Kulturbetriebslehre

Kulturbetriebslehre

Kulturbetriebslehre ist ein Studienfach, das den Kulturbetrieb untersucht. Dabei widmet es sich den historisch gewachsenen, gesellschaftlichen Organisationsformen der Konzeption, Produktion, Distribution, Vermittlung, Rezeption, Konservierung und Erhaltung spezifischer Kulturgüter.[1].

Inhaltsverzeichnis

Forschungsprogramm

Der Kulturbetrieb stellt eine Schnittstelle zwischen unterschiedlichen sozialen Bereichen dar. Gesellschaftliche Strukturen wie Klassen, Geschlechterrollen, ethnische Zuordnungen usf. und ihre kulturellen Ausdrucksformen, Stile, Rezeptionsgewohnheiten überschneiden sich mit wirtschaftlichen Interessen und politischen Aspekten. Die Kulturbetriebslehre möchte den Kulturbetrieb als Ganzen in den Blick bringen und mittels unterschiedlichen disziplinären Zugängen untersuchen. Dabei spielen kultur-, sozial-, wirtschafts- und politikwissenschaftliche Ansätzen eine Rolle.

Zu ihren Forschungsgegenständen gehören Kulturgüter, Sinn- und Wertbildungsprozesse im Kulturbetrieb, Finanzierungsstrukturen, Wertschöpfungsstrukturen, (De-)Institutionalisierungsprozesse und Organisationswandel im Kulturbetrieb, legistische Rahmen, kulturpolitische Konzepte und Instrumente. Außerdem untersucht sie die Bedingungen unter denen diese entstehen.

Forschungsebenen

Der Begriff Kulturbetrieb ist im Sprachgebrauch zweideutig. Er läßt sich auf einer Makroebene und einer Mikroebene definieren. Aus einer makrosoziologischen Perspektive stellt er eine sozialwissenschaftliche Abstraktion dar, nämlich einen gesellschaftlichen Sektor, der sich schrittweise ab dem 18. Jh. mit der Formation der bürgerlichen Gesellschaftsordnung gebildet und intern ausdifferenziert hat. Auf der Mikroebene bedeutet Kulturbetrieb eine kulturelle Organisation oder Unternehmung (z.B. Verein, Stiftung, Erwerbs- oder Aktiengesellschaft), die humane und finanzielle Ressourcen bündelt und einsetzt, um bestimmte Ziele möglichst effizient zu erreichen. Hier sind sowohl Organisationen als auch individuelle Akteure relevant, das heißt die Kulturbetriebslehre muss neben organisationstheoretischen auch sozialpsychologischen, berufssoziologischen, sozialisations- und handlungstheoretischen sowie epistemologischen Aspekte berücksichtigen, um kollektives wie auch individuelles Handeln verstehend zu erfassen. Die wechselseitige Bezugnahme und Beeinflussung der Makro- und Mikroebene ist von zentraler Bedeutung.

Forschungsgegenstand

Die Kulturbetriebslehre befasst sich mit dem Formationsprozess von Kulturgütern und kulturellen Leistungen sowie ihrer Transformation zu Tauschgegenständen bzw. zu kulturindustriellen Waren. Neben dem Prozess der Produktion und Distribution von Kulturgütern und Leistungen spielen Sinn- und Wertbildungsprozesse sowie die Präferenzbildung und Wahrnehmungsgewohnheiten des Publikums eine wichtige Rolle bei der Entfaltung kultureller Aktivitäten. Da viele kulturelle Aktivitäten in einem weitgehend institutionalisierten Raum stattfinden, befasst sich die Kulturbetriebslehre mit den Finanzierungsstrukturen, Wertschöpfungsketten, dem Organisationswandel im Kultursektor, legistischen und kulturpolitischen Rahmenbedingungen u.a. Unter Bezugnahme auf institutions- und organisationstheoretische Ansätze untersucht sie außerdem betriebliche Abläufe sowie spezifische strukturelle Merkmale des Kulturmanagement. Berufssoziologische Aspekte betreffend die Arbeitsteilung und Integration unterschiedlicher Tätigkeiten sind ebenfalls relevant für das Verständnis des Zusammenwirkens von mehreren Berufsgruppen im Kulturbetrieb.

Abgrenzung zu anderen Studienfächern

Auch wenn sich die Kulturbetriebslehre als interdisziplinäres Studienfach versteht, können einige Abgrenzungen zu anderen Studienfächern genannt werden:

  • Während sich die Kulturmanagementlehre in Anlehnung an die Betriebswirtschaftslehre generell als anwendungsorientiertes Fach versteht, verfolgt die Kulturbetriebslehre nicht unmittelbar dieses Ziel. Sie beobachtet, analysiert und kommentiert Strukturen und Prozesse im Kultursektor und in Kulturorganisationen, um dann mittelbar Anstöße für kulturpolitische, kulturökonomische sowie für innerbetriebliche Entwicklungen, also für das Kulturmanagement und die Kulturadministration zu liefern. In diesem Sinne beschäftigt sich die Kulturbetriebslehre auch mit Grundlagenforschung.
  • Die Kulturbetriebslehre zielt auf die Erforschung der Entstehung und Wandlung von spezifischen Kulturgütern. Das beinhaltet eine Abgrenzung (nicht im Sinne einer Abwertung) vom breiten Kulturbegriff, der im kulturwissenschaftlichen Diskurs existiert. Dort wird alles, was vom Menschen geschaffen wurde und durch Sozialisationsprozesse ermöglicht ist, unter "Kultur" subsumiert. Die Kulturbetriebslehre schränkt sich hingegen ein und spricht von Kulturgütern vorwiegend im Zusammenhang einer konkreten institutionellen Umgebung. Zwar gab es in der Kulturgeschichte Zeiten, als Musik oder Malerei sich ohne Kulturbetrieb entwickeln konnten; Kulturbetriebsforscher insistieren jedoch, dass Kulturgüter und Leistungen nicht von ihrem jeweils aktuellen Produktions-, Distributions- und Vermittlungsumfeld abstrahiert werden dürfen.
  • Die Vermarktung von Kulturgütern setzt klare Eigentumsverhältnisse sowie die Herstellung von Knappheit voraus – beide werden durch rechtliche und wirtschaftspolitische Eingriffe geschaffen. Im Unterschied zu gängigen kulturökonomischen Studien geht die Kulturbetriebslehre davon aus, dass die Bildung von nicht-ökonomischen Werten kein bloßes Beiwerk zur Preisbildung darstellt. Monetäre und nicht-monetäre Wertbildungsprozesse stehen in einem wechselseitigen, oft spannungsgeladenen Bezug zueinander. Kulturgüter, die Tauschfunktionen erfüllen, müssen daher in ihren vielfältigen, symbolischen wie auch ökonomischen, privaten wie auch öffentlichen, sozialen wie auch politischen Funktionen erfasst werden.

Literatur

  • William Baumol und William Bowen: Performing Arts – The economic Dilemma. 20th Century Fond, Cambridge 1966
  • Howard Becker: Art Worlds. University of California Press, Berkeley 1982
  • Peter Bendixen: Einführung in die Kultur- und Kunstökonomie. Westdeutscher Verlag, Opladen 1998
  • Judith Blau: The Shape of Culture. Cambridge University Press, Cambridge 1992/1989
  • Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1999/1992
  • Richard Caves: Creative Industries. Contracts between Art and Commerce. Harvard University Press, Cambridge 2000
  • Diana Crane: The Production of Culture. Sage, Newbury Park 1992
  • Werner Hasitschka: Kulturbetriebe. In: Erich Frese (Hrsg.): Handwörterbuch der Betriebswirtschaft. Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2007, S. 1014–1019
  • Werner Heinrichs: Der Kulturbetrieb. Transcript, Bielefeld 2006
  • David Hesmondhalgh: The Culture Industries. Sage, London 2002
  • Arjo Klamer (Hrsg.): The Value of Culture. On the Relationship between Economics and Arts. Amsterdam University Press, Amsterdam 1996
  • Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1995
  • Werner Pommerehne und Bruno Frey: Musen und Märkte. Ansätze zu einer Ökonomik der Kunst. Vahlen, München 1993
  • Larry Ray und Andrew Sayer (Hrsg.): Culture and Economy after the Cultural Turn. Sage, London 1999
  • David Throsby: Economics and Culture. Cambridge University Press, Cambridge 2001
  • Peter Tschmuck: Kreativität und Innovation in der Musikindustrie. StudienVerlag, Innsbruck 2003
  • Tasos Zembylas: Kulturbetriebslehre. Begründung einer Inter-Disziplin. VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004
  • Tasos Zembylas und Peter Tschmuck (Hrsg.): Kulturbetriebsforschung. Ansätze und Methoden. VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Vgl. Tasos Zembylas: Kulturbetriebslehre. Begründung einer Inter-Disziplin. Wiesbaden 2004, S. 13

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