André Breton

André Breton
André Breton

André Breton (* 19. Februar 1896 in Tinchebray, Kanton Tinchebray, (Département Orne) in der Normandie; † 28. September 1966 in Paris) war ein französischer Dichter, Schriftsteller und der wichtigste Theoretiker des Surrealismus; sein ganzes Leben war mit dieser Bewegung verbunden.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kindheit

André Breton wurde als Sohn eines Kaufmanns in Tinchebray geboren. Dies war der Ort, der 1106 durch die Schlacht bei Tinchebray in die Geschichtsbücher einging. Im Jahr 1900 ließ sich die Familie in Pantin bei Paris nieder. Nach dem Besuch der École communale war er von 1906 bis 1912 Schüler des Collège Chaptal und besuchte ab 1913 die Höhere Technische Lehranstalt als Vorbereitung für ein Medizinstudium.[1]

Die Jahre bis 1924

1913 lernte er den Schriftsteller Paul Valéry kennen, er schrieb Lyrik, beeindruckt von Stéphane Mallarmé und anderen Autoren des Symbolismus. 1915, nach dem Beginn eines Medizinstudiums, wurde er zum Sanitätsdienst eingezogen, traf in Nantes Jacques Vaché, beschäftigte sich intensiv mit Arthur Rimbaud; er arbeitete in einer psychiatrischen Anstalt und las die Arbeiten von Sigmund Freud, den er 1921 in Wien besuchen sollte. 1918 lernte er Guillaume Apollinaire kennen und entdeckte die wilde Poesie des Comte de Lautréamont. Er brach sein Studium der Medizin ab, um freiberuflicher Schriftsteller zu werden. 1919 gründete er mit Louis Aragon und Philippe Soupault die Zeitschrift Littérature, die dem Dadaismus nahe stand. 1919 kam auch Tristan Tzara aus Zürich nach Paris, die Gruppe der Pariser Dadaisten erweiterte sich ständig, als Paul Éluard, Max Ernst, Robert Desnos, René Crevel und Benjamin Péret dazustießen. Das Unbewusste wurde erforscht, es war die Zeit des „Automatischen Schreibens“ (écriture automatique), der Hypnoseversuche und Traumprotokolle. Am 15. September 1921 heiratete er die Straßburger Bankierstochter Simone Kahn (1897–1980); das Paar zog in die rue Fontaine 42 in Paris. Das gemeinsame Apartment blieb auch nach der Scheidung 1931 Bretons Domizil.

Der Surrealismus bis zum Krieg

André Breton, 1924

1924 verfasste er das Manifest des Surrealismus, in dem er Surrealismus als einen „reinen psychischen Automatismus“ definierte. Organ der neuen Gruppe wurde die Zeitschrift La Révolution surréaliste (zwölf Nummern 1924–1929). Das wachsende politische Interesse brachte ihn und die Gruppe in die Nähe der Kommunisten, schließlich traten 1927 neben André Breton Louis Aragon, Paul Éluard, Benjamin Péret und Pierre Unik der KPF bei.

Im Jahr 1928 schrieb er sein bisher erfolgreichstes Buch: den experimentellen Roman Nadja. Mit Le Surréalisme et la Peinture bemühte er sich um eine theoretische Begründung surrealistischer Malerei, für die er als Beispiele Max Ernst, Pablo Picasso, Joan Miró und André Masson heranzog. 1929 schloss sich Salvador Dalí auf Anregung von Joan Miró der Gruppe der Surrealisten in Paris an; Dalí wurde jedoch nach längeren Auseinandersetzungen 1939 aus der Gruppe ausgeschlossen.

1930 versuchte Breton im Zweiten Manifest des Surrealismus eine Neudefinition des Surrealismus als eine sozial-revolutionäre Bewegung: „Marx sagt, die Welt verändern. Rimbaud sagt, das Leben verändern.“ – Der Surrealismus sei die Synthese dieser beiden Ideen, er bekannte sich zur „sozialen wie zur psychischen Revolution.“ In der gemeinsam mit Paul Éluard verfassten Unbefleckten Empfängnis versuchten die beiden eine textlich-poetische Simulation von Wahnzuständen aus der freudschen Psychoanalyse. Breton beschäftigte sich intensiv mit dem Gegensatz von „Wachsein“ und „Traum“ in Den kommunizierenden Röhren (1932, enthält u. a. auch einen kurzen Schriftwechsel mit Sigmund Freud). Im August 1934 heiratete Breton in zweiter Ehe die Malerin Jacqueline Lamba, Trauzeugen waren Alberto Giacometti und Paul Éluard. Die Begegnung mit ihr fand ihren Niederschlag in seinem Werk L’Amour fou aus dem Jahr 1937.[2]

Titelseite des Katalogs zur Ausstellung in der Galerie Beaux-Arts, Paris 1938

Die neu gegründete Zeitung der Gruppe war Programm: Le Surréalisme au service de la révolution (Der Surrealismus im Dienst der Revolution, sechs Ausgaben, 1930–1933). Doch Breton und seine Freunde hatten immer mehr Probleme mit der Parteidogmatik, 1935 gipfelten die Spannungen im endgültigen Bruch mit der KPF. André Breton wurde zum Kritiker des Stalinismus; es war die Zeit des Spanischen Bürgerkrieges, an dem sich einige der Surrealisten (wie Benjamin Péret und Tristan Tzara) auf republikanischer Seite beteiligten.

1936 gründete Breton zusammen mit Georges Bataille eine Gruppe linksrevolutionärer Intellektueller, die unter dem Namen „Contre-Attaque“ bekannt werden sollte. Im selben Jahr war er an der Organisation der International Surrealist Exhibition in den New Burlington Galleries in London beteiligt. Ein Jahr später eröffnete Breton eine surrealistische Galerie unter dem Namen „Gradiva“ in der rue de Seine Nr. 31, die jedoch nach kurzer Zeit wieder geschlossen wurde. Marcel Duchamp entwarf den Eingang zur Galerie, dessen Glastür mit einer Silhouette eines Arm in Arm gehenden Paars versehen war.

1938 organisierte Breton gemeinsam mit Éluard und Duchamp als Generalintendant in Paris die Exposition Internationale du Surréalisme in der Galerie Beaux-Arts.[3] Breton traf im selben Jahr Leo Trotzki in dessen Exil in Mexiko bei Diego Rivera: sie verfassten gemeinsam das Manifest Für eine unabhängige revolutionäre Kunst. Inzwischen war der Surrealismus weit über die Grenzen von Frankreich bekannt und aktiv, mit Gruppen und Manifestationen in Brüssel, Barcelona, London oder Prag.

Krieg, Exil, Rückkehr

Nach der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht flohen Breton und Jacqueline von Marseille aus mit finanzieller Unterstützung der Kunstsammlerin Peggy Guggenheim 1941 über die Antillen nach New York. Dort traf er auf Marcel Duchamp und Max Ernst, sie publizierten ab 1942 in der mit David Hare gemeinsamen herausgegeben Zeitschrift VVV. Mit Duchamp organisierte Breton die Surrealistenausstellung First Papers of Surrealism. Im selben Jahr erfolgte die Trennung von seiner Ehefrau; Breton heiratete 1945 in dritter Ehe Elisa Claro-Bindhoff, während Jacqueline 1946 David Hare heiratete.[4][5] In dieser Zeit setzte sich Breton mit dem präkolumbischen Amerika und den Frühsozialisten auseinander, vor allem mit Charles Fourier.

Schild der Place André Breton in Paris

Nach dem Krieg kehrte Breton 1946 nach Europa zurück, seine Hoffnung auf einen gesellschaftlichen wie politischen Neuanfang wurde enttäuscht. Teile der Gruppe, wie Louis Aragon und Paul Éluard, hatten sich inzwischen der moskaufreundlichen Parteilinie angeschlossen. Gemeinsam mit Jean Dubuffet gründete Breton 1947 den Verein Compagnie de l'Art Brut, um Außenseiterkunst zu fördern und auszustellen, überwarf sich mit ihm aber darüber 1951. In den ersten Nachkriegsjahren hatte er insbesondere durch die Gegnerschaft der Stalinisten Probleme, sich in der Kulturszene Gehör zu verschaffen; das änderte sich mit einer von ihm organisierten umfassenden internationalen Surrealismus-Ausstellung Le Surréalisme en 1947 in der Galerie Maeght.

Im Jahr 1960 engagierte Breton sich gegen den Algerienkrieg. In den folgendem Jahrzehnt verstand es der als „Papst des Surrealismus“ kritisierte Schriftsteller weiterhin, der Bewegung Gehör zu verschaffen, etwa mit den Sammelbänden L'Art magique (1957), Le Surréalisme et la Peinture (1965) und der Organisation mehrerer Internationaler Surrealismusausstellungen: E.R.O.S. (1959/1960) und der letzten großen Ausstellung, deren Titel wie ein Programm für ihn und den Surrealismus steht: „L'écart absolu“: die absolute Abweichung. 1966 starb er an einer Lungenkrankheit und wurde auf dem Cimetière des Batignolles im Quartier des Batignolles an der Stadtgrenze von Paris beigesetzt. Die Stadt Paris gab ihm zu Ehren einem Platz im 9. Arrondissement seinen Namen.

Werke

  • Mont de piété (Leihhaus), Gedichte (1919)
  • Les Champs magnétiques (Die magnetischen Felder) mit Philippe Soupault (1920)
  • Clair de Terre (Erdschein), Gedichte (1923)
  • Manifeste du Surréalisme (Das Manifest des Surrealismus) (1924)
  • Poisson Soluble (Löslicher Fisch) (integraler Bestandteil des Manifests) (1924)
  • Nadja (1928; 1962 überarbeitet)
  • Le Surréalisme et la peinture (Der Surrealismus und die Malerei) (1928)
  • Ralentir Travaux (Achtung Baustelle) mit René Char und Paul Éluard (1929)
  • Second Manifeste du Surréalisme (Das Zweite Manifest des Surrealismus) (1930)
  • L'Immaculée Conception (Die unbefleckte Empfängnis) mit Paul Éluard, illustriert von Salvador Dalí (1930)
  • Les Vases communicants (Die kommunizierenden Röhren) (1932)
  • Le revolver a cheveux blancs (Der weißhaarige Revolver), Gedichte (1932)
  • Le Message automatique (Die automatische Botschaft), Essay (1933)
  • L'air de l'eau (Die Weise des Wassers), Gedichte (1934)
  • L'Amour fou (1937)
  • Pour un art indépendant révolutionnaire (Für eine unabhängige revolutionäre Kunst) mit Leo Trotzki (1938)
  • Anthologie de l’humour noir (Anthologie des Schwarzen Humors) (1940)
  • Prolégomènes à un troisième manifeste ou non (Vorwort zu einem 3. Manifest oder auch nicht) (1942)
  • Arcane 17 (Arkanum 17) (1944)
  • Ode à Charles Fourier (Ode an Charles Fourier) (1945)
  • Entretiens (Entretiens – Gespräche) (1952)
  • La Clé des champs (Das Weite suchen) (1953)
  • Constellations (Sternbilder), Prosagedichte zu Gouachen von Joan Miró (1959)

Kommentierte Werkausgabe

  • André Breton: Œuvres complètes Bd. 1–3, Hg. Marguerite Bonnet, Bibliothèque de la Pléiade, Paris: Gallimard 1987–1999 (weiterer Band in Vorbereitung) ISBN 2-07-011138-5 (Bd. 1); ISBN 2-07-011234-9 (Bd. 2); ISBN 2-07-011376-0 (Bd. 3) (ältere Gesamtausgabe: Gallimard, 1952)

Deutsch

Sonstiges

Er schrieb u.a. für die Zeitschrift Contimporanul

Literatur

Weitere Literatur

  • Zu Contre-Attaque: Stephan Moebius, Die Zauberlehrlinge. Soziologiegeschichte des Collège de Sociologie 1937–1939. Konstanz: UVK, 2006. ISBN 3-89669-532-0

Weblinks

 Commons: André Breton – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Volker Zotz: Breton. Rowohlt, Reinbek 1190, S. 14 ff
  2. Angelika Heinick: Jacqueline Lamba. faz.net, 17. August 2006, abgerufen am 5. August 2010.
  3. Calvin Tomkins: Marcel Duchamp. Eine Biographie, Carl Hanser, München 1999, S. 363 f
  4. Biografie Jacqueline Lamba, abgerufen 5. August 2010
  5. Calvin Tomkins: Marcel Duchamp. Eine Biographie, Carl Hanser, München 1999, S. 387 f.

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