Kommunikative Bibelübersetzung

Kommunikative Bibelübersetzung

Mit dem Begriff kommunikative Übersetzung bezeichnet man einen Typ von Übersetzung, der die Kommunikationswirksamkeit zur ersten Norm nimmt, also das Verständnis des Rezipienten[1] bzw. die "Wirkungstreue".[2] Man spricht auch von „dynamischer“[3], „funktionaler“ und „kommunikativer“ „Äquivalenz“, womit eine Gleichwertigkeit von Ziel- und Ausgangstext hinsichtlich gleicher „kommunikativer Werte“ (gleichwertige kommunikative Wirkung bzw. Funktion), nicht notwendig auch gleicher Bedeutung (Sinntreue) gemeint ist.[4] Ausdrücke, die in der Zielsprache uneindeutig gebraucht werden, werden bei diesem Übersetzungstyp vermieden. Das verunmöglicht oft Formulierungen, die der Satzstruktur oder der Semantik der Einzelworte des Ausgangstexts parallel bleiben („formale Äquivalenz“). Derartige „wörtlichere“ Bedeutungen werden hin und wieder ergänzend beigegeben. Auch von neuem und altem Testament wurden verschiedene kommunikative Übersetzungen vorgelegt, etwa vom US-amerikanischen Theologen und Linguisten Eugene Nida[5].

Inhaltsverzeichnis

Vorteile und Nachteile

Vertreter einer kommunikativen Übersetzung betonen z.B. Unterschiede in der Kultur, in welcher der Ausgangstext entstand, und jener, für welche der Zieltext anzufertigen ist. Beispielsweise haben sich mit einem Wandel der Lebensumstände auch die eingeprägten Assoziationen zu bestimmten Motiven oder die Wertvorstellungen etwa bezüglich der Familienstrukturen verändert. Speziell Texte, die mit derartigen Bild- und Wertvorstellungen arbeiten, wie etwa Parabeln, sind daher schwer zugleich formal wie funktional äquivalent zu übersetzen. Sofern aber der intendierte Übersetzungszweck das Verständnis des Rezipienten präferiert, müsse ggf. eine vom Ausgangstext abweichendere Sprachform gesucht werden, welche in der Zielsprache die Funktion des Ausgangstextes gleichwertig erfüllen kann. Dies führt natürlich auch dazu, dass vielfach im Ausgangstext identische Wörter im Zieltext je nach Kontext mit verschieden Ausdrücken wiedergegeben werden.

Die Präferenz kommunikativer vor formaler Äquivalenz führt dazu, dass der Übersetzer nach kommunikativ wertgleichen Formulierungen in der Zielsprache selbst suchen muss. Der Eigenanteil an interpretativen Eingriffen in Textstruktur und Semantik ist daher naturgemäß höher, zumal Mehrdeutigkeiten vereindeutigt werden müssen. Einige Kritiker halten kommunikativen Bibelübersetzungen z.B. „schwerwiegende Umdeutungen“ vor und halten das Übersetzungsprinzip funktionaler Äquivalenz weit eher für reine Gebrauchstexte wie etwa technische Bedienungsanleitungen für tauglich.[6]

Verwendung

In vielen christlichen Gemeinden, sowohl der evangelischen Landeskirchen, der katholischen Kirche als auch der evangelischen Freikirchen werden kommunikative Bibelübersetzungen eingesetzt. Im fachwissenschaftlichen Gebrauch sind i.d.R. nur formal-äquivalente Übersetzungen akzeptabel.[7]

Beispiele kommunikativer Bibelübersetzungen

Literatur

  • Ines-A. Busch-Lauer: Textgattungen in der sprachwissenschaftlichen Übersetzungsforschung, in: Harald Kittel et al. (Hgg.): Übersetzung. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung, Bd. 1, de Gruyter, Berlin 2004, S. 607-618.
  • Rudolf Kassühlke: Eine Bibel - viele Übersetzungen, Ein Überblick mit Hilfen zur Beurteilung, Brockhaus, Wuppertal 1998.
  • Lynne Long (Hg.): Translation and religion. Holy untranslatable?, Multilingual Matters, Tonawanda, NY u.a. 2005, darin u.a. Peter Kirk: Holy Communicative?, Current approaches to bible translation worldwide, S. 89-102.
  • Katharina Reiß: Was heißt übersetzen?, in: Joachim Gnilka / Hans Peter Rüger (Hgg.): Die Übersetzung der Bibel - Aufgabe der Theologie, Luther-Verlag, Bielefeld 1985, S. 33-47.
  • Katharina Reiß / Hans-Josef Vermeer: Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie, Niemeyer, Tübingen 1984, 2. A. 1991.
  • Heidemarie Salevsky: Translationswissenschaft. Ein Kompendium. Bd. 1. Unter Mitarbeit von Ina Müller und Bernd Salevsky. Lang, Frankfurt am Main u.a. 2002, darin insb. S. 202-255 ein Überblick über die wichtigsten "Theorien und Modelle des Übersetzens" einschließlich Reiß, Komissarov, Koller, Snell-Hornby, Nida, Svecjer, Vermeer, Toury.

Einzelnachweise

  1. Radegundis Stolze, Hermeneutik und Translation, Gunter Narr Verlag, Tübingen 2003, S. 147
  2. Dieses Konzept geht v.a. zurück auf Rudolf Schottlaender: Zur Aktualisierung antiker Dramatik. Der Grundsatz des wirkungsgetreuen Übersetzens, in: J. Harmatta / W. O. Schmitt (Hgg.): Übersetzungsprobleme antiker Tragödien, Berlin 1969, S. 89-93 sowie Hans J. Vermeer: Zur Beschreibung des Übersetzungsvorgangs, in: W. Wilss / G. Thome (Hgg.): Aspekte der theoretischen, sprachbezogenen und angewandten Sprachwissenschaft, Heidelberg 1974. Vermeer ist später von seiner Forderung der "Wirkungstreue" abgerückt, vgl. das Nachwort zum Wiederabdruck des Textes in: W. Wilss (Hg.): Übersetzungswissenschaft, Darmstadt 1981, 250-262. Eine Klassifikation von Bibelübersetzungen nach "strukturtreu", "sinntreu", "wirkungstreu" schlägt z.B. vor: Heidemarie Salevsky: Übersetzungstyp, Übersetzungstheorie und Bewertung von Bibelübersetzungen, in: Walter Gross (Hg.): Bibelübersetzung heute, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2001, S.119-150.
  3. E. A. Nida: Towards a science of translation, with special reference to principles and procedures involved in Bible translating. Leiden: Brill 1964. Vgl. zur Rezeption von Begriffsbildung und Konzept z.B. Kirk 2005, 92ff.
  4. Begriffsbildung und Klassifikation gehen zurück auf Reiß/Vermeer 1984.
  5. Für die zugrundeliegenden Übersetzungsprinzipien argumentieren z.B. J. de Waard / E. A. Nida: From one Language to Another, Functional Equivalence in Bible Translation, Nelson, Nashville 1986.
  6. So z.B. eine Wortmeldung von Stefan Felber / Bernhard Rothen / Peter Wick: 18 Thesen zu den modernen Bibelübersetzungen, die den Anspruch größerer Verständlichkeit erheben.
  7. Vgl. etwa M. J. Gorman: Elements of Biblical Exegesis, Hendrickson, Peabody, Massachusetts 2009, S. 43f et passim.

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