Kollektivvertrag

Kollektivvertrag

Ein Kollektivvertrag ist ein schriftlicher Vertrag im Rahmen der österreichischen Sozialpartnerschaft. Er wird zwischen einer Interessenvertretung der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite geschlossen und ist wesentlicher Bestandteil des Arbeitsrechts.

In der Praxis werden Kollektivverträge zwischen dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) und den Wirtschaftskammern geschlossen.

Kollektivverträge enthalten traditionellerweise Regelungen zu Mindestlöhnen und Grundgehältern, Sonderzahlungen (Urlaubsbeihilfe und Weihnachtsremuneration), Arbeitszeitfragen sowie Kündigungsfristen und -termine. Insbesondere für Arbeiter sind letztere Regelungen oft deutlich besser als die gesetzlichen Regelungen nach GewO 1859.

Inhaltsverzeichnis

Geltungsbereich

Kollektivverträge gelten auch für Arbeitnehmer, die nicht der Interessenvertretung auf Arbeitnehmerseite (meist ÖGB) angehören (so genannte Aussenseiterwirkung, § 12 ArbVG). Auf Arbeitgeberseite sind durch die Pflichtmitgliedschaft in den Wirtschaftskammern fast alle Arbeitgeber an einen Kollektivvertrag gebunden. Der Großteil eines Kollektivvertrags entfaltet Normwirkung (§ 11 ArbVG), d. h. er gilt wie ein Gesetz. Ausgenommen ist davon nur der schuldrechtliche Teil, der den Vertrag selbst regelt, zum Beispiel Datum des Inkrafttretens und Dauer. Fehlen Angaben zum Wirksamkeitsbeginn, so wird der Kollektivvertrag mit dem auf die Kundmachung im Amtsblatt zur Wiener Zeitung folgenden Tag wirksam.

Rechtliche Einordnung

Primär ist vom Modell des "Stufenbaus der Rechtsordnung" auszugehen, wonach an oberster Stelle Gesetze und Verordnungen zu finden sind; diese Rechtsvorschriften werden im Arbeitsrecht durch den Kollektivvertrag (bzw. noch eine Stufe darunter) durch Betriebsvereinbarungen ergänzt. Zuletzt geben die Bestimmungen des jeweiligen Dienst-/Arbeitsvertrags Auskunft über die anzuwendenden Vorschriften/Vereinbarungen - zur Verdeutlichung der "Rangordnung" der einzelnen Stufen: Widerspräche eine Bestimmung eines Arbeitsvertrages geltendem (gesetzlichem) Recht, so wäre jedenfalls die entsprechende gesetzliche Vorschrift als vorrangig zu behandeln. Also:

  • Gesetze und Verordnungen
  • Kollektivvertrag
  • Betriebsvereinbarungen
  • Dienst-/Arbeitsvertrag

Hier ist zu beachten, dass im Stufenbau "darunterliegende" Vorschriften gegenüber im Stufenbau darüberstehenden einen Arbeitnehmer nur besser stellen dürfen (sog. Günstigkeitsprinzip). In diesem Zusammenhang ist überdies festzuhalten, dass das im Arbeitsverfassungsgesetz (abgekürzt mit "ArbVG") normierte Kollektivvertragsrecht nicht auf alle in Österreich rechtsgültigen Arbeitsverträge anwendbar ist:

§ 1 Abs. 1 ArbVG betont, dass eine kollektive Rechtsgestaltung im Rahmen der Vertragsverhandlungen zwischen Interessenvertretungen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite nur im privatrechtlichen Bereich möglich ist, dh Arbeitsverträge der öffentlichen Hand mit Arbeitnehmern sind vom Anwendungsbereich des ArbVG jedenfalls ausgeschlossen (mit gutem Grund: Für derartige Dienstverhältnisse gelten eigene, bundes- bzw. landesgesetzliche Vorschriften). In Abs. 2 der vorgenannten Rechtsnorm werden weitere Ausnahmen vom Anwendungsbereich des ArbVG angeführt, nämlich

  • Arbeitsverhältnisse der land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter, auf die Abschnitt 3 des Art. I des Landarbeitsgesetzes 1984, BGBl. Nr. 287, Anwendung findet;
  • Arbeitsverhältnisse, die dem Heimarbeitsgesetz 1960, BGBl. Nr. 105/1961, unterliegen;
  • Arbeitsverhältnisse zum Bund, zu den Ländern, Gemeindeverbänden und Gemeinden sowie zu den von diesen Gebietskörperschaften verwalteten Betrieben, Unternehmungen, Anstalten, Stiftungen und Fonds, für die auf Grund eines Gesetzes Vorschriften Anwendung finden, die den wesentlichen Inhalt des Arbeitsvertrages zwingend festlegen. (vgl. § 1 Abs. 2 Z 1 bis 3 ArbVG)

Begriff und Inhalt eines Kollektivvertrags

Kollektivverträge sind schriftliche Verträge, die zwischen so genannten "kollektivvertragsfähigen Körperschaften" der Arbeitnehmer einerseits und der Arbeitgeber andererseits geschlossen werden, wobei mit "kollektivvertragsfähig" gemäß § 4 ArbVG zum einen die gesetzlich vorgesehenen Interessenvertretungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeint sind (also Wirtschaftskammer bzw. Arbeiterkammer); zum anderen sind aber auch Berufsvereinigungen, die auf einer freien Mitgliedschaft der Arbeitnehmer bzw. Arbeitgeber beruhen, "kollektivvertragsfähig", wenn sich diese freiwilligen Vereinigungen die Interessenvertretung von Arbeitnehmern bzw. Arbeitgebern zum Ziel gesetzt haben, diesbezüglich in einem größeren fachlichen und räumlichen Wirkungskreis tätig werden, aufgrund der Anzahl ihrer Mitglieder eine maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung haben und in der Vertretung der Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmerinteressen gegenüber der anderen Seite unabhängig sind. In diese zweite Kategorie fallen auf Arbeitgeberseite z. B. die "Industriellenvereinigung" oder auf Arbeitnehmerseite der "Österreichische Gewerkschaftsbund". In der Praxis haben die Arbeiterkammern ihre gesetzliche Kollektivvertragsfähigkeit nie ausgeübt. Verhandlung und Abschluss der Kollektivverträge auf Arbeitnehmer-Seite ist dem ÖGB vorbehalten.

In diesem Zusammenhang sei der Vollständigkeit halber auf die versteckte, gesetzlich eingeräumte "Zwitterstellung" der Ärztekammer, der Notariats- bzw. der Rechtsanwaltskammer verwiesen: In diesen Fällen werden nicht nur Arbeitnehmer (d. h. z. B. in einem Krankenhaus angestellte Ärzte, Rechtsanwaltsanwärter oder Notariatssubstituten) vertreten, sondern auch die Arbeitgeberseite, dh Rechtsanwälte und Notare (bzw. "freie" Ärzte). Wiewohl innerhalb der Kammern die Vertretung der jeweiligen Parteien (Arbeitnehmer- bzw. Arbeitgeberseite) offiziell getrennt wurde, wird wohl aufgrund der organisationalen Nähe der Arbeitnehmer- bzw. Arbeitgebervertretung zur jeweils anderen Seite eine gewisse inoffizielle beiderseitige Einflussnahme nicht auszuschließen sein, sodass im Falle der Kammern die unter § 4 Abs. 2 Z 4 ArbVG geforderte Voraussetzung der Gegnerunabhängigkeit nur mit viel gutem Willen erkennbar ist.

Durch Kollektivvertrag kann im Wesentlichen die Rechtsbeziehungen zwischen den Kollektivvertragsparteien geregelt werden, weiters die "gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer" (§ 2 Abs. 2 Z 2 ArbVG). Weitere mögliche Inhalte sind unter § 2 Abs. 2 3 bis 7 ArbVG zu finden.

Jeder Kollektivvertrag ist nach seinem Abschluss beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit zu hinterlegen und im Amtsblatt der Wiener Zeitung kundzumachen sowie im Betrieb aufzulegen.

Praktischer Nutzen

Es ist für alle Beteiligten ein einfach zu handhabendes "Vergleichsmittel". Unabhängig bei welchem Dienstgeber oder wo in Österreich der Dienstnehmer beschäftigt ist, es stehen ihm immer dieselben normierten Pflichten und Rechte zu. Ein Dienstnehmer weiß demnach immer "in dieser Branche mit dieser Position/Funktion bekomme ich diesen Brutto-Mindestgehalt". Der Arbeitgeber weiß: "Diesem Mitarbeiter muss ich mindestens diesen Betrag zahlen". Gemäß dem Günstigkeitsprinzip können aber auch höhere Beträge ausgehandelt werden.

Vereinheitlichung des Kollektivvertrages

Nach Bildung der österreichischen Regierung 2007 wurde beschlossen den Kollektivvertrag zu vereinheitlichen, was Vorteile für Arbeiter unter der Armutsgrenze bringen soll (u.A. ein Mindestlohn von 1000€).

Kollektivverträge (KV) für die Sozial- und Gesundheitsberufe

  • BAGS-KV (KV für Arbeitnehmer, die bei Mitgliedern der Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe (BAGS) beschäftigt sind)
  • KV für private Sozial- und Gesundheitsorganisationen Vorarlberg

Der BAGS-KV wurde durch das Bundeseinigungsamt beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit durch Satzungserklärung (zuletzt vom 26. Januar 2007) für Anbieter sozialer oder gesundheitlicher Dienste präventiver, betreuender oder rehabilitativer Art für Personen, die entsprechender Hilfe oder Betreuung bedürfen, für das Gebiet der Republik Österreich mit Ausnahme Vorarlbergs allgemeinverbindlich erklärt. Für Vorarlberg wurde am 24. April 2006 mit vergleichbarem Geltungsbereich der KV für private Sozial- und Gesundheitsorganisationen Vorarlberg gesatzt.

Siehe auch

Literatur

Weblinks


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