Kurt Schumacher

Kurt Schumacher
Kurt Schumacher

Kurt Schumacher (* 13. Oktober 1895 in Culm, Westpreußen; † 20. August 1952 in Bonn; vollständiger Name: Curt Ernst Carl Schumacher) war ein deutscher Politiker.

Er war Parteivorsitzender der SPD von 1946 bis 1952 und SPD-Fraktionsvorsitzender sowie Oppositionsführer in der 1. Wahlperiode (1949 bis 1952) des Deutschen Bundestags.

Kurt Schumacher war in der Zeit von 1945 bis 1949 maßgeblich am Wiederaufbau der SPD in Westdeutschland beteiligt. In den ersten Jahren der Bundesrepublik war Schumacher der große Gegenspieler Konrad Adenauers. Auch wenn Schumacher langfristig mit seinen politischen Vorstellungen zum größten Teil scheiterte, gehörte er doch zu den Gründervätern der Bundesrepublik Deutschland. Hervorzuheben ist seine strikte Ablehnung der SED. Durch diese Haltung prägte er das Profil der Sozialdemokratie in der Bundesrepublik entscheidend.

Kurt Schumacher auf der 2-DM-Münze
Briefmarke zum 100. Geburtstag

Inhaltsverzeichnis

Leben

Schumacher stellte nach seiner Promotion in Rechtswissenschaften sein gesamtes Leben aktiv in den Dienst der SPD. Vor 1933 war er zunächst Redakteur einer Parteizeitung, dann Landtags- und Reichstagsabgeordneter. Den größten Teil der Zeit des Nationalsozialismus musste er im KZ verbringen. Nach 1945 wurde er unumstrittener Parteiführer und eine der prägenden Gestalten der frühen Bundesrepublik.

Im Gegensatz zum Fuchs Adenauer beschreibt sein Biograf Peter Merseburger ihn in Anlehnung an Machiavellis Terminologie als Löwen. Ausgesprochen willensstark, polemisch und scheinbar unbeirrbar in seinen Vorstellungen, bildete er das in der Wahrnehmung der Zeitgenossen ebenso charismatische Gegenbild zum ersten Bundeskanzler. Der preußische Sozialist Schumacher war in den ersten Nachkriegsjahren in der öffentlichen Meinung der klar dominierende Politiker Westdeutschlands. Erst durch die Wahl des rheinischen Katholiken Adenauer zum Kanzler und den fast gleichzeitig einsetzenden endgültigen körperlichen Verfall Schumachers wandelte sich dieses Bild.

Seine Forderungen trug Schumacher mit leidenschaftlicher Radikalität vor. Seinen rechten Arm hatte er im Ersten Weltkrieg verloren, sein linkes Bein musste im September 1948 amputiert werden; die Zeit im Konzentrationslager hatte seiner Gesundheit schwer geschadet. Ausgemergelt und körperlich geschädigt, war der Kettenraucher doch mit einem scheinbar bis zum Starrsinn reichenden unbeugsamen Willen versehen und wirkte auf viele seiner Zeitgenossen und Gesprächspartner wie ein lebendes Symbol moralischer Aufrichtigkeit und des unbeugsamen Kampfes für einen freiheitlichen Sozialismus.

Zeit bis 1945

Kindheit und Schulzeit

Geburtshaus Schumachers
in Culm (heute Chełmno)

Der Preuße Schumacher wurde als viertes Kind und einziger Sohn des evangelischen Kaufmanns Carl Schumacher und seiner Frau Gertrud geb. Meseck am 13. Oktober 1895 im westpreußischen Culm (heute Chełmno) geboren. Der Eintrag im Standesamt lautete auf Curt Ernst Carl Schumacher. Sein Vater Carl war nicht nur geschäftlich erfolgreich, sondern auch politisch aktiv. Der Anhänger der linksliberalen Deutschen Freisinnigen Partei übte für viele Jahre das Amt des Culmer Stadtverordnetenvorstehers aus; höchstwahrscheinlich (genaue Daten sind nicht überliefert) unterstützten ihn dabei auch die polnischen Abgeordneten. Die Schumachers hatten weitverzweigte verwandtschaftliche Beziehungen zur Führungselite der Stadt.

Seit 1911 war Carl auch Kreistagsabgeordneter, 1914 und 1917 vertrat er Culm bei den Verhandlungen des Reichsverbandes deutscher Städte. Kurt Schumacher las in dieser Zeit die Sozialistischen Monatshefte – die Zeitschrift des revisionistischen Flügels der SPD – und den März, eine linksliberale, von Hermann Hesse und Ludwig Thoma herausgegebene Zeitschrift. Der Junge aus gutbürgerlichem Haus galt in der Schule als überzeugter Sozialdemokrat, litt aber unter der Vereinsamung, die eine solche Haltung innerhalb der westpreußischen Gesellschaft mit sich brachte.

Gedenkplatte, Kurt-Schumacher-Haus,
Berlin-Wedding

In einem Selbstporträt, das Schumacher 1924 zur Bewerbung bei einem Doktorvater anfertigte, schrieb er: „Mein Interesse für historische und politische sowie philosophische Dinge brachte mich sehr frühe dem Sozialismus nahe. Die üble und ungünstige Umgebung, die eine ostmärkische Kleinstadt für solche Interessen nun einmal ist, hat mich notgedrungen sehr frühzeitig zu einer Schablonisierung meiner Ansichten gebracht – spätestens seit meinem 15. Jahre zählte ich mich innerlich zur Sozialdemokratischen Partei. Allerdings fehlte diesen ‚Schablonen‘ dadurch manches ihrer Gefährlichkeit, dass ich durch die Lektüre Bernsteins (was mir heute etwas sehr sonderbar vorkommt) Sozialdemokrat im Parteisinn geworden bin.“ Die Prägung durch Eduard Bernstein und dessen Stellung gegen den orthodoxen Marxismus begleitete Schumacher sein ganzes Leben lang.

Culm lag nur 30 km von der Grenze des damals zaristischen Russlands entfernt. Seine Mitschüler waren zum größten Teil Polen – in seiner Abschlussklasse befanden sich acht Deutsche und 14 Polen. Am Gymnasium in Culm war einige Jahre vor Schumachers Einschulung der Gebrauch der polnischen Sprache verboten worden; ein Verbot, das jährlich rituell in einer großen Versammlung wiederholt wurde. Durch seinen Mitschüler und Freund Franciszek Raszeja wurde Schumacher in die traditionsreiche, aber verbotene Philomatenvereinigung der Polen aufgenommen und lernte so deren Einstellungen sowie die polnische Kultur kennen.

Kriegsfreiwilliger

Bei der ersten möglichen Gelegenheit meldete sich Schumacher kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs am 2. August 1914 als Kriegsfreiwilliger – ohne zu ahnen, wie sich dies auf seine Schullaufbahn auswirken würde. Sein Entschluss fiel unter anderem aus der Überlegung, die Grenzstadt Culm sei in akuter Gefahr, Frontstadt und Opfer einer Belagerung zu werden. Er kehrte noch einmal kurz zur Schule zurück, um das Notabitur abzulegen. Sein (nicht selbst gewähltes) Aufsatzthema im Abitur bezog sich zeitgemäß auf das Schiller-Thema: Will, ruf' ich aus, das Schicksal mit uns enden, So stirbt sich's schön, die Waffe in den Händen. Schumacher war noch Jahrzehnte später tief beeindruckt davon, dass sich in den darauf folgenden Tagen auch die meisten seiner polnischen Mitschüler auf deutscher Seite als Kriegsfreiwillige meldeten – vor allem aus der Motivation heraus, gegen Russland zu kämpfen.

Als Soldat im Infanterie-Regiment Nr. 21 wurde er bereits am 2. Dezember 1914 bei Bielawy westlich von Łowicz in Polen schwer verwundet, so dass ihm der rechte Arm amputiert werden musste. Der 1,85 m große Schumacher magerte in den folgenden Monaten von 72 auf 43 kg ab und litt an der Ruhr. Am 10. Oktober 1915 wurde Schumacher offiziell aus dem Militär entlassen. Für den Verlust seines rechten Arms erhielt er eine monatliche Rente von 33,75 Mark zuzüglich einer Kriegszulage von 15 Mark, der einfachen Verstümmelungszulage von 27 Mark sowie das Eiserne Kreuz zweiter Klasse. Culm fiel nach dem Ersten Weltkrieg an Polen. Die Entscheidung war von heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Stadt begleitet. Teile seiner Familie zogen ins verbleibende Deutsche Reich, andere blieben in Polen. Schumacher erlebte die Ereignisse zum größten Teil vor Ort, da er gerade sein Referendariat am Amtsgericht Culm ableistete.

Studium und Promotion

1915 begann er ein Studium der Rechtswissenschaft und der Nationalökonomie an den Universitäten Halle, Leipzig und seit 1917 in Berlin. Auf die Zeit in Halle und Leipzig angesprochen, äußerte er sich später laut seiner Mitarbeiterin und engen Vertrauten Annemarie Renger sowohl in politischer als auch persönlicher Hinsicht sehr zurückhaltend. In Leipzig lernte er seine Cousine Dora kennen, mit der er – von der Zeit im KZ abgesehen – eine lebenslange Liebesbeziehung aufrechterhielt. Eine Heirat mit ihr lehnte er allerdings ab. Ich habe mich nie an Menschen geklammert, sagte er später aus – allerdings dürften diese dann auch keine Ansprüche an ihn stellen.

Er beendete sein Studium 1919 mit dem juristischen Staatsexamen und wurde Mitarbeiter im Reichsarbeitsministerium. Da er in Berlin keinen Doktorvater fand, promovierte er 1926 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster zum Dr. jur. Sein Doktorvater war der bekannte Staatsrechtler Johann Plenge, der während des Ersten Weltkrieges der nationalkonservativen Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe innerhalb der SPD nahestand. Das Thema seiner mit magna cum laude abgeschlossenen Dissertation lautet: Der Kampf um den Staatsgedanken in der deutschen Sozialdemokratie. Über Plenge und Schumacher ergibt sich eine Kontinuitätslinie konservativ-nationalen Denkens innerhalb der SPD von der Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe bis hin zum heutigen, von Schumachers Mitarbeiterin Annemarie Renger mitbegründeten Seeheimer Kreis.

Die Dissertation ist von vielen Kommentatoren als inhaltliche Bekenntnisschrift Schumachers aufgefasst worden. Nach der Novemberrevolution war die SPD zur tragenden Partei im Staat geworden. Wurde sie von diesem bis 1918 vor allem bekämpft, musste sie nun mit dem Staatsapparat arbeiten. Schumacher versuchte, das Problem in seiner Dissertationsarbeit anzugehen. Darin stellte er die beiden bedeutenden Theoretiker der Sozialdemokratie, Ferdinand Lassalle und Karl Marx, nebeneinander, die für Schumacher Haupttypen aller sozialistischen Politiker darstellten: Marx, der „den Staat aus dem Endziel hinwegphilosophiert“ habe, um den „Mythus des emanzipierten Individuums“ zu schaffen, während Lassalle im „Arbeiterstaat“ das „höchste Menschheitsideal“ sehe. Schumacher entschied sich in der Situation eindeutig für die Sozialdemokratie als Staatspartei – er beschrieb die seiner Ansicht nach bestehende Notwendigkeit der Eingliederung der Arbeiter in das Staatsganze, er forderte die Notwendigkeit „der Festigung der Staatsgesinnung und der Stärkung des Abwehrwillens, vor allem gegen Russland.“

In der SPD

In seiner Leipziger und Hallenser Zeit hielt Schumacher zur Partei Abstand. Die Städte waren Hochburgen der USPD, der damalige außerparlamentarische und auf den politischen Streik hin ausgelegte Politikstil stieß ihn ab.

1917 trat er in den SPD-nahen Bund der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten ein. Sein Mitgliedausweis trug die Nummer 116 einer Organisation, die bereits 1920 über 650.000 Mitglieder hatte. Nach einem für Schumacher äußerst ungewöhnlichen mehrjährigen Zögern trat er am 8. Januar 1918, also noch zu Zeiten des Kaiserreiches und Monate vor der Novemberrevolution, in die SPD ein. Als Akademiker in der SPD gehörte er sowohl bei den Sozialdemokraten als auch in akademischen Kreisen einer deutlichen, auf beiden Seiten nicht eben beliebten Minderheit an. Während der Revolution war er, unter anderem zusammen mit Otto Braun, Mitglied des Berliner Arbeiter- und Soldatenrates. 1920 wurde die SPD auch sein Arbeitgeber: Er wurde politischer Redakteur der sozialdemokratischen Stuttgarter Zeitung Schwäbische Tagwacht. In Stuttgart fiel Schumacher als leidenschaftlicher Redner und früher Gegner der Nationalsozialisten auf. 1924 wurde er Stuttgarter Vorsitzender des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. 1930 wurde er Vorsitzender der SPD in Stuttgart, dem mitgliederstärksten Kreisverband der württembergischen SPD.

Kommunisten und Nationalsozialisten

Schon früh begann Schumacher, sich sowohl mit Kommunisten als auch Nationalsozialisten – die er beide entschieden ablehnte – auseinanderzusetzen. Schumachers Einschätzung nach hatten die Aktionen der späteren KPD und die dadurch verursachten Reaktionen der politischen Rechten maßgeblich dazu beigetragen, den Spielraum für eine wirkliche demokratische Revolution verhängnisvoll einzuengen. Er hielt die in seinem Stuttgarter Umfeld vergleichsweise starke KPD für eine vollkommen aus Moskau gesteuerte Partei – die KPD verfüge über keinerlei innerparteiliche Demokratie, ihr Verhältnis zur Demokratie und zur Gewalt sei dem der NSDAP gleich. Eine Zusammenarbeit mit der KPD war für Schumacher nicht vorstellbar.

Mit der NSDAP setzte sich Schumacher erstmals 1923 näher auseinander. Seiner Auffassung nach sei der Antisemitismus das einzige Band, das die Bewegung zusammenhalte, der Nationalsozialismus glaube allein an die Gewalt, und das postulierte Selbstbestimmungsrecht des Volkes werde dadurch zur Farce.

Abgeordneter in Land- und Reichstag

1924 wurde er Mitglied des Landtages von Württemberg. Hier war er seit 1928 Mitglied im Vorstand der SPD-Fraktion. 1931 schied er aus dem Landtag aus. Schumacher gehörte damit zu den wenigen führenden Politikern in der SPD, deren sozialdemokratische Sozialisation primär in der Weimarer Republik stattfand; er zog in der politischen Beurteilung der Situation weniger Parallelen zum Kaiserreich als die meisten seiner Kollegen und hatte dadurch ein offeneres Auge für die neuen Entwicklungen in der Weimarer Zeit.

Bei der Reichstagswahl am 20. Mai 1928 fehlten Schumacher wenige Stimmen; bei der Wahl am 14. September 1930 wurde er zum ersten Mal in den Deutschen Reichstag gewählt. Er trat als entschiedener Gegner der Tolerierungspolitik gegenüber dem 'Kabinett Brüning' auf.[1] Seit 1932 war er Mitglied des SPD-Fraktionsvorstands. Da der Reichstag nach 1930 kaum noch arbeitsfähig war, hielt Schumacher hier nur eine einzige Rede. Am 23. Februar 1932 griff er vor allem die NSDAP an: „Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen“; der NSDAP sei damit zum ersten Mal „in der deutschen Politik die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit gelungen.“ Spätestens ab dem 20. Juli 1932, dem Datum des Preußenschlags, sah sich Schumacher in unbedingter Opposition zur fortschreitenden politischen Entwicklung.

Er gehörte auch dem nach der Machtergreifung Adolf Hitlers unter erschwerten Bedingungen gewählten Reichstag an. Er war einer der wenigen Parlamentarier, die mit an der Rede Otto Wels' arbeiteten, mit der dieser das Nein der SPD zum Ermächtigungsgesetz formulierte. Die Kernaussage, „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, bestimmte Schumachers gesamtes Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus. Am 10. Juni plädierte er auf einer Sitzung der SPD-Reichstagsfraktion für die illegale Arbeit der Partei, ebenso am 19. Juni auf einer SPD-Reichskonferenz. Er war im Gegensatz zur Parteiführung, die glaubte, es könne nicht schlimmer als zu Zeiten von Bismarcks Sozialistengesetzen werden, Vertreter einer unnachgiebigen Haltung gegenüber den Nationalsozialisten. Vom 13. Juni 1933 an wurde Schumacher steckbrieflich gesucht.

Im Konzentrationslager

Am 6. Juli 1933, gut zwei Wochen nach dem Verbot der SPD, wurde Schumacher in Berlin verhaftet, nachdem er an einem geheimen sozialdemokratischen Treffen im Schwarzwald teilgenommen hatte. Schumacher bekam die Chance, eine Verzichtserklärung auf politische Betätigung zu unterschreiben und sich damit seine Freiheit zu erkaufen. Er lehnte ab. Daraufhin wurde er über einen Zeitraum von neun Jahren, neun Monaten und neun Tagen in verschiedenen Konzentrationslagern gefangen gehalten, zunächst bis Dezember 1933 im KZ Heuberg, danach bis Juli 1935 im KZ Oberer Kuhberg in Ulm, anschließend im KZ Dachau und zeitweilig im KZ Flossenbürg.

Schumacher konnte zwar als Weltkriegsveteran auf eine leichte Rücksichtnahme hoffen, riskierte aber durch mehrfachen Widerspruch und sogar einen Hungerstreik mehrmals sein Leben. Er lehnte im Konzentrationslager jeglichen Kontakt zu kommunistischen Gefangenen ab, da er sie für mitschuldig an der Machtübernahme der Nationalsozialisten hielt.

Am 16. März 1943 wurde er als schwerkranker Mann nach Hannover entlassen, wo er sich zwangsweise bis zur Befreiung am 10. April 1945 aufhalten musste. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde Schumacher vom 24. August bis 20. September 1944 inhaftiert, zunächst im Gestapo-Gefängnis in der Israelitischen Gartenbauschule Ahlem, später im KZ Neuengamme.

Wiederaufbau der SPD

Unmittelbar nach Kriegsende und der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus begann Kurt Schumacher mit dem Wiederaufbau der SPD. Wie August Bebel wurde Schumacher als wahrer Volkstribun, mitreißender Redner, Führer, an den glaubte, wer zur SPD gehörte (Peter Lösche) beschrieben. Seine Genossen spornte er immer an weiterzumachen, auch wenn es sich nicht mehr zu lohnen schien. Zur Jugend in der SPD hatte er ein gutes Verhältnis; diese bewunderte ihn wegen seiner strikten Ablehnung des Nationalsozialismus.

Bereits am 6. Mai 1945 – zu einem Zeitpunkt, als die Bildung politischer Parteien von der britischen Besatzungsmacht noch verboten war – wurde Schumacher von etwa 130 sozialdemokratischen Funktionären in Hannover zum lokalen Vorsitzenden gewählt.

Schumacher bewies im Nachkriegschaos großes organisatorisches Geschick und stieg in kurzer Zeit zur unangefochtenen Führungsfigur der Sozialdemokratie in den westlichen Besatzungszonen auf. Im Juli 1945 beauftragten elf westdeutsche Parteibezirke „den früheren Reichstagsabgeordneten Dr. Kurt Schumacher mit der organisatorischen und politischen Führung der Partei im gesamten Reich“. Schumacher agitierte heftig gegen die KPD und erklärte sie zur reinen Interessenvertretung einer „auswärtigen Macht“. Diese Macht nannte er stets Russland und sprach von einem „Zusammenstoß so ganz andersartiger Kulturen“. Damit wandte er sich gegen die damals auch in den Westzonen verbreiteten Bestrebungen zur Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Kommunisten.[2]

Nach zwölfjähriger Gewaltherrschaft wurde die SPD auf der Wennigser Konferenz vom 5. bis 7. Oktober 1945 wiedergegründet. Auf dem als erste zentrale Zusammenkunft von Sozialdemokraten bezeichneten Treffen kamen im Bahnhofs-Hotel Petersen in Wennigsen (Deister) Sozialdemokraten aus den SPD-Bezirken der Westzonen, Vertreter des Berliner Zentralausschusses der SPD (darunter Otto Grotewohl) sowie des Londoner Exilvorstands zusammen. Die britische Besatzungsmacht setzte jedoch durch, dass die Vertreter aus der britischen Zone und aus London getrennt von den anderen tagen mussten. Nur Schumacher durfte auf beiden Versammlungen sprechen. Erst nach einem heftigen Tumult ließ man auch Grotewohl als Redner zu.[3] Die Versammlung beauftragte Schumacher mit der Leitung des Wiederaufbaus der SPD in den drei westlichen Besatzungszonen. Ende 1945 setzte Schumacher den endgültigen Bruch zwischen der SPD in den Westzonen und dem von Grotewohl geführten Berliner Zentralausschuss der SPD durch.

Am 10. Mai 1946, vier Wochen nach der von ihm heftig bekämpften Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED in der sowjetischen Zone, wurde Schumacher schließlich mit 244 von 245 Stimmen zum Parteivorsitzenden der SPD in den drei westlichen Besatzungszonen gewählt. Das Büro Dr. Schumacher in Hannover entwickelte sich zur faktischen Parteizentrale, seine Mitarbeiter wie Erich Ollenhauer, Annemarie Renger, Egon Franke, Alfred Nau, Herbert Kriedemann und Herta Gotthelf bildeten das organisatorische Grundgerüst der SPD.

Kurt-Schumacher-Haus, Berlin-Wedding

Schumacher wollte die Fehler der Weimarer Republik vermeiden und griff in seinen inhaltlichen Konzepten auf Überlegungen aus der Weimarer Zeit und auf die der Sozialdemokraten im Exil zurück. Sein Einfluss auf die Entwicklung der SPD weg von der Klassenpartei mit marxistisch geprägtem Programm hin zur pluralistischen linken Volkspartei war widersprüchlich. Zum einen entstammte er keinem typischen SPD-Hintergrund, gehörte gegenüber den Führern der Weimarer Republik einer neuen Generation an und hatte sich theoretisch fundiert von jeglichen vom Marxismus geprägten Revolutionsaussichten verabschiedet. Für ihn war die Partei nicht in erster Linie eine Arbeiterpartei, sondern eine Partei von Freiheit und Gerechtigkeit. Die Arbeiter sollten zwar eine gleichberechtigte Rolle im Staat einnehmen, Schumacher aber strebte keinen Arbeiterstaat mehr an. Seine Positionen, insbesondere sein Patriotismus, öffneten der SPD auch Wähler- und Mitgliederkreise, die ihr bisher verschlossen gewesen waren. Andererseits erstickte er auch innerparteiliche Diskussionen, die immer wieder beispielsweise von Carlo Schmid angeregt wurden, im Keim. Die Anregungen, die so insbesondere durch den Aufenthalt vieler Sozialdemokraten im Exil entstanden, brauchten dadurch Jahre länger, um innerparteilich wirksam zu werden.

Autoritärer Führungsstil

Schumacher sah die Partei als wichtigste Trägerin des politischen Systems an. Angesichts der großen Aufgaben im Nachkriegschaos, denen sich die frühe bundesdeutsche Politik stellen musste, sicher aber auch persönlichkeitsbedingt, war für ihn die Einheit der Partei eines der wichtigsten Ziele.

Zu den oft kritisierten Eigenschaften Kurt Schumachers gehörte sein autoritärer Führungsstil. Der in dieser Hinsicht vollkommen gegensätzlich gelagerte Willy Brandt charakterisierte ihn in seinem Buch Links und frei so: „Ich begriff – etwas widerstrebend – die magnetische Wirkung, die er auf viele ausübte. Er bat nicht, er forderte. Er wog nicht Argumente gegeneinander ab, sondern schleuderte das Ergebnis seines Nachdenkens in den Zuhörerkreis – und dies mit erheblichem Stimmaufwand.“

Schumacher verlangte von den Mitgliedern der SPD eine eiserne Parteidisziplin und war Verfechter des Fraktionszwangs. SPD-Politiker, die öffentlich eine abweichende Meinung vertraten, wurden von ihm scharf angegriffen, so zum Beispiel Wilhelm Hoegner und Wilhelm Kaisen. Im Fall Hoegner geriet der fast schon militante Zentralist mit dem ebenso vehementen bayerischen Föderalisten aneinander. Während Hoegner Schumachers „Diktator-Allüren“ kritisierte, sah Schumacher in Hoegner nicht ganz zu unrecht einen Separatisten, der mit der Bayernpartei darüber wetteifere, wer der überzeugtere Bayer sei. Mit Hilfe seines Büros, der bayerischen SPD (die Hoegners Positionen ebenfalls für weit übertrieben hielt) und des ehemaligen Londoner Emigranten Waldemar von Knoeringen gelang es Schumacher schließlich, Hoegner innerhalb der SPD zu isolieren.

Im Fall Paul Löbe begründete Schumacher seine Einstellung wie folgt: „Die individuelle Meinungsfreiheit ist auch in der Öffentlichkeit gesichert. Wenn aber einmal Entschlüsse vorliegen, dann müssen sie auch respektiert werden. Es kann auch nicht nach Beschlussfassung die Diskussion in jedem Moment von neuem beginnen.“ Die „demokratische Freiheit“ lag für Schumacher „in der Einordnung in die große Idee, deren praktische Gestaltung demokratisch fixiert ist.“

Innerhalb der SPD gab es nur wenige, die ihm widersprachen, geschweige denn seinen Führungsanspruch in Frage stellten. Das Fraktionsmitglied Heinrich Ritzel erklärte die Tatsache, dass Schumacher auch in parteiinternen Diskussionen kaum Widerspruch erntete, mit der scharfen Art von Schumachers Argumentation, die viele bereits „frühzeitig verstummen ließ“; andere „schwiegen gegenüber dem Mann, der durch seine physischen Leiden so etwas wie Unantastbarkeit ausstrahlte.“ Einer der wenigen, die Schumachers Stil offen kritisierten, war Paul Löbe. In einem Brief an Schumacher schrieb er: „Du weißt, wie sehr wir Dich alle schätzen […] daß aber nun überhaupt keine andere Meinung in der Partei laut werden soll als die Deine, scheint mir etwas zu viel verlangt […] wohl zehnmal haben Genossen mich schon gefragt, ist denn niemand da, der Kurt das einmal offen sagt. Ja, ja, es gibt Leute, die sich davor zu fürchten scheinen. Schließlich aber kann eine gesunde Politik nicht nur dadurch betrieben werden, daß man die anderen rechts und links dreimal täglich vor den Kopf stößt.“

Im Gegensatz aber zu möglichen Kontrahenten hatte Schumacher die Vorteile klar auf seiner Seite. Er besaß ein kohärentes politisches Konzept für die Nachkriegszeit, er hatte die Achtung und den Respekt der Parteimitglieder, den politischen Durchsetzungswillen sowie eine Organisation, um diesen Willen auch durchzusetzen – alles Faktoren, die den anderen fehlten.[4]

Erster Oppositionsführer der Bundesrepublik

Schumacher lehnte 1946 das Angebot der Alliierten ab, Ministerpräsident Württemberg-Badens zu werden, da er sich nicht regional in seinen Aktionen beschränken wollte. Er wurde stattdessen im selben Jahr zum Vorsitzenden des Zonenbeirats in der Britischen Besatzungszone gewählt.

Stimmenverteilung Bundestagswahl 1949

Bei der Bundestagswahl 1949 wurde Kurt Schumacher als Abgeordneter des Wahlkreises Hannover-Süd mit 55,1 % der dort abgegebenen gültigen Stimmen in den ersten Deutschen Bundestag gewählt. Bundesweit unterlag die SPD nach anfänglich gegenteiligen Prognosen mit 29,2 % der Stimmen gegenüber CDU/CSU, die 31,0 % der Stimmen auf sich vereinigen konnten.

Im Gegensatz zu vielen anderen in der SPD, namentlich etwa den Landespolitikern Wilhelm Kaisen (Bremen), Max Brauer (Hamburg) und Hermann Lüdemann (Schleswig-Holstein), sprach Schumacher sich entschieden gegen eine große Koalition und damit für eine Oppositionsrolle der SPD aus. Die beiden unumstrittenen Parteiführer der großen Parteien waren gegen starke innerparteiliche Opposition für eine klare Richtungsentscheidung durch die Wahlen. Auch persönlich wären sowohl ein Minister Schumacher in einem Kabinett Adenauer als auch die umgekehrte Konstellation nur schwer vorstellbar gewesen. Bereits auf einer Wahlversammlung im Oktober 1946 sah Schumacher die Rolle der SPD in der Opposition als Möglichkeit. Die Sozialdemokraten fürchteten sich „auch nicht vor einem gefährlichen Leben in der Opposition, denn wir Sozialdemokraten sagen uns, es ist besser für uns und die Welt, wenn die Opposition einmal von einer internationalistischen demokratischen Partei als von Chauvinisten und Nationalisten und allen Reaktionären, die ja augenblicklich bei der CDU untergekrochen sind, soweit sie nicht im Osten des Reiches bei der SED sind.“

Konrad Adenauer wurde erster Bundeskanzler, Kurt Schumacher wurde als erster Oppositionsführer sein Gegenspieler im Bundestag. Im Gegensatz zur Praxis in der Weimarer Republik begriff er die Oppositionsrolle stets als konstruktiv. Die Opposition solle nach Schumachers Meinung nicht in erster Linie die Regierung kritisieren, sondern selbst in der Lage sein, bessere oder zumindest gleichwertige Konzeptionen zu liefern. Mit dieser parlamentarischen Stiländerung hinterließ er vielleicht sein wichtigstes Vermächtnis für das politische System der Bundesrepublik.

Schumacher war unumstrittener Führer der SPD-Fraktion. Obwohl er mit dem Plan scheiterte, den Fraktionszwang in die Geschäftsordnung schreiben zu lassen, übte er ihn praktisch konsequent aus. Er war, auch aus der Weimarer Erfahrung heraus, der Ansicht, das Parlament benötige ebenso wie eine handlungsfähige Regierung eine geschlossene Opposition, die in der Lage wäre, die Regierung zu übernehmen. In der deutschen Tradition schuf er so erst das (inoffizielle) Amt des Oppositionsführers.

1949 kandidierte Schumacher bei den Wahlen zum Amt des Bundespräsidenten, unterlag aber dem FDP-Kandidaten Theodor Heuss, der auch von den Unionsparteien mitgetragen wurde. Dieses Verhalten Schumachers war aber nicht im Sinne eines Rückzuges aus der aktiven Politik hin zur Übernahme einer repräsentativeren Aufgabe zu verstehen. Indem er sich selbst zur Wahl stellte, beugte Schumacher immer lauter werdenden Forderungen aus Koalitionskreisen vor, einen SPD-Politiker an die Spitze des Staates zu wählen.

Am 20. August 1952 starb der schwerkranke Schumacher in Bonn an den Spätfolgen der langen KZ-Haft.

Beigesetzt wurde er in Hannover auf dem Stadtfriedhof Ricklingen. An den Straßen zwischen Bonn und Hannover standen hunderttausende Menschen und erwiesen ihm die letzte Ehre. Die Süddeutsche Zeitung schrieb in ihrem Nachruf: „Wir brauchen Dich, obwohl Du unser Gegner bist, und wir wissen es. […] Und das weitere Tröstliche ist darin enthalten, daß es hier keiner mittelmäßigen und mittellauwarmen Persönlichkeit entgegenwallte, keinem 'Wirte wundermild', sondern einem Strengen, Abweisenden, Unerbittlichen.“

Politische Vorstellungen Schumachers

Zentral für Schumachers politische Vorstellungen ist der Begriff des Volkes in seinen beiden Bedeutungsebenen: sowohl als Begriff für den dritten Stand, die ausgebeuteten und unterdrückten Massen, als auch im Sinne eines Staatsvolkes. Kurt Schumacher wollte ein demokratisches und sozialistisches, ungeteiltes Deutschland, möglichst in den Grenzen von 1937. Deutschland sollte möglichst schnell seine Souveränität wiedererlangen und seinen Platz unter den freien Völkern Europas einnehmen. Er stand in der Tradition der Revolution von 1848 und der von 1918, er kämpfte für einen unitarischen Verfassungsstaat, freie Wahlen, Parteiendemokratie, Parlamentarismus, die Überwindung des Obrigkeitsstaates und der kapitalistischen Klassengesellschaft. Für ihn war die SPD die einzige Partei, die weder durch den Nationalsozialismus noch durch den Stalinismus belastet war. Die Sozialdemokraten seien deshalb als einzige in der Lage, ein freies Deutschland in ein freies Europa zu führen und so zum Spannungsabbau zwischen den Großmächten beizutragen.

Platte am Kurt-Schumacher-Denkmal, Berlin

Schumacher besaß in seinen Politikkonzeptionen den Vor- und Nachteil, nie administrative Macht innegehabt zu haben. Ein Vorteil, weil er seine Vorstellungen so nie an der Realität messen musste, undurchführbare Pläne nicht offensichtlich wurden und innere Widersprüche weniger offensichtlich waren; ein Nachteil, da er so kaum einem Druck zum Lernen ausgesetzt war. Er konnte seine Positionen beibehalten, auch in einer weltgeschichtlichen Lage, die sich rapide änderte. So führte er die SPD in eine programmatische Isolation. Aus dieser Lage konnte sich die SPD bis in die späten 1950er Jahre nicht befreien.

Sozialismus

Schumacher war vom programmatischen Erbe der Bebelschen SPD geprägt. Für ihn war die Überwindung des Klassenkampfes eines der zentralen Politikziele. Seiner Meinung nach könne dies nur durch die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien geschehen. Ebenso tief war er vom Scheitern der Weimarer Republik beeinflusst und meinte, eine der Ursachen dafür in der mangelnden Demokratisierung der Wirtschaft zu finden. Insbesondere im Nachkriegschaos plädierte er – ähnlich wie die Labour-Party in Großbritannien, aber auch bedeutende Teile der CDU – für eine Planwirtschaft, um die Versorgung der Bevölkerung mit dem Notwendigsten sicherzustellen.

Demokratie

Demokratie und die Beteiligung des Volkes an der Macht ließen sich für Schumacher am besten mit freien und allgemeinen Wahlen durchsetzen. Wegen der zahlenmäßigen Überlegenheit des Volkes gegenüber den traditionellen Funktionseliten seien Wahlen der sicherste Weg, die Privilegien der Funktionseliten zu beseitigen. Konzeptionen wie die der Bolschewiki, die die Volksherrschaft erst nach einer Zeit der Diktatur des Proletariats anvisierten, lehnte er ab. Für ihn führten nur demokratische Verfahrensweisen auch zu einer Volksherrschaft.

Antikommunismus

Bekannt ist Kurt Schumachers Äußerung, Kommunisten seien nichts anderes „als rotlackierte Nazis“. Nachdem er diesen Ausdruck 1930 als „rotlackierte Doppelausgabe der Nationalsozialisten“ eingeführt hatte, verschärfte Schumacher im Mai 1946 den Ton, indem er von „rotlackierten Faschisten“ sprach. Geprägt von Erfahrungen in den frühen 1920er Jahren, als Schumacher mehrfach mit Kommunisten der Schlageter-Gruppe zusammenstieß, die für „ein Bündnis mit den Faschisten zugunsten der Sowjetunion“ eintraten, änderte sich seine grundlegende Haltung gegenüber der kommunistischen Partei danach nicht mehr. Er warf der KPD „Klassenverrat“ vor, da sie die Weimarer Republik untergraben habe, anstatt sie zu verteidigen. Dadurch habe sie den Aufstieg der Nationalsozialisten erst ermöglicht. Kommunistische Umsturzversuche in Ungarn, Italien und dem Balkan hätten demokratische Arbeiterschaft und demokratisches Bürgertum geschwächt, so dass in der Folge insbesondere faschistische Parteien von den neuen Kraftverhältnissen profitiert hätten.[5]

Für Schumacher war die KPD ein willenloses Vollstreckungsorgan der sowjetischen Außenpolitik; in ihren Beschwörungen von Demokratie und deutscher Einheit sah er bloße Taktik. Mit einer neo-nationalistischen Sprache, die „gleich der des alten Nazismus“ sei, betreibe die KPD und später die SED eine „nationalrussische Politik mit nationaldeutschen Phrasen.“ Auf ein Verhandlungsangebot der Volkskammer reagierte er am 30. Januar 1951 im Bundestag mit seiner üblichen ätzenden Schärfe: „Die deutschen Demokraten können nur mit Deutschen über Deutschland verhandeln, aber nicht mit Gesinnungsrussen, deren Deutschtum eine bloße Äußerlichkeit ist.“

Obwohl es in der SPD Stimmen gab, die ein Zusammengehen mit den Kommunisten befürworteten, und auch in anderen Ländern wie zum Beispiel Italien und Frankreich eine gemeinsame antifaschistische Front von Kommunisten und Sozialdemokraten gebildet wurde, vollzog Schumacher bereits im Sommer 1945 eine klare Trennung von der SPD in der sowjetischen Besatzungszone unter Otto Grotewohl. Die von ihm durchgesetzte Abgrenzung der SPD vom Kommunismus bestimmte die Partei bis in die 1970er hinein; erst diese Abgrenzung isolierte den organisierten Kommunismus von seinen wichtigsten Ansprechpartnern, der SPD und den von ihr dominierten Gewerkschaften, und verhinderte so seinen Einfluss auf die gesellschaftliche Mitte.[5]

Patriotismus

Der Politologe Hans-Peter Schwarz beschrieb Schumacher als „mit Getöse national.“ In einem Aufruf aus dem Jahr 1945 schrieb Schumacher: „Mag das Verbrechen des deutschen Nazismus an der Welt noch so schwer sein, das deutsche Volk kann und darf nicht darauf verzichten, sein Reich […] als nationales und staatliches Ganzes zu behaupten. Für die arbeitenden Massen sind Idee und Tatsache des Deutschen Reiches nicht nur nationalpolitisch, sondern auch klassenpolitisch eine Notwendigkeit. Ihr politischer und wirtschaftlicher Befreiungskampf ist ohne diese Grundlage zur Erfolglosigkeit verurteilt.“

Der gebürtige Preuße war fest davon überzeugt, es sei einer der schwersten Fehler der Weimarer Linken gewesen, die nationale Idee den Konservativen und Nationalsozialisten zu überlassen. Nie wieder solle die SPD als national illoyal diskreditiert werden können. Mit Leidenschaft allerdings griff er Kräfte an, die seiner Überzeugung nach mit dem Nationalsozialismus paktiert hatten. Für ihn verlief der Gegensatz nicht zwischen national und international, sondern zwischen national und nationalistisch. Nationalismus war 1947 für ihn „die heutige Form des Nihilismus in der Welt“ und damit zutiefst abzulehnen. Die Rolle der SPD sah er 1950 in den Verhandlungen zum Europarat darin, „durch Wahrung der nationalen Rechte den Nationalismus unmöglich zu machen und ihn unter Zustimmung des ganzes Volkes zerschlagen zu können.“

Seine Art, dem Patriotismus Ausdruck zu verleihen, machte es allerdings seinen Gegnern leicht, ihn außenpolitisch als linken Nationalisten zu isolieren. Insbesondere, da Schumacher als aktiver Widerstandskämpfer bereits im KZ gesessen hatte – während viele westliche Staatsmänner Adolf Hitler noch hofiert hatten – meinte er, es sich leisten zu können, auf Augenhöhe, wenn nicht sogar aus einem Gefühl moralischer Überlegenheit heraus gegenüber den Siegermächten auftreten zu können. Deren Wahrnehmung, dass Schumacher zwar als Individuum Widerstand geleistet habe, damit jedoch keineswegs ein typischer Deutscher sei, konnte oder wollte er nicht sehen. Auch nach dem Krieg arbeiteten die westlichen Staaten mit den Repräsentanten der Klassen und Schichten zusammen, die nach Schumachers Meinung die Republik nur ungenügend verteidigt hatten. Er kam in die Situation, im Ausland als deutscher Nationalist verschrien zu sein, während jene, die seiner Meinung nach Steigbügelhalter des Nationalsozialismus gewesen waren, schon wieder hofiert wurden.

Kurt-Schumacher-Platz, Berlin-Reinickendorf

Nach den Erfahrungen mit dem Versailler Vertrag und der deutschen Erfüllungspolitik meinte Schumacher, dass Härte allein nötig wäre, um wieder die nationale Gleichberechtigung Deutschlands auf internationaler Bühne zu erreichen. Schumachers Position zur europäischen Einigung und zur Westbindung der Bundesrepublik blieb inkohärent. Einerseits legte ihn seine leidenschaftliche Ablehnung der Sowjetunion und des dort praktizierten Realsozialismus in der Situation des beginnenden Kalten Krieges faktisch auf eine Westbindung fest. Andererseits widersetzte er sich den Schritten, die diese Festlegung praktisch unterstützten: Europarat, Montanunion und europäische Verteidigungsgemeinschaft. Diese erschwerten seiner Auffassung nach die deutsche Wiedervereinigung dauerhaft oder machten sie ganz unmöglich. Kritisch gegenüber Frankreich, Großbritannien und erst recht den von ihm als kapitalistische Vormacht empfundenen USA, verweigerte er sich den Schritten, die eine Westbindung konkretisiert hätten. Verglichen mit den Werten der Aufklärung und eines freiheitlichen Sozialismus empfand er die faktische Situation in diesen Ländern als zutiefst unbefriedigend und konnte sich nicht zu einer echten Zusammenarbeit mit ihnen überwinden.

Schumacher profilierte sich im Bundestag als scharfer Gegner der Politik der Westeinbindung von Konrad Adenauer. Er sah hierin die Gefährdung einer baldigen Wiedervereinigung. Im Zuge der Auseinandersetzungen um das Petersberger Abkommen bezeichnete er Adenauer in der Nacht vom 24. auf den 25. November 1949 als den „Bundeskanzler der Alliierten, woraufhin er für mehrere Sitzungstage aus dem Bundestag ausgeschlossen wurde. Später nahm er diese Äußerung zurück. Schumacher ist außerdem der Urheber der später von Adenauer übernommenen Magnet-Theorie.

Schumacher entlastete die Wehrmachtssoldaten[6] und die Angehörigen der Waffen-SS[7] von kollektiven Schuldvorwürfen und setzte sich für ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft ein.

Schumacher wurde in Hannover beigesetzt, wo sein Grab als Ehrengrab gepflegt wird.

Nachlass und Nachleben

Willy Brandt bei der Eröffnung einer Ausstellung zu Kurt Schumacher, Bonn 1977

Es gibt keinen gesammelten Nachlass Schumachers. Der allergrößte Teil seiner älteren Unterlagen und persönlichen Dokumente wurde von den Nationalsozialisten vernichtet.

Einige Brücken, Straßen und Schulen[8] wurden nach Kurt Schumacher benannt.

Siehe auch

Einzelbelege

  1. genauzer gesagt: den beiden Kabinetten Brüning. Kabinett Brüning I = 1930–1931; Kabinett Brüning II = 1931–1932
  2. U. Plener, SPD 1945–49, S. 63, 68; F. Moraw, Die Parole der „Einheit“, S. 78, 122 ff.
  3. F. Moraw, Die Parole der „Einheit“, S. 121, 124 ff.; Bericht des amerikan. Geheimdienstes FIS, in: Zwischen Befreiung und Besatzung, hg. v. U. Borsdorf u. L. Niethammer, Wuppertal 1976, S. 208–228
  4. Peter Brandt: Demokratischer Sozialismus – Deutsche Einheit – Europäische FriedensordnungKurt Schumacher in der Nachkriegspolitik (1945–1952)
  5. a b Mike Schmeitzner: Der Totalitarismusbegriff Kurt Schumachers. Politische Intention und praktische Wirksamkeit, in: Mike Schmeitzner (Hrsg.): Totalitarismuskritik von links: deutsche Diskurse im 20. Jahrhundert, Vandenhoeck & Ruprecht, 2007, ISBN 3-525-36910-7, S. 253–257
  6. Schumacher auf dem 1. Parteitag der SPD in den westlichen Besatzungszonen im Mai 1946 in Hannover
  7. vgl. Brief an Liebmann Hersch vom 30. Oktober 1951
  8. Schulen u.a. in Anderten, Berlin, Bremen, Frankfurt, Hannover, Ingelheim, Karben, Reinheim, Nidderau-Windecken (im Taunus).

Literatur

  • Willy Albrecht (Hrsg.): Kurt Schumacher. Reden – Schriften – Korrespondenzen 1945–1952. Dietz, Berlin/Bonn/Bad Godesberg 1985 (Quellenedition). ISBN 3-8012-1107-X.
  • Helmut Bärwald: Kurt Schumacher. Bund der Vertriebenen, Bonn 1995, ISBN 3-925103-76-7.
  • Werner Blumenberg: Kurt Schumacher. In: Kämpfer für die Freiheit. J. H. W. Dietz Nachf., Berlin / Hannover 1959, S. 163–171
  • Dieter Dowe (Hrsg.): Kurt Schumacher und der „Neubau“ der deutschen Sozialdemokratie nach 1945. Historisches Forschungszentrum, Bonn/Bad Godesberg 1996 (Tagungsband). ISBN 3-86077-461-1
  • Lewis J. Edinger: Kurt Schumacher. Persönlichkeit und politisches Verhalten. Köln/Opladen 1967 (Orig. Stanford, Cal. 1965)
  • Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Kurt Schumacher und seine Politik. Wissenschaftliches Symposium am 30. Oktober 1995. Argon, Berlin 1996, ISBN 3-87024-793-2 (Tagungsband, starker Schwerpunkt auf seinen politischen Konzeptionen ab 1945)
  • Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus. Roman. Scherz & Goverts, Stuttgart 1953, Süddt. Zeitung, München 2004. ISBN 3-937793-25-9 (Die Person Knurrewahn ist ein leicht verfremdetes Portrait Kurt Schumachers)
  • Peter Merseburger: Der schwierige Deutsche Kurt Schumacher. Eine Biographie. Dt. Verl.-Anst., Stuttgart 1995. ISBN 3-421-05021-X (Erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch, ist aber eine lesenswerte Synthese des allgemeinen Kenntnisstandes)
  • Frank Moraw: Die Parole der „Einheit“ und die Sozialdemokratie. Zur parteiorganisatorischen und gesellschaftspolitischen Orientierung der SPD in der Periode der Illegalität und in der ersten Phase der Nachkriegszeit 1933–1948. Bonn 1973
  • Theo Pirker: Die SPD nach Hitler. Die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1945–1964. München 1965
  • Ulla Plener: Der feindliche Bruder: Kurt Schumacher. Intentionen, Politik, Ergebnisse 1921 bis 1952. Berlin 2003
  • Ulla Plener: SPD 1945–1949. Konzeption, Praxis, Ergebnisse. Berlin/DDR 1981 (eine Darstellung aus Sicht der damaligen SED)
  • Waldemar Ritter: Kurt Schumacher Eine Untersuchung seiner politischen Konzeption und seiner Gesellschafts- und Staatsauffassung. Verlag Dietz, Hannover 1964
  • Volker Schober: Der junge Kurt Schumacher 1895–1933. Reihe Politik- und Gesellschaftsgeschichten des Historischen Forschungsseminars der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bd 53. Dietz, Bonn 2000. ISBN 3-8012-4110-6 (Wissenschaftliche Biografie über die frühen Jahre)
  • Günter Scholz: Kurt Schumacher. Düsseldorf u.a.O. 1988. ISBN 3-430-18036-8.
  • Fred Wesemann: Kurt Schumacher. Ein Leben für Deutschland. Frankfurt a. M. 1952. (besitzt teilweise Quellencharakter. Das Buch selber ist im Rahmen einer Kampagne der Bundesregierung zur Etablierung der Demokratie herausgegeben worden und trägt so stark typisierende und schönende Züge des Schumacherschen Charakters)
  • Martin Schumacher, Katharina Lübbe, Wilhelm Heinz Schröder: M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung, 1933–1945. Eine biographische Dokumentation. 3. Auflage. Droste, Düsseldorf 1994, ISBN 3-7700-5183-1. 

Weblinks

 Commons: Kurt Schumacher – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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