Kolonie Neuland

Kolonie Neuland
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Die Kolonie Neuland (spanisch: Colonia Neuland) ist eine im Jahr 1947 gegründete ethno-konfessionelle Siedlerkolonie deutschstämmiger bzw. plautdietscher Mennoniten im Departamento Boquerón, in der Region Chaco der Republik Paraguay. Sie zählt etwa 1.800 Einwohner.

Inhaltsverzeichnis

Geschichtlicher Hintergrund

Der Werdegang dieser protestantischen Religionsgemeinschaft charakterisiert sich insbesondere durch konfessionelle Merkmale und Traditionen, wie beispielsweise die Bibeltreue, die Glaubens- bzw. Erwachsenentaufe, die pazifistische Gesinnung und die Eidesverweigerung, aber auch die lange Pilgerschaft und die plautdietsche Sprache gehören zu den Besonderheiten dieser Religionsminderheit.

Der Glaube und die wiedertäuferische Überzeugung entstanden in der Schweiz während der protestantischen Reformation Martin Luthers, als eine Gruppe von Personen sich entschied, die Kindertaufe, die Verbindung von Kirche und Staat und den Militärdienst nicht mehr zu akzeptieren. Diese Entscheidung löste eine grausame Verfolgung aus, die die Zerstreuung ihrer Anhänger über ganz Europa zur Folge hatte. Menno Simons, ein holländischer katholischer Priester, trat dieser neuen Glaubensrichtung bei und begann diese „zerstreuten Schafe“ zu sammeln. Während der Begriff „Mennoniten“ zunächst als Schimpfwort verwendet wurde, hat sich diese Bezeichnung für diese Wiedertäufergruppe im Laufe der Zeit eingebürgert und durchgesetzt. Während ihrer Pilgerschaft flüchteten die Mennoniten in verschiedene Länder. 1540 kam ein Teil der Mennoniten von Holland nach Preußen und danach, 1789, wanderten dann die ersten preußischen Mennoniten in die Ukraine bzw. nach Russland aus.

Zur Gründung der Kolonie Neuland

Neuland wurde im Jahr 1947 als letzte der drei Mennonitenkolonien (die zwei Nachbarkolonien heißen Menno und Fernheim) im paraguayischen Chaco gegründet. Diese Einwanderer flüchteten während des 2. Weltkriegs aus der Ukraine und waren nach dem Krieg für einige Jahre in verschiedenen Lagern in Deutschland zwischenstationiert.

Am 22. Januar 1948 gab man der neuen Siedlung den Namen „Neuland“ und das Zentrum der Kolonie (Kolonie wird hier als „Siedlung“ verstanden) wurde mit dem Namen „Neu-Halbstadt“ bezeichnet. Als offizieller Gründungstag der Kolonie Neuland wurde jedoch der 1. Februar 1947 festgelegt. Die Einwanderer, 2.331 Personen, verteilten sich auf 27 Dörfer, einige bis zu 50 km vom Zentrum Neu-Halbstadt entfernt. Diese Siedler fanden in Neuland eine neue Heimat und buchstäblich „neues Land“. Wegen der vielen physischen und wirtschaftlichen Belastungen, sowie schweren klimatischen Bedingungen in dieser Region Paraguays, sind in den Ansiedlungsjahren jedoch wieder viele Immigranten ausgewandert.

Heute verbinden die Mitglieder der Kolonie Neuland ihren wirtschaftlichen und technischen Fortschritt mit ihrer Lebensart, der plautdietschen Sprache, die sie vereint, der deutsch-mennonitischen Mentalität, sowie der kulturellen Identität und Tradition. Die Weitergabe dieser Eigenschaften von Generation zu Generation ist für die Einwohner von Neuland von zentraler Bedeutung.

Zur geografischen Lage Neulands

Neuland befindet sich im „Herzen“ des paraguayischen Chaco, ca. 450 km nordwestlich der Hauptstadt Asunción. Eine asphaltierte Straße verbindet die Hauptstadt des Landes mit der Kolonie Neuland.

Die Gesamtfläche der Neuländer-Ländereien beträgt 220.000 Hektar und ist Eigentum der Kolonie Neuland. Die 1.800 Einwohner leben im Zentrum der Kolonie, Neu-Halbstadt, und in den mittlerweile nur noch 23 umliegenden Dörfern. Die Dörfer sind durch ein gut angelegtes Straßennetz von 500 km verbunden, das zu jeder Jahreszeit befahrbar ist. Die Unterhaltung dieser Verbindungswege wird durch die Kolonie realisiert und aus Beiträgen der Koloniemitglieder finanziert.

Zu den Sprachen der Siedler

Ein nicht unwesentliches Charakteristikum der ethno-konfessionellen Gemeinschaft mennonitischer Siedler ist, dass die allermeisten Plautdietsch sprechen, eine niederpreußische Varietät des Ostniederdeutschen, die im 16. und 17. Jh. im Weichseldelta entstand und sich im Laufe der Zeit nur minimal verändert und weiterentwickelt hat. Die Neuländer legen heute immer noch großen Wert auf die Weitergabe dieses Dialekts an jüngere Generationen. Während Plautdietsch in der Kolonie als Umgangssprache verwendet wird, wird in der Schule, Kirche und bei offiziellen Veranstaltungen zumeist Hochdeutsch gesprochen.

Außerdem sprechen die meisten Bewohner Spanisch, was durch den Kontakt mit dem benachbarten Landesvolk unentbehrlich ist. Da Spanisch auch auf den Lehrplänen der Schulen steht und darüber hinaus in anderen verschiedenen Fächern, die in Spanisch unterrichtet werden, den Schülern vermittelt wird, wachsen die Kinder in der Regel trilingual auf. Eine Resolution des nationalen Ministeriums für Bildung und Kultur für die Schulen in der Kolonie, die in privater Trägerschaft und vom Ministerium anerkannt sind, legt fest, dass der Unterricht an den Primarschulen (bzw. Volksschulen) zu 80 % in deutscher und 20 % in spanischer Sprache erfolgen muss. Des Weiteren verfügen einige Bewohner aus der „Ansiedlergeneration“ freilich noch über Russischkenntnisse, die jedoch in den allermeisten Fällen nicht mehr der kommenden Generation übermittelt werden.

Im zentralen Chaco leben acht verschiedene Ethnien zusammen, die alle ihre eigene Sprache bzw. ihren eigenen Dialekt sprechen. Viele Indigene, vor allem die ältere Generation, sprechen auch Plautdietsch, da die ersten Siedler noch über keine Sprachkenntnisse im Spanischen verfügten. Aber auch einige deutschsprachige Bewohner erlernen die Sprachen der indigenen Völker, wie etwa der Chulupí, der Lengua, der Guaraní, usw.

Zu kulturellen Einrichtungen und Veranstaltungen

Die Institutionen bzw. Anstalten der Kolonie, die Kirche und das Jugendcenter sind die Einrichtungen, die anhand verschiedener Aktivitäten das kulturelle Leben von Neuland gestalten. Zu den größten innerkolonialen Ereignissen, die für die ganze Familie konzipiert und interessant sind, gehören der Volksliederabend, das Rodeofest und das Frühlingsfest. Zudem werden interkoloniale Volley- und Fußballturniere - mit Beteiligung anderer Mennonitenkolonien wie etwa Fernheim und Menno - organisiert. Das bekannteste ist das MENEFEPA-Turnier (MENEFEPA steht als Akronym für die beteiligten Kolonien Menno, Neuland, Fernheim und Paratodo).

Die Neuländer legen viel Wert auf Musik und Gesang. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang etwa das hervorragende Jugendstreichorchester und die fantastische Blaskapelle, deren Mitglieder von internationalen Lehrern ausgebildet wurden. Das Repertoire des Streichorchesters beinhaltet klassische wie auch neuere Musik, während die Blaskapelle vor allem Volksmusik und auch geistliche Stücke spielt. Der Musikförderkreis, gegründet im Jahr 1993, organisiert u. a. verschiedene Konzerte und Rezitale.

Das Rodeofest bzw. die „Expo Rodeo Neuland“ findet jedes Jahr im Winter statt und wird vom „Club Rodeo Neuland“ und der „Kooperative Neuland“ organisiert. Da diese Veranstaltung im Laufe der Jahre wesentlich erweitert wurde und sich somit zu einer landesweit bekannten und renommierten Expo weiterentwickelt hat, gehört sie mittlerweile zu den größten nationalen Ausstellungen für Landwirtschaft, Viehzucht, Industrie, Handel und Dienstleistungen.

Wirtschaft und Tourismus

Das wirtschaftliche Einkommen der Kolonie Neuland, das sich vor allem aus den direkten Beiträgen der Mitglieder zusammensetzt, gehört der Gemeinschaft und wird hauptsächlich zur Deckung der Kosten und Schulden eingesetzt. Der Restbetrag wird für die Verbesserung und Erweiterung des Gemeinschaftsgutes bzw. der gemeinschaftlichen Einrichtungen der Kolonie verwendet. Die Verwaltungskosten aus dem Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen, und aus den Bereichen Sicherheit und Wegbau werden auch durch Beiträge der Mitglieder finanziert.

Neuland verfügt über mehrere Touristenattraktionen und es werden immer wieder Verbesserungen durchgeführt, die das Interesse der Besucher aus dem In- und Ausland wecken sollen. Seit dem Jahr 2000 gibt es von Seiten der Öffentlichkeitsarbeit der Kooperative ein Besucherprogramm, das weiter entwickelt und ausgearbeitet wird. Angestrebt wird vor allem ein edukativer Tourismus, der nicht nur das interethnische Zusammenleben im zentralen Chaco aufzeigt, sondern auch Schauplätze des Chacokrieges, Estancias, Naturreservate, die Tier- und Pflanzenwelt und andere Sehenswürdigkeiten vorstellt und erleben lässt. Zu den interessantesten touristischen Sehenswürdigkeiten der Kolonie Neuland gehört u. a. das kolonieeigene kulturhistorische Museum (in Neu-Halbstadt), der ehemalige Militärstützpunkt aus dem Chacokrieg (Fortín Boquerón), das Naturschutzgelände „Selva Serena“, das Freizeitgelände „Aurora Chaqueña“, u. v. m.

Literatur

  • Diether Götz Lichdi: Über Zürich und Witmarsum nach Addis Abeba. Die Mennoniten in Geschichte und Gegenwart. Agape Verlag, 1983 erste Auflage. ISBN 3-88744-401-9
  • Hanne Baltes und Friedrich Fischer: Die Mennoniten. Bauern und Pioniere in Europa und Amerika. Eine kulturgeographische Untersuchung. Im Selbstverlag, Bliesdruckerei, Blieskastel, 2001.
  • Peter P. Klassen: Die Mennoniten in Paraguay. Band 1: Reich Gottes und Reich dieser Welt. Bolanden-Weierhof, Mennonitischer Geschichtsverein e.V., 1988. ISBN 3-921881-05-6
  • Peter P. Klassen: Die Mennoniten in Paraguay. Band 2: Begegnung mit Indianern und Paraguayern. Bolanden-Weierhof, Mennonitischer Geschichtsverein e.V., 1991.
  • Jakob Warkentin: Die deutschsprachigen Siedlerschulen in Paraguay im Spannungsfeld staatlicher Kultur- und Entwicklungspolitik. Waxmann Verlag GmbH, 1998, Münster; New York; München; Berlin. ISBN 3-89325-672-5
  • Jakob Warkentin: Erziehung und Bildung im Raum der Schule. Band 1.
  • Jakob Warkentin: Erziehung und Bildung im Raum der Kolonie. Band 2.
  • Gerhard Ratzlaff: Robert und Myrtle Unruh. Dienst an der Gemeinschaft mit nachhaltiger Wirkung.
  • Jakob Warkentin, Heinrich H. Dyck, Johann & Monika Gossen: 50 Jahre Kolonie Neuland, Chaco - Paraguay. 1947 - 1997.

Weblinks

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