Kraichnan

Kraichnan

Robert H. Kraichnan (* 15. Januar 1928 in Philadelphia; † 26. Februar 2008 in Santa Fe) war ein US-amerikanischer theoretischer Physiker, bekannt für Arbeiten über die Theorie der Turbulenz.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kraichnan studierte am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo er 1949 promoviert wurde. 1949/50 war er am Institute for Advanced Study Assistent von Albert Einstein. Danach war er an der Columbia University und dem Courant Institute of Mathematical Sciences of New York University. Ab 1962 arbeitete er freiberuflich als Berater und mit Forschungsstipendien u.a. für das Los Alamos National Laboratory, Princeton University, das Office of Naval Research, Woods Hole Oceanographic Institution und die NASA. Dabei wohnte er als passionierter Naturwanderer zunächst in den Bergen New Hampshires und dann in New Mexico nahe Los Alamos bzw. in Santa Fe. Zuletzt war er seit 2003 „Homewood Professor“ in der „Whiting School of Engineering“ der Johns Hopkins University, zu dieser Zeit aber bereits erkrankt.

1993 gewann er den Otto Laporte Preis der American Physical Society, den Onsager Preis und 2003 die Dirac-Medaille. Er war Mitglied der National Academy of Sciences.

Er war zweimal verheiratet und hatte einen Sohn. Er lebte zuletzt mit seiner Frau, der Künstlerin und Fotografin Judy Moore-Kraichnan, in Santa Fe.

Werk

In den 1950er Jahren beschäftigte er sich auch mit Quantenfeldtheorie und das quantenmechanische Vielteilchenproblem. Er entwickelte dafür ab 1957 selbstkonsistente Feldtheorien, „N-random-coupling-models“, in der N Exemplare einer mikroskopischen Theorie in zufälliger Weise aneinander gekoppelt sind.

Aufbauend auf Arbeiten von Andrei Kolmogorow (1941), Lars Onsager (1945), Werner Heisenberg (1948), Carl Friedrich von Weizsäcker und anderen zur statistischen Theorie der Turbulenz von Flüssigkeiten entwickelte er ab 1957 eine feldtheoretische Formulierung in ähnlicher Richtung wie seine Theorie quantenmechanischer Vielteilchensysteme („Direct Interaction Approximation“)[1], der er ab 1964/5 eine Lagrange-Formulierung gab[2] (mit einem korrekten Skalierungsverhalten, das in seiner Arbeit von 1958 noch falsch angegeben war). Die statistische Theorie der Turbulenz viskoser Flüssigkeiten sagt eine skaleninvariante (das heißt einem Potenzgesetz folgende) Verteilung der Turbulenz-Moden voraus, wobei größere Wirbel in kleinere zerfallen und so ihre Energie „zerfließt“ (Dissipation). Das wird nicht durch Reibung auf Molekularebene verursacht, sondern durch die nichtlinearen Effekte der zugrundeliegenden Navier-Stokes-Gleichung.

Kraichnan entwickelte seine Turbulenztheorien über viele Jahrzehnte und war einer der führenden US-amerikanischen Theoretiker auf diesem Gebiet. 1967 sagte er voraus[3], dass sich in der zweidimensionalen Turbulenz Energie nicht nur von großen Skalen (etwa bestimmt durch Hindernisse im Strömungsfluß) auf kleinere verteilt wie in drei Dimensionen, sondern das umgekehrt kleinere Fluktuationen anwachsen („Inverse Energy Cascade“). Die zweidimensionale Theorie hat Anwendungen vor allem in der Ozeanographie und Meteorologie und wurde z.B. in den 1980er Jahren durch Wetterballon-Daten bestätigt[4]. Einflussreich war auch eine Arbeit Kraichnans von 1994, in der er ein exakt lösbares Turbulenzmodell (Kraichnan-Modell) vorstellte und anomale Skalierungsfaktoren für das darin vorkommende passive Skalarfeld berechnete (das Advektion beschreibt und z.B. für die Konzentration einer Chemikalie in einer strömenden Flüssigkeit steht).[5].

Kraichnan beschäftigte sich schon als Schüler mit Allgemeiner Relativitätstheorie, gewann damit die Westinghouse-Science-Competition für Schüler und schrieb darüber seine Bachelor-These am MIT 1947 („Quantum Theory of the Linear Gravitational Field“)[6]. Vor Suraj N. Gupta, Richard Feynman und Steven Weinberg zeigte er damals, das die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie unter einigen plausiblen Zusatzannahmen aus der ihrer linearisierten Form entsprechenden Quantenfeldtheorie eines masselosen Spin 2 Teilchens (Graviton) folgen, das an den Energie-Impuls-Tensor der Materie koppelt.[7]. Die nichtlinearen vollen Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie folgen daraus, das in dem Energie-Impuls-Tensor in selbst-konsistenter Weise die Beiträge der Gravitonen selbst berücksichtigt werden.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Kraichnan Higher Order Interactions in Homogeneous Turbulence Theory, Physics of Fluids, Bd. 1, 1958, S.358, Irreversible statistical mechanics of incompressible hydromagnetic turbulence, Physical Review, Bd. 109, 1958, S.1407-1422, The structure of turbulence at very high Reynolds number, Journal of Fluid Mechanics, Bd.5, 1959, S.497
  2. Kraichnan Decay of isotropic turbulence in the Direct Interaction Approximation, Physics of Fluids Bd. 7, 1964, S.1030, Kolmogorovs Hypotheses and Eulerian Turbulence Theory, ebenda, S.1723, Lagrangian-history closure approximation for turbulence, Physics of Fluids, Bd.8, 1965, S.575, Isotropic Turbulence and inertial range structure, Physics of Fluids, Bd.9, 1966, S.1728, Inertial range transfer in 2 and 3 dimensional turbulence, Journal of Fluid Mechanics, Bd.47, 1971, S.535
  3. Kraichnan Inertial Ranges in 2 dimensional turbulence, Physics of Fluids, Bd.10, 1967, S.1417
  4. George Boer, Theodore Shepherd Large-scale two-dimensional turbulence in the atmosphere, Journal Atmospheric Science, Bd. 40, 1983, S.164
  5. Kraichnan Anomalous Scaling for a randomly advected passive scalar, Physical Review Letters, Bd.72, 1994, S.1016
  6. Preskill, Thorne, Vorwort in Richard Feynman, „Lectures on Gravitation“. Sie berichten darin, dass Einstein selbst damals wenig begeistert davon war, da Kraichnans Vorgehen Einsteins eigenen hart errungenen Weg über die geometrische Interpretation seiner Feldgleichungen umging. Preskill und Thorne vergleichen auch die verschiedenen Arbeiten von Gupta, Feynman, Kraichnan, Deser, Wald, Weinberg: ps-Datei
  7. Kraichnan "Special-Relativistic Derivation of Generally Covariant Gravitation Theory", Physical Review, Bd. 98, 1955, S.1118-1122. „Possibility of unequal gravitational and inertial masses“, Physical Review, Bd. 101, 1956, S.482-488

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