Khatyn

Khatyn
Chatyn (Weißrussland)
DMS
Chatyn
Chatyn

Chatyn (weißrussisch/russisch Хатынь) ist ein ehemaliges Dorf in Weißrussland im Gebiet Minsk (nicht zu verwechseln mit dem in Russland gelegenen Katyn).

Inhaltsverzeichnis

Massaker von Chatyn'

Am Vormittag des 22. März 1943 kam es nahe dem Dorf Kosyri (Козыри), wenige Kilometer westlich von Chatyn' zu einem Gefecht zwischen Angehörigen der 1. Kompanie des Schutzmannschafts-Bataillons 118 und Partisanen, bei dem der Hauptmann Hans Woellke sowie drei ukrainische Kollaborateure fielen. Per Funk forderte das Bataillon Unterstützung an. Die Verfolgung der Partisanen, die sich Richtung Chatyn' zurückgezogen hatten, wurde abgebrochen, da nicht genügend Kräfte zur Verfügung standen. Auf dem Rückmarsch ermordeten die Schutzmannschaftsleute 20 bis 25 Waldarbeiter, die Partisanen begünstigt haben sollen.[1]

Als Verstärkung traf nach kurzer Zeit die deutsche Kompanie des SS-Sonderbataillon Dirlewanger ein. Gemeinsam mit den Schutzmannschaftsleuten umstellten und besetzten sie am Nachmittag Chatyn', plünderten dann das Eigentum der Dorfbewohner, die sie in eine Scheune trieben. Dabei vergewaltigten sie auch eine junge Frau, die anschließend zu den anderen in die Scheune gebracht wurde. Die Soldaten legten Feuer an die Scheune und schossen auf die Menschen, die versuchten, sich aus dem Inferno zu retten.[2] Außer drei Kindern (einem von ihnen, Anton Baranovskij, war es gelungen, sich verletzt aus der Scheune zu retten) und Josif Kaminskij, der aus der brennenden Scheune kriechen konnte, sowie Stefan Rudak, der von den Tätern als Kutscher für den Transport des geraubten Gutes mitgenommen wurde, überlebte niemand das Massaker. 152 Personen (darunter 76 Kinder) wurden ermordet.[3]

Juristische Folgen

In Deutschland wurde nie jemand für das Massaker zur Rechenschaft gezogen, Ende 1975 stellte die Staatsanwaltschaft Itzehoe, der der Fall vom Bundesgerichtshof übergeben worden war, das Ermittlungsverfahren ein. Der Prozess gegen den Kommandeur des Schutzmannschafts-Bataillons während dieser Aktion, den Ukrainer Hryhorij N. Wasjura, fand erst 1986 statt.

Gedenkstätte

Josif Kaminskij wurde in der einzigen, überlebensgroßen Skulptur in der von Leonid Mendelewitsch Lewin (Леонид Менеделевич Левин) gestalten Gedenkstätte verewigt - ein Mann, der seinen toten Sohn auf den Armen trägt.


Chatyn steht heute stellvertretend für die 186 in den Jahren des Zweiten Weltkriegs allein in Weißrussland mit ihren Bewohnern niedergebrannten Dörfer, die nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut wurden. Im Zentrum der Gedenkstätte steht ein Friedhof der Dörfer. Hier sind Erde und Asche aus den verbrannten Dörfern beigesetzt, jedes Dorf hat seinen eigenen "Grabstein". Mehrerer hundert weiterer von den Deutschen mitsamt ihren Einwohnern verbrannten weißrussischer Dörfer, die später wieder aufgebaut wurden, wird mit einem Denkmal gedacht, in das die Namen dieser Orte eingelassen sind.

Zum Zeitpunkt der Errichtung der Gedenkstätte hieß es offiziell, dass jeder vierte Einwohner Weißrusslands im Krieg umgekommen ist. In Chatyn wird dies durch eine Komposition aus drei Birken und einer ewigen Flamme symbolisiert. Heute geht man von einem noch größeren Blutzoll aus, den das Land zu tragen hatte.

In einer langen Mauer sind die Namen der größten deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager auf dem Territorium Weißrusslands nebst ihren Opferzahlen eingelassen.

Die preisgekrönte Anlage entspricht nicht dem Schema dessen, was in der Sowjetunion üblich gewesen ist. Nicht Heroismus und Kühnheit dominieren, sondern eher Schlichtheit und Nachdenklichkeit. Sozialistische Symbole wie Hammer und Sichel fehlen völlig. An jenen Stellen, an denen einst die Hütten der Dorfbewohner standen, sind Grundrisse aus Betonbalken angedeutet. Hier ragt jeweils ein symbolischer Schornstein in die Luft - das Einzige, was nach dem Niederbrennen eines solchen, aus Holz gebauten Hauses stehenblieb. In den 26 über das 50 ha große Gelände verteilten Schornsteinen sind Glocken eingelassen, die alle dreißig Sekunden synchron einen Schlag abgeben. Dieser durchbricht die Stille und verstummt. Auf diese Weise wird eine sehr erhabene Atmosphäre erschaffen.

Im Sommer 2004 wurde am Rande der Gedenkstätte ein Museum eröffnet, in dem die Ereignisse und Akteure genauer beleuchtet werden.

Literarische Verarbeitung

Die Geschichte mehrerer solcher Dörfer beschreiben Augenzeugenberichte, die von Ales Adamowitsch und Janka Bryl zu einem Buch zusammengestellt wurden, das unter dem russischen Titel Ich bin aus einem verbrannten Dorf (russ.: Я из огненной деревни, weißruss.: Я з вогненнай вёскі...) bekannt wurde. Die Tragödie von Chatyn wurde von Adamowitsch auch in seinem 1972 zunächst auf Russisch, 1976 auch auf Weißrussisch erschienen Roman "Хатынская аповесць" (dt.: Die Erzählung von Chatyn) behandelt, der später als Grundlage für das Drehbuch zu dem Film "Komm und sieh" diente.

Einzelnachweise

  1. Bernd Boll: Chatyn 1943, S. 22f.
  2. Bernd Boll: Chatyn 1943, S. 23f.
  3. Bernd Boll: Chatyn 1943, S. 25

Literatur

  • Bernd Boll: Chatyn 1943. In: Gerd R. Ueberschär (Hg.): Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Darmstadt 2003, S. 19-29. ISBN 3-89678-232-0
  • Jochen Fuchs, Janine Lüdtke, Maria Schastnaya: „Stätten des Gedenkens in Belarus: Chatyn und Maly Trostinec. Teil 1: Chatyn.“ In: Gedenkstättenrundbrief 2007, 138, S. 3-10.
  • N.V. Kirylava: Chatyn. Minsk 2005. ISBN 985010564X
  • Astrid Sahm: „Im Banne des Krieges. Gedenkstätten und Erinnerungskultur in Belarus.“ In: Osteuropa 6/2008, S. 229-245.

Weblinks

54.33444444444427.9436111111117Koordinaten: 54° 20′ 4″ N, 27° 56′ 37″ O


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