Klassische Kunst

Klassische Kunst

Klassische Kunst ist im engsten kunstwissenschaftlichen Sinne die Kunst der griechischen Klassik, also die Gesamtheit der griechischen Kunstproduktion zwischen 480 v. Chr. und dem Tod Alexanders des Großen 323 v. Chr.

Qualitäten gehen in diese enge Bestimmung nicht ein, doch nennen unterschiedlichste Autoren mit großer Übereinstimmung als Haupteigenschaften klassischer Kunst: Die Maßgeblichkeit bzw. Zeitlosigkeit, die Harmonie und Naturähnlichkeit. Besonders soll die Idee der Maßgeblichkeit klassische Kunst unterscheiden und ihr so unter allen Epochen und Strömungen eine Ausnahmestellung geben. Das heißt aber eben „klassisch“ weniger als eine Stilrichtung der Kunst unter anderen zu bestimmen, sondern mehr die Idee der Erlernbarkeit und Vervollkommenbarkeit ins Zentrum zu stellen und damit Begriffe wie Meister und Schülerschaft sowie Verfallsepoche und Blütezeit.

Aufgrund der ideellen Konzeption des Klassik-Begriffs (s. u.) geriet dessen zeitliche Beschränkung seit je unter Druck. So erweiterte man tendenziell die Epoche der klassischen Kunst auf die gesamte Kunst des antiken Griechenlands, des römischen Reiches, der Renaissance und schließlich bis auf die Werke herausragende Künstler wie Rodin oder Cézanne.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Der Grammatiker Aulus Gellius erweitert im 2. Jh. den Begriff classis aus dem ursprünglichen civis classicus (römischer Steuerzahler erster Klasse) zu einem scriptor classicus (Schriftsteller erster Klasse). Damit erweiterte Gellius die Klasse zu einem Begriff der nun, nach seinem Vorbild, alles Maßgebliche bezeichnen konnte. In diese Erweiterung musste notwendig das alte Problem einfließen, worin das Maßgebliche liegt, nämlich mehr in einer beschlossenen Tradition oder mehr in den Grundlagen aller Tradition, die keiner exklusiven Epoche gehören. Im letzteren Sinne gebraucht etwa Schütz den Klassikbegriff in seiner Vorrede zur „Geistlichen Chormusik“ (1648): „besondern will ich vielmehr alle und iede / an die von allen vornehmsten Componisten gleichsam Canonisirte Italienische und andere / Alte und Newe Classicos Autores hiermit gewiesen haben“.

J. und W. Grimm fassen die Entwicklung zusammen:“classisch nannte man anfangs nur die mustergültigen dichter und schriftsteller des römischen und griechischen alterthums, ebenso alles was sich auf sie oder auf die alte kunst oder auch auf die 'alten' überhaupt bezieht: die klassischen dichter, die klassische geschichtschreibung, die klassische literatur, das klassische alterthum, klassische kunst … der begriff hat sich nämlich erweitert in mustergültig überhaupt, künstlerisch vollkommen, zum vorbild tauglich“. Gleichzeitig mit dieser Verallgemeinerung entwickelt sich der Begriff des Klassischen als Gegenbegriff zum Modernen, denn: „in der kunstwelt“ so die Grimms weiter „braucht man klassisch als gegensatz von romantisch oder auch von naturalistisch u. dgl.“ So Goethe über „das meiste Neuere“: „Das Klassische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke. Und da sind die Nibelungen klassisch wie der Homer, denn beide sind gesund und tüchtig. Das meiste Neuere ist nicht romantisch, weil es neu, sondern weil es schwach, kränklich und krank ist, und das Alte ist nicht klassisch, weil es alt, sondern weil es stark, frisch, froh und gesund ist. Wenn wir nach solchen Qualitäten Klassisches und Romantisches unterscheiden, so werden wir bald im reinen sein.

Goethe selbst scheint dieser Partei an anderer Stelle eine Synthese vorzuziehen. Seine Konzeption der Weltliteratur und die Forderung nach „Inkommensurabilität“ von Kunst (im Sinne von: unerschöpflich wie die Natur), sind Ausdruck einer Bemühung, den Begriff des Klassischen um das romantische Element zu erweitern, ohne ihn überhaupt noch verwenden zu müssen. Hegel bestimmt klassische Kunst als das „was die wahrhafte Kunst ihrem Begriff nach ist“. Der Punkt auf den es Hegel dabei ankommt ist die Überwindung des Symbolischen: “Denn die klassische Schönheit hat zu ihrem Inneren die freie, selbständige Bedeutung, d. i. nicht eine Bedeutung von irgend etwas, sondern das sich selbst Bedeutende“. Für Schiller liegt „Nur in der Wegwerfung des Zufälligen und im reinen Ausdruck des Notwendigen … der große Stil.

Ästhetische Theorie

Dass das Klassische weder eigentlich Stil noch isolierte Kunstepoche ist, ist vor Hegel, Jacob Burckhardt und Heinrich Wölfflin Ausgangspunkt Baumgartens und Winckelmanns. Dort wo bei ihnen der Begriff des Klassischen noch fehlt erscheint vorgebildet die „allgemeine Schönheit“ (Baumgarten), das Ideal, das Vollkommene, das Schöne (Winckelmann): „Das Ziel der Kunst ist ihre auswählende und belehrende Funktion im Blick auf das Vollkommene der idealischen Schönheit.“ Daran sind die Leistungen aller Epochen und Künstler zu messen. In diesem Sinne schon Michelangelos Ausführung zur „italienischen Malerei“: „Nur die Werke, die man in Italien schafft, kann man wahre Malerei nennen. Und deshalb nennen wir auch die echte Malerei die italienische, so wie wir ihr den Namen nach einem anderen Land gäben, wenn sie dort so gut geschaffen würde. … So nennt man also nicht jedes in Italien entstandene Gemälde italienische Malerei, sondern jedes, das gut und mit Wissen gemacht worden ist. … Denn diese edelste Kunst gehört keinem Lande an, sondern stammt vom Himmel.

Winckelmann entwickelt sein kunstkritisches Programm parallel zu einem zeitlosen Klassik-Begriff im Sinne der Lehre: “Die Geschichte der Kunst des Altertums, welche ich zu schreiben unternommen habe, ist keine bloße Erzählung der Zeitfolge und der Veränderung in derselben … meine Absicht ist, einen Versuch eines Lehrgebäudes zu liefern.“ Anknüpfend an Positionen des französischen Klassizismus des frühen 18. Jhs. wie etwa Jean-Baptiste Dubos, Shaftesbury, Richardson, wird Winckelmann selbst bald beispielhaft. Zeitloses Lehrgebäude wie dessen Werk sein will gleichfalls die Farbenlehre Goethes. Mit deren Prinzipien: „sich denn der Maler … penetrieren soll… so wird er sich imstande befinden, das Theoretische sowohl als das Praktische, im Erkennen der Natur und im Anwenden auf die Kunst, mit Leichtigkeit zu behandeln.“ Und weiter werden diese zeitlosen Prinzipien „dem Maler zuletzt einen Trost und Heiterkeit mitteilen, den er auf keine andre Art zu erlangen imstande ist.“ Welchen Erfolg aber die Theorien Vitruvs, Albertis, Leonardo da Vincis, Dürers, Winckelmanns, Goethes usw. immer haben konnten, entscheidend ist hier was sie voraussetzten und in dessen Namen sie unternommen worden sind.

Kritik und moderne Erweiterung

Die Kritik am Akademismus und dessen Auffassung klassischer Grundlagen ist spätestens seit Romantik und Realismus fester Bestand maßgeblicher Kritik. An die Stelle der Ergebnisoffenheit von Kunst tritt im Schulverständnis des Akademismus die “Wahrung des Schönen“. Courbet etwa kritisiert die Akademie beispielhaft: „Man muß sich durch die Tradition durcharbeiten, wie ein guter Schwimmer einen Strom durchschwimmt. Die Akademiker ertrinken darin.Cézanne in gleichem Sinne: „ Das abstrakte Handwerk führt am Ende zum Verdorren unter seiner geschraubten Rhetorik, in welcher es sich erschöpft. … Man darf nie einer Idee folgen wo es eine Empfindung braucht. … Die Klischees sind die Pest der Kunst.

Der Gebrauch des 20. Jhd’s verfestigt den Begriff klassische Kunst als Gegenbegriff zur Moderne. Dabei bekommt gerade das Prinzip der Erlernbarkeit und Vervollkommenbarkeit eine neue Bedeutung. Denn mit modernen Kunstrichtungen wie dem Expressionismus, Dadaismus oder Surrealismus treten zum ersten Mal so radikal neuartige Vorstellungen des Kunstwerkbegriffs auf den Plan, dass Erlernbarkeit und Vervollkommenbarkeit aus ihrem Selbstverständnis vollkommen herausgelöst worden sind. Wenn klassische Kunst als ein einschränkendes System von Regeln verstanden worden ist, das mit diesen Regeln zugleich ein Maß gibt, an dem ein Fortschritt beurteilt werden kann, dann fallen aber, mit diesen Regeln, die Handhaben, die verhindern sollen, dass Entwicklung nur noch in die Breite möglich ist. Picasso drückt diese Gefahr für die Moderne beispielhaft aus: “Die Maler leben nicht mehr innerhalb der Tradition. … Kein Kriterium kann mehr a priori auf ihn angewandt werden, weil wir nicht mehr an strenge Maßstäbe glauben. … In gewissem Sinn ist das eine Befreiung … Wenn du aber nicht mehr in der Lage bist, dich einer Ordnung zu unterwerfen, ist das im Grunde ein gefährlicher Nachteil.

Literatur

  • Heinrich Wölfflin: Die klassische Kunst. Eine Einführung in die italienische Renaissance. Basel (1983); Concinnitas. Beiträge zum Problem des Klassischen.(1944); Das Problem des Klassischen u. die Antike. (1930); Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. (1915)
  • Hans Rose: Klassik als künstlerische Denkform. (1937);
  • Joachim Gasquet: Gespräche mit Cézanne.
  • Eugène Delacroix: Journal. (1822-1863)
  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Ästhetik. (1820/21)
  • Alexander Gottlieb Baumgarten: Aesthetica. (1750/ 58)
  • Albrecht Dürer:Underweysung der Messung. (1525)
  • Charles Batteux: Einschränkung der schönen Künste auf einen einzigen Grundsatz.
  • Edmund Burke: Vom Erhabenen und Schönen. Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen. (1757)
  • Johann Joachim Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung griechischer Werke in der Malerei und Bildhauerkunst. (1755); Geschichte der Kunst des Altertums. (1763): Vorrede. Von dem Wesentlichen der Kunst.
  • Michael Hauskeller: Was das Schöne sei. Klassische Texte von Platon bis Adorno. München 1994;
  • Friedrich Schiller: Über Bürgers Gedichte. (1791); Über das Erhabene.
  • Wolfgang Kemp: Disegno. Beiträge zur Geschichte des Begriffs zwischen 1547 und 1607., in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft (19, 1974)
  • Leon Battista Alberti: Drei Bücher über die Malerei (1435)
  • Heinz Otto Burger: Begriffsbestimmung der Klassik und des Klassischen. (1972)

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