Kernkraftwerk Greifswald

Kernkraftwerk Greifswald

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Kernkraftwerk Greifswald
Das Kernkraftwerk Greifswald
Das Kernkraftwerk Greifswald
Lage
Kernkraftwerk Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern)
Kernkraftwerk Greifswald
Koordinaten 54° 8′ 26,1″ N, 13° 39′ 51,9″ O54.14058611111113.664422222222Koordinaten: 54° 8′ 26,1″ N, 13° 39′ 51,9″ O
Land: DeutschlandDeutschland Deutschland
Daten
Eigentümer: Energiewerke Nord
Betreiber: Energiewerke Nord
Projektbeginn: 1967
Kommerzieller Betrieb: 12. Juli 1974
Stilllegung: 22. Juli 1990

Stillgelegte Reaktoren (Brutto):

5  (2200 MW)

Bau eingestellt (Brutto):

3  (1320 MW)
Eingespeiste Energie im Jahre 1989: 10.678 GWh
Eingespeiste Energie seit Inbetriebnahme: 134.212 GWh
Die Datenquelle der jeweiligen Einträge findet sich in der Dokumentation.

Das stillgelegte Kernkraftwerk Greifswald (genauer: Kernkraftwerk Lubmin, auch: Kernkraftwerk Nord) befand sich auf dem Gemeindegebiet des Seebads Lubmin bei Greifswald und war das größere der beiden betriebenen Kernkraftwerke der DDR. Das Kernkraftwerk hieß offiziell „VE Kombinat Kernkraftwerke "Bruno Leuschner" Greifswald“. Es wurde 1990 abgeschaltet, dann im Jahr 1995 endgültig stillgelegt und befindet sich seitdem im Rückbau. Heutiger Eigentümer sind die Energiewerke Nord, die auch das benachbarte Zwischenlager Nord betreiben.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Reaktorinnere des Reaktorblocks 6 (Haltevorrichtung für die Regel- und Brennstäbe)
Ein Kontrollraum im Juni 2007

Ursprünglich als Kernkraftwerk mit vier Blöcken geplant, wurden Anfang der 1980er Jahre die Pläne geändert und die Zahl der zu errichtenden Blöcke auf acht erhöht.[1]

Das Kraftwerk wurde zwischen 1968 und 1979 im 20 km von Greifswald entfernten Lubmin errichtet, Hauptauftragnehmer war der VEB BMK Kohle und Energie. Der erste Reaktorblock ging 1973 in Betrieb. Mit seinen vier Blöcken des Typs WWER-440/230 (je 440 MW) deckte es etwa 10 % des Strombedarfs der DDR. Des Weiteren wurde die Abwärme in das Fernwärmenetz Greifswalds eingespeist. Für die 1990er Jahre waren vier weitere Blöcke des Typs WWER-440/213 (je 440 MW) geplant, von denen lediglich Block 5 im März 1989 den Probebetrieb aufnahm. Block 5 hatte drei voneinander unabhängige Notkühlsysteme mit anschließender Nasskondensation. Die Nasskondensation sollte bei einem Abriss der Hauptkühlleitung den radioaktiven Dampf kondensieren und wieder dem Notkühlsystem zuführen.

Demonstration im Februar 1990 in Berlin gegen das Kernkraftwerk Greifswald

Im Zuge der Wende gab es viele Diskussionen um die Sicherheit des Kraftwerks. Grund dafür war die Tatsache, dass es sich um Reaktoren sowjetischer Bauart handelte. Umwelt- und Bürgerrechtsgruppen erwirkten eine Beendigung des Probebetriebs von Block 5 im November 1989. Die Arbeiten an den Blöcken 6 bis 8 wurden 1990 eingestellt. Die wegen der Abschaltung des Kernkraftwerkes fehlende Fernwärme wurde behelfsmäßig durch Ölheizkessel und ab 1995 größtenteils durch erdgasbetriebene Blockheizkraftwerke erzeugt.

1995 erfolgte die endgültige Stilllegung der Reaktorblöcke 1 bis 5. Damals wurden die Kosten für den Abriss auf drei bis fünf Milliarden Euro geschätzt.[2] Bis 2007 wurden bereits 2,5 Milliarden Euro investiert.[3] 2012 soll der Rückbau beendet und der Zustand „Grüne Wiese“ erreicht sein.[4]

In den Fokus der Öffentlichkeit geriet das Werk noch einmal, als 1996 unter Protesten von Greenpeace 235 unverbrauchte Brennelemente zum ungarischen Kernkraftwerk Paks mit Reaktoren gleicher Bauart geliefert wurden.

Von den etwa 10.000 Menschen, die zu Betriebszeiten im Kraftwerk arbeiteten, sind heute noch etwa 1.000 beschäftigt. Sie sind bei der Energiewerke Nord GmbH für den Rückbau und die Entsorgung der nuklearen Anlagenbestandteile verantwortlich. Seit der Schließung des Kraftwerks wurde auch eine Vielzahl der für die Arbeiter des Kraftwerks errichteten Plattenbausiedlungen im Osten Greifswalds zurückgebaut.

Störfall

Am 7. Dezember 1975 wollte ein Elektriker seinem Lehrling zeigen, wie man elektrische Schaltkreise überbrückt. Dabei kam es zu einem Kurzschluss auf der Unterspannungsseite des Maschinentrafos von Block 1. Durch den entstehenden Lichtbogen brach ein Kabelbrand aus. Das Feuer im Hauptkabelkanal zerstörte die Stromversorgung und die Steuerleitungen von fünf der sechs Hauptkühlmittelpumpen. Die sechste war zufällig am Stromkreislauf des Nachbarreaktors angeschlossen und sicherte eine notdürftige Kühlung des Reaktorkerns. Das Feuer konnte durch die Betriebsfeuerwehr schnell unter Kontrolle gebracht und die Stromversorgung der Pumpen provisorisch wieder hergestellt werden, da sofort nach Auftreten des Brandes Gegenmaßnahmen ergriffen wurden und die Betriebsmannschaft zu jeder Zeit des Unfalls die richtigen Entscheidungen traf. Nach dieser Beinahe-Katastrophe wurden Maßnahmen zur Verbesserung des Brandschutzes innerhalb des Kraftwerks vorgeschlagen und die „räumliche Trennung“ bei sicherheitsrelevanten Einrichtungen eingeführt, was mehrere Wochen in Anspruch nahm; dabei erhielt jede Hauptkühlmittelpumpe ihre separate Stromversorgung. Die Maßnahmen zum Brandschutz wurden erst elf Jahre nach dem Vorfall von 1975 realisiert und in der Zwischenzeit gab es mindestens einen weiteren Brand (1977 in einer Wasseraufbereitungsanlage). Der Störfall von 1975 wurde erst nach der Wende 1989 im Fernsehen und dem Spiegel (u.a. Ausgabe 1. Februar 1990) publik gemacht. Durch sowjetische Stellen wurde bereits wenige Stunden nach dem Zwischenfall die IAEO informiert, die diesen Unfall zuerst in INES 4 einstuften, später in INES 3 (Vorläufer zu einem Unfall, hier einem „Station-Blackout“-Schmelzszenario) korrigierte. Der 10-Prozent-Grenzwert der zulässigen Aktivitätsabgabe wurde nicht überschritten. Spätere Auswertungen der Vorgänge durch eine Regierungskommission und die Bestätigung der von der Kommission gezogenen Schlüsse durch die IAEO zeigen, dass eine erfahrene Betriebsmannschaft anlagenbedingte Schwachstellen ausgleichen kann. Dieser Störfall ist daher auch als Standard-Unfall-Szenario für WWER-440 in die Simulator-Schulung in Greifswald nach 1990 eingeflossen.

Informationszentrum

Auf dem Gelände des Kernkraftwerks befindet sich ein Informationszentrum, welches u. a. über die Geschichte der Kernenergie, die in Greifswald eingesetzten WWER, die Stilllegung, den Rückbau und die Entsorgung informiert.[5] Es besteht nach Voranmeldung auch die einzigartige Gelegenheit, auf der „Besucherroute – Primärkreislauf“ den fertiggestellten, aber noch nie mit Brennelementen beladenen Reaktorblock 6 zu besichtigen. Strahlenschutzmaßnahmen sind aus diesem Grund nicht notwendig. Im Ausstellungszentrum und auf den Freiflächen sind Originalbauteile ausgestellt.

Turbinenhalle

Alle Turbinen und Generatoren des Kraftwerks waren in einer 1.000 Meter langen Halle untergebracht, die zu den längsten Industriebauten in Deutschland zählte.

Diese räumliche Nähe und Verknüpfung wurde erst durch die Brandschutzmaßnahmen nach dem Störfall 1975 teilweise aufgehoben. Es galt aber weiterhin: Die Reaktorblöcke befanden sich, wie ein Bericht aus Greifswald feststellte, „quasi in gegenseitiger örtlicher als auch schaltungstechnisch verknüpfter Störnähe“. Somit wäre durch einen Störfall in einem der Reaktoren zugleich auch ein zweiter involviert gewesen.

Leitungen

Zwei zweikreisige 380 kV-Leitungen führen zum Umspannwerk Wolmirstedt und zum Umspannwerk Ahrensfelde bei Berlin. Erstere ist mit 287,8 Kilometern Länge die längste Stromleitung Deutschlands.

Daten der Reaktorblöcke

Das Kernkraftwerk Greifswald hatte insgesamt acht Blöcke:

Reaktorblock[6] Reaktortyp Netto-
leistung
Brutto-
leistung
Baubeginn Netzsyn-
chronisation
Kommer-
zieller Betrieb
Abschal-
tung
Greifswald-1 (KGR 1) WWER-440/230 408 MW 440 MW 01.03.1970 17.12.1973 12.07.1974 14.02.1990
Greifswald-2 (KGR 2) WWER-440/230 408 MW 440 MW 01.03.1970 23.12.1974 16.04.1975 14.02.1990
Greifswald-3 (KGR 3) WWER-440/230 408 MW 440 MW 01.04.1972 24.10.1977 01.05.1978 28.02.1990
Greifswald-4 (KGR 4) WWER-440/230 408 MW 440 MW 01.04.1972 03.09.1979 01.11.1979 22.07.1990
Greifswald-5 (KGR 5) WWER-440/213 408 MW 440 MW 01.12.1976 24.04.1989 01.11.1989 24.11.1989
Greifswald-6 (KGR 6) [7] WWER-440/213 408 MW 440 MW 01.12.1976 - - fertiggestellt, aber nicht in Betrieb gegangen [8]
Greifswald-7 (KGR 7) [9] WWER-440/213 408 MW 440 MW 01.12.1978 Bau abgebrochen - 01.10.1990 aufgegeben
Greifswald-8 (KGR 8) [10] WWER-440/213 408 MW 440 MW 01.12.1978 Bau abgebrochen - 01.10.1990 aufgegeben

Siehe auch

Weblinks

 Commons: Kernkraftwerk Greifswald – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. http://www.nadir.org/nadir/initiativ/sand/SAND-Dateien/AKW-Standorte_1975.jpg Karte aus dem „Spiegel“ aus dem Jahre 1975
  2. Kleine Anfrage zum Kernkraftwerk Greifswald 1994
  3. Entsorgungskosten
  4. Deutsches Atomforum e. V.: Jahresbericht 2008 - Zeit für Energieverantwortung. Berlin 2009, ISSN 1868-3630. Seite 32
  5. http://www.ewn-gmbh.de/ewngruppe/ewn/standort-greifswald/oeffentlichkeitsarbeit/das-informationszentrum.html EWN - Informationszentrum
  6. Power Reactor Information System der IAEO: „Germany, Federal Republic of: Nuclear Power Reactors“ (englisch)
  7. Kernkraftwerk Greifswald 6 im PRIS der IAEO (englisch)
  8. Der Reaktorblock war vollständig ausgerüstet, jedoch noch nicht mit Brennstäben beladen.
  9. Kernkraftwerk Greifswald 7 im PRIS der IAEO (englisch)
  10. Kernkraftwerk Greifswald 8 im PRIS der IAEO (englisch)

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