60
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007. ISBN 3-596-16048-0

Weblinks


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